Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781): Nathan der Weise



Einleitung

Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) war ein bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Drama "Nathan der Weise", das 1779 veröffentlicht wurde. In diesem Drama vermittelt Lessing die Idee der religiösen Toleranz und des Humanismus durch die Geschichte von Nathan, einem weisen jüdischen Kaufmann, der in Jerusalem lebt. Die zentrale Botschaft des Stückes wird oft durch die berühmte Ringparabel symbolisiert, die die Gleichwertigkeit der monotheistischen Religionen betont. "Nathan der Weise" gilt als ein Plädoyer für die Vernunft und die Menschlichkeit über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg und ist bis heute ein zentrales Werk der Weltliteratur.


Gotthold Ephraim Lessing und "Nathan der Weise"


Leben und Werk Gotthold Ephraim Lessings

Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 in Kamenz, Sachsen, geboren. Er war ein führender Kopf der deutschen Aufklärung, ein kritischer Denker, der sich intensiv mit Literatur, Philosophie und Theologie auseinandersetzte. Lessing war nicht nur als Dramatiker, sondern auch als Theoretiker, Kritiker und Philosoph tätig. Sein literarisches Schaffen umfasst Dramen, Fabeln, philosophische und theologische Schriften. Lessings Werke, darunter "Emilia Galotti", "Minna von Barnhelm" und "Laokoon", haben maßgeblich zur Entwicklung des deutschen Dramas und der Literaturkritik beigetragen.


Inhalt und Themen von "Nathan der Weise"

"Nathan der Weise" spielt im Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge und erzählt die Geschichte von Nathan, seiner angenommenen Tochter Recha und deren Begegnungen mit verschiedenen Figuren unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeiten: einem christlichen Tempelherrn, einem muslimischen Sultan und einem christlichen Patriarchen. Durch die Beziehungen und Dialoge zwischen diesen Charakteren entfaltet Lessing seine Ideen von Toleranz, Humanität und der kritischen Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Dogmatismus. Die Ringparabel, die Nathan erzählt, ist das Herzstück des Dramas und veranschaulicht die Botschaft der religiösen Gleichberechtigung und der universellen Brüderlichkeit.


Die Bedeutung der Ringparabel

Die Ringparabel ist ein zentrales Element in "Nathan der Weise" und dient als Metapher für die Gleichwertigkeit der drei abrahamitischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam. In der Parabel vererbt ein Vater einen Ring mit der Macht, seinen Träger bei Gott und den Menschen beliebt zu machen, an einen seiner drei Söhne. Um Streitigkeiten zu vermeiden, lässt der Vater zwei identische Kopien anfertigen, sodass jeder Sohn einen Ring erhält. Die Parabel endet mit der Aufforderung, durch Taten der Liebe und des Respekts zu beweisen, welcher Ring der echte sei. Lessing nutzt diese Geschichte, um zu argumentieren, dass nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, sondern die gelebte Menschlichkeit und Ethik entscheidend sind.


Interaktive Aufgaben


Quiz: Teste Dein Wissen

In welchem Jahr wurde "Nathan der Weise" veröffentlicht? (1779) (!1781) (!1775) (!1800)

Wer ist der Autor von "Nathan der Weise"? (Gotthold Ephraim Lessing) (!Johann Wolfgang von Goethe) (!Friedrich Schiller) (!Heinrich Heine)

Welche Stadt ist der Schauplatz von "Nathan der Weise"? (Jerusalem) (!Damaskus) (!Bagdad) (!Kairo)

Was symbolisiert die Ringparabel in "Nathan der Weise"? (Die Gleichwertigkeit der monotheistischen Religionen) (!Die Überlegenheit einer bestimmten Religion) (!Die Wichtigkeit von Reichtum und Macht) (!Die Bedeutung von Krieg und Frieden)

Welche Rolle spielt Nathan im Drama? (Einen weisen jüdischen Kaufmann) (!Einen christlichen Kreuzritter) (!Einen muslimischen Sultan) (!Einen atheistischen Philosophen)

Was ist das zentrale Thema von "Nathan der Weise"? (Religiöse Toleranz und Humanismus) (!Politische Machtspiele) (!Romantische Liebe) (!Kulturelle Identität)

Wie heißt Nathans angenommene Tochter? (Recha) (!Emilia) (!Minna) (!Sara)

Mit welchem literarischen Mittel vermittelt Lessing die Botschaft der Toleranz? (Durch die Ringparabel) (!Durch ein Duell) (!Durch eine Liebesgeschichte) (!Durch eine Schatzsuche)

Was kennzeichnet die Epoche, in der Lessing lebte und wirkte? (Die Aufklärung) (!Das Mittelalter) (!Die Renaissance) (!Die Romantik)

Welches literarische Genre gehört "Nathan der Weise" an? (Drama) (!Roman) (!Lyrik) (!Novelle)





Memory

Gotthold Ephraim Lessing Autor von "Nathan der Weise"
1779 Veröffentlichungsjahr von "Nathan der Weise"
Jerusalem Schauplatz von "Nathan der Weise"
Ringparabel Symbol für religiöse Gleichwertigkeit
Humanismus Zentrales Thema in "Nathan der Weise"





Kreuzworträtsel

lessing Wer ist der Autor von "Nathan der Weise"?
jerusalem In welcher Stadt spielt "Nathan der Weise"?
recha Wie heißt Nathans angenommene Tochter?
ringparabel Welche Parabel symbolisiert die religiöse Toleranz?
aufklaerung In welcher Epoche lebte und wirkte Lessing?
drama Zu welchem literarischen Genre gehört "Nathan der Weise"?
toleranz Was ist das zentrale Thema von "Nathan der Weise"?
nathan Wer ist der weise jüdische Kaufmann im Drama?




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Lückentext

Vervollständige den Text.

Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte das Drama

im Jahr

. Es spielt in der Stadt

und thematisiert die

und den

. Die zentrale Botschaft des Werks wird durch die

vermittelt, die für die Gleichwertigkeit der monotheistischen Religionen steht.


Offene Aufgaben


Leicht

  1. Recherchiere weitere Werke von Gotthold Ephraim Lessing und erstelle eine kurze Zusammenfassung jedes Werks.
  2. Untersuche die historischen Hintergründe der Kreuzzüge und ihre Auswirkungen auf das Zusammenleben der Religionen in Jerusalem.
  3. Erstelle eine Präsentation über die Bedeutung der Aufklärung und ihre wichtigsten Vertreter.

Standard

  1. Analysiere die Ringparabel aus "Nathan der Weise" und diskutiere ihre Bedeutung für die heutige Zeit.
  2. Vergleiche "Nathan der Weise" mit einem anderen literarischen Werk, das sich mit dem Thema der religiösen Toleranz auseinandersetzt.
  3. Organisiere eine Diskussionsrunde in deiner Klasse/Schule über die Aktualität der Themen von "Nathan der Weise".

Schwer

  1. Schreibe ein eigenes kurzes Drama, das die Themen Toleranz und Humanismus in einem modernen Kontext aufgreift.
  2. Führe ein Interview mit einem Religionswissenschaftler über die Bedeutung der Ringparabel und ihre Sicht auf die Gleichwertigkeit der Religionen.
  3. Entwickle ein interaktives Online-Spiel, das Spielerinnen und Spielern die Botschaft von "Nathan der Weise" näherbringt.




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Mündliche Prüfung

  1. Diskutiere, inwiefern "Nathan der Weise" als ein Werk der Aufklärung betrachtet werden kann.
  2. Erläutere die Bedeutung der Figurenkonstellation in "Nathan der Weise" für die Vermittlung der zentralen Botschaft.
  3. Analysiere, wie Lessing durch die Verwendung der Ringparabel die Idee der religiösen Toleranz vermittelt.
  4. Bewerte die Relevanz von "Nathan der Weise" für den interreligiösen Dialog in der heutigen Zeit.
  5. Vergleiche die Darstellung der Religionen in "Nathan der Weise" mit der heutigen Wahrnehmung und Beziehung zwischen den Religionen.


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    Personen

    Sultan Saladin
    Sittah, dessen Schwester
    Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
    Recha, dessen angenommene Tochter
    Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden,
    als Gesellschafterin der Recha

    Ein junger Tempelherr
    Ein Derwisch
    Der Patriarch von Jerusalem
    Ein Klosterbruder
    Ein Emir
    nebst verschiednen Mamelucken des Saladin

    Die Szene ist in Jerusalem


    Erster Aufzug

    Erster Auftritt

    (Szene: Flur in Nathans Hause.)

    Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

    Daja.
    Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,
    Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

    Nathan.
    Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?
    Hab ich denn eher wiederkommen wollen?
    Und wiederkommen können? Babylon
    Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
    Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
    Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
    Und Schulden einkassieren, ist gewiß
    Auch kein Geschäft, das merklich födert, das
    So von der Hand sich schlagen läßt.

    Daja. O Nathan,
    Wie elend, elend hättet Ihr indes
    Hier werden können! Euer Haus ...

    Nathan. Das brannte.
    So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,
    Daß ich nur alles schon vernommen habe!

    Daja.
    Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

    Nathan.
    Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
    Gebaut; und ein bequemeres.

    Daja. Schon wahr! –
    Doch Recha wär' bei einem Haare mit
    Verbrannt.

    Nathan. Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –
    Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte
    Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt
    Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!
    Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!
    Heraus nur! – Töte mich: und martre mich
    Nicht länger. – ja, sie ist verbrannt.

    Daja. Wenn sie
    Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

    Nathan.
    Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!
    O meine Recha!

    Daja. Eure? Eure Recha?

    Nathan.
    Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte,
    Dies Kind mein Kind zu nennen!

    Daja. Nennt Ihr alles,
    Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte
    Das Eure?

    Nathan. Nichts mit größerm! Alles, was
    Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
    Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
    Dank ich der Tugend.

    Daja. O wie teuer laßt
    Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
    Wenn Güt', in solcher Absicht ausgeübt,
    Noch Güte heißen kann!

    Nathan. In solcher Absicht?
    In welcher?

    Daja. Mein Gewissen ...

    Nathan. Daja, laß
    Vor allen Dingen dir erzählen ...

    Daja. Mein
    Gewissen, sag ich ...

    Nathan. Was in Babylon
    Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
    So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
    Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

    Daja.
    Was hilft's? Denn mein Gewissen, muß ich Euch
    Nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.

    Nathan.
    Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
    Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
    Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
    Verlanget mich zu sehn.

    Daja. So seid Ihr nun!
    Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

    Nathan.
    Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

    Daja.
    Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Ihr nicht
    Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?
    Und doch ...

    Nathan. Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,
    Das willst du sagen?

    Daja. Was ich sagen will,
    Das wißt Ihr besser.

    Nathan. Nun so schweig!

    Daja. Ich schweige.
    Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
    Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –
    Nicht kann, – komm' über Euch!

    Nathan. Komm' über mich! –
    Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,
    Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn,
    Daß ich gekommen bin?

    Daja. Das frag ich Euch!
    Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
    Noch malet Feuer ihre Phantasie
    Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
    Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
    Als Tier, bald mehr als Engel.

    Nathan. Armes Kind!
    Was sind wir Menschen!

    Daja. Diesen Morgen lag
    Sie lange mit verschloßnem Aug', und war
    Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!
    Da kommen die Kamele meines Vaters!
    Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem
    Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
    Dem seines Armes Stütze sich entzog,
    Stürzt auf das Kissen. – Ich, zur Pfort' hinaus!
    Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –
    Was Wunder! ihre ganze Seele war
    Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

    Nathan. Bei ihm?
    Bei welchem Ihm?

    Daja. Bei ihm, der aus dem Feuer
    Sie rettete.

    Nathan. Wer war das? wer? – Wo ist er?
    Wer rettete mir meine Recha? wer?

    Daja.
    Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage
    Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
    Und Saladin begnadigt hatte.

    Nathan. Wie?
    Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
    Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
    War Recha nicht zu retten? Gott!

    Daja. Ohn' ihn,
    Der seinen unvermuteten Gewinst
    Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

    Nathan.
    Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –
    Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
    Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen
    Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?
    Verspracht ihm mehr? weit mehr?

    Daja. Wie konnten wir?

    Nathan.
    Nicht? nicht?

    Daja. Er kam, und niemand weiß woher.
    Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn' alle
    Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
    Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
    Er kühn durch Flamm' und Rauch der Stimme nach,
    Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir
    Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
    Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
    Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
    Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
    Er nieder, drängt sich unters Volk und ist
    Verschwunden!

    Nathan. Nicht auf immer, will ich hoffen.

    Daja.
    Nachher die ersten Tage sahen wir
    Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
    Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
    Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
    Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch
    Die fromme Kreatur zu sehen, die
    Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
    Zu seinen Füßen ausgeweinet.

    Nathan. Nun?

    Daja.
    Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
    Und goß so bittern Spott auf mich besonders ...

    Nathan. Bis dadurch abgeschreckt ...

    Daja. Nichts weniger!
    Ich trat ihn je den Tag von neuem an;
    Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
    Was litt ich nicht von ihm! Was hätt' ich nicht
    Noch gern ertragen! – Aber lange schon
    Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
    Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
    Und niemand weiß, wo er geblieben ist.
    Ihr staunt? Ihr sinnt?

    Nathan. Ich überdenke mir,
    Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl
    Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht
    Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
    Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,
    Und doch so angezogen werden; – Traun,
    Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
    Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll.
    Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
    Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
    Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
    Das Herz den Kopf muß spielen. – Schlimmer Tausch! –
    Das letztere, verkenn ich Recha nicht,
    Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

    Daja. Allein so fromm,
    So liebenswürdig!

    Nathan. Ist doch auch geschwärmt!

    Daja.
    Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt,
    Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
    Kein irdischer und keines irdischen;
    Der Engel einer, deren Schutze sich
    Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
    Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
    In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
    Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
    Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?
    Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
    In dem sich Jud' und Christ und Muselmann
    Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

    Nathan.
    Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;
    Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –
    Sodann such ich den wilden, launigen
    Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
    Hienieden unter uns zu wallen; noch
    Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
    Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Ihn her.

    Daja.
    Ihr unternehmet viel.

    Nathan. Macht dann
    Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –
    Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist
    Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –
    So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
    Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

    Daja.
    Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
    Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

    Zweiter Auftritt

    Recha und die Vorigen.

    Recha.
    So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?
    Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur
    Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
    Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
    Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
    Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
    Die arme Recha, die indes verbrannte!
    Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
    Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!

    Nathan.
    Mein Kind! mein liebes Kind!

    Recha. Ihr mußtet über
    Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer
    Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich
    Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir
    So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
    So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben
    Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid
    Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht
    Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
    Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
    Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel
    Die ungetreuen Ström' hinüber. Er,
    Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar
    Auf seinem weißen Fittiche, mich durch
    Das Feuer trüge –

    Nathan. (Weißem Fittiche!
    Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel
    Des Tempelherrn.)

    Recha. Er sichtbar, sichtbar mich
    Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche
    Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel
    Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
    Und meinen Engel.

    Nathan. Recha wär' es wert;
    Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er
    An ihr.

    Recha(lächelnd).
    Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?
    Dem Engel, oder Euch?

    Nathan. Doch hätt' auch nur
    Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich
    Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte
    Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.

    Recha.
    Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;
    Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr,
    Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,
    Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
    Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
    Ich lieb ihn ja.

    Nathan. Und er liebt dich; und tut
    Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;
    Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
    Für euch getan.

    Recha. Das hör ich gern.

    Nathan. Wie? weil
    Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
    Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
    Gerettet hätte: sollt' es darum weniger
    Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,
    Daß uns die wahren, echten Wunder so
    Alltäglich werden können, werden sollen.
    Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte
    Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
    Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte,
    Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
    Das Neuste nur verfolgen.

    Daja(zu Nathan). Wollt Ihr denn
    Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
    Durch solcherlei Subtilitäten ganz
    Zersprengen?

    Nathan. Laß mich! – Meiner Recha wär'
    Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch
    Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
    Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
    Denn wer hat schon gehört, daß Saladin
    Je eines Tempelherrn verschont? daß je
    Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
    Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit
    Mehr als den ledern Gurt geboten, der
    Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

    Recha.
    Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben
    War das kein Tempelherr; er schien es nur. –
    Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders
    Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
    Geht keiner in Jerusalem so frei
    Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
    Denn einer retten können?

    Nathan. Sieh! wie sinnreich.
    Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja
    Von dir, daß er gefangen hergeschickt
    Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

    Daja.
    Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt
    Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn
    Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
    Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
    Doch da es viele zwanzig Jahre her,
    Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,
    Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –
    So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,
    Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

    Nathan.
    Ei, Daja! Warum wäre denn das so
    Unglaublich? Doch wohl nicht – wie's wohl geschieht –
    Um lieber etwas noch Unglaublichers
    Zu glauben? – Warum hätte Saladin,
    Der sein Geschwister insgesamt so liebt,
    In jüngern Jahren einen Bruder nicht
    Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen
    Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist
    Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt
    Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?
    Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche?
    Ei freilich, weise Daja, wär's für dich
    Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
    Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.

    Daja.
    Ihr spottet.

    Nathan. Weil du meiner spottest. – Doch
    Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
    Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
    Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
    Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –
    Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

    Recha. Mein Vater!
    Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre
    Nicht gern.

    Nathan. Vielmehr, du läßt dich gern belehren.
    Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;
    Der Rücken einer Nase, so vielmehr
    Als so geführet; Augenbraunen, die
    Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
    So oder so sich schlängeln; eine Linie,
    Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal,
    Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
    Gesicht: – und du entkommst dem Feu'r, in Asien!
    Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk?
    Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

    Daja.
    Was schadet's – Nathan, wenn ich sprechen darf –
    Bei alledem, von einem Engel lieber
    Als einem Menschen sich gerettet denken?
    Fühlt man der ersten unbegreiflichen
    Ursache seiner Rettung nicht sich so
    Viel näher?

    Nathan. Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
    Von Eisen will mit einer silbern Zange
    Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
    Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –
    Und was es schadet, fragst du? was es schadet?
    Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. –
    Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«
    Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –
    Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –
    Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das
    Dich rettete, – es sei ein Engel oder
    Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,
    Gern wieder viele große Dienste tun? –
    Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,
    Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
    Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
    Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
    Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
    Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich
    Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster
    Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
    Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
    Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
    Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger
    Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

    Daja.
    Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn
    Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.
    Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
    Allein er wollte ja, bedurfte ja
    So völlig nichts; war in sich, mit sich so
    Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
    Sein können.

    Recha. Endlich, als er gar verschwand ...

    Nathan.
    Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen
    Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt
    Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

    Daja.
    Das nun wohl nicht.

    Nathan. Nicht, Daja? nicht? – Da sieh
    Nun was es schad't! – Grausame Schwärmerinnen!
    Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! ...

    Recha.
    Krank!

    Daja. Krank! Er wird doch nicht!

    Recha. Welch kalter Schauer
    Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst
    So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

    Nathan. Er ist
    Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;
    Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
    Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

    Recha. Krank! krank!

    Daja.
    Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

    Nathan.
    Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld
    Sich Freunde zu besolden.

    Recha. Ah, mein Vater!

    Nathan.
    Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach',
    Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

    Recha.
    Wo? wo?

    Nathan. Er, der für eine, die er nie
    Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch
    Ins Feu'r sich stürzte ...

    Daja. Nathan, schonet ihrer!

    Nathan.
    Der, was er rettete, nicht näher kennen,
    Nicht weiter sehen mocht', – um ihm den Dank
    Zu sparen ...

    Daja. Schonet ihrer, Nathan!

    Nathan. Weiter
    Auch nicht zu sehn verlangt', – es wäre denn,
    Daß er zum zweitenmal es retten sollte –
    Denn g'nug, es ist ein Mensch ...

    Daja. Hört auf, und seht!

    Nathan.
    Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts
    Als das Bewußtsein dieser Tat!

    Daja. Hört auf!
    Ihr tötet sie!

    Nathan. Und du hast ihn getötet! –
    Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!
    Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
    Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank:
    Nicht einmal krank!

    Recha. Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

    Nathan.
    Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier
    Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,
    Wieviel andächtig schwärmen leichter, als
    Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch
    Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten
    Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt –
    Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

    Recha. Ah,
    Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch
    Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann
    Auch wohl verreist nur sein? –

    Nathan. Geht! – Allerdings. –
    Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick
    Ein Muselmann mir die beladenen
    Kamele. Kennt Ihr ihn?

    Daja. Ha! Euer Derwisch.

    Nathan.
    Wer?

    Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

    Nathan.
    Al-Hafi? das Al-Hafi?

    Daja. Itzt des Sultans
    Schatzmeister.

    Nathan. Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder?
    Er ist's! – wahrhaftig, ist's! – kömmt auf uns zu.
    Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

    Dritter Auftritt

    Nathan und der Derwisch.

    Derwisch.
    Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

    Nathan.
    Bist du's? Bist du es nicht? – In dieser Pracht,
    Ein Derwisch! ...

    Derwisch. Nun? warum denn nicht? Läßt sich
    Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

    Nathan.
    Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,
    Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll'
    Aus sich nichts machen lassen.

    Derwisch. Beim Propheten
    Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
    Zwar wenn man muß –

    Nathan. Muß! Derwisch! – Derwisch muß?
    Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?
    Was müßt' er denn?

    Derwisch. Warum man ihn recht bittet,
    Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.

    Nathan.
    Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Laß dich
    Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

    Derwisch.
    Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

    Nathan.
    Trotzdem, was du geworden!

    Derwisch. Könnt' ich nicht
    Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
    Euch ungelegen wäre?

    Nathan. Wenn dein Herz
    Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl
    Im Staat, ist nur dein Kleid.

    Derwisch. Das auch geehrt
    Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär' ich
    An Eurem Hofe?

    Nathan. Derwisch; weiter nichts.
    Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

    Derwisch. Nun ja!
    Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!
    Nicht Kellner auch? – Gesteht, daß Saladin
    Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei –
    Ihm worden.

    Nathan. Du? – bei ihm?

    Derwisch. Versteht:
    Des kleinern Schatzes, – denn des größern wartet
    Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

    Nathan.
    Sein Haus ist groß.

    Derwisch. Und größer, als Ihr glaubt;
    Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

    Nathan.
    Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

    Derwisch.
    Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
    Sich vorgesetzt, – und sollt' er selbst darüber
    Zum Bettler werden.

    Nathan. Brav! – So mein ich's eben.

    Derwisch.
    Er ist's auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz
    Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
    Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
    Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
    Verlaufen –

    Nathan. Weil Kanäle sie zum Teil
    Verschlingen, die zu füllen oder zu
    Verstopfen, gleich unmöglich ist.

    Derwisch. Getroffen!

    Nathan.
    Ich kenne das!

    Derwisch. Es taugt nun freilich nichts,
    Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
    Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's
    Noch zehnmal weniger.

    Nathan. O nicht doch, Derwisch!
    Nicht doch!

    Derwisch. Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:
    Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
    Euch ab.

    Nathan. Was bringt dir deine Stelle?

    Derwisch. Mir?
    Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
    – Denn ist es Ebb' im Schatz, – wie öfters ist,
    So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
    Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

    Nathan.
    Auch Zins vom Zins der Zinsen?

    Derwisch. Freilich!

    Nathan. Bis
    Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

    Derwisch.
    Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft
    Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
    Ich sehr auf Euch gerechnet.

    Nathan. Wahrlich? Wie
    Denn so? wieso denn?

    Derwisch. Daß Ihr mir mein Amt
    Mit Ehren würdet führen helfen; daß
    Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –
    Ihr schüttelt?

    Nathan. Nun, verstehn wir uns nur recht!
    Hier gibt's zu unterscheiden. – Du? warum
    Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
    Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber
    Al-Hafi Defterdar des Saladin,
    Der – dem –

    Derwisch. Erriet ich's nicht? Daß Ihr doch immer
    So gut als klug, so klug als weise seid! –
    Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
    Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da
    Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
    Eh' es verschossen ist, eh' es zu Lumpen
    Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
    Hängt's in Jerusalem am Nagel, und
    Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
    Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

    Nathan.
    Dir ähnlich g'nug!

    Derwisch. Und Schach mit ihnen spiele.

    Nathan.
    Dein höchstes Gut!

    Derwisch. Denkt nur, was mich verführte! –
    Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
    Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
    Vermögend wär' im Hui den reichsten Bettler
    In einen armen Reichen zu verwandeln?

    Nathan.
    Das nun wohl nicht.

    Derwisch. Weit etwas Abgeschmackters!
    Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
    Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt –

    Nathan.
    Der war?

    Derwisch. »Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
    Zumute sei; ein Bettler habe nur
    Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
    Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
    Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
    Erkundigte so ungestüm sich erst
    Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß
    Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch
    Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
    Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen.
    Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild
    Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
    Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
    Die ihre klar und still empfangnen Wasser
    So unrein und so sprudelnd wiedergeben.
    Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« –
    So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
    Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck!
    Ich eines Gecken Geck!

    Nathan. Gemach, mein Derwisch,
    Gemach!

    Derwisch. Ei was! – Es wär' nicht Geckerei,
    Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
    Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
    Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen?
    Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
    Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
    Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
    Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen,
    Und nicht des Höchsten immer volle Hand
    Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei ...

    Nathan.
    Genug! hör auf!

    Derwisch. Laßt meiner Geckerei
    Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre
    Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
    Die gute Seite dennoch auszuspüren,
    Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
    An dieser Geckerei zu nehmen? He?
    Das nicht?

    Nathan. Al-Hafi, mache, daß du bald
    In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,
    Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
    Zu sein verlernen.

    Derwisch. Recht, das fürcht ich auch.
    Lebt wohl!

    Nathan. So hastig? – Warte doch, Al-Hafi.
    Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! –
    Daß er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! –
    Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern
    Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
    Daß er ihn kennt.

    Vierter Auftritt

    Daja eilig herbei. Nathan.

    Daja. O Nathan, Nathan!

    Nathan. Nun?
    Was gibt's?

    Daja. Er läßt sich wieder sehn! Er läßt
    Sich wieder sehn!

    Nathan. Wer, Daja? wer?

    Daja. Er! Er!

    Nathan.
    Er? Er? – Wann läßt sich der nicht sehn! – Ja so,
    Nur euer Er heißt er. – Das sollt' er nicht!
    Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht! –

    Daja.
    Er wandelt untern Palmen wieder auf
    Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.

    Nathan.
    Sie essend? – und als Tempelherr?

    Daja. Was quält
    Ihr mich? – Ihr gierig Aug' erriet ihn hinter
    Den dicht verschränkten Palmen schon; und folgt
    Ihm unverrückt. Sie läßt Euch bitten, – Euch
    Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn.
    O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
    Ob er hinauf geht oder weiter ab
    Sich schlägt. O eilt!

    Nathan. So wie ich vom Kamele
    Gestiegen? – Schickt sich das? – Geh, eile du
    Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft.
    Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus
    In meinem Absein nicht betreten wollen;
    Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst
    Ihn laden läßt. Geh, sag, ich laß ihn bitten,
    Ihn herzlich bitten ...

    Daja. All umsonst! Er kömmt
    Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.

    Nathan.
    So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten;
    Ihn wenigstens mit deinen Augen zu
    Begleiten. – Geh, ich komme gleich dir nach.

    (Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)

    Fünfter Auftritt

    Szene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.

    Tempelherr.
    Der folgt mir nicht vor langer Weile! – Sieh,
    Wie schielt er nach den Händen! – Guter Bruder, ...
    Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?

    Klosterbruder.
    Nur Bruder – Laienbruder nur; zu dienen.

    Tempelherr.
    Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!
    Bei Gott! bei Gott! Ich habe nichts –

    Klosterbruder. Und doch
    Recht warmen Dank! Gott geb' Euch tausendfach,
    Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille
    Und nicht die Gabe macht den Geber. – Auch
    Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar
    Nicht nachgeschickt.

    Tempelherr. Doch aber nachgeschickt?

    Klosterbruder.
    Ja; aus dem Kloster.

    Tempelherr. Wo ich eben jetzt
    Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

    Klosterbruder.
    Die Tische waren schon besetzt; komm' aber
    Der Herr nur wieder mit zurück.

    Tempelherr. Wozu?
    Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen:
    Allein was tut's? Die Datteln sind ja reif.

    Klosterbruder.
    Nehm' sich der Herr in acht' mit dieser Frucht.
    Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft
    Die Milz; macht melancholisches Geblüt.

    Tempelherr.
    Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? –
    Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr
    Mir doch nicht nachgeschickt?

    Klosterbruder. O nein! – Ich soll
    Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn
    Euch fühlen.

    Tempelherr. Und das sagt Ihr mir so selbst?

    Klosterbruder.
    Warum nicht?

    Tempelherr. (Ein verschmitzter Bruder!) – Hat
    Das Kloster Euresgleichen mehr?

    Klosterbruder. Weiß nicht.
    Ich muß gehorchen, lieber Herr.

    Tempelherr. Und da
    Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu klügeln?

    Klosterbruder.
    Wär's sonst gehorchen, lieber Herr?

    Tempelherr. (Daß doch
    Die Einfalt immer Recht behält!) – Ihr dürft
    Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern
    Genauer kennen möchte? – Daß Ihr's selbst
    Nicht seid, will ich wohl schwören.

    Klosterbruder. Ziemte mir's?
    Und frommte mir's?

    Tempelherr. Wem ziemt und frommt es denn,
    Daß er so neubegierig ist? Wem denn?

    Klosterbruder.
    Dem Patriarchen; muß ich glauben. – Denn
    Der sandte mich Euch nach.

    Tempelherr. Der Patriarch?
    Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel
    Nicht besser?

    Klosterbruder. Kenn ja ich's!

    Tempelherr. Nun, Bruder? nun? –
    Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner. –
    Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,
    Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde
    Wir gern erstiegen hätten, um sodann
    Auf Sidon loszugehn; – setz ich hinzu:
    Selbzwanzigster gefangen und allein
    Vom Saladin begnadiget: so weiß
    Der Patriarch, was er zu wissen braucht;
    Mehr, als er braucht.

    Klosterbruder. Wohl aber schwerlich mehr,
    Als er schon weiß. – Er wüßt' auch gern, warum
    Der Herr vom Saladin begnadigt worden;
    Er ganz allein.

    Tempelherr. Weiß ich das selber? – Schon
    Den Hals entblößt, kniet' ich auf meinem Mantel,
    Den Streich erwartend: als mich schärfer Saladin
    Ins Auge faßt, mir näher springt, und winkt.
    Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will
    Ihm danken; seh sein Aug' in Tränen: stumm
    Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. – Wie
    Nun das zusammenhängt, enträtsle sich
    Der Patriarche selbst.

    Klosterbruder. Er schließt daraus,
    Daß Gott zu großen, großen Dingen Euch
    Müss' aufbehalten haben.

    Tempelherr. Ja, zu großen!
    Ein Judenmädchen aus dem Feu'r zu retten;
    Auf Sinai neugier'ge Pilger zu
    Geleiten; und dergleichen mehr.

    Klosterbruder. Wird schon
    Noch kommen! – Ist inzwischen auch nicht übel. –
    Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits
    Weit wicht'gere Geschäfte für den Herrn.

    Tempelherr.
    So? meint Ihr, Bruder? – Hat er gar Euch schon
    Was merken lassen?

    Klosterbruder. Ei, Jawohl! – Ich soll
    Den Herrn nur erst ergründen, ob er so
    Der Mann wohl ist.

    Tempelherr. Nun ja; ergründet nur!
    (Ich will doch sehn, wie der ergründet!) – Nun?

    Klosterbruder.
    Das Kürzste wird wohl sein, daß ich dem Herrn
    Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch
    Eröffne.

    Tempelherr. Wohl!

    Klosterbruder. Er hätte durch den Herrn
    Ein Briefchen gern bestellt.

    Tempelherr. Durch mich? Ich bin
    Kein Bote. – Das, das wäre das Geschäft,
    Das weit glorreicher sei, als Judenmädchen
    Dem Feu'r entreißen?

    Klosterbruder. Muß doch wohl! Denn – sagt
    Der Patriarch – an diesem Briefchen sei
    Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen.
    Dies Briefchen wohl bestellt zu haben, – sagt
    Der Patriarch, – werd einst im Himmel Gott
    Mit einer ganz besondern Krone lohnen.
    Und dieser Krone, – sagt der Patriarch,
    Sei niemand würd'ger, als mein Herr.

    Tempelherr. Als ich?

    Klosterbruder.
    Denn diese Krone zu verdienen, – sagt
    Der Patriarch, – sei schwerlich jemand auch
    Geschickter, als mein Herr.

    Tempelherr. Als ich?

    Klosterbruder. Er sei
    Hier frei; könn' überall sich hier besehn;
    Versteh', wie eine Stadt zu stürmen und
    Zu schirmen; könne, – sagt der Patriarch, –
    Die Stärk' und Schwäche der von Saladin
    Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer
    Am besten schätzen, sie am deutlichsten
    Den Streitern Gottes, – sagt der Patriarch, –
    Beschreiben.

    Tempelherr. Guter Bruder, wenn ich doch
    Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüßte.

    Klosterbruder.
    Ja den, – den weiß ich nun wohl nicht so recht.
    Das Briefchen aber ist an König Philipp. –
    Der Patriarch ... Ich hab mich oft gewundert,
    Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz
    Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet
    Von Dingen dieser Welt zu sein herab
    Sich lassen kann. Es muß ihm sauer werden.

    Tempelherr.
    Nun dann? der Patriarch?

    Klosterbruder. Weiß ganz genau,
    Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark,
    Von welcher Seite Saladin, im Fall
    Es völlig wieder losgeht, seinen Feldzug
    Eröffnen wird.

    Tempelherr. Das weiß er?

    Klosterbruder. Ja, und möcht'
    Es gern dem König Philipp wissen lassen:
    Damit der ungefähr ermessen könne,
    Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um
    Mit Saladin den Waffenstillestand,
    Den Euer Orden schon so brav gebrochen,
    Es koste was es wolle, wiederher-
    Zustellen.

    Tempelherr. Welch ein Patriarch! – Ja so!
    Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem
    Gemeinen Boten; will mich – zum Spion.
    Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder,
    Soviel Ihr mich ergründen können, wär'
    Das meine Sache nicht. – Ich müsse mich
    Noch als Gefangenen betrachten; und
    Der Tempelherren einziger Beruf
    Sei mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht
    Kundschafterei zu treiben.

    Klosterbruder. Dacht' ich's doch! –
    Will's auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln. –
    Zwar kömmt das Beste noch. – Der Patriarch
    Hiernächst hat ausgegattert, wie die Feste
    Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt,
    In der die ungeheuern Summen stecken,
    Mit welchen Saladins vorsicht'ger Vater
    Das Heer besoldet, und die Zurüstungen
    Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt
    Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen
    Nach dieser Feste sich, nur kaum begleitet. –
    Ihr merkt doch?

    Tempelherr. Nimmermehr!

    Klosterbruder. Was wäre da
    Wohl leichter, als des Saladins sich zu
    Bemächtigen? den Garaus ihm zu machen? –
    Ihr schaudert? – O es haben schon ein paar
    Gottsfürcht'ge Maroniten sich erboten,
    Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle,
    Das Stück zu wagen.

    Tempelherr. Und der Patriarch
    Hätt' auch zu diesem wackern Manne mich
    Ersehn?

    Klosterbruder. Er glaubt, daß König Philipp wohl
    Von Ptolemais aus die Hand hierzu
    Am besten bieten könne.

    Tempelherr. Mir? mir, Bruder?
    Mir? Habt Ihr nicht gehört? nur erst gehört,
    Was für Verbindlichkeit dem Saladin
    Ich habe?

    Klosterbruder. Wohl hab ich's gehört.

    Tempelherr. Und doch?

    Klosterbruder.
    Ja, – meint der Patriarch, – das wär' schon gut:
    Gott aber und der Orden ...

    Tempelherr. Ändern nichts!
    Gebieten mir kein Bubenstück!

    Klosterbruder. Gewiß nicht! –
    Nur, – meint der Patriarch, – sei Bubenstück
    Vor Menschen, nicht auch Bubenstück vor Gott.

    Tempelherr.
    Ich wär' dem Saladin mein Leben schuldig:
    Und raubt' ihm seines?

    Klosterbruder. Pfui! – Doch bliebe, – meint
    Der Patriarch, – noch immer Saladin
    Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund
    Zu sein, kein Recht erwerben könne.

    Tempelherr. Freund?
    An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden;
    Zum undankbaren Schurken?

    Klosterbruder. Allerdings! –
    Zwar, – meint der Patriarch, – des Dankes sei
    Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns
    Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen.
    Und da verlauten wolle, – meint der Patriarch, –
    Daß Euch nur darum Saladin begnadet,
    Weil ihm in Eurer Mien', in Euerm Wesen
    So was von seinem Bruder eingeleuchtet ...

    Tempelherr.
    Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? –
    Ah! wäre das gewiß! Ah, Saladin! –
    Wie? die Natur hätt' auch nur einen Zug
    Von mir in deines Bruders Form gebildet:
    Und dem entspräche nichts in meiner Seele?
    Was dem entspräche, könnt' ich unterdrücken,
    Um einem Patriarchen zu gefallen? –
    Natur, so leugst du nicht! So widerspricht
    Sich Gott in seinen Werken nicht! – Geht, Bruder!
    Erregt mir meine Galle nicht! – Geht! geht!

    Klosterbruder.
    Ich geh; und geh vergnügter, als ich kam.
    Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute
    Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.

    Sechster Auftritt

    Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eine Zeitlang von weiten beobachtet hatte und sich nun ihm nähert.

    Daja.
    Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in
    Der besten Laun' ihn nicht. – Doch muß ich mein
    Paket nur wagen.

    Tempelherr. Nun, vortrefflich! – Lügt
    Das Sprichwort wohl: daß Mönch und Weib, und Weib
    Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?
    Er wirft mich heut aus einer in die andre.

    Daja.
    Was seh ich? – Edler Ritter, Euch? – Gott Dank!
    Gott tausend Dank! – Wo habt Ihr denn
    Die ganze Zeit gesteckt? – Ihr seid doch wohl
    Nicht krank gewesen?

    Tempelherr. Nein.

    Daja. Gesund doch?

    Tempelherr. Ja.

    Daja.
    Wir waren Euertwegen wahrlich ganz
    Bekümmert.

    Tempelherr. So?

    Daja. Ihr wart gewiß verreist?

    Tempelherr.
    Erraten!

    Daja. Und kamt heut erst wieder?

    Tempelherr. Gestern.

    Daja.
    Auch Rechas Vater ist heut angekommen.
    Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

    Tempelherr. Was?

    Daja.
    Warum sie Euch so öfters bitten lassen.
    Ihr Vater ladet Euch nun selber bald
    Aufs dringlichste. Er kömmt von Babylon.
    Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen,
    Und allem, was an edeln Spezereien,
    An Steinen und an Stoffen, Indien
    Und Persien und Syrien, gar Sina,
    Kostbares nur gewähren.

    Tempelherr. Kaufe nichts.

    Daja.
    Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.
    Doch daß es ihn den Weisen Nathan nennt
    Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft
    Gewundert.

    Tempelherr. Seinem Volk ist reich und weise
    Vielleicht das Nämliche.

    Daja. Vor allen aber
    Hätt's ihn den Guten nennen müssen. Denn
    Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist.
    Als er erfuhr, wieviel Euch Recha schuldig:
    Was hätt', in diesem Augenblicke, nicht
    Er alles Euch getan, gegeben!

    Tempelherr. Ei!

    Daja.
    Versucht's und kommt und seht!

    Tempelherr. Was denn? wie schnell
    Ein Augenblick vorüber ist?

    Daja. Hätt' ich,
    Wenn er so gut nicht wär', es mir so lange
    Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa,
    Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?
    Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen,
    Daß ich nur darum meinem Ehgemahl
    Nach Palästina folgen würd', um da
    Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war
    Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht
    In Kaiser Friedrichs Heere –

    Tempelherr. Von Geburt
    Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward,
    Mit Seiner Kaiserlichen Majestät
    In einem Flusse zu ersaufen. – Weib!
    Wievielmal habt Ihr mir das schon erzählt?
    Hört Ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?

    Daja.
    Verfolgen! lieber Gott!

    Tempelherr. Ja, ja, verfolgen.
    Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
    Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
    Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
    Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
    Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht'
    Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;
    Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
    Seid schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
    Ich mich vorher erkund – und brennen lasse,
    Was brennt.

    Daja. Bewahre Gott!

    Tempelherr. Von heut an tut
    Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
    Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt
    Den Vater mir vom Halse. Jud' ist Jude.
    Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
    Ist längst aus meiner Seele; wenn es je
    Da war.

    Daja. Doch Eures ist aus ihrer nicht.

    Tempelherr.
    Was soll's nun aber da? was soll's?

    Daja. Wer weiß!
    Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.

    Tempelherr.
    Doch selten etwas Bessers. (Er geht.)

    Daja. Wartet doch!
    Was eilt Ihr?

    Tempelherr. Weib, macht mir die Palmen nicht
    Verhaßt, worunter ich so gern sonst wandle.

    Daja.
    So geh, du deutscher Bär! so geh! – Und doch
    Muß ich die Spur des Tieres nicht verlieren.

    (Sie geht ihm von weiten nach.)

    Zweiter Aufzug

    Erster Auftritt

    (Die Szene: des Sultans Palast.)

    Saladin und Sittah spielen Schach.

    Sittah.
    Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?

    Saladin.
    Nicht gut? Ich dächte doch.

    Sittah. Für mich; und kaum.
    Nimm diesen Zug zurück.

    Saladin. Warum?

    Sittah. Der Springer
    Wird unbedeckt.

    Saladin. Ist wahr. Nun so!

    Sittah. So zieh
    Ich in die Gabel.

    Saladin. Wieder wahr. – Schach dann!

    Sittah.
    Was hilft dir das? Ich setze vor: und du
    Bist, wie du warst.

    Saladin. Aus dieser Klemme seh
    Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.
    Mag's! nimm den Springer nur.

    Sittah. Ich will ihn nicht.
    Ich geh vorbei.

    Saladin. Du schenkst mir nichts. Dir liegt
    An diesem Plane mehr, als an dem Springer.

    Sittah.
    Kann sein.

    Saladin. Mach deine Rechnung nur nicht ohne
    Den Wirt. Denn sieh! Was gilt's, das warst du nicht
    Vermuten?

    Sittah. Freilich nicht. Wie konnt' ich auch
    Vermuten, daß du deiner Königin
    So müde wärst?

    Saladin. Ich meiner Königin?

    Sittah.
    Ich seh nun schon: ich soll heut meine tausend
    Dinar', kein Naserinchen mehr gewinnen.

    Saladin.
    Wieso?

    Sittah. Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller
    Gewalt verlieren willst. – Doch dabei find
    Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, daß
    Ein solches Spiel das unterhaltendste
    Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten
    Mit dir' wenn ich verlor? Wenn hast du mir
    Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen
    Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?

    Saladin.
    Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du
    Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?

    Sittah.
    Zum wenigsten kann gar wohl sein, daß deine
    Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen,
    Schuld ist, daß ich nicht besser spielen lernen.

    Saladin.
    Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!

    Sittah.
    So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!

    Saladin.
    Nun freilich; dieses Abschach hab ich nicht
    Gesehn, das meine Königin zugleich
    Mit niederwirft.

    Sittah. War dem noch abzuhelfen?
    Laß sehn.

    Saladin. Nein, nein; nimm nur die Königin.
    Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.

    Sittah.
    Bloß mit dem Steine?

    Saladin. Fort damit! – Das tut
    Mir nichts. Denn so ist alles wiederum
    Geschützt.

    Sittah. Wie höflich man mit Königinnen
    Verfahren müsse: hat mein Bruder mich
    Zu wohl gelehrt. (Sie läßt sie stehen.)

    Saladin. Nimm, oder nimm sie nicht!
    Ich habe keine mehr.

    Sittah. Wozu sie nehmen?
    Schach! – Schach!

    Saladin. Nur weiter.

    Sittah. Schach! – und Schach! – und Schach! –

    Saladin.
    Und matt!

    Sittah. Nicht ganz; du ziehst den Springer noch
    Dazwischen; oder was du machen willst.
    Gleichviel!

    Saladin. Ganz recht! – Du hast gewonnen: und
    Al-Hafi zahlt. – Man lass' ihn rufen! gleich!
    Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich
    War nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut.
    Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine
    Beständig? die an nichts erinnern, nichts
    Bezeichnen. Hab ich mit dem Iman denn
    Gespielt? – Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht
    Die umgeformten Steine, Sittah, sind's,
    Die mich verlieren machten: deine Kunst,
    Dein ruhiger und schneller Blick ...

    Sittah. Auch so
    Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen.
    Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.

    Saladin.
    Als du? Was hätte dich zerstreuet?

    Sittah. Deine
    Zerstreuung freilich nicht! – O Saladin,
    Wenn werden wir so fleißig wieder spielen.

    Saladin.
    So spielen wir um so viel gieriger! –
    Ah! weil es wieder losgeht, meinst du? – Mag's! –
    Nur zu! – Ich habe nicht zuerst gezogen;
    Ich hätte gern den Stillestand aufs neue
    Verlängert; hätte meiner Sittah gern,
    Gern einen guten Mann zugleich verschafft.
    Und das muß Richards Bruder sein: er ist
    Ja Richards Bruder.

    Sittah. Wenn du deinen Richard
    Nur loben kannst!

    Saladin. Wenn unserm Bruder Melek
    Dann Richards Schwester wär' zu Teile worden:
    Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten,
    Der besten Häuser in der Welt das beste!
    Du hörst, ich bin mich selbst zu loben, auch
    Nicht faul. Ich dünk mich meiner Freunde wert.
    Das hätte Menschen geben sollen! das!

    Sittah.
    Hab ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
    Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
    Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn
    Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,
    Mit Menschlichkeit den Aberglauben würzt,
    Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
    Weil's Christus lehrt; weil's Christus hat getan. –
    Wohl ihnen, daß er so ein guter Mensch
    Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend
    Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch
    Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name
    Soll überall verbreitet werden; soll
    Die Namen aller guten Menschen schänden,
    Verschlingen. Um den Namen, um den Namen
    Ist ihnen nur zu tun.

    Saladin. Du meinst: warum
    Sie sonst verlangen würden, daß auch ihr,
    Auch du und Melek, Christen hießet, eh'
    Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?

    Sittah.
    Jawohl! Als wär' von Christen nur, als Christen,
    Die Liebe zu gewärtigen, womit
    Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!

    Saladin.
    Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,
    Als daß sie die nicht auch noch glauben könnten!
    Und gleichwohl irrst du dich. – Die Tempelherren,
    Die Christen nicht, sind schuld: sind nicht, als Christen,
    Als Tempelherren schuld. Durch die allein
    Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca,
    Das Richards Schwester unserm Bruder Melek
    Zum Brautschatz bringen müßte, schlechterdings
    Nicht fahren lassen. Daß des Ritters Vorteil
    Gefahr nicht laufe, spielen sie den Mönch,
    Den albern Mönch. Und ob vielleicht im Fluge
    Ein guter Streich gelänge: haben sie
    Des Waffenstillestandes Ablauf kaum
    Erwarten können. – Lustig! Nur so weiter!
    Ihr Herren, nur so weiter! – Mir schon recht! –
    Wär' alles sonst nur, wie es müßte.

    Sittah. Nun?
    Was irrte dich denn sonst? Was könnte sonst
    Dich aus der Fassung bringen?

    Saladin. Was von je
    Mich immer aus der Fassung hat gebracht. –
    Ich war auf Libanon, bei unserm Vater.
    Er unterliegt den Sorgen noch ...

    Sittah. O weh!

    Saladin.
    Er kann nicht durch; es klemmt sich allerorten;
    Es fehlt bald da, bald dort –

    Sittah. Was klemmt? was fehlt?

    Saladin.
    Was sonst, als was ich kaum zu nennen würd'ge?
    Was, wenn ich's habe, mir so überflüssig,
    Und hab ich's nicht, so unentbehrlich scheint. –
    Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach
    Ihm aus? – Das leidige, verwünschte Geld! –
    Gut, Hafi, daß du kömmst.

    Zweiter Auftritt

    Der Derwisch Al-Hafi. Saladin. Sittah.

    Al-Hafi. Die Gelder aus
    Ägypten sind vermutlich angelangt.
    Wenn's nur fein viel ist.

    Saladin. Hast du Nachricht?

    Al-Hafi. Ich?
    Ich nicht. Ich denke, daß ich hier sie in
    Empfang soll nehmen.

    Saladin. Zahl an Sittah tausend
    Dinare! (In Gedanken hin und her gebend.)

    Al-Hafi. Zahl! anstatt empfang! O schön!
    Das ist für Was noch weniger als Nichts. –
    An Sittah? – wiederum an Sittah? Und
    Verloren? – wiederum im Schach verloren? –
    Da steht es noch das Spiel!

    Sittah. Du gönnst mir doch
    Mein Glück?

    Al-Hafi(das Spiel betrachtend).
    Was gönnen? Wenn – Ihr wißt ja wohl.

    Sittah(ihm winkend).
    Bst! Hafi! bst!

    Al-Hafi(noch auf das Spiel gerichtet).
    Gönnt's Euch nur selber erst!

    Sittah.
    Al-Hafi; bst!

    Al-Hafi(zu Sittah). Die Weißen waren Euer?
    Ihr bietet Schach?

    Sittah. Gut, daß er nichts gehört.

    Al-Hafi.
    Nun ist der Zug an ihm?

    Sittah(ihm nähertretend). So sage doch,
    Daß ich mein Geld bekommen kann.

    Al-Hafi(noch auf das Spiel geheftet).
    Nun ja;
    Ihr sollt's bekommen, wie Ihr's stets bekommen.

    Sittah.
    Wie? bist du toll?

    Al-Hafi. Das Spiel ist ja nicht aus.
    Ihr habt ja nicht verloren, Saladin.

    Saladin(kaum hinhörend).
    Doch! doch! Bezahl! bezahl!

    Al-Hafi. Bezahl! bezahl!
    Da steht ja Eure Königin.

    Saladin(noch so). Gilt nicht;
    Gehört nicht mehr ins Spiel.

    Sittah. So mach und sag,
    Daß ich das Geld mir nur kann holen lassen.

    Al-Hafi(noch immer in das Spiel vertieft).
    Versteht sich, so wie immer. – Wenn auch schon;
    Wenn auch die Königin nichts gilt: Ihr seid
    Doch darum noch nicht matt.

    Saladin(tritt hinzu und wirft das Spiel um).
    Ich bin es; will
    Es sein.

    Al-Hafi. Ja so! – Spiel wie Gewinst! So wie
    Gewonnen, so bezahlt.

    Saladin(zu Sittah). Was sagt er? was?

    Sittah(von Zeit zu Zeit dem Hafi winkend).
    Du kennst ihn ja. Er sträubt sich gern; läßt gern
    Sich bitten; ist wohl gar ein wenig neidisch. –

    Saladin.
    Auf dich doch nicht? Auf meine Schwester nicht?
    Was hör ich, Hafi? Neidisch? du?

    Al-Hafi. Kann sein!
    Kann sein! – Ich hätt' ihr Hirn wohl lieber selbst;
    Wär' lieber selbst so gut, als sie.

    Sittah. Indes
    Hat er doch immer richtig noch bezahlt.
    Und wird auch heut bezahlen. Laß ihn nur! –
    Geh nur, Al-Hafi, geh! Ich will das Geld
    Schon holen lassen.

    Al-Hafi. Nein; ich spiele länger
    Die Mummerei nicht mit. Er muß es doch
    Einmal erfahren.

    Saladin. Wer? und was?

    Sittah. Al-Hafi!
    Ist dieses dein Versprechen? Hältst du so
    Mir Wort?

    Al-Hafi. Wie konnt' ich glauben, daß es so
    Weit gehen würde.

    Saladin. Nun? erfahr ich nichts?

    Sittah.
    Ich bitte dich, Al-Hafi; sei bescheiden.

    Saladin.
    Das ist doch sonderbar! Was könnte Sittah
    So feierlich, so warm bei einem Fremden,
    Bei einem Derwisch lieber, als bei mir,
    Bei ihrem Bruder, sich verbitten wollen.
    Al-Hafi, nun befehl ich. – Rede, Derwisch!

    Sittah.
    Laß eine Kleinigkeit, mein Bruder, dir
    Nicht näher treten, als sie würdig ist.
    Du weißt, ich habe zu verschiednen Malen
    Dieselbe Summ' im Schach von dir gewonnen.
    Und weil ich itzt das Geld nicht nötig habe;
    Weil itzt in Hafis Kasse doch das Geld
    Nicht eben allzuhäufig ist: so sind
    Die Posten stehngeblieben. Aber sorgt
    Nur nicht! Ich will sie weder dir, mein Bruder,
    Noch Hafi, noch der Kasse schenken.

    Al-Hafi. Ja,
    Wenn's das nur wäre! das!

    Sittah. Und mehr dergleichen. –
    Auch das ist in der Kasse stehngeblieben,
    Was du mir einmal ausgeworfen; ist
    Seit wenig Monden stehngeblieben.

    Al-Hafi. Noch
    Nicht alles.

    Saladin. Noch nicht? – Wirst du reden?

    Al-Hafi.
    Seit aus Ägypten wir das GeId erwarten,
    Hat sie ...

    Sittah(zu Saladin). Wozu ihn hören?

    Al-Hafi. Nicht nur nichts
    Bekommen ...

    Saladin. Gutes Mädchen! – Auch beiher
    Mit vorgeschossen. Nicht?

    Al-Hafi. Den ganzen Hof
    Erhalten; Euern Aufwand ganz allein
    Bestritten.

    Saladin. Ha! das, das ist meine Schwester!
    (Sie umarmend.)

    Sittah.
    Wer hatte, dies zu können, mich so reich
    Gemacht, als du, mein Bruder?

    Al-Hafi. Wird schon auch
    So bettelarm sie wieder machen, als
    Er selber ist.

    Saladin. Ich arm? der Bruder arm?
    Wenn hab ich mehr? wenn weniger gehabt? –
    Ein Kleid, Ein Schwert, Ein Pferd, – und Einen Gott!
    Was brauch ich mehr? Wenn kann's an dem mir fehlen?
    Und doch, Al-Hafi, könnt' ich mit dir schelten.

    Sittah.
    Schilt nicht, mein Bruder. Wenn ich unserm Vater
    Auch seine Sorgen so erleichtern könnte!

    Saladin.
    Ah! Ah! Nun schlägst du meine Freudigkeit
    Auf einmal wieder nieder! – Mir, für mich
    Fehlt nichts, und kann nichts fehlen. Aber ihm,
    Ihm fehlet; und in ihm uns allen. – Sagt,
    Was soll ich machen? – Aus Ägypten kommt
    Vielleicht noch lange nichts. Woran das liegt,
    Weiß Gott. Es ist doch da noch alles ruhig. –
    Abbrechen, einziehn, sparen, will ich gern,
    Mir gern gefallen lassen; wenn es mich,
    Bloß mich betrifft; bloß mich, und niemand sonst
    Darunter leidet. – Doch was kann das machen?
    Ein Pferd, Ein Kleid, Ein Schwert, muß ich doch haben.
    Und meinem Gott ist auch nichts abzudingen.
    Ihm gnügt schon so mit wenigem genug;
    Mit meinem Herzen. – Auf den Überschuß
    Von deiner Kasse, Hafi, hatt' ich sehr
    Gerechnet.

    Al-Hafi. Überschuß? – Sagt selber, ob
    Ihr mich nicht hättet spießen, wenigstens
    Mich drosseln lassen, wenn auf Überschuß
    Ich von Euch wär' ergriffen worden. Ja,
    Auf Unterschleif! das war zu wagen.

    Saladin. Nun,
    Was machen wir denn aber? – Konntest du
    Vorerst bei niemand andern borgen, als
    Bei Sittah?

    Sittah. Würd' ich dieses Vorrecht, Bruder,
    Mir haben nehmen lassen? Mir von ihm?
    Auch noch besteh ich drauf. Noch bin ich auf
    Dem Trocknen völlig nicht.

    Saladin. Nur völlig nicht!
    Das fehlte noch! – Geh gleich, mach Anstalt, Hafi!
    Nimm auf bei wem du kannst! und wie du kannst!
    Geh, borg, versprich. – Nur, Hafi, borge nicht
    Bei denen, die ich reich gemacht. Denn borgen
    Von diesen, möchte wiederfordern heißen.
    Geh zu den Geizigsten; die werden mir
    Am liebsten leihen. Denn sie wissen wohl,
    Wie gut ihr Geld in meinen Händen wuchert.

    Al-Hafi.
    Ich kenne deren keine.

    Sittah. Eben fällt
    Mir ein, gehört zu haben, Hafi, daß
    Dein Freund zurückgekommen.

    Al-Hafi(betroffen). Freund? mein Freund?
    Wer wär' denn das?

    Sittah. Dein hochgepriesner Jude.

    Al-Hafi.
    Gepriesner Jude? hoch von mir?

    Sittah. Dem Gott, –
    Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, des einst
    Du selber dich von ihm bedientest, – dem
    Sein Gott von allen Gütern dieser Welt
    Das Kleinst' und Größte so in vollem Maß
    Erteilet habe. –

    Al-Hafi. Sagt' ich so? – Was meint'
    Ich denn damit?

    Sittah. Das Kleinste: Reichtum. Und
    Das Größte: Weisheit.

    Al-Hafi. Wie? von einem Juden?
    Von einem Juden hätt' ich das gesagt?

    Sittah.
    Das hättest du von deinem Nathan nicht
    Gesagt?

    Al-Hafi. Ja so! von dem! vom Nathan! – Fiel
    Mir der doch gar nicht bei. – Wahrhaftig? Der
    Ist endlich wieder heimgekommen? Ei!
    So mag's doch gar so schlecht mit ihm nicht stehn. –
    Ganz recht: den nannt' einmal das Volk den Weisen!
    Den Reichen auch.

    Sittah. Den Reichen nennt es ihn
    Itzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt,
    Was für Kostbarkeiten, was für Schätze
    Er mitgebracht.

    Al-Hafi. Nun, ist's der Reiche wieder:
    So wird's auch wohl der Weise wieder sein.

    Sittah.
    Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?

    Al-Hafi.
    Und was bei ihm? – Doch wohl nicht borgen? – Ja,
    Da kennt Ihr ihn. – Er borgen! – Seine Weisheit
    Ist eben, daß er niemand borgt.

    Sittah. Du hast
    Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm
    Gemacht.

    Al-Hafi. Zur Not wird er Euch Waren borgen.
    Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. – Es ist
    Ein Jude freilich übrigens, wie's nicht
    Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
    Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
    Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten
    Von allen andern Juden aus. – Auf den,
    Auf den nur rechnet nicht. – Den Armen gibt
    Er zwar; und gibt vielleicht trotz Saladin.
    Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern;
    Doch ganz so sonder Ansehn. Jud' und Christ
    Und Muselmann und Parsi, alles ist
    Ihm eins.

    Sittah. Und so ein Mann ...

    Saladin. Wie kommt es denn,
    Daß ich von diesem Manne nie gehört? ...

    Sittah.
    Der sollte Saladin nicht borgen? nicht
    Dem Saladin, der nur für andre braucht,
    Nicht sich?

    Al-Hafi. Da seht nun gleich den Juden wieder;
    Den ganz gemeinen Juden! – Glaubt mir's doch! –
    Er ist aufs Geben Euch so eifersüchtig,
    So neidisch! Jedes Lohn von Gott, das in
    Der Welt gesagt wird, zög' er lieber ganz
    Allein. Nur darum eben leiht er keinem,
    Damit er stets zu geben habe. Weil
    Die Mild' ihm im Gesetz geboten; die
    Gefälligkeit ihm aber nicht geboten: macht
    Die Mild' ihn zu dem ungefälligsten
    Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit
    Geraumer Zeit ein wenig übern Fuß
    Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, daß ich
    Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige.
    Er ist zu allem gut: bloß dazu nicht;
    Bloß dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich
    Nur gehn, an andre Türen klopfen ... Da
    Besinn ich mich soeben eines Mohren,
    Der reich und geizig ist. – Ich geh; ich geh.

    Sittah.
    Was eilst du, Hafi?

    Saladin. Laß ihn! laß ihn!

    Dritter Auftritt

    Sittah. Saladin.

    Sittah. Eilt
    Er doch, als ob er mir nur gern entkäme!
    Was heißt das? – Hat er wirklich sich in ihm
    Betrogen, oder – möcht' er uns nur gern
    Betrügen?

    Saladin. Wie? das fragst du mich? Ich weiß
    Ja kaum, von wem die Rede war; und höre
    Von euerm Juden, euerm Nathan heut
    Zum erstenmal.

    Sittah. Ist's möglich? daß ein Mann
    Dir so verborgen blieb, von dem es heißt,
    Er habe Salomons und Davids Gräber
    Erforscht, und wisse deren Siegel durch
    Ein mächtiges geheimes Wort zu lösen?
    Aus ihnen bring' er dann von Zeit zu Zeit
    Die unermeßlichen Reichtümer an
    Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.

    Saladin.
    Hat seinen Reichtum dieser Mann aus Gräbern,
    So waren's sicherlich nicht Salomons,
    Nicht Davids Gräber. Narren lagen da
    Begraben!

    Sittah. Oder Bösewichter! – Auch
    Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger,
    Weit unerschöpflicher, als so ein Grab
    Voll Mammon.

    Saladin. Denn er handelt; wie ich hörte.

    Sittah.
    Sein Saumtier treibt auf allen Straßen, zieht
    Durch alle Wüsten; seine Schiffe liegen
    In allen Häfen. Das hat mir wohl eh'
    Al-Hafi selbst gesagt; und voll Entzücken
    Hinzugefügt, wie groß, wie edel dieser
    Sein Freund anwende, was so klug und emsig
    Er zu erwerben für zu klein nicht achte.
    Hinzugefügt, wie frei von Vorurteilen
    Sein Geist; sein Herz wie offen jeder Tugend,
    Wie eingestimmt mit jeder Schönheit sei.

    Saladin.
    Und itzt sprach Hafi doch so ungewiß,
    So kalt von ihm.

    Sittah. Kalt nun wohl nicht; verlegen.
    Als halt' er's für gefährlich, ihn zu loben,
    Und woll' ihn unverdient doch auch nicht tadeln. –
    Wie? oder wär' es wirklich so, daß selbst
    Der Beste seines Volkes seinem Volke
    Nicht ganz entfliehen kann? daß wirklich sich
    Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite
    Zu schämen hätte? – Sei dem, wie ihm wolle! –
    Der Jude sei mehr oder weniger
    Als Jud', ist er nur reich: genug für uns!

    Saladin.
    Du willst ihm aber doch das Seine mit
    Gewalt nicht nehmen, Schwester?

    Sittah. Ja, was heißt
    Bei dir Gewalt? Mit Feu'r und Schwert? Nein, nein,
    Was braucht es mit den Schwachen für Gewalt,
    Als ihre Schwäche? – Komm vor itzt nur mit
    In meinen Haram, eine Sängerin
    Zu hören, die ich gestern erst gekauft.
    Es reift indes bei mir vielleicht ein Anschlag,
    Den ich auf diesen Nathan habe. – Komm!

    Vierter Auftritt

    (Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stößt.)

    Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.

    Recha.
    Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er
    Wird kaum noch mehr zu treffen sein.

    Nathan. Nun, nun;
    Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr:
    Doch anderwärts. – Sei itzt nur ruhig. – Sieh!
    Kömmt dort nicht Daja auf uns zu?

    Recha. Sie wird
    Ihn ganz gewiß verloren haben.

    Nathan. Auch
    Wohl nicht.

    Recha. Sie würde sonst geschwinder kommen.

    Nathan.
    Sie hat uns wohl noch nicht gesehn ...

    Recha. Nun sieht
    Sie uns.

    Nathan. Und doppelt ihre Schritte. Sieh!
    Sei doch nur ruhig! ruhig!

    Recha. Wolltet Ihr
    Wohl eine Tochter, die hier ruhig wäre?
    Sich unbekümmert ließe, wessen Wohltat
    Ihr Leben sei? Ihr Leben, – das ihr nur
    So lieb, weil sie es Euch zuerst verdanket.

    Nathan.
    Ich möchte dich nicht anders, als du bist:
    Auch wenn ich wüßte, daß in deiner Seele
    Ganz etwas anders noch sich rege.

    Recha. Was,
    Mein Vater?

    Nathan. Fragst du mich? so schüchtern mich?
    Was auch in deinem Innern vorgeht, ist
    Natur und Unschuld. Laß es keine Sorge
    Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur
    Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher
    Sich einst erklärt, mir seiner Wünsche keinen
    Zu bergen.

    Recha. Schon die Möglichkeit, mein Herz
    Euch lieber zu verhüllen, macht mich zittern.

    Nathan.
    Nichts mehr hiervon! Das ein für allemal
    Ist abgetan. – Da ist ja Daja. – Nun?

    Daja.
    Noch wandelt er hier untern Palmen; und
    Wird gleich um jene Mauer kommen. – Seht,
    Da kömmt er!

    Recha. Ah! und scheinet unentschlossen,
    Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts?
    Ob links?

    Daja. Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster
    Gewiß noch öfter; und dann muß er hier
    Vorbei. – Was gilt's?

    Recha. Recht! recht! – Hast du ihn schon
    Gesprochen? Und wie ist er heut?

    Daja. Wie immer.

    Nathan.
    So macht nur, daß er Euch hier nicht gewahr
    Wird. Tretet mehr zurück. Geht lieber ganz
    Hinein.

    Recha. Nur einen Blick noch! – Ah! die Hecke,
    Die mir ihn stiehlt.

    Daja. Kommt! kommt! Der Vater hat
    Ganz recht. Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht,
    Daß auf der Stell' er umkehrt.

    Recha. Ah! die Hecke!

    Nathan.
    Und kömmt er plötzlich dort aus ihr hervor:
    So kann er anders nicht, er muß Euch sehn.
    Drum geht doch nur!

    Daja. Kommt! kommt! Ich weiß ein Fenster,
    Aus dem wir sie bemerken können.

    Recha. Ja?

    (Beide hinein.)

    Fünfter Auftritt

    Nathan und bald darauf der Tempelherr.

    Nathan.
    Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht
    Mich seine rauhe Tugend stutzen. Daß
    Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen
    Soll machen können! – Ha! er kömmt. – Bei Gott!
    Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl
    Den guten, trotz'gen Blick! den prallen Gang!
    Die Schale kann nur bitter sein: der Kern
    Ist's sicher nicht. – Wo sah ich doch dergleichen? –
    Verzeihet, edler Franke ...

    Tempelherr. Was?

    Nathan. Erlaubt ...

    Tempelherr.
    Was, Jude? was?

    Nathan. Daß ich mich untersteh,
    Euch anzureden.

    Tempelherr. Kann ich's wehren? Doch
    Nur kurz.

    Nathan. Verzieht, und eilet nicht so stolz,
    Nicht so verächtlich einem Mann vorüber,
    Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.

    Tempelherr.
    Wie das? – Ah, fast errat ich's. Nicht? Ihr seid ...

    Nathan.
    Ich heiße Nathan; bin des Mädchens Vater,
    Das Eure Großmut aus dem Feu'r gerettet;
    Und komme ...

    Tempelherr. Wenn zu danken: – spart's! Ich hab
    Um diese Kleinigkeit des Dankes schon
    Zu viel erdulden müssen. – Vollends Ihr,
    Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wußt' ich denn,
    Daß dieses Mädchen Eure Tochter war?
    Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten
    Dem besten beizuspringen, dessen Not
    Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem
    In diesem Augenblicke lästig. Gern,
    Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,
    Es für ein andres Leben in die Schanze
    Zu schlagen: für ein andres – wenn's auch nur
    Das Leben einer Jüdin wäre.

    Nathan. Groß!
    Groß und abscheulich! – Doch die Wendung läßt
    Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet
    Sich hinter das Abscheuliche, um der
    Bewundrung auszuweichen. – Aber wenn
    Sie so das Opfer der Bewunderung
    Verschmäht: was für ein Opfer denn verschmäht
    Sie minder? – Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd
    Und nicht gefangen wäret, würd' ich Euch
    So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit
    Kann man Euch dienen?

    Tempelherr. Ihr? Mit nichts.

    Nathan. Ich bin
    Ein reicher Mann.

    Tempelherr. Der reichre Jude war
    Mir nie der beßre Jude.

    Nathan. Dürft Ihr denn
    Darum nicht nützen, was demungeachtet
    Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen?

    Tempelherr.
    Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden;
    Um meines Mantels willen nicht. Sobald
    Der ganz und gar verschlissen; weder Stich
    Noch Fetze länger halten will: komm ich
    Und borge mir bei Euch zu einem neuen,
    Tuch oder Geld. – Seht nicht mit eins so finster!
    Noch seid Ihr sicher; noch ist's nicht so weit
    Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch
    Im Stande. Nur der eine Zipfel da
    Hat einen garstigen Fleck; er ist versengt.
    Und das bekam er, als ich Eure Tochter
    Durchs Feuer trug.

    Nathan(der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet).
    Es ist doch sonderbar,
    Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal
    Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als
    Sein eigner Mund. Ich möcht' ihn küssen gleich –
    Den Flecken! – Ah, verzeiht! – Ich tat es ungern.

    Tempelherr.
    Was?

    Nathan. Eine Träne fiel darauf.

    Tempelherr. Tut nichts!
    Er hat der Tropfen mehr. – (Bald aber fängt
    Mich dieser Jud' an zu verwirren.)

    Nathan. Wärt
    Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel
    Auch einmal meinem Mädchen?

    Tempelherr. Was damit?

    Nathan.
    Auch ihren Mund an diesen Fleck zu drücken.
    Denn Eure Kniee selber zu umfassen,
    Wünscht sie nun wohl vergebens.

    Tempelherr. Aber, Jude –
    Ihr heißet Nathan? – Aber, Nathan – Ihr
    Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz –
    Ich bin betreten – Allerdings – ich hätte ...

    Nathan.
    Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find
    Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,
    Um höflicher zu sein. – Das Mädchen, ganz
    Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz
    Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt –
    Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;
    Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.
    Auch dafür dank ich Euch –

    Tempelherr. Ich muß gestehn,
    Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten.

    Nathan.
    Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß
    Weil es die Ordensregeln so gebieten?
    Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,
    Daß alle Länder gute Menschen tragen.

    Tempelherr.
    Mit Unterschied, doch hoffentlich?

    Nathan. Jawohl;
    An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.

    Tempelherr.
    Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

    Nathan.
    Mit diesem Unterschied ist's nicht weit her.
    Der große Mann braucht überall viel Boden;
    Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen
    Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,
    Find't sich hingegen überall in Menge.
    Nur muß der eine nicht den andern mäkeln.
    Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.
    Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,
    Daß es allein der Erde nicht entschossen.

    Tempelherr.
    Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk,
    Das diese Menschenmäkelei zuerst
    Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk
    Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?
    Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,
    Doch wegen seines Stolzes zu verachten,
    Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;
    Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
    Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt,
    Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
    Wenn hat, und wo die fromme Raserei,
    Den bessern Gott zu haben, diesen bessern
    Der ganzen Welt als besten auf zudringen,
    In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
    Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt
    Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch
    Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt;
    Und laßt mich! (Will gehen.)

    Nathan. Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester
    Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt,
    Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet
    Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide
    Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
    Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?
    Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
    Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
    Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch
    Zu heißen!

    Tempelherr. Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!
    Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich,
    Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

    Nathan.
    Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine
    Verkennt man selten.

    Tempelherr. Und das Seltene
    Vergißt man schwerlich. – Nathan, ja;
    Wir müssen, müssen Freunde werden.

    Nathan. Sind
    Es schon. – Wie wird sich meine Recha freuen! –
    Und ah! welch eine heitre Ferne schließt
    Sich meinen Blicken auf! – Kennt sie nur erst.

    Tempelherr.
    Ich brenne vor Verlangen. – Wer stürzt dort
    Aus Euerm Hause? Ist's nicht ihre Daja?

    Nathan.
    Jawohl. So ängstlich?

    Tempelherr. Unsrer Recha ist
    Doch nichts begegnet?

    Sechster Auftritt

    Die Vorigen und Daja eilig.

    Daja. Nathan! Nathan!

    Nathan. Nun?

    Daja.
    Verzeihet, edler Ritter, daß ich Euch
    Muß unterbrechen.

    Nathan. Nun, was ist's?

    Tempelherr. Was ist's?

    Daja.
    Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will
    Euch sprechen. Gott, der Sultan!

    Nathan. Mich? der Sultan?
    Er wird begierig sein, zu sehen, was
    Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei
    Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.

    Daja.
    Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen,
    Euch in Person, und bald; sobald Ihr könnt. –

    Nathan.
    Ich werde kommen. – Geh nur wieder, geh!

    Daja.
    Nehmt ja nicht übel auf, gestrenger Ritter –
    Gott, wir sind so bekümmert, was der Sultan
    Doch will.

    Nathan. Das wird sich zeigen. Geh nur, geh!

    Siebenter Auftritt

    Nathan und der Tempelherr.

    Tempelherr.
    So kennt Ihr ihn noch nicht? – ich meine, von
    Person.

    Nathan. Den Saladin? Noch nicht. Ich habe
    Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen.
    Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut
    Von ihm, daß ich nicht lieber glauben wollte,
    Als sehn. Doch nun, – wenn anders dem so ist,
    Hat er durch Sparung Eures Lebens ...

    Tempelherr. Ja;
    Dem allerdings ist so. Das Leben, das
    ich leb, ist sein Geschenk.

    Nathan. Durch das er mir
    Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies
    Hat alles zwischen uns verändert; hat
    Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das
    Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum,
    Und kaum, kann ich es nun erwarten, was
    Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin
    Bereit zu allem; bin bereit ihm zu
    Gestehn, daß ich es Euertwegen bin.

    Tempelherr.
    Noch hab ich selber ihm nicht danken können:
    Sooft ich auch ihm in den Weg getreten.
    Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam
    So schnell, als schnell er wiederum verschwunden.
    Wer weiß, ob er sich meiner gar erinnert.
    Und dennoch muß er, einmal wenigstens,
    Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal
    Ganz zu entscheiden. Nicht genug, daß ich
    Auf sein Geheiß noch bin, mit seinem Willen
    Noch leb: ich muß nun auch von ihm erwarten,
    Nach wessen Willen ich zu leben habe.

    Nathan.
    Nicht anders; um so mehr will ich nicht säumen. –
    Es fällt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch
    Zu kommen, Anlaß gibt. – Erlaubt, verzeiht –
    Ich eile – Wenn, wenn aber sehn wir Euch
    Bei uns?

    Tempelherr. Sobald ich darf.

    Nathan. Sobald Ihr wollt.

    Tempelherr.
    Noch heut.

    Nathan. Und Euer Name? – muß ich bitten.

    Tempelherr.
    Mein Name war – ist Curd von Stauffen. – Curd!

    Nathan.
    Von Stauffen? – Stauffen? – Stauffen?

    Tempelherr. Warum fällt
    Euch das so auf?

    Nathan. Von Stauffen? – Des Geschlechts
    Sind wohl noch mehrere ...

    Tempelherr. O ja! hier waren,
    Hier faulen des Geschlechts schon mehrere.
    Mein Oheim selbst, – mein Vater will ich sagen,
    Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich
    Je mehr und mehr?

    Nathan. O nichts! o nichts! Wie kann
    Ich Euch zu sehn ermüden?

    Tempelherr. Drum verlaß
    Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand
    Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte.
    Ich fürcht ihn, Nathan. Laßt die Zeit allmählich,
    Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.

    (Er geht.)

    Nathan(der ihm mit Erstaunen nachsieht).
    »Der Forscher fand nicht selten mehr, als er
    Zu finden wünschte.« – Ist es doch, als ob
    In meiner Seel' er lese! – Wahrlich ja;
    Das könnt' auch mir begegnen. – Nicht allein
    Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme. So,
    Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf;
    Trug Wolf sogar das Schwert im Arm'; strich Wolf
    Sogar die Augenbraunen mit der Hand,
    Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen.
    Wie solche tiefgeprägte Bilder doch
    Zu Zeiten in uns schlafen können, bis
    Ein Wort, ein Laut sie weckt. – Von Stauffen! –
    Ganz redet, ganz recht; Filnek und Stauffen. –
    Ich will das bald genauer wissen; bald.
    Nur erst zum Saladin. – Doch wie? lauscht dort
    Nicht Daja? – Nun so komm nur näher, Daja.

    Achter Auftritt

    Daja. Nathan.

    Nathan.
    Was gilt's? nun drückt's euch beiden schon das Herz,
    Noch ganz was anders zu erfahren, als
    Was Saladin mir will.

    Daja. Verdenkt Ihr's ihr?
    Ihr fingt soeben an, vertraulicher
    Mit ihm zu sprechen: als des Sultans Botschaft
    Uns von dem Fenster scheuchte.

    Nathan. Nun, so sag
    Ihr nur, daß sie ihn jeden Augenblick
    Erwarten darf.

    Daja. Gewiß? gewiß?

    Nathan. Ich kann
    Mich doch auf dich verlassen, Daja? Sei
    Auf deiner Hut; ich bitte dich. Es soll
    Dich nicht gereuen. Dein Gewissen selbst
    Soll seine Rechnung dabei finden. Nur
    Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur
    Erzähl und frage mit Bescheidenheit,
    Mit Rückhalt ...

    Daja. Daß Ihr doch noch erst so was
    Erinnern könnt! – Ich geh; geht Ihr nur auch.
    Denn seht! ich glaube gar, da kömmt vom Sultan
    Ein zweiter Bot', Al-Hafi, Euer Derwisch. (Geht ab.)

    Neunter Auftritt

    Nathan. Al-Hafi.

    Al-Hafi.
    Ha! ha! zu Euch wollt' ich nun eben wieder.

    Nathan.
    Ist's denn so eilig? Was verlangt er denn
    Von mir?

    Al-Hafi. Wer?

    Nathan. Saladin. Ich komm, ich komme.

    Al-Hafi.
    Zu wem? Zum Saladin?

    Nathan. Schickt Saladin
    Dich nicht?

    Al-Hafi. Mich? nein. Hat er denn schon geschickt?

    Nathan.
    Ja freilich hat er.

    Al-Hafi. Nun, so ist es richtig.

    Nathan.
    Was? was ist richtig?

    Al-Hafi. Daß ... ich bin nicht schuld;
    Gott weiß, ich bin nicht schuld. Was hab ich nicht
    Von Euch gesagt, gelogen, um es abzuwenden!

    Nathan.
    Was abzuwenden? Was ist richtig?

    Al-Hafi. Daß
    Nun Ihr sein Defterdar geworden. Ich
    Bedaur' Euch. Doch mit ansehn will ich's nicht.
    Ich geh von Stund an; geh. Ihr habt es schon
    Gehört, wohin; und wißt den Weg. Habt Ihr
    Des Wegs was zu bestellen, sagt: ich bin
    Zu Diensten. Freilich muß es mehr nicht sein,
    Als was ein Nackter mit sich schleppen kann.
    Ich geh, sagt bald.

    Nathan. Besinn dich doch, Al-Hafi.
    Besinn dich, daß ich noch von gar nichts weiß.
    Was plauderst du denn da?

    Al-Hafi. Ihr bringt sie doch
    Gleich mit, die Beutel?

    Nathan. Beutel?

    Al-Hafi. Nun, das Geld,
    Das Ihr dem Saladin vorschießen sollt.
    Nathan.
    Und weiter ist es nichts?

    Al-Hafi. Ich sollt' es wohl
    Mit ansehn, wie er Euch von Tag zu Tag
    Aushöhlen wird bis auf die Zehen? Sollt'
    Es wohl mit ansehn, daß Verschwendung aus
    Der weisen Milde sonst nie leeren Scheuern
    So lange borgt, und borgt, und borgt, bis auch
    Die armen eingebornen Mäuschen drin
    Verhungern? Bildet Ihr vielleicht Euch ein,
    Wer Euers Gelds bedürftig sei, der werde
    Doch Euerm Rate wohl auch folgen? Ja;
    Er Rate folgen! Wenn hat Saladin
    Sich raten lassen? Denkt nur, Nathan, was
    Mir eben itzt mit ihm begegnet.

    Nathan. Nun?

    Al-Hafi.
    Da komm ich zu ihm, eben daß er Schach
    Gespielt mit seiner Schwester. Sittah spielt
    Nicht übel; und das Spiel, das Saladin
    Verloren glaubte, schon gegeben hatte,
    Das stand noch ganz so da. Ich seh Euch hin,
    Und sehe, daß das Spiel noch lange nicht
    Verloren.

    Nathan. Ei! das war für dich ein Fund!

    Al-Hafi.
    Er durfte mit dem König an den Bauer
    Nur rücken, auf ihr Schach. Wenn ich's Euch gleich
    Nur zeigen könnte!

    Nathan. O ich traue dir!

    Al-Hafi.
    Denn so bekam der Roche Feld: und sie
    War hin. Das alles will ich ihm nun weisen
    Und ruf ihn. Denkt! ...

    Nathan. Er ist nicht deiner Meinung?

    Al-Hafi.
    Er hört mich gar nicht an, und wirft verächtlich
    Das ganze Spiel in Klumpen.

    Nathan. Ist das möglich?

    Al-Hafi.
    Und sagt: er wolle matt nun einmal sein;
    Er wolle! Heißt das spielen?

    Nathan. Schwerlich wohl;
    Heißt mit dem Spielen spielen.

    Al-Hafi. Gleichwohl galt
    Es keine taube Nuß.

    Nathan. Geld hin, Geld her!
    Das ist das wenigste. Allein dich gar
    Nicht anzuhören! über einen Punkt
    Von solcher Wichtigkeit dich nicht einmal
    Zu hören! deinen Adlerblick nicht zu
    Bewundern! das, das schreit um Rache; nicht?

    Al-Hafi.
    Ach was! Ich sage Euch das nur, damit
    Ihr sehen könnt, was für ein Kopf er ist.
    Kurz, ich, ich halt's mit ihm nicht länger aus.
    Da lauf ich nun bei allen schmutz'gen Mohren
    Herum, und frage, wer ihm borgen will.
    Ich, der ich nie für mich gebettelt habe,
    Soll nun für andre borgen. Borgen ist
    Viel besser nicht als betteln: so wie leihen,
    Auf Wucher leihen, nicht viel besser ist,
    Als stehlen. Unter meinen Ghebern, an
    Dem Ganges, brauch ich beides nicht, und brauche
    Das Werkzeug beider nicht zu sein. Am Ganges,
    Am Ganges nur gibt's Menschen. Hier seid Ihr
    Der einzige, der noch so würdig wäre,
    Daß er am Ganges lebte. Wollt Ihr mit?
    Laßt ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche,
    Um den es ihm zu tun. Er bringt Euch nach
    Und nach doch drum. So wär' die Plackerei
    Auf einmal aus. Ich schaff Euch einen Delk.
    Kommt! kommt!

    Nathan. Ich dächte zwar, das blieb' uns ja
    Noch immer übrig. Doch, Al-Hafi, will
    Ich's überlegen. Warte ...

    Al-Hafi. Überlegen?
    Nein, so was überlegt sich nicht.

    Nathan. Nur bis
    Ich von dem Sultan wiederkomme; bis
    Ich Abschied erst ...

    Al-Hafi. Wer überlegt, der sucht
    Bewegungsgründe, nicht zu dürfen. Wer
    Sich Knall und Fall, ihm selbst zu leben, nicht,
    Entschließen kann, der lebet andrer Sklav'
    Auf immer. Wie Ihr wollt! Lebt wohl! wie's Euch
    Wohl dünkt. Mein Weg liegt dort; und Eurer da.

    Nathan.
    Al-Hafi! Du wirst selbst doch erst das Deine
    Berichtigen?

    Al-Hafi. Ach Possen! Der Bestand
    Von meiner Kass' ist nicht des Zählens wert;
    Und meine Rechnung bürgt Ihr oder Sittah.
    Lebt wohl! (Ab.)

    Nathan(ihm nachsehend).
    Die bürg ich! Wilder, guter, edler
    Wie nenn ich ihn? Der wahre Bettler ist
    Doch einzig und allein der wahre König!
    (Von einer andern Seite ab.)

    Dritter Aufzug

    Erster Auftritt

    (Szene: in Nathans Hause.)

    Recha und Daja.

    Recha.
    Wie, Daja, drückte sich mein Vater aus?
    »Ich dürf' ihn jeden Augenblick erwarten?«
    Das klingt nicht wahr? als ob er noch so bald
    Erscheinen werde. Wieviel Augenblicke
    Sind aber schon vorbei! Ah nun: wer denkt
    An die verflossenen? Ich will allein
    In jedem nächsten Augenblicke leben.
    Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.

    Daja.
    O der verwünschten Botschaft von dem Sultan!
    Denn Nathan hätte sicher ohne sie
    Ihn gleich mit hergebracht.

    Recha. Und wenn er nun
    Gekommen, dieser Augenblick; wenn denn
    Nun meiner Wünsche wärmster, innigster
    Erfüllet ist: was dann? was dann?

    Daja. Was dann?
    Dann hoff ich, daß auch meiner Wünsche wärmster
    Soll in Erfüllung gehen.

    Recha. Was wird dann
    In meiner Brust an dessen Stelle treten,
    Die schon verlernt, ohn' einen herrschenden
    Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? Nichts?
    Ah, ich erschrecke! ...

    Daja. Mein, mein Wunsch wird dann
    An des erfüllten Stelle treten; meiner.
    Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen
    Zu wissen, welche deiner würdig sind.

    Recha.
    Du irrst. Was diesen Wunsch zu deinem macht,
    Das nämliche verhindert, daß er meiner
    Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland:
    Und meines, meines sollte mich nicht halten?
    Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele
    Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen,
    Als die ich sehn, und greifen kann, und hören,
    Die Meinen?

    Daja. Sperre dich, soviel du willst!
    Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.
    Und wenn es nun dein Retter selber wäre,
    Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in
    Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,
    Für welche du geboren wurdest?

    Recha. Daja!
    Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja!
    Du hast doch wahrlich deine sonderbaren
    Begriffe! »Sein, sein Gott! für den er kämpft!«
    Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott,
    Der einem Menschen eignet? der für sich
    Muß kämpfen lassen? Und wie weiß
    Man denn, für welchen Erdkloß man geboren,
    Wenn man's für den nicht ist, auf welchem man
    Geboren? Wenn mein Vater dich so hörte!
    Was tat er dir, mir immer nur mein Glück
    So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln?
    Was tat er dir, den Samen der Vernunft,
    Den er so rein in meine Seele streute,
    Mit deines Landes Unkraut oder Blumen
    So gern zu mischen? Liebe, liebe Daja,
    Er will nun deine bunten Blumen nicht
    Auf meinem Boden! Und ich muß dir sagen,
    Ich selber fühle meinen Boden, wenn
    Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,
    So ausgezehrt durch deine Blume; fühle
    In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte,
    Mich so betäubt, so schwindelnd! Dein Gehirn
    Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum
    Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen.
    Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel,
    Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrin
    Gemacht? Noch schäm ich mich vor meinem Vater
    Der Posse!

    Daja. Posse! Als ob der Verstand
    Nur hier zu Hause wäre! Posse! Posse!
    Wenn ich nur reden dürfte!

    Recha. Darfst du nicht?
    Wenn war ich nicht ganz Ohr, sooft es dir
    Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich
    Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten
    Nicht stets Bewunderung; und ihren Leiden
    Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube
    Schien freilich mir das Heldenmäßigste
    An ihnen nie. Doch so viel tröstender
    War mir die Lehre, daß Ergebenheit
    In Gott von unserm Wähnen über Gott
    So ganz und gar nicht abhängt. Liebe Daja,
    Das hat mein Vater uns so oft gesagt;
    Darüber hast du selbst mit ihm so oft
    Dich einverstanden: warum untergräbst
    Du denn allein, was du mit ihm zugleich
    Gebauet? Liebe Daja, das ist kein
    Gespräch, womit wir unserm Freund' am besten
    Entgegensehn. Für mich zwar, ja! Denn mir,
    Mir liegt daran unendlich, ob auch er ...
    Horch, Daja! Kommt es nicht an unsre Türe?
    Wenn Er es wäre! horch!

    Zweiter Auftritt

    Recha. Daja und der Tempelherr, dem jemand von außen die Türe öffnet, mit den Worten:

    Nur hier herein!

    Recha(fährt zusammen, faßt sich und will ihm zu Füßen fallen).
    Er ist's! Mein Retter, ah!

    Tempelherr. Dies zu vermeiden
    Erschien ich bloß so spät: und doch

    Recha. Ich will
    Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes
    Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne.
    Der Mann will keinen Dank; will ihn so wenig
    Als ihn der Wassereimer will, der bei
    Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen.
    Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir
    Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der
    Ward nur so in die Glut hineingestoßen;
    Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm;
    Da blieb ich ungefähr, so wie ein Funken
    Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen;
    Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beide
    Herausschmiß aus der Glut. Was gibt es da
    Zu danken? In Europa treibt der Wein
    Zu noch weit andern Taten. Tempelherren,
    Die müssen einmal nun so handeln; müssen
    Wie etwas besser zugelernte Hunde,
    Sowohl aus Feuer, als aus Wasser holen.

    Tempelherr(der sie mit Erstaunen und Unruhe die Zeit über betrachtet).
    O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken
    Des Kummers und der Galle, meine Laune
    Dich übel anließ, warum jede Torheit,
    Die meiner Zung' entfuhr, ihr hinterbringen?
    Das hieß sich zu empfindlich rächen, Daja!
    Doch wenn du nur von nun an besser mich
    Bei ihr vertreten willst.

    Daja. Ich denke, Ritter
    Ich denke nicht, daß diese kleinen Stacheln,
    Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr
    Geschadet haben.

    Recha. Wie? Ihr hattet Kummer?
    Und wart mit Euerm Kummer geiziger
    Als Euerm Leben?

    Tempelherr. Gutes, holdes Kind!
    Wie ist doch meine Seele zwischen Auge
    Und Ohr geteilt! Das war das Mädchen nicht,
    Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer
    Ich holte. Denn wer hätte die gekannt,
    Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer hätte
    Auf mich gewartet? Zwar verstellt der Schreck.
    (Pause, unter der er, in Anschauung ihrer, sich wie verliert.)

    Recha.
    Ich aber find Euch noch den nämlichen.
    (Dergleichen; bis sie fortfährt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.)
    Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange
    Gewesen? Fast dürft' ich auch fragen: wo
    Ihr itzo seid?

    Tempelherr. Ich bin, wo ich vielleicht
    Nicht sollte sein.

    Recha. Wo Ihr gewesen? Auch
    Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen?
    Das ist nicht gut.

    Tempelherr. Auf auf wie heißt der Berg?
    Auf Sinai.

    Recha. Auf Sinai? Ah schön!
    Nun kann ich zuverlässig doch einmal
    Erfahren, ob es wahr ...

    Tempelherr. Was? was? Ob's wahr,
    Daß noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses
    Vor Gott gestanden, als ...

    Recha. Nun das wohl nicht.
    Denn wo er, stand, stand er vor Gott. Und davon
    Ist mir zur Gnüge schon bekannt. Ob's wahr,
    Möcht' ich nur gern von Euch erfahren, daß
    Daß es bei weitem nicht so mühsam sei,
    Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als
    Herab? Denn seht; soviel ich Berge noch
    Gestiegen bin, war's just das Gegenteil.
    Nun, Ritter? Was? Ihr kehrt Euch von mir ab?
    Wollt mich nicht sehn?

    Tempelherr. Weil ich Euch hören will.

    Recha.
    Weil Ihr mich nicht wollt merken lassen, daß
    Ihr meiner Einfalt lächelt; daß Ihr lächelt,
    Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers
    Von diesem heiligen Berg' aller Berge
    Zu fragen weiß? Nicht wahr?

    Tempelherr. So muß
    Ich doch Euch wieder in die Augen sehn.
    Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeißt
    Das Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen,
    In zweifelhaften Mienen lesen will,
    Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich
    Mir sagt verschweigt? Ah Recha! Recha! Wie
    Hat er so wahr gesagt: »Kennt sie nur erst!«

    Recha.
    Wer hat? von wem? Euch das gesagt?

    Tempelherr. »Kennt sie
    Nur erst!« hat Euer Vater mir gesagt;
    Von Euch gesagt.

    Daja. Und ich nicht etwa auch?
    Ich denn nicht auch?

    Tempelherr. Allein wo ist er denn?
    Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch
    Beim Sultan?

    Recha. Ohne Zweifel.

    Tempelherr. Noch, noch da?
    O mich Vergeßlichen! Nein, nein; da ist
    Er schwerlich mehr. Er wird dort unten bei
    Dem Kloster meiner warten; ganz gewiß.
    So red'ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt!
    Ich geh, ich hol ihn ...

    Daja. Das ist meine Sache.
    Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich.

    Tempelherr.
    Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen;
    Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht ... wer weiß? ...
    Er könnte bei dem Sultan leicht,... Ihr kennt
    Den Sultan nicht! ... leicht in Verlegenheit
    Gekommen sein. Glaubt mir; es hat Gefahr,
    Wenn ich nicht geh.

    Recha. Gefahr? was für Gefahr?

    Tempelherr.
    Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich
    Nicht schleunig, schleunig geh. (Ab.)

    Dritter Auftritt

    Recha und Daja.

    Recha. Was ist das, Daja?
    So schnell? Was kömmt ihm an? Was fiel ihm auf?
    Was jagt ihn?

    Daja. Laßt nur, laßt. Ich denk, es ist
    Kein schlimmes Zeichen.

    Recha. Zeichen? und wovon?

    Daja.
    Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht,
    Und soll nicht überkochen. Laßt ihn nur.
    Nun ist's an Euch.

    Recha. Was ist an mir? Du wirst,
    Wie er, mir unbegreiflich.

    Daja. Bald nun könnt
    Ihr ihm die Unruh' all vergelten, die
    Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch
    Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig.

    Recha.
    Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.

    Daja.
    Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?

    Recha.
    Das bin ich; ja das bin ich ...

    Daja. Wenigstens
    Gesteht, daß Ihr Euch seiner Unruh' freut;
    Und seiner Unruh' danket, was Ihr itzt
    Von Ruh' genießt.

    Recha. Mir völlig unbewußt!
    Denn was ich höchstens dir gestehen könnte,
    Wär', daß es mich mich selbst befremdet, wie
    Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen
    So eine Stille plötzlich folgen können.
    Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Ton
    Hat mich ...

    Daja. Gesättigt schon?

    Recha. Gesättigt, will
    Ich nun nicht sagen; nein bei weitem nicht

    Daja.
    Den heißen Hunger nur gestillt.

    Recha. Nun ja:
    Wenn du so willst.

    Daja. Ich eben nicht.

    Recha. Er wird
    Mir ewig wert; mir ewig werter, als
    Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls
    Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt;
    Nicht mehr mein Herz, sooft ich an ihn denke,
    Geschwinder, stärker schlägt. Was schwatz ich? Komm,
    Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster,
    Das auf die Palmen sieht.

    Daja. So ist er doch
    Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.

    Recha.
    Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn:
    Nicht ihn bloß untern Palmen.

    Daja. Diese Kälte
    Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.

    Recha.
    Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich
    Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.

    Vierter Auftritt

    (Szene: ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.)

    Saladin und Sittah.

    Saladin(im Hereintreten, gegen die Türe).
    Hier bringt den Juden her, sobald er kömmt.
    Er scheint sich eben nicht zu übereilen.

    Sittah.
    Er war auch wohl nicht bei der Hand; nicht gleich
    Zu finden.

    Saladin. Schwester! Schwester!

    Sittah. Tust du doch,
    Als stünde dir ein Treffen vor.

    Saladin. Und das
    Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen.
    Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen;
    Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen.
    Wenn hätt' ich das gekonnt? Wo hätt' ich das
    Gelernt? Und soll das alles, ah, wozu?
    Wozu? Um Geld zu fischen; Geld! Um Geld,
    Geld einem Juden abzubangen; Geld!
    Zu solchen kleinen Listen wär' ich endlich
    Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir
    Zu schaffen?

    Sittah. Jede Kleinigkeit, zu sehr
    Verschmäht, die rächt sich, Bruder.

    Saladin. Leider wahr.
    Und wenn nun dieser Jude gar der gute,
    Vernünft'ge Mann ist, wie der Derwisch dir
    Ihn ehedem beschrieben?

    Sittah. O nun dann!
    Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt
    Ja nur dem geizigen, besorglichen,
    Furchtsamen Juden: nicht dem guten, nicht
    Dem weisen Manne. Dieser ist ja so
    Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen,
    Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausred't;
    Mit welcher dreisten Stärk' entweder er
    Die Stricke kurz zerreißet; oder auch
    Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze
    Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast
    Du obendrein.

    Saladin. Nun, das ist wahr. Gewiß;
    Ich freue mich darauf.

    Sittah. So kann dich ja
    Auch weiter nichts verlegen machen. Denn
    Ist's einer aus der Menge bloß; ist's bloß
    Ein Jude, wie ein Jude: gegen den
    Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen,
    Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr;
    Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm
    Als Geck, als Narr.

    Saladin. So muß ich ja wohl gar
    Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht
    Schlecht denke?

    Sittah. Traun! wenn du schlecht handeln nennst,
    Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen.

    Saladin.
    Was hätt' ein Weiberkopf erdacht, das er
    Nicht zu beschönen wüßte!

    Sittah. Zu beschönen!

    Saladin.
    Das feine, spitze Ding, besorg ich nur,
    In meiner plumpen Hand zerbricht! So was
    Will ausgeführt sein, wie's erfunden ist:
    Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. Doch,
    Mag's doch nur, mag's! Ich tanze, wie ich kann;
    Und könnt' es freilich lieber schlechter noch
    Als besser.

    Sittah. Trau dir auch nur nicht zu wenig!
    Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst.
    Daß uns die Männer deinesgleichen doch
    So gern bereden möchten, nur ihr Schwert,
    Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht.
    Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit
    Dem Fuchse jagt: des Fuchses, nicht der List.

    Saladin.
    Und daß die Weiber doch so gern den Mann
    Zu sich herunter hätten! Geh nur, geh!
    Ich glaube meine Lektion zu können.

    Sittah.
    Was? ich soll gehn?

    Saladin. Du wolltest doch nicht bleiben?

    Sittah.
    Wenn auch nicht bleiben ... im Gesicht euch bleiben
    Doch hier im Nebenzimmer

    Saladin. Da zu horchen?
    Auch das nicht, Schwester; wenn ich soll bestehn.
    Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kömmt! doch daß
    Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach.

    (Indem sie sich durch eine Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein; und Saladin hat sich gesetzt.)

    Fünfter Auftritt

    Saladin und Nathan.

    Saladin.
    Tritt näher, Jude! Näher! Nur ganz her!
    Nur ohne Furcht!

    Nathan. Die bleibe deinem Feinde!

    Saladin.
    Du nennst dich Nathan?

    Nathan. Ja.

    Saladin. Den weisen Nathan?

    Nathan.
    Nein.

    Saladin. Wohl! nennst du dich nicht; nennt dich das Volk.

    Nathan.
    Kann sein; das Volk!

    Saladin. Du glaubst doch nicht, daß ich
    Verächtlich von des Volkes Stimme denke?
    Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen,
    Den es den Weisen nennt.

    Nathan. Und wenn es ihn
    Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise
    Nichts weiter wär' als klug? und klug nur der,
    Der sich auf seinen Vorteil gut versteht?

    Saladin.
    Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch?

    Nathan.
    Dann freilich wär' der Eigennützigste
    Der Klügste. Dann wär' freilich klug und weise
    Nur eins.

    Saladin. Ich höre dich erweisen, was
    Du widersprechen willst. Des Menschen wahre
    Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du.
    Hast du zu kennen wenigstens gesucht;
    Hast drüber nachgedacht: das auch allein
    Macht schon den Weisen.

    Nathan. Der sich jeder dünkt
    Zu sein.

    Saladin. Nun der Bescheidenheit genug!
    Denn sie nur immerdar zu hören, wo
    Man trockene Vernunft erwartet, ekelt.
    (Er springt auf.)
    Laß uns zur Sache kommen! Aber, aber
    Aufrichtig, Jud', aufrichtig!

    Nathan. Sultan, ich
    Will sicherlich dich so bedienen, daß
    Ich deiner fernern Kundschaft würdig bleibe.

    Saladin. Bedienen? wie?

    Nathan. Du sollst das Beste haben
    Von allem; sollst es um den billigsten
    Preis haben.

    Saladin. Wovon sprichst du? doch wohl nicht
    Von deinen Waren? Schachern wird mit dir
    Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!)
    Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun.

    Nathan.
    So wirst du ohne Zweifel wissen wollen,
    Was ich auf meinem Wege von dem Feinde,
    Der allerdings sich wieder reget, etwa
    Bemerkt, getroffen? Wenn ich unverhohlen ...

    Saladin.
    Auch darauf bin ich eben nicht mit dir
    Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel
    Ich nötig habe. Kurz-,

    Nathan. Gebiete, Sultan.

    Saladin.
    Ich heische deinen Unterricht in ganz
    Was anderm; ganz was anderm. Da du nun
    So weise bist: so sage mir doch einmal
    Was für ein Glaube, was für ein Gesetz
    Hat dir am meisten eingeleuchtet?

    Nathan. Sultan,
    Ich bin ein Jud'.

    Saladin. Und ich ein Muselmann.
    Der Christ ist zwischen uns. Von diesen drei
    Religionen kann doch eine nur
    Die wahre sein. Ein Mann, wie du, bleibt da
    Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt
    Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt,
    Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern.
    Wohlan! so teile deine Einsicht mir
    Dann mit. Laß mich die Gründe hören, denen
    Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit
    Gehabt. Laß mich die Wahl, die diese Gründe
    Bestimmt, versteht sich, im Vertrauen wissen,
    Damit ich sie zu meiner mache. Wie?
    Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? Kann
    Wohl sein, daß ich der erste Sultan bin,
    Der eine solche Grille hat; die mich
    Doch eines Sultans eben nicht so ganz
    Unwürdig dünkt. Nicht wahr? So rede doch!
    Sprich! Oder willst du einen Augenblick,
    Dich zu bedenken? Gut, ich geb ihn dir.
    (Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen;
    Will hören, ob ich's recht gemacht. ) Denk nach.
    Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück-
    Zukommen.
    (Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.)

    Sechster Auftritt

    Nathan allein.

    Hm! hm! – wunderlich! – Wie ist
    Mir denn? Was will der Sultan? was? Ich bin
    Auf Geld gefaßt; und er will Wahrheit. Wahrheit!
    Und will sie so, so bar, so blank, als ob
    Die Wahrheit Münze wäre! ja, wenn noch
    Uralte Münze, die gewogen ward!
    Das ginge noch! Allein so neue Münze,
    Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett
    Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht!
    Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf
    Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude?
    Ich oder er? Doch wie? Sollt' er auch wohl
    Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern? Zwar,
    Zwar der Verdacht, daß er die Wahrheit nur
    Als Falle brauche, wär' auch gar zu klein!
    Zu klein? Was ist für einen Großen denn
    Zu klein? Gewiß, gewiß: er stürzte mit
    Der Türe so ins Haus! Man pocht doch, hört
    Doch erst, wenn man als Freund sich naht. Ich muß
    Behutsam gehn! Und wie? wie das? So ganz
    Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht.
    Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder.
    Denn, wenn kein Jude, dürft' er mich nur fragen,
    Warum kein Muselmann? Das war's! Das kann
    Mich retten! Nicht die Kinder bloß, speist man
    Mit Märchen ab. Er kommt. Er komme nur!

    Siebenter Auftritt

    Saladin und Nathan.

    Saladin.
    (So ist das Feld hier rein!) Ich komm dir doch
    Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande
    Mit deiner Überlegung. Nun so rede!
    Es hört uns keine Seele.

    Nathan. Möcht' auch doch
    Die ganze Welt uns hören.

    Saladin. So gewiß
    Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn
    Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu
    Verhehlen! für sie alles auf das Spiel
    Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!

    Nathan.
    Ja! Ja! wann's nötig ist und nutzt.

    Saladin. Von nun
    An darf ich hoffen, einen meiner Titel,
    Verbesserer der Welt und des Gesetzes,
    Mit Recht zu führen.

    Nathan. Traun, ein schöner Titel!
    Doch, Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue,
    Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu
    Erzählen?

    Saladin. Warum das nicht? Ich bin stets
    Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut
    Erzählt.

    Nathan. Ja, gut erzählen, das ist nun
    Wohl eben meine Sache nicht.

    Saladin. Schon wieder
    So stolz bescheiden? Mach! erzähl, erzähle!

    Nathan.
    Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,
    Der einen Ring von unschätzbarem Wert
    Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
    Opal, der hundert schöne Farben spielte,
    Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
    Und Menschen angenehm zu machen, wer
    In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
    Daß ihn der Mann in Osten darum nie
    Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
    Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
    Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
    Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
    Und setzte fest, daß dieser wiederum
    Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
    Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
    Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
    Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.
    Versteh mich, Sultan.

    Saladin. Ich versteh dich. Weiter!

    Nathan.
    So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
    Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;
    Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
    Die alle drei er folglich gleich zu lieben
    Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
    Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
    Der dritte, sowie jeder sich mit ihm
    Allein befand, und sein ergießend Herz
    Die andern zwei nicht teilten, würdiger
    Des Ringes; den er denn auch einem jeden
    Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
    Das ging nun so, solang es ging. Allein
    Es kam zum Sterben, und der gute Vater
    Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
    Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
    Verlassen, so zu kränken. Was zu tun?
    Er sendet in geheim zu einem Künstler,
    Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,
    Zwei andere bestellt, und weder Kosten
    Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
    Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
    Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
    Kann selbst der Vater seinen Musterring
    Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
    Er seine Söhne, jeden insbesondre;
    Gibt jedem insbesondre seinen Segen,
    Und seinen Ring, und stirbt. Du hörst doch, Sultan?

    Saladin(der sich betroffen von ihm gewandt).
    Ich hör, ich höre! Komm mit deinem Märchen
    Nur bald zu Ende. Wird's?

    Nathan. Ich bin zu Ende.
    Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst.
    Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder
    Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
    Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
    Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
    Erweislich;
    (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet)
    Fast so unerweislich, als
    Uns itzt der rechte Glaube.

    Saladin. Wie? das soll
    Die Antwort sein auf meine Frage? ...

    Nathan. Soll
    Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
    Mir nicht getrau zu unterscheiden, die
    Der Vater in der Absicht machen ließ,
    Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

    Saladin.
    Die Ringe! Spiele nicht mit mir! Ich dächte,
    Daß die Religionen, die ich dir
    Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.
    Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank!

    Nathan.
    Und nur von seiten ihrer Gründe nicht.
    Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?
    Geschrieben oder überliefert! Und
    Geschichte muß doch wohl allein auf Treu
    Und Glauben angenommen werden? Nicht?
    Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn
    Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?
    Doch deren Blut wir sind? doch deren, die
    Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
    Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo
    Getäuscht zu werden uns heilsamer war?
    Wie kann ich meinen Vätern weniger
    Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt.
    Kann ich von dir verlangen, daß du deine
    Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
    Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
    Das nämliche gilt von den Christen. Nicht?

    Saladin.
    (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht.
    Ich muß verstummen.)

    Nathan. Laß auf unsre Ring'
    Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
    Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
    Unmittelbar aus seines Vaters Hand
    Den Ring zu haben. Wie auch wahr! Nachdem
    Er von ihm lange das Versprechen schon
    Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
    Genießen. Wie nicht minder wahr! Der Vater,
    Beteurt' jeder, könne gegen ihn
    Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses
    Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
    Argwohnen lass': eh' müss' er seine Brüder,
    So gern er sonst von ihnen nur das Beste
    Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
    Bezeihen; und er wolle die Verräter
    Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

    Saladin.
    Und nun, der Richter? Mich verlangt zu hören,
    Was du den Richter sagen lässest. Sprich!

    Nathan.
    Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater
    Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch
    Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel
    Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
    Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne?
    Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
    Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
    Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
    Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
    Doch das nicht können! Nun; wen lieben zwei
    Von Euch am meisten? Macht, sagt an! Ihr schweigt?
    Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
    Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
    Am meisten? Oh, so seid ihr alle drei
    Betrogene Betrüger! Eure Ringe
    Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
    Vermutlich ging verloren. Den Verlust
    Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
    Die drei für einen machen.

    Saladin. Herrlich! herrlich!

    Nathan.
    Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
    Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
    Geht nur! Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
    Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
    Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
    So glaube jeder sicher seinen Ring
    Den echten. Möglich; daß der Vater nun
    Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
    In seinem Hause dulden willen! Und gewiß;
    Daß er euch alle drei geliebt, und gleich
    Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
    Um einen zu begünstigen. Wohlan!
    Es eifre jeder seiner unbestochnen
    Von Vorurteilen freien Liebe nach!
    Es strebe von euch jeder um die Wette,
    Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
    Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
    Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
    Mit innigster Ergebenheit in Gott
    Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
    Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
    So lad ich über tausend tausend Jahre
    Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
    Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
    Als ich; und sprechen. Geht! So sagte der
    Bescheidne Richter.

    Saladin. Gott! Gott!

    Nathan. Saladin,
    Wenn du dich fühlest, dieser weisere
    Versprochne Mann zu sein: ...

    Saladin(der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren läßt).
    Ich Staub? Ich Nichts?
    O Gott!

    Nathan. Was ist dir, Sultan?

    Saladin. Nathan, lieber Nathan!
    Die tausend tausend Jahre deines Richters
    Sind noch nicht um. Sein Richterstuhl ist nicht
    Der meine. Geh! Geh! Aber sei mein Freund.

    Nathan.
    Und weiter hätte Saladin mir nichts
    Zu sagen?

    Saladin. Nichts.

    Nathan. Nichts?

    Saladin. Gar nichts. Und warum?

    Nathan.
    Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht,
    Dir eine Bitte vorzutragen.

    Saladin. Braucht's
    Gelegenheit zu einer Bitte? Rede!

    Nathan.
    Ich komm von einer weiten Reis', auf welcher
    Ich Schulden eingetrieben. Fast hab ich
    Des baren Gelds zuviel. Die Zeit beginnt
    Bedenklich wiederum zu werden; und
    Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin.
    Da dacht' ich, ob nicht du vielleicht, weil doch
    Ein naher Krieg des Geldes immer mehr
    Erfordert, etwas brauchen könntest.

    Saladin(ihm steif in die Augen sehend).
    Nathan!
    Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon
    Bei dir gewesen; will nicht untersuchen,
    Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses
    Erbieten freierdings zu tun: ...

    Nathan. Ein Argwohn?

    Saladin.
    Ich bin ihn wert. Verzeih mir! Denn was hilft's?
    Ich muß dir nur gestehen, daß ich im
    Begriffe war

    Nathan. Doch nicht, das Nämliche
    An mich zu suchen?

    Saladin. Allerdings.

    Nathan. So wär'
    Uns beiden ja geholfen! Daß ich aber
    Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken,
    Das macht der junge Tempelherr. Du kennst
    Ihn ja. Ihm hab ich eine große Post
    Vorher noch zu bezahlen.

    Saladin. Tempelherr?
    Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht
    Mit deinem Geld auch unterstützen wollen?

    Nathan.
    Ich spreche von dem einen nur, dem du
    Das Leben spartest ...

    Saladin. Ah! woran erinnerst
    Du mich! Hab ich doch diesen Jüngling ganz
    Vergessen! Kennst du ihn? Wo ist er?

    Nathan. Wie?
    So weißt du nicht, wieviel von deiner Gnade
    Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er,
    Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens,
    Hat meine Tochter aus dem Feu'r gerettet.

    Saladin.
    Er? Hat er das? Ha! darnach sah er aus.
    Das hätte traun mein Bruder auch getan,
    Dem er so ähnelt! Ist er denn noch hier?
    So bring ihn her! Ich habe meiner Schwester
    Von diesem ihren Bruder, den sie nicht
    Gekannt, so viel erzählet, daß ich sie
    Sein Ebenbild doch auch muß sehen lassen!
    Geh, hol ihn! Wie aus einer guten Tat,
    Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft,
    Doch so viel andre gute Taten fließen!
    Geh, hol ihn!

    Nathan(indem er Saladins Hand fahren läßt).
    Augenblicks! Und bei dem andern
    Bleibt es doch auch? (Ab.)

    Saladin. Ah! daß ich meine Schwester
    Nicht horchen lassen! Zu ihr! zu ihr! Denn
    Wie soll ich alles das ihr nun erzählen?

    (Ab von der andern Seite.)

    Achter Auftritt

    Die Szene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet.

    Tempelherr(geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab; bis er losbricht).
    Hier hält das Opfertier ermüdet still.
    Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen,
    Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern,
    Was vorgehn wird. Genug, ich bin umsonst
    Geflohn! umsonst. Und weiter konnt' ich doch
    Auch nichts, als fliehn! Nun komm', was kommen soll!
    Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell
    Gefallen; unter den zu kommen, ich
    So lang und viel mich weigerte. Sie sehn,
    Die ich zu sehn so wenig lüstern war,
    Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus
    Den Augen nie zu lassen. Was Entschluß?
    Entschluß ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt',
    Ich litte bloß. Sie sehn, und das Gefühl
    An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein,
    War eins. Bleibt eins. Von ihr getrennt
    Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär'
    Mein Tod, und wo wir immer nach dem Tode
    Noch sind, auch da mein Tod. Ist das nun Liebe:
    So liebt der Tempelritter freilich, liebt
    Der Christ das Judenmädchen freilich. Hm!
    Was tut's? Ich hab in dem gelobten Lande,
    Und drum auch mir gelobt auf immerdar!
    Der Vorurteile mehr schon abgelegt.
    Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr
    Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot,
    Der mich zu Saladins Gefangnen machte.
    Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär'
    Mein alter? Ist ein neuer; der von allem
    Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,
    Was jenen band. Und ist ein beßrer; für
    Den väterlichen Himmel mehr gemacht.
    Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn
    Ich so zu denken, wie mein Vater hier
    Gedacht muß haben; wenn man Märchen nicht
    Von ihm mir vorgelegen. Märchen? doch
    Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie,
    Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr
    Zu straucheln laufe, wo er fiel. Er fiel?
    Ich will mit Männern lieber fallen, als
    Mit Kindern stehn. Sein Beispiel bürget mir
    Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall
    Liegt mir denn sonst? An Nathans? O an dessen
    Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir
    Noch weniger gebrechen. Welch ein Jude!
    Und der so ganz nur Jude scheinen will!
    Da kömmt er; kömmt mit Hast; glüht heitre Freude.
    Wer kam vom Saladin je anders? He!
    He, Nathan!

    Neunter Auftritt

    Nathan und der Tempelherr.

    Nathan. Wie? seid Ihr's?

    Tempelherr. Ihr habt
    Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.

    Nathan.
    So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn
    Zu viel verweilt. Ah, wahrlich, Curd; der Mann
    Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten.
    Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind
    Nur sagen ...

    Tempelherr. Was?

    Nathan. Er will Euch sprechen; will,
    Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet
    Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn
    Erst etwas anders zu verfügen habe:
    Und dann, so gehn wir!

    Tempelherr. Nathan, Euer Haus
    Betret ich wieder eher nicht ...

    Nathan. So seid
    Ihr doch indes schon da gewesen? habt
    Indes sie doch gesprochen? Nun? Sagt: wie
    Gefällt Euch Recha?

    Tempelherr. Über allen Ausdruck!
    Allein, sie wiedersehn das werd ich nie!
    Nie! nie! Ihr müßtet mir zur Stelle denn
    Versprechen: daß ich sie auf immer, immer
    Soll können sehn.

    Nathan. Wie wollt Ihr, daß ich das
    Versteh?

    Tempelherr(nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend).
    Mein Vater!

    Nathan. Junger Mann!

    Tempelherr(ihn ebenso plötzlich wieder lassend).
    Nicht Sohn?
    Ich bitt Euch, Nathan!

    Nathan. Lieber junger Mann!

    Tempelherr.
    Nicht Sohn? Ich bitt Euch, Nathan! Ich beschwör
    Euch bei den ersten Banden der Natur!
    Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor!
    Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! Stoßt mich
    Nicht von Euch!

    Nathan. Lieber, lieber Freund! ...

    Tempelherr. Und Sohn?
    Sohn nicht? Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn
    Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter
    Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
    Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen,
    Auf Euern Wink nur beide warteten?
    Ihr schweigt?

    Nathan. Ihr überrascht mich, junger Ritter.

    Tempelherr.
    Ich überrasch Euch? überrasch Euch, Nathan,
    Mit Euern eigenen Gedanken? Ihr
    Verkennt sie doch in meinem Munde nicht?
    Ich überrasch Euch?

    Nathan. Eh' ich einmal weiß,
    Was für ein Stauffen Euer Vater denn
    Gewesen ist!

    Tempelherr. Was sagt Ihr, Nathan? was?
    In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts
    Als Neubegier?

    Nathan. Denn seht! Ich habe selbst
    Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
    Der Conrad hieß.

    Tempelherr. Nun, wenn mein Vater denn
    Nun ebenso geheißen hätte?

    Nathan. Wahrlich?

    Tempelherr.
    Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd
    Ist Conrad.

    Nathan. Nun so war mein Conrad doch
    Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,
    Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.

    Tempelherr.
    O darum!

    Nathan. Wie?

    Tempelherr. O darum könnt' er doch
    Mein Vater wohl gewesen sein.

    Nathan. Ihr scherzt.

    Tempelherr.
    Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! Was wär's
    Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!
    Der Schlag ist auch nicht zu verachten. Doch
    Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe.
    Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.
    Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel
    In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!
    Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham
    Hinauf belegen. Und von da so weiter,
    Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.

    Nathan.
    Ihr werdet bitter. Doch verdien ich's? Schlug
    Ich denn Euch schon was ab? Ich will Euch ja
    Nur bei dem Worte nicht den Augenblick
    So fassen. Weiter nichts.

    Tempelherr. Gewiß? Nichts weiter?
    O so vergebt! ...

    Nathan. Nun kommt nur, kommt!

    Tempelherr. Wohin?
    Nein! Mit in Euer Haus? Das nicht! das nicht!
    Da brennt's! Ich will Euch hier erwarten. Geht!
    Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie
    Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie
    Schon viel zu viel ...

    Nathan. Ich will mich möglichst eilen.

    Zehnter Auftritt

    Der Tempelherr und bald darauf Daja.

    Tempelherr.
    Schon mehr als g'nug! Des Menschen Hirn faßt so
    Unendlich viel; und ist doch manchmal auch
    So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit
    So plötzlich voll! Taugt nichts, taugt nichts; es sei
    Auch voll wovon es will. Doch nur Geduld!
    Die Seele wirkt den auf gedunsnen Stoff
    Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht
    Und Ordnung kommen wieder. Lieb ich denn
    Zum ersten Male? Oder war, was ich
    Als Liebe kenne, Liebe nicht? Ist Liebe
    Nur was ich itzt empfinde? ...

    Daja(die sich von der Seite herbeigeschlichen).
    Ritter! Ritter!

    Tempelherr.
    Wer ruft? Ha, Daja, Ihr?

    Daja. Ich habe mich
    Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch
    Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. Drum kommt
    Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.

    Tempelherr.
    Was gibt's denn? So geheimnisvoll? Was ist's?

    Daja.
    Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was
    Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.
    Das eine weiß nur ich; das andre wißt
    Nur Ihr. Wie wär' es, wenn wir tauschten?
    Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch
    Das meine.

    Tempelherr. Mit Vergnügen. Wenn ich nur
    Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch
    Das wird aus Euerm wohl erhellen. Fangt
    Nur immer an.

    Daja. Ei denkt doch! Nein, Herr Ritter.
    Erst Ihr; ich folge. Denn versichert, mein
    Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn
    Ich nicht zuvor das Eure habe. Nur
    Geschwind! Denn frag ich's Euch erst ab: so habt
    Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann
    Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid
    Ihr los. Doch armer Ritter! Daß Ihr Männer
    Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben
    Zu können, auch nur glaubt! .

    Tempelherr. Das wir zu haben
    Oft selbst nicht wissen.

    Daja. Kann wohl sein. Drum muß
    Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt
    Zu machen, schon die Freundschaft haben. Sagt
    Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall
    Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns
    So sitzenließet? daß Ihr nun mit Nathan
    Nicht wiederkommt? Hat Recha denn so wenig
    Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel?
    So viel! so viel! Lehrt Ihr des armen Vogels,
    Der an der Rute klebt, Geflattre mich
    Doch kennen! Kurz: gesteht es mir nur gleich,
    Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und
    Ich sag Euch was ...

    Tempelherr. Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr
    Versteht Euch trefflich drauf.

    Daja. Nun gebt mir nur
    Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch
    Erlassen.

    Tempelherr. Weil er sich von selbst versteht?
    Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ...

    Daja.
    Scheint freilich wenig Sinn zu haben. Doch
    Zuweilen ist des Sinns in einer Sache
    Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre
    So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland
    Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge
    Von selbst nicht leicht betreten würde.

    Tempelherr. Das
    So feierlich? (Und setz ich statt des Heilands
    Die Vorsicht: hat sie denn nicht recht? ) Ihr macht
    Mich neubegieriger, als ich wohl sonst
    Zu sein gewohnt bin.

    Daja. Oh! das ist das Land
    Der Wunder!

    Tempelherr. (Nun! des Wunderbaren. Kann
    Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt
    Drängt sich ja hier zusammen.) Liebe Daja,
    Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt:
    Daß ich sie liebe; daß ich nicht begreife,
    Wie ohne sie ich leben werde; daß ...

    Daja.
    Gewiß? gewiß? So schwört mir, Ritter, sie
    Zur Eurigen zu machen; sie zu retten:
    Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.

    Tempelherr.
    Und wie? Wie kann ich? Kann ich schwören, was
    In meiner Macht nicht steht?

    Daja. In Eurer Macht
    Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort
    In Eure Macht.

    Tempelherr. Daß selbst der Vater nichts
    Dawider hätte?

    Daja. Ei, was Vater! Vater!
    Der Vater soll schon müssen.

    Tempelherr. Müssen, Daja?
    Noch ist er unter Räuber nicht gefallen.
    Er muß nicht müssen.

    Daja. Nun, so muß er wollen;
    Muß gern am Ende wollen.

    Tempelherr. Muß und gern!
    Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß
    Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen
    Bereits versucht?

    Daja. Was? und er fiel nicht ein?

    Tempelherr.
    Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich
    Beleidigte.

    Daja. Was sagt Ihr? Wie? Ihr hättet
    Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha
    Ihm blicken lassen: und er wär' vor Freuden
    Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich
    Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten
    Gemacht?

    Tempelherr. So ungefähr.

    Daja. So will ich denn
    Mich länger keinen Augenblick bedenken

    (Pause.)

    Tempelherr.
    Und Ihr bedenkt Euch doch?

    Daja. Der Mann ist sonst
    So gut! Ich selber bin so viel ihm schuldig!
    Daß er doch gar nicht hören will! Gott weiß,
    Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.

    Tempelherr.
    Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut
    Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber
    Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt,
    Gut oder böse, schändlich oder löblich
    Zu nennen: schweigt! Ich will vergessen, daß
    Ihr etwas zu verschweigen habt.

    Daja. Das spornt,
    Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha
    Ist keine Jüdin; ist ist eine Christin.

    Tempelherr(kalt).
    So? Wünsch Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Laßt
    Euch nicht die Wehen schrecken! Fahret ja
    Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern:
    Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!

    Daja. Wie, Ritter?
    Verdienet meine Nachricht diesen Spott?
    Daß Recha eine Christin ist: das freuet
    Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,
    Der Ihr sie liebt, nicht mehr?

    Tempelherr. Besonders, da
    Sie eine Christin ist von Eurer Mache.

    Daja.
    Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten! Nein!
    Den will ich sehn, der die bekehren soll!
    Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden
    Verdorben ist.

    Tempelherr. Erklärt Euch, oder geht!

    Daja.
    Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern
    Geboren; ist getauft ...

    Tempelherr(hastig). Und Nathan?

    Daja. Nicht
    Ihr Vater!

    Tempelherr. Nathan nicht ihr Vater? Wißt
    Ihr, was Ihr sagt?

    Daja. Die Wahrheit, die so oft
    Mich blut'ge Tränen weinen machen. Nein,
    Er ist ihr Vater nicht ...

    Tempelherr. Und hätte sie
    Als seine Tochter nur erzogen? hätte
    Das Christenkind als eine Jüdin sich
    Erzogen?

    Daja. Ganz gewiß.

    Tempelherr. Sie wüßte nicht,
    Was sie geboren sei? Sie hätt' es nie
    Von ihm erfahren, daß sie eine Christin
    Geboren sei, und keine Jüdin?

    Daja. Nie!

    Tempelherr.
    Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind
    Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch
    In diesem Wahne?

    Daja. Leider!

    Tempelherr. Nathan Wie?
    Der weise gute Nathan hätte sich
    Erlaubt, die Stimme der Natur so zu
    Verfälschen? Die Ergießung eines Herzens
    So zu verrenken, die, sich selbst gelassen,
    Ganz andre Wege nehmen würde? Daja,
    Ihr habt mir allerdings etwas vertraut
    Von Wichtigkeit, was Folgen haben kann,
    Was mich verwirrt, worauf ich gleich nicht weiß,
    Was mir zu tun. Drum laßt mir Zeit. Drum geht!
    Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht'
    Uns überfallen. Geht!

    Daja. Ich wär' des Todes!

    Tempelherr.
    Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar
    Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt
    Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan
    Schon finden würden.

    Daja. Aber laßt Euch ja
    Nichts merken gegen ihn. Das soll nur so
    Den letzten Druck dem Dinge geben; soll
    Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur
    Benehmen! Wenn Ihr aber dann sie nach
    Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht
    Zurück?

    Tempelherr. Das wird sich finden. Geht nur, geht!

    Vierter Aufzug

    Erster Auftritt

    (Szene: in den Kreuzgängen des Klosters.)

    Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.

    Klosterbruder.
    Ja, ja! er hat schon recht, der Patriarch!
    Es hat mir freilich noch von alledem
    Nicht viel gelingen wollen, was er mir
    So aufgetragen. Warum trägt er mir
    Auch lauter solche Sachen auf? Ich mag
    Nicht fein sein; mag nicht überreden; mag
    Mein Näschen nicht in alles stecken; mag
    Mein Händchen nicht in allem haben. Bin
    Ich darum aus der Welt geschieden, ich
    Für mich; um mich für andre mit der Welt
    Noch erst recht zu verwickeln?

    Tempelherr(mit Hast auf ihn zukommend).
    Guter Bruder!
    Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon
    Gesucht.

    Klosterbruder. Mich, Herr?

    Tempelherr. Ihr kennt mich schon nicht mehr?

    Klosterbruder.
    Doch, doch! Ich glaubte nur, daß ich den Herrn
    In meinem Leben wieder nie zu sehn
    Bekommen würde. Denn ich hofft' es zu
    Dem lieben Gott. Der liebe Gott, der weiß,
    Wie sauer mir der Antrag ward, den ich
    Dem Herrn zu tun verbunden war. Er weiß,
    Ob ich gewünscht, ein offnes Ohr bei Euch
    Zu finden; weiß, wie sehr ich mich gefreut,
    Im Innersten gefreut, daß Ihr so rund
    Das alles, ohne viel Bedenken, von
    Euch wies't, was einem Ritter nicht geziemt.
    Nun kommt Ihr doch; nun hat's doch nachgewirkt!

    Tempelherr.
    Ihr wißt es schon, warum ich komme? Kaum
    Weiß ich es selbst.

    Klosterbruder. Ihr habt's nun überlegt;
    Habt nun gefunden, daß der Patriarch
    So unrecht doch nicht hat; daß Ehr' und Geld
    Durch seinen Anschlag zu gewinnen; daß
    Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel
    Auch siebenmal gewesen wäre. Das,
    Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen,
    Und kommt, und tragt Euch wieder an. Ach Gott!

    Tempelherr.
    Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden.
    Deswegen komm ich nicht; deswegen will
    Ich nicht den Patriarchen sprechen. Noch,
    Noch denk ich über jenen Punkt, wie ich
    Gedacht, und wollt' um alles in der Welt
    Die gute Meinung nicht verlieren, deren
    Mich ein so grader, frommer, lieber Mann
    Einmal gewürdiget. Ich komme bloß,
    Den Patriarchen über eine Sache
    Um Rat zu fragen ...

    Klosterbruder. Ihr den Patriarchen?
    Ein Ritter, einen Pfaffen?
    (Sich schüchtern umsehend.)

    Tempelherr. Ja; die Sach'
    Ist ziemlich pfäffisch.

    Klosterbruder. Gleichwohl fragt der Pfaffe
    Den Ritter nie, die Sache sei auch noch
    So ritterlich.

    Tempelherr. Weil er das Vorrecht hat,
    Sich zu vergehn; das unsereiner ihm
    Nicht sehr beneidet. Freilich, wenn ich nur
    Für mich zu handeln hätte; freilich, wenn
    Ich Rechenschaft nur mir zu geben hätte:
    Was braucht' ich Euers Patriarchen? Aber
    Gewisse Dinge will ich lieber schlecht,
    Nach andrer Willen, machen; als allein
    Nach meinem, gut. Zudem, ich seh nun wohl,
    Religion ist auch Partei; und wer
    Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt,
    Hält, ohn' es selbst zu wissen, doch nur seiner
    Die Stange. Weil das einmal nun so ist:
    Wird's so wohl recht sein.

    Klosterbruder. Dazu schweig ich lieber.
    Denn ich versteh den Herrn nicht recht.

    Tempelherr. Und doch!
    (Laß sehn, warum mir eigentlich zu tun!
    Um Machtspruch oder Rat? Um lautern, oder
    Gelehrten Rat?) Ich dank Euch, Bruder; dank
    Euch für den guten Wink. Was Patriarch?
    Seid Ihr mein Patriarch! Ich will ja doch
    Den Christen mehr im Patriarchen, als
    Den Patriarchen in dem Christen fragen.
    Die Sach' ist die ...

    Klosterbruder. Nicht weiter, Herr, nicht weiter!
    Wozu? Der Herr verkennt mich. Wer viel weiß,
    Hat viel zu sorgen; und ich habe ja
    Mich einer Sorge nur gelobt. O gut!
    Hört! seht! Dort kömmt, zu meinem Glück, er selbst.
    Bleibt hier nur stehn. Er hat Euch schon erblickt.

    Zweiter Auftritt

    Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.

    Tempelherr.
    Ich wich' ihm lieber aus. Wär' nicht mein Mann!
    Ein dicker, roter, freundlicher Prälat!
    Und welcher Prunk!

    Klosterbruder. Ihr solltet ihn erst sehn
    Nach Hofe sich erheben. Itzo kömmt
    Er nur von einem Kranken.

    Tempelherr. Wie sich da
    Nicht Saladin wird schämen müssen!

    Patriarch(indem er näherkommt, winkt dem Bruder). Hier!
    Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will
    Er?

    Klosterbruder. Weiß nicht.

    Patriarch(auf ihn zugehend, indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten).
    Nun, Herr Ritter! Sehr erfreut,
    Den braven jungen Mann zu sehn! Ei, noch
    So gar jung! Nun, mit Gottes Hilfe, daraus
    Kann etwas werden.

    Tempelherr. Mehr, ehrwürd'ger Herr,
    Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch,
    Was weniger.

    Patriarch. Ich wünsche wenigstens,
    Daß so ein frommer Ritter lange noch
    Der lieben Christenheit, der Sache Gottes
    Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge!
    Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein
    Die junge Tapferkeit dem reifen Rate
    Des Alters folgen will! Womit wär' sonst
    Dem Herrn zu dienen?

    Tempelherr. Mit dem nämlichen,
    Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.

    Patriarch.
    Recht gern! Nur ist der Rat auch anzunehmen.

    Tempelherr.
    Doch blindlings nicht?

    Patriarch. Wer sagt denn das? Ei freilich
    Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,
    Zu brauchen unterlassen, wo sie hin-
    Gehört. Gehört sie aber überall
    Denn hin? O nein! Zum Beispiel: wenn uns Gott
    Durch einen seiner Engel, ist zu sagen,
    Durch einen Diener seines Worts, ein Mittel
    Bekannt zu machen würdiget, das Wohl
    Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche,
    Auf irgendeine ganz besondre Weise
    Zu fördern, zu befestigen: wer darf
    Sich da noch unterstehn, die Willkür des,
    Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft
    Zu untersuchen? und das ewige
    Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach
    Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre
    Zu prüfen? Doch hiervon genug. Was ist
    Es denn, worüber unsern Rat für itzt
    Der Herr verlangt?

    Tempelherr. Gesetzt, ehrwürd'ger Vater,
    Ein Jude hätt' ein einzig Kind, es sei
    Ein Mädchen, das er mit der größten Sorgfalt
    Zu allem Guten auferzogen, das
    Er liebe mehr als seine Seele, das
    Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.
    Und nun würd' unsereinem hinterbracht,
    Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;
    Er hab' es in der Kindheit aufgelesen,
    Gekauft, gestohlen, was Ihr wollt; man wisse,
    Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei
    Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin
    Erzogen; lass' es nur als Jüdin und
    Als seine Tochter so verharren: sagt,
    Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wohl
    Zu tun?

    Patriarch. Mich schaudert! Doch zu allererst
    Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall
    Ein Faktum oder eine Hypothes'.
    Das ist zu sagen: ob der Herr sich das
    Nur bloß so dichtet, oder ob's geschehn,
    Und fortfährt zu geschehn.

    Tempelherr. Ich, glaubte, das
    Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung
    Bloß zu vernehmen.

    Patriarch. Eins? Da seh' der Herr
    Wie sich die stolze menschliche Vernunft
    Im Geistlichen doch irren kann. Mitnichten!
    Denn ist der vorgetragne Fall nur so
    Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich
    Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.
    Ich will den Herrn damit auf das Theater
    Verwiesen haben, wo dergleichen pro
    Et contra sich mit vielem Beifall könnte
    Behandeln lassen. Hat der Herr mich aber
    Nicht bloß mit einer theatral'schen Schnurre
    Zum besten; ist der Fall ein Faktum; hätt'
    Er sich wohl gar in unsrer Diözes',
    In unsrer lieben Stadt Jerusalem
    Ereignet: ja alsdann

    Tempelherr. Und was alsdann?

    Patriarch.
    Dann wäre an dem Juden fördersamst
    Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches
    Und kaiserliches Recht so einem Frevel,
    So einer Lastertat bestimmen.

    Tempelherr. So?

    Patriarch.
    Und zwar bestimmen obbesagte Rechte
    Dem Juden, welcher einen Christen zur
    Apostasie verführt, den Scheiterhaufen,
    Den Holzstoß

    Tempelherr. So?

    Patriarch. Und wieviel mehr dem Juden,
    Der mit Gewalt ein armes Christenkind
    Dem Bunde seiner Tauf' entreißt! Denn ist
    Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt?
    Zu sagen: ausgenommen, was die Kirch'
    An Kindern tut.

    Tempelherr. Wenn aber nun das Kind,
    Erbarmte seiner sich der Jude nicht,
    Vielleicht im Elend umgekommen wäre?

    Patriarch.
    Tut nichts! der Jude wird verbrannt! Denn besser,
    Es wäre hier im Elend umgekommen,
    Als daß zu seinem ewigen Verderben
    Es so gerettet ward. Zudem, was hat
    Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
    Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten.

    Tempelherr.
    Auch trotz ihm, sollt' ich meinen, selig machen.

    Patriarch.
    Tut nichts! der Jude wird verbrannt.

    Tempelherr. Das geht
    Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe
    Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als
    Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,
    Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger
    Gelehrt, als der Vernunft genügt.

    Patriarch. Tut nichts!
    Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär' allein
    Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt
    Zu werden! Was? ein Kind ohn' allen Glauben
    Erwachsen lassen? Wie? die große Pflicht,
    Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?
    Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter,
    Euch selbst ...

    Tempelherr. Ehrwürd'ger Herr, das übrige,
    Wenn Gott will, in der Beichte. (Will gehn.)

    Patriarch. Was? mir nun
    Nicht einmal Rede stehn? Den Bösewicht,
    Den Juden mir nicht nennen? mir ihn nicht
    Zur Stelle schaffen? O da weiß ich Rat!
    Ich geh sogleich zum Sultan. Saladin,
    Vermöge der Kapitulation,
    Die er beschworen, muß uns, muß uns schützen;
    Bei allen Rechten, allen Lehren schützen,
    Die wir zu unsrer Allerheiligsten
    Religion nur immer rechnen dürfen!
    Gottlob! wir haben das Original.
    Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir!
    Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie
    Gefährlich selber für den Staat es ist,
    Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande
    Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn
    Der Mensch nichts glauben darf. Hinweg! hinweg
    Mit solchem Frevel! ...

    Tempelherr. Schade, daß ich nicht
    Den trefflichen Sermon mit beßrer Muße
    Genießen kann! Ich bin zum Saladin
    Gerufen.

    Patriarch. Ja? Nun so Nun freilich Dann

    Tempelherr.
    Ich will den Sultan vorbereiten, wenn
    Es Eurer Hochehrwürden so gefällt.

    Patriarch.
    Oh, oh! Ich weiß, der Herr hat Gnade funden
    Vor Saladin! Ich bitte meiner nur
    Im Besten bei ihm eingedenk zu sein.
    Mich treibt der Eifer Gottes lediglich.
    Was ich zuviel tu, tu ich ihm. Das wolle
    Doch ja der Herr erwägen! Und nicht wahr,
    Herr Ritter? das vorhin Erwähnte von
    Dem Juden, war nur ein Problema? ist
    Zu sagen

    Tempelherr. Ein Problema. (Geht ab.)

    Patriarch. (Dem ich tiefer
    Doch auf den Grund zu kommen suchen muß.
    Das wär' so wiederum ein Auftrag für
    Den Bruder Bonafides.) Hier, mein Sohn!

    (Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.)

    Dritter Auftritt

    (Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen, und auf dem Boden nebeneinandergestellt werden.)

    Saladin und bald darauf Sittah.

    Saladin(der dazukömmt).
    Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. Ist
    Des Dings noch viel zurück?

    Ein Sklave. Wohl noch die Hälfte.

    Saladin.
    So tragt das übrige zu Sittah. Und
    Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich
    Al-Hafi zu sich nehmen. Oder ob
    Ich's nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier
    Fällt mir es doch nur durch die Finger. Zwar
    Man wird wohl endlich hart; und nun gewiß
    Soll's Künste kosten, mir viel abzuzwacken.
    Bis wenigstens die Gelder aus Ägypten
    Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn,
    Wie's fertig wird! Die Spenden bei dem Grabe,
    Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger
    Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen!
    Wenn nur

    Sittah. Was soll nun das? Was soll das Geld
    Bei mir?

    Saladin. Mach dich davon bezahlt; und leg
    Auf Vorrat, wenn was übrigbleibt.

    Sittah. Ist Nathan
    Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

    Saladin. Er sucht
    Ihn aller Orten.

    Sittah. Sieh doch, was ich hier,
    Indem mir so mein alt Geschmeide durch
    Die Hände geht, gefunden.

    (Ihm ein klein Gemälde zeigend.)

    Saladin. Ha! mein Bruder!
    Das ist er, ist er! War er! war er! ah!
    Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich
    So früh verlor! Was hätt' ich erst mit dir,
    An deiner Seit' erst unternommen! Sittah,
    Laß mir das Bild. Auch kenn ich's schon: er gab
    Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla,
    Die eines Morgens ihn so ganz und gar
    Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war
    Der letzte, den er ausritt. Ah, ich ließ
    Ihn reiten, und allein! Ah, Lilla starb
    Vor Gram, und hat mir's nie vergeben, daß
    Ich so allein ihn reiten lassen. Er
    Blieb weg!

    Sittah. Der arme Bruder!

    Saladin. Laß nur gut
    Sein! Einmal bleiben wir doch alle weg!
    Zudem, wer weiß? Der Tod ist's nicht allein,
    Der einem Jüngling seiner Art das Ziel
    Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft
    Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. Nun,
    Sei wie ihm sei! Ich muß das Bild doch mit
    Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß
    Doch sehn, wieviel mich meine Phantasie
    Getäuscht.

    Sittah. Nur darum bring ich's. Aber gib
    Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das
    Versteht ein weiblich Aug' am besten.

    Saladin(zu einem Türsteher, der hereintritt).
    Wer
    Ist da? der Tempelherr? Er komm'!

    Sittah. Euch nicht
    Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht
    Zu irren
    (Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und läßt den Schleier fallen.)

    Saladin. Gut so! gut! (Und nun sein Ton!
    Wie der wohl sein wird! Assads Ton
    Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)

    Vierter Auftritt

    Der Tempelherr und Saladin.

    Tempelherr.
    Ich, dein Gefangner, Sultan ...

    Saladin. Mein Gefangner?
    Wem ich das Leben schenke, werd ich dem
    Nicht auch die Freiheit schenken?

    Tempelherr. Was dir ziemt
    Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht
    Vorauszusetzen. Aber, Sultan, Dank,
    Besondern Dank dir für mein Leben zu
    Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem
    Charakter nicht. Es steht in allen Fällen
    Zu deinen Diensten wieder.

    Saladin. Brauch es nur
    Nicht wider mich! Zwar ein paar Hände mehr,
    Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein
    Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt
    Mir schwer. Ich habe mich mit dir in nichts
    Betrogen, braver junger Mann! Du bist
    Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte
    Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit
    Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?
    In welchem Ginnistan, von welcher guten
    Div diese Blume fort und fort so frisch
    Erhalten worden? Sich! ich könnte dich
    Erinnern wollen, was wir dort und dort
    Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit
    Dir zanken, daß du ein Geheimnis doch
    Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir
    Doch unterschlagen: Ja das könnt' ich; wenn
    Ich dich nur säh', und nicht auch mich. Nun, mag's!
    Von dieser süßen Träumerei ist immer
    Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst
    Ein Assad wieder blühen soll. Du bist
    Es doch zufrieden, Ritter?

    Tempelherr. Alles, was
    Von dir mir kömmt, sei was es will das lag
    Als Wunsch in meiner Seele.

    Saladin. Laß uns das
    Sogleich versuchen. Bliebst du wohl bei mir?
    Um mir? Als Christ, als Muselmann: gleichviel!
    Im weißen Mantel, oder Jamerlonk;
    Im Tulban, oder deinem Filze: wie
    Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt,
    Daß allen Bäumen eine Rinde wachse.

    Tempelherr.
    Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:
    Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.

    Saladin.
    Nun dann; wenn du nicht schlechter von mir denkst:
    So wären wir ja halb schon richtig?

    Tempelherr Ganz!

    Saladin(ihm die Hand bietend).
    Ein Wort?

    Tempelherr(einschlagend).
    Ein Mann! Hiermit empfange mehr
    Als du mir nehmen konntest. Ganz der Deine!

    Saladin.
    Zuviel Gewinn für einen Tag! zuviel!
    Kam er nicht mit?

    Tempelherr. Wer?

    Saladin. Nathan.

    Tempelherr(frostig). Nein. Ich kam
    Allein.

    Saladin. Welch eine Tat von dir! Und welch
    Ein weises Glück, daß eine solche Tat
    Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.

    Tempelherr.
    Ja, ja!

    Saladin. So kalt? Nein, junger Mann! wenn Gott
    Was Gutes durch uns tut, muß man so kalt
    Nicht sein! selbst aus Bescheidenheit so kalt
    Nicht scheinen wollen!

    Tempelherr. Daß doch in der Welt
    Ein jedes Ding so manche Seiten hat!
    Von denen oft sich gar nicht denken läßt,
    Wie sie zusammenpassen!

    Saladin. Halte dich
    Nur immer an die best', und preise Gott!
    Der weiß, wie sie zusammenpassen. Aber,
    Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann:
    So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut
    Mich mit dir halten müssen? Leider bin
    Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die
    Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.

    Tempelherr.
    Das schmerzt! Denn Argwohn ist so wenig sonst
    Mein Fehler

    Saladin. Nun, so sage doch, mit wem
    Du's hast? Es schien ja gar, mit Nathan. Wie?
    Auf Nathan Argwohn? du? Erklär dich! sprich!
    Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.

    Tempelherr.
    Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn
    Allein mit mir

    Saladin. Und über was?

    Tempelherr. Daß mir
    Geträumt, ein Jude könn' auch wohl ein Jude
    Zu sein verlernen; daß mir wachend so
    Geträumt.

    Saladin. Heraus mit diesem wachen Traume!

    Tempelherr.
    Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was
    Ich für sie tat, das tat ich, weil ich's tat.
    Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn
    Nicht säete, verschmäht' ich Tag für Tag,
    Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater
    War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf;
    Er dankt; er wünscht, daß seine Tochter mir
    Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht
    Von heitern Fernen. Nun, ich lasse mich
    Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich
    Ein Mädchen ... Ah, ich muß mich schämen, Sultan!

    Saladin.
    Dich schämen? daß ein Judenmädchen auf
    Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?

    Tempelherr.
    Daß diesem Eindruck, auf das liebliche
    Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz
    So wenig Widerstand entgegensetzte!
    Ich Tropf! ich sprang zum zweitenmal ins Feuer.
    Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht.

    Saladin.
    Verschmäht?

    Tempelherr. Der weise Vater schlägt nun wohl
    Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater
    Muß aber doch sich erst erkunden, erst
    Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das
    Nicht auch? Erkundete, besann ich denn
    Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie?
    Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes,
    So weise, so bedächtig sein!

    Saladin. Nun, nun!
    So sieh doch einem Alten etwas nach!
    Wie lange können seine Weigerungen
    Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen,
    Daß du erst Jude werden sollst?

    Tempelherr. Wer weiß!

    Saladin.
    Wer weiß? der diesen Nathan besser kennt.

    Tempelherr.
    Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen,
    Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum
    Doch seine Macht nicht über uns. Es sind
    Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.

    Saladin.
    Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan ...

    Tempelherr.
    Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
    Für den erträglichern zu halten ...

    Saladin. Mag
    Wohl sein! Doch Nathan...,

    Tempelherr. Dem allein
    Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis
    Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem
    Allein ...

    Saladin. Gut! Aber Nathan! Nathans Los
    Ist diese Schwachheit nicht.

    Tempelherr. So dacht' ich auch! ...
    Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen
    So ein gemeiner Jude wäre, daß
    Er Christenkinder zu bekommen suche,
    Um sie als Juden aufzuziehn: wie dann?

    Saladin.
    Wer sagt ihm so was nach?

    Tempelherr. Das Mädchen selbst,
    Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung
    Er gern mir zu bezahlen schiene, was
    Ich nicht umsonst für sie getan soll haben:
    Dies Mädchen selbst ist seine Tochter nicht;
    Ist ein verzettelt Christenkind.

    Saladin. Das er
    Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

    Tempelherr(heftig).
    Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.
    Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!
    Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf
    Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon
    Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!

    Saladin(ernst).
    Sei ruhig, Christ!

    Tempelherr. Was? ruhig Christ? Wenn Jud'
    Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann
    Bestehen: soll allein der Christ den Christen
    Nicht machen dürfen?

    Saladin(noch ernster). Ruhig, Christ!

    Tempelherr(gelassen). Ich fühle
    Des Vorwurfs ganze Last, die Saladin
    In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,
    Wie Assad, Assad sich an meiner Stelle
    Hierbei genommen hätte!

    Saladin. Nicht viel besser!
    Vermutlich ganz so brausend! Doch, wer hat
    Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er
    Mit einem Worte zu bestechen? Freilich
    Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:
    Kann ich mich selber kaum in Nathan finden.
    Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
    Muß keiner mit dem andern hadern. Laß
    Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht
    Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
    Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm
    Zu rächen, mir so nahe legen würde!
    Sei keinem Juden, keinem Muselmanne
    Zum Trotz ein Christ!

    Tempelherr. Bald wär's damit zu spät!
    Doch dank der Blutbegier des Patriarchen,
    Des Werkzeug mir zu werden graute!

    Saladin. Wie?
    Du kamst zum Patriarchen eher, als
    Zu mir?

    Tempelherr. Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel
    Der Unentschlossenheit! Verzeih! Du wirst
    Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun
    Nichts mehr in mir erkennen wollen.

    Saladin. Wär'
    Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß,
    Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.
    Pfleg diese ferner nur, und jene sollen
    Bei mir dir wenig schaden. Aber geh!
    Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;
    Und bring ihn her. Ich muß euch doch zusammen
    Verständigen. Wär' um das Mädchen dir
    Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!
    Auch soll es Nathan schon empfinden, daß
    Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind
    Erziehen dürfen! Geh!

    (Der Tempelherr geht ab, und Sittah verläßt den Sofa.)

    Fünfter Auftritt

    Saladin und Sittah.

    Sittah. Ganz sonderbar!

    Saladin.
    Gelt, Sittah? Muß mein Assad nicht ein braver,
    Ein schöner junger Mann gewesen sein?

    Sittah.
    Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde
    Der Tempelherr vielmehr gesessen! Aber
    Wie hast du doch vergessen können dich
    Nach seinen Eltern zu erkundigen?

    Saladin.
    Und insbesondre wohl nach seiner Mutter?
    Ob seine Mutter hierzulande nie
    Gewesen sei? Nicht wahr?

    Sittah. Das machst du gut!

    Saladin.
    Oh, möglicher wär' nichts! Denn Assad war
    Bei hübschen Christendamen so willkommen,
    Auf hübsche Christendamen so erpicht,
    Daß einmal gar die Rede ging Nun, nun;
    Man spricht nicht gern davon. Genug; ich hab
    Ihn wieder! will mit allen seinen Fehlern,
    Mit allen Launen seines weichen Herzens
    Ihn wieder haben! Oh! das Mädchen muß
    Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?

    Sittah. Ihm geben?
    Ihm lassen!

    Saladin. Allerdings! Was hätte Nathan,
    Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht
    Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt,
    Tritt einzig in die Rechte des, der ihr
    Es gab.

    Sittah. Wie also, Saladin? wenn du
    Nur gleich das Mädchen zu dir nähmst? Sie nur
    Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich
    Entzögest?

    Saladin. Täte das wohl not?

    Sittah. Not nun
    Wohl eben nicht! Die liebe Neubegier
    Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben.
    Denn von gewissen Männern mag ich gar
    Zu gern, so bald wie möglich, wissen, was
    Sie für ein Mädchen lieben können.

    Saladin. Nun,
    So schick und laß sie holen.

    Sittah. Darf ich, Bruder?

    Saladin.
    Nur schone Nathans! Nathan muß durchaus
    Nicht glauben, daß man mit Gewalt ihn von
    Ihr trennen wolle.

    Sittah. Sorge nicht.

    Saladin. Und ich,
    Ich muß schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.

    Sechster Auftritt

    (Szene: die offne Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu; wie im ersten Auftritte des ersten Aufzuges. Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren ebendaselbst gedacht wird.)

    Nathan und Daja.

    Daja. Oh, alles herrlich! alles auserlesen!
    Oh, alles wie nur Ihr es geben könnt.
    Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken
    Gemacht? Was kostet er? Das nenn ich noch
    Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt
    Es besser.

    Nathan. Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

    Daja.
    Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht,
    Als Ihr ihn kauftet. Aber wahrlich, Nathan,
    Der und kein andrer muß es sein! Er ist
    Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund;
    Ein Bild der Unschuld: und die goldnen Ströme,
    Die allerorten diesen Grund durchschlängeln;
    Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!

    Nathan.
    Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid
    Sinnbilderst du mir so gelehrt? Bist du
    Denn Braut?

    Daja. Ich?

    Nathan. Nun wer denn?

    Daja. Ich? lieber Gott!

    Nathan.
    Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn?
    Das alles ist ja dein, und keiner andern.

    Daja.
    Ist mein? Soll mein sein? Ist für Recha nicht?

    Nathan.
    Was ich für Recha mitgebracht, das liegt
    In einem andern Ballen. Mach! nimm weg!
    Trag deine Siebensachen fort!

    Daja. Versucher!
    Nein, wären es die Kostbarkeiten auch
    Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir
    Vorher nicht schwört, von dieser einzigen
    Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel
    Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.

    Nathan.
    Gebrauch? von was? Gelegenheit? wozu?

    Daja.
    O stellt Euch nicht so fremd! Mit kurzen Worten!
    Der Tempelherr liebt Recha: gebt sie ihm,
    So hat doch einmal Eure Sünde, die
    Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende.
    So kömmt das Mädchen wieder unter Christen;
    Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was
    Sie ward: und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten,
    Was wir Euch nicht genug verdanken können,
    Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt
    Gesammelt.

    Nathan. Doch die alte Leier wieder?
    Mit einer neuen Saite nur bezogen,
    Die, fürcht ich, weder stimmt noch hält.

    Daja. Wieso?

    Nathan.
    Mir wär' der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt'
    Ich Recha mehr als einem in der Welt.
    Allein ... Nun, habe nur Geduld.

    Daja. Geduld?
    Geduld ist Eure alte Leier nun
    Wohl nicht?

    Nathan. Nur wenig Tage noch Geduld! ...
    Sieh doch! Wer kömmt denn dort?
    Ein Klosterbruder?
    Geh, frag ihn was er will.

    Daja. Was wird er wollen?

    (Sie geht auf ihn zu und fragt.)

    Nathan.
    So gib! und eh' er bittet. (Wüßt' ich nur
    Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne
    Die Ursach' meiner Neugier ihm zu sagen!
    Denn wenn ich sie ihm sag', und der Verdacht
    Ist ohne Grund: so hab ich ganz umsonst
    Den Vater auf das Spiel gesetzt.) Was ist's?

    Daja.
    Er will Euch sprechen.

    Nathan. Nun, so laß ihn kommen;
    Und geh indes.

    Siebenter Auftritt

    Nathan und der Klosterbruder.

    Nathan. (Ich bliebe Rechas Vater
    Doch gar zu gern! Zwar kann ich's denn nicht bleiben,
    Auch wenn ich aufhör, es zu heißen? Ihr,
    Ihr selbst werd ich's doch immer auch noch heißen,
    Wenn sie erkennt, wie gern ich's wäre.) Geh!
    Was ist zu Euern Diensten, frommer Bruder?

    Klosterbruder.
    Nicht eben viel. Ich freue mich, Herr Nathan,
    Euch annoch wohl zu sehn.

    Nathan. So kennt Ihr mich?

    Klosterbruder.
    Je nu; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem
    Ja Euern Namen in die Hand gedrückt.
    Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.

    Nathan(nach seinem Beutel langend).
    Kommt, Bruder, kommt; ich frisch ihn auf.

    Klosterbruder. Habt Dank!
    Ich würd' es Ärmern stehlen; nehme nichts.
    Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig
    Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn
    Ich kann mich rühmen, auch in Eure Hand
    Etwas gelegt zu haben, was nicht zu
    Verachten war.

    Nathan. Verzeiht! Ich schäme mich
    Sagt, was? und nehmt zur Buße siebenfach
    Den Wert desselben von mir an.

    Klosterbruder. Hört doch
    Vor allen Dingen, wie ich selber nur
    Erst heut an dies mein Euch vertrautes Pfand
    Erinnert worden.

    Nathan. Mir vertrautes Pfand?

    Klosterbruder.
    Vor kurzem saß ich noch als Eremit
    Auf Quarantana, unweit Jericho.
    Da kam arabisch Raubgesindel, brach
    Mein Gotteshäuschen ab und meine Zelle
    Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam
    Ich noch und floh hierher zum Patriarchen,
    Um mir ein ander Plätzchen auszubitten,
    Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit
    Bis an mein selig Ende dienen könne.

    Nathan.
    Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht
    Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!

    Klosterbruder.
    Sogleich, Herr Nathan. Nun, der Patriarch
    Versprach mir eine Siedelei auf Tabor,
    Sobald als eine leer; und hieß inzwischen
    Im Kloster mich als Laienbruder bleiben.
    Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange
    Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn
    Der Patriarch braucht mich zu allerlei,
    Wovor ich großen Ekel habe. Zum
    Exempel:

    Nathan. Macht, ich bitt Euch!

    Klosterbruder. Nun, es kömmt!
    Da hat ihm jemand heut ins Ohr gesetzt:
    Es lebe hier herum ein Jude, der
    Ein Christenkind als seine Tochter sich
    Erzöge.

    Nathan. Wie? (Betroffen.)

    Klosterbruder. Hört mich nur aus! Indem
    Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks,
    Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und
    Gewaltig sich ob eines solchen Frevels
    Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider
    Den heil'gen Geist bedünkt; das ist, die Sünde,
    Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt,
    Nur daß wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen,
    Worin sie eigentlich besteht: da wacht
    Mit einmal mein Gewissen auf; und mir
    Fällt bei, ich könnte selber wohl vor Zeiten
    Zu dieser unverzeihlich großen Sünde
    Gelegenheit gegeben haben. Sagt:
    Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren
    Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen?

    Nathan.
    Wie das? Nun freilich allerdings

    Klosterbruder. Ei, seht
    Mich doch recht an! Der Reitknecht, der bin ich.

    Nathan.
    Seid ihr?

    Klosterbruder. Der Herr, von welchem ich's Euch brachte,
    War ist mir recht ein Herr von Filnek. Wolf
    Von Filnek!

    Nathan. Richtig!

    Klosterbruder. Weil die Mutter kurz
    Vorher gestorben war; und sich der Vater
    Nach mein ich Gazza plötzlich werfen mußte,
    Wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte:
    So sandt' er's Euch. Und traf ich Euch damit
    Nicht in Darun?

    Nathan. Ganz recht!

    Klosterbruder. Es wär' kein Wunder,
    Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe
    Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem
    Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient.
    Er blieb bald drauf bei Askalon: und war
    Wohl sonst ein lieber Herr.

    Nathan. Ja wohl! Ja wohl!
    Dem ich so viel, so viel zu danken habe!
    Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!

    Klosterbruder.
    O schön! So werd't Ihr seines Töchterchens
    Euch um so lieber angenommen haben.

    Nathan.
    Das könnt Ihr denken.

    Klosterbruder. Nun, wo ist es denn?
    Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben?
    Laßt's lieber nicht gestorben sein! Wenn sonst
    Nur niemand um die Sache weiß: so hat
    Es gute Wege.

    Nathan. Hat es?

    Klosterbruder. Traut mir, Nathan!
    Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,
    Das ich zu tun vermeine, gar zu nah
    Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber
    Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
    So ziemlich zuverlässig kennen, aber
    Bei weiten nicht das Gute. War ja wohl
    Natürlich; wenn das Christentöchterchen
    Recht gut von Euch erzogen werden sollte:
    Daß Ihr's als Euer eigen Töchterchen
    Erzögt. Das hättet Ihr mit aller Lieb'
    Und Treue nun getan, und müßtet so
    Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
    Ei freilich, klüger hättet Ihr getan;
    Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand
    Als Christin auferziehen lassen: aber
    So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds
    Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
    Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur,
    In solchen Jahren mehr, als Christentum.
    Zum Christentume hat's noch immer Zeit.
    Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm
    Vor Euern Augen aufgewachsen ist,
    So blieb's vor Gottes Augen, was es war.
    Und ist denn nicht das ganze Christentum
    Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft
    Geärgert, hat mir Tränen g'nug gekostet,
    Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,
    Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.

    Nathan.
    Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein,
    Wenn Haß und Gleisnerei sich gegen mich
    Erheben sollten, wegen einer Tat
    Ah, wegen einer Tat! Nur Ihr, Ihr sollt
    Sie wissen! Nehmt sie aber mit ins Grab!
    Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht,
    Sie jemand andern zu erzählen. Euch
    Allein erzähl ich sie. Der frommen Einfalt
    Allein erzähl ich sie. Weil die allein
    Versteht, was sich der gottergebne Mensch
    Für Taten abgewinnen kann.

    Klosterbruder. Ihr seid
    Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?

    Nathan.
    Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
    Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage
    Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
    Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt
    Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau
    Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
    Befunden, die in meines Bruders Hause,
    Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
    Verbrennen müssen.

    Klosterbruder. Allgerechter!

    Nathan. Als
    Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch'
    Und Staub vor Gott gelegen, und geweint.
    Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
    Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
    Der Christenheit den unversöhnlichsten
    Haß zugeschworen

    Klosterbruder. Ach! Ich glaub's Euch wohl!

    Nathan.
    Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
    Sie sprach mit sanfter Stimm': »und doch ist Gott!
    Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!
    Komm! übe, was du längst begriffen hast,
    Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
    Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
    Steh auf!« Ich stand! und rief zu Gott: ich will!
    Willst du nur, daß ich will! Indem stiegt Ihr
    Vom Pferd, und überreichtet mir das Kind,
    In Euern Mantel eingehüllt. Was Ihr
    Mir damals sagtet; was ich Euch: hab ich
    Vergessen. Soviel weiß ich nur; ich nahm
    Das Kind, trug's auf mein Lager, küßt' es, warf
    Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben
    Doch nun schon Eines wieder!

    Klosterbruder. Nathan! Nathan!
    Ihr seid ein Christ! Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
    Ein beßrer Christ war nie!

    Nathan. Wohl uns! Denn was
    Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir
    Zum Juden! Aber laßt uns länger nicht
    Einander nur erweichen. Hier braucht's Tat!
    Und ob mich siebenfache Liebe schon
    Bald an dies einz'ge fremde Mädchen band,
    Ob der Gedanke mich schon tötet, daß
    Ich meine sieben Söhn' in ihr aufs neue
    Verlieren soll: wenn sie von meinen Händen
    Die Vorsicht wieder fodert, ich gehorche!

    Klosterbruder.
    Nun vollends! Eben das bedacht' ich mich
    So viel, Euch anzuraten! Und so hat's
    Euch Euer guter Geist schon angeraten!

    Nathan.
    Nur muß der erste beste mir sie nicht
    Entreißen wollen!

    Klosterbruder. Nein, gewiß nicht!

    Nathan. Wer
    Auf sie nicht größre Rechte hat, als ich,
    Muß frühere zum mind'sten haben

    Klosterbruder. Freilich!

    Nathan.
    Die ihm Natur und Blut erteilen.

    Klosterbruder. So
    Mein ich es auch!

    Nathan. Drum nennt mir nur geschwind
    Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm,
    Als Vetter oder sonst als Sipp' verwandt.-
    Ihm will ich sie nicht vorenthalten Sie,
    Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde
    Zu sein erschaffen und erzogen ward.
    Ich hoff, Ihr wißt von diesem Euern Herrn
    Und dem Geschlechte dessen, mehr als ich.

    Klosterbruder.
    Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich! Denn
    Ihr habt ja schon gehört, daß ich nur gar
    Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.

    Nathan. Wißt
    Ihr denn nicht wenigstens, was für Geschlechts
    Die Mutter war? War sie nicht eine Stauffin?

    Klosterbruder.
    Wohl möglich! Ja, mich dünkt.

    Nathan. Hieß nicht ihr Bruder
    Conrad von Stauffen? und war Tempelherr?

    Klosterbruder.
    Wenn mich's nicht trügt. Doch halt! Da fällt mir ein,
    Daß ich vom sel'gen Herrn ein Büchelchen
    Noch hab. Ich zog's ihm aus dem Busen, als
    Wir ihn bei Askalon verscharrten.

    Nathan. Nun?

    Klosterbruder.
    Es sind Gebete drin. Wir nennen's ein
    Brevier. Das, dacht' ich, kann ein Christenmensch
    Ja wohl noch brauchen. Ich nun freilich nicht
    Ich kann nicht lesen

    Nathan. Tut nichts! Nur zur Sache.

    Klosterbruder.
    In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten,
    Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn
    Selbsteigner Hand, die Angehörigen
    Von ihm und ihr geschrieben.

    Nathan. O erwünscht!
    Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind!
    Ich bin bereit mit Gold es aufzuwiegen;
    Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!

    Klosterbruder. Recht gern!
    Es ist Arabisch aber, was der Herr
    Hineingeschrieben. (Ab.)

    Nathan. Einerlei! Nur her!
    Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten,
    Und einen solchen Eidam mir damit
    Erkaufen könnte! Schwerlich wohl! Nun, fall'
    Es aus, wie's will! Wer mag es aber denn
    Gewesen sein, der bei dem Patriarchen
    So etwas angebracht? Das muß ich doch
    Zu fragen nicht vergessen. Wenn es gar
    Von Daja käme?

    Achter Auftritt

    Daja und Nathan.

    Daja(eilig und verlegen).
    Denkt doch, Nathan!

    Nathan. Nun?

    Daja.
    Das arme Kind erschrak wohl recht darüber!
    Da schickt ...

    Nathan. Der Patriarch?

    Daja. Des Sultans Schwester,
    Prinzessin Sittah ...

    Nathan. Nicht der Patriarch?

    Daja.
    Nein, Sittah! Hört Ihr nicht! Prinzessin Sittah
    Schickt her, und läßt sie zu sich holen?

    Nathan. Wen?
    Läßt Recha holen? Sittah läßt sie holen?
    Nun; wenn sie Sittah holen läßt, und nicht
    Der Patriarch ...

    Daja. Wie kommt Ihr denn auf den?

    Nathan.
    So hast du kürzlich nichts von ihm gehört?
    Gewiß nicht? Auch ihm nichts gesteckt?

    Daja. Ich? ihm?

    Nathan.
    Wo sind die Boten?

    Daja. Vorn.

    Nathan. Ich will sie doch
    Aus Vorsicht selber sprechen. Komm! Wenn nur
    Vom Patriarchen nichts dahintersteckt. (Ab.)

    Daja.
    Und ich ich fürchte ganz was anders noch.
    Was gilt's? die einzige vermeinte Tochter
    So eines reichen Juden wär' auch wohl
    Für einen Muselmann nicht übel? Hui,
    Der Tempelherr ist drum. Ist drum: wenn ich
    Den zweiten Schritt nicht auch noch wage; nicht
    Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist!
    Getrost! Laß mich den ersten Augenblick,
    Den ich allein sie habe, dazu brauchen!
    Und der wird sein vielleicht nun eben, wenn
    Ich sie begleite. So ein erster Wink
    Kann unterwegens wenigstens nicht schaden.
    Ja, ja! Nur zu! Itzt oder nie! Nur zu! (Ihm nach.)

    Fünfter Aufzug

    Erster Auftritt

    (Szene: das Zimmer in Saladins Palaste, in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu sehen.)

    Saladin und bald darauf verschiedne Mamelucken.

    Saladin(im Hereintreten).
    Da steht das Geld nun noch! Und niemand weiß
    Den Derwisch aufzufinden, der vermutlich
    Ans Schachbrett irgendwo geraten ist,
    Das ihn wohl seiner selbst vergessen macht;
    Warum nicht meiner? Nun, Geduld! Was gibt's?

    Ein Mameluck.
    Erwünschte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan! ...
    Die Karawane von Kahira kommt,
    Ist glücklich da! mit siebenjährigem
    Tribut des reichen Nils.

    Saladin. Brav, Ibrahim!
    Du bist mir wahrlich ein willkommner Bote!
    Ha! endlich einmal! endlich! Habe Dank
    Der guten Zeitung.

    Der Mameluck(wartend). (Nun? nur her damit!)

    Saladin.
    Was wartst du? Geh nur wieder.

    Der Mameluck. Dem Willkommnen
    Sonst nichts?

    Saladin. Was denn noch sonst?

    Der Mameluck. Dem guten Boten
    Kein Botenbrot? So wär' ich ja der erste,
    Den Saladin mit Worten abzulehnen
    Doch endlich lernte? Auch ein Ruhm! der erste,
    Mit dem er knickerte.

    Saladin. So nimm dir nur
    Dort einen Beutel.

    Der Mameluck. Nein, nun nicht! Du kannst
    Mir sie nun alle schenken wollen.

    Saladin. Trotz!
    Komm her! Da hast du zwei. Im Ernst? er geht?
    Tut mir's an Edelmut zuvor? Denn sicher
    Muß ihm es saurer werden, auszuschlagen,
    Als mir zu geben. Ibrahim! Was kommt
    Mir denn auch ein, so kurz vor meinem Abtritt
    Auf einmal ganz ein andrer sein zu wollen?
    Will Saladin als Saladin nicht sterben?
    So mußt' er auch als Saladin nicht leben.

    Ein zweiter Mameluck.
    Nun, Sultan! ...

    Saladin. Wenn du mir zu melden kommst ...

    Zweiter Mameluck.
    Daß aus Ägypten der Transport nun da!

    Saladin.
    Ich weiß schon.

    Zweiter Mameluck. Kam ich doch zu spät!

    Saladin. Warum
    Zu spät? Da nimm für deinen guten Willen
    Der Beutel einen oder zwei.

    Zweiter Mameluck. Macht drei!

    Saladin.
    Ja, wenn du rechnen kannst! So nimm sie nur.

    Zweiter Mameluck.
    Es wird wohl noch ein Dritter kommen, wenn
    Er anders kommen kann.

    Saladin. Wie das?

    Zweiter Mameluck. Je nu;
    Er hat auch wohl den Hals gebrochen! Denn
    Sobald wir drei der Ankunft des Transports
    Versichert waren, sprengte jeder frisch
    Davon. Der Vorderste, der stürzt'; und so
    Komm ich nun vor, und bleib auch vor bis in
    Die Stadt; wo aber Ibrahim, der Lecker
    Die Gassen besser kennt.

    Saladin. Oh, der gestürzte!
    Freund, der gestürzte! Reit ihm doch entgegen.

    Zweiter Mameluck.
    Das werd ich ja wohl tun! Und wenn er lebt:
    So ist die Hälfte dieser Beutel sein. (Geht ab.)

    Saladin.
    Sieh, welch ein guter, edler Kerl auch das!
    Wer kann sich solcher Mamelucken rühmen?
    Und wär' mir denn zu denken nicht erlaubt,
    Daß sie mein Beispiel bilden helfen? Fort
    Mit dem Gedanken, sie zu guter Letzt
    Noch an ein anders zu gewöhnen! ...

    Ein dritter Mameluck. Sultan....

    Saladin.
    Bist du's, der stürzte?

    Dritter Mameluck. Nein. Ich melde nur,
    Daß Emir Mansor, der die Karawane
    Geführt, vom Pferde steigt ...

    Saladin. Bring ihn! geschwind!
    Da ist er ja!

    Zweiter Auftritt

    Emir Mansor und Saladin.

    Saladin. Willkommen, Emir! Nun,
    Wie ist's gegangen? Mansor, Mansor, hast
    Uns lange warten lassen!

    Mansor. Dieser Brief
    Berichtet, was dein Abulkassem erst
    Für Unruh' in Thebais dämpfen müssen:
    Eh, wir es wagen durften abzugehen.
    Den Zug darauf hab ich beschleuniget
    Soviel, wie möglich war.

    Saladin. Ich glaube dir!
    Und nimm nur, guter Mansor, nimm sogleich ...
    Du tust es aber doch auch gern? ... nimm frische
    Bedeckung nur sogleich. Du mußt sogleich
    Noch weiter; mußt der Gelder größern Teil
    Auf Libanon zum Vater bringen.

    Mansor. Gern!
    Sehr gern!

    Saladin. Und nimm dir die Bedeckung ja
    Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon
    Nicht alles mehr so sicher. Hast du nicht
    Gehört? Die Tempelherrn sind wieder rege.
    Sei wohl auf deiner Hut! Komm nur! Wo hält
    Der Zug? Ich will ihn sehn; und alles selbst
    Betreiben. Ihr! ich bin sodann bei Sittah.

    Dritter Auftritt

    Szene: die Palmen vor Nathans Hause, wo der Tempelherr auf- und niedergeht.

    Ins Haus nun will ich einmal nicht. – Er wird
    Sich endlich doch wohl sehen lassen! Man
    Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern!
    Will's noch erleben, daß er sich's verbittet,
    Vor seinem Hause mich so fleißig finden
    Zu lassen. Hm! ich bin doch aber auch
    Sehr ärgerlich. Was hat mich denn nun so
    Erbittert gegen ihn? Er sagte ja:
    Noch schlüg' er mir nichts ab. Und Saladin
    Hat's über sich genommen, ihn zu stimmen.
    Wie? sollte wirklich wohl in mir der Christ
    Noch tiefer nisten, als in ihm der Jude?
    Wer kennt sich recht? Wie könnt' ich ihm denn sonst
    Den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den
    Er sich's zu solcher Angelegenheit
    Gemacht, den Christen abzujagen? Freilich;
    Kein kleiner Raub, ein solch Geschöpf! Geschöpf?
    Und wessen? Doch des Sklaven nicht, der auf
    Des Lebens öden Strand den Block geflößt,
    Und sich davongemacht? Des Künstlers doch
    Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke
    Die göttliche Gestalt sich dachte, die
    Er dargestellt? Ach! Rechas wahrer Vater
    Bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte, bleibt
    In Ewigkeit der Jude. Wenn ich mir
    Sie lediglich als Christendirne denke,
    Sie sonder alles das mir denke, was
    Allein ihr so ein Jude geben konnte:
    Sprich, Herz, was wär' an ihr, das dir gefiel?
    Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär' es nichts
    Als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln;
    Wär', was sie lächeln macht, des Reizes unwert,
    In den es sich auf ihrem Munde kleidet:
    Nein; selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja
    Wohl schöner noch an Aberwitz, an Tand,
    An Höhnerei, an Schmeichler und an Buhler
    Verschwenden sehn! Hat's da mich auch bezaubert?
    Hat's da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben
    In seinem Sonnenscheine zu verflattern?
    Ich wüßte nicht. Und bin auf den doch launisch,
    Der diesen höhern Wert allein ihr gab?
    Wie das? warum? Wenn ich den Spott verdiente,
    Mit dem mich Saladin entließ! Schon schlimm
    Genug, daß Saladin es glauben konnte!
    Wie klein ich ihm da scheinen mußte! wie
    Verächtlich! Und das alles um ein Mädchen?
    Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk ein! Wenn vollends
    Mir Daja nur was vorgeplaudert hätte,
    Was schwerlich zu erweisen stünde? Sieh,
    Da tritt er endlich, im Gespräch vertieft,
    Aus seinem Hause! Ha! mit wem! Mit ihm?
    Mit meinem Klosterbruder? Ha! so weiß
    Er sicherlich schon alles! ist wohl gar
    Dem Patriarchen schon verraten! Ha!
    Was hab ich Querkopf nun gestiftet! Daß
    Ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft
    Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann!
    Geschwind entschließ dich, was nunmehr zu tun!
    Ich will hier seitwärts ihrer warten; ob
    Vielleicht der Klosterbruder ihn verläßt.

    Vierter Auftritt

    Nathan und der Klosterbruder.

    Nathan(im Näherkommen).
    Habt nochmals, guter Bruder, vielen Dank!

    Klosterbruder.
    Und Ihr desgleichen!

    Nathan. Ich? von Euch? wofür?
    Für meinen Eigensinn, Euch aufzudrängen,
    Was Ihr nicht braucht? Ja, wenn ihm Eurer nur
    Auch nachgegeben hätt'; Ihr mit Gewalt
    Nicht wolltet reicher sein, als ich.

    Klosterbruder. Das Buch
    Gehört ja ohnedem nicht mir; gehört
    Ja ohnedem der Tochter; ist ja so
    Der Tochter ganzes väterliches Erbe.
    Je nu, sie hat ja Euch. Gott gebe nur,
    Daß Ihr es nie bereuen dürft, so viel
    Für sie getan zu haben!

    Nathan. Kann ich das?
    Das kann ich nie. Seid unbesorgt!

    Klosterbruder. Nu, nu!
    Die Patriarchen und die Tempelherren ...

    Nathan.
    Vermögen mir des Bösen nie so viel
    Zu tun, daß irgend was mich reuen könnte:
    Geschweige, das! Und seid Ihr denn so ganz
    Versichert, daß ein Tempelherr es ist,
    Der Euern Patriarchen hetzt?

    Klosterbruder. Es kann
    Beinah kein andrer sein. Ein Tempelherr
    Sprach kurz vorher mit ihm; und was ich hörte,
    Das klang darnach.

    Nathan. Es ist doch aber nur
    Ein einziger itzt in Jerusalem.
    Und diesen kenn ich. Dieser ist mein Freund.
    Ein junger, edler, offner Mann!

    Klosterbruder. Ganz recht;
    Der nämliche! Doch was man ist, und was
    Man sein muß in der Welt, das paßt ja wohl
    Nicht immer.

    Nathan. Leider nicht. So tue, wer's
    Auch immer ist, sein Schlimmstes oder Bestes!
    Mit Euerm Buche, Bruder, trotz ich allen;
    Und gehe graden Wegs damit zum Sultan.

    Klosterbruder.
    Viel Glücks! Ich will Euch denn nur hier verlassen.

    Nathan.
    Und habt sie nicht einmal gesehn? Kommt ja
    Doch bald, doch fleißig wieder. Wenn nur heut
    Der Patriarch noch nichts erfährt! Doch was?
    Sagt ihm auch heute, was Ihr wollt.

    Klosterbruder. Ich nicht.
    Lebt wohl! (Geht ab.)

    Nathan. Vergeßt uns ja nicht, Bruder! Gott!
    Daß ich nicht hier gleich unter freiem Himmel
    Auf meine Kniee sinken kann! Wie sich
    Der Knoten, der so oft mir bange machte,
    Nun von sich selber löset! Gott! wie leicht
    Mir wird, daß ich nun weiter auf der Welt
    Nichts zu verbergen habe! daß ich vor
    Den Menschen nun so frei kann wandeln, als
    Vor dir, der du allein den Menschen nicht
    Nach seinen Taten brauchst zu richten, die
    So selten seine Taten sind, o Gott!

    Fünfter Auftritt

    Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn zukommt.

    Tempelherr.
    He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!

    Nathan. Wer ruft?
    Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, daß
    Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?

    Tempelherr.
    Wir sind einander fehlgegangen. Nehmt's
    Nicht übel.

    Nathan. Ich nicht; aber Saladin ...

    Tempelherr.
    Ihr wart nur eben fort ...

    Nathan. Und spracht ihn doch?
    Nun, so ist's gut.

    Tempelherr. Er will uns aber beide
    Zusammen sprechen.

    Nathan. Desto besser. Kommt
    Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm.

    Tempelherr.
    Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer
    Euch da verließ?

    Nathan. Ihr kennt ihn doch wohl nicht?

    Tempelherr.
    War's nicht die gute Haut, der Laienbruder,
    Des sich der Patriarch so gern zum Stöber
    Bedient?

    Nathan. Kann sein! Beim Patriarchen ist
    Er allerdings.

    Tempelherr. Der Pfiff ist gar nicht übel:
    Die Einfalt vor der Schurkerei voraus-
    Zuschicken.

    Nathan. Ja, die dumme; nicht die fromme.

    Tempelherr.
    An fromme glaubt kein Patriarch.

    Nathan. Für den
    Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen
    Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.

    Tempelherr.
    So stellt er wenigstens sich an. Doch hat
    Er Euch von mir denn nichts gesagt?

    Nathan. Von Euch?
    Von Euch nun namentlich wohl nichts. Er weiß
    Ja wohl auch schwerlich Euern Namen?

    Tempelherr. Schwerlich.

    Nathan.
    Von einem Tempelherren freilich hat
    Er mir gesagt ...

    Tempelherr. Und was?

    Nathan. Womit er Euch
    Doch ein für allemal nicht meinen kann!

    Tempelherr.
    Wer weiß? Laßt doch nur hören.

    Nathan. Daß mich einer
    Bei seinem Patriarchen angeklagt ...

    Tempelherr.
    Euch angeklagt? Das ist, mit seiner Gunst
    Erlogen. Hört mich, Nathan! Ich bin nicht
    Der Mensch, der irgend etwas abzuleugnen
    Imstande wäre. Was ich tat, das tat ich!
    Doch bin ich auch nicht der, der alles, was
    Er tat, als wohlgetan verteid'gen möchte.
    Was sollt' ich eines Fehls mich schämen? Hab
    Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern?
    Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem
    Es Menschen bringen können? Hört mich, Nathan!
    Ich bin des Laienbruders Tempelherr,
    Der Euch verklagt soll haben, allerdings.
    Ihr wißt ja, was mich wurmisch machte! was
    Mein Blut in allen Adern sieden machte!
    Ich Gauch! ich kam, so ganz mit Leib und Seel'
    Euch in die Arme mich zu werfen. Wie
    Ihr mich empfingt -wie kalt wie lau denn lau
    Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen
    Mir auszubeugen Ihr beflissen wart;
    Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen
    Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet:
    Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn
    Ich soll gelassen bleiben. Hört mich, Nathan!
    In dieser Gärung schlich mir Daja nach,
    Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf
    Das mir den Aufschluß Euers rätselhaften
    Betragens zu enthalten schien.

    Nathan. Wie das?

    Tempelherr.
    Hört mich nur aus! Ich bildete mir ein,
    Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen
    So abgejagt, an einen Christen wieder
    Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein,
    Euch kurz und gut das Messer an die Kehle
    Zu setzen.

    Nathan. Kurz und gut? und gut? Wo steckt
    Das Gute?

    Tempelherr. Hört mich, Nathan! Allerdings:
    Ich tat nicht recht! Ihr seid wohl gar nicht schuldig.
    Die Närrin Daja weiß nicht was sie spricht
    Ist Euch gehässig sucht Euch nur damit
    In einen bösen Handel zu verwickeln
    Kann sein! kann sein! Ich bin ein junger Laffe,
    Der immer nur an beiden Enden schwärmt;
    Bald viel zuviel, bald viel zuwenig tut
    Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.

    Nathan. Wenn
    Ihr so mich freilich fasset

    Tempelherr. Kurz, ich ging
    Zum Patriarchen! hab Euch aber nicht
    Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt!
    Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein
    Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen.
    Auch das hätt' unterbleiben können: ja doch!
    Denn kannt' ich nicht den Patriarchen schon
    Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber
    Nur gleich zur Rede stellen? Mußt' ich der
    Gefahr, so einen Vater zu verlieren,
    Das arme Mädchen opfern? Nun, was tut's?
    Die Schurkerei des Patriarchen, die
    So ähnlich immer sich erhält, hat mich
    Des nächsten Weges wieder zu mir selbst
    Gebracht. Denn hört mich, Nathan; hört mich aus!
    Gesetzt; er wüßt' auch Euern Namen: was
    Nun mehr, was mehr? Er kann Euch ja das Mädchen
    Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.
    Er kann sie doch aus Euerm Hause nur
    Ins Kloster schleppen. Also gebt sie mir!
    Gebt sie nur mir; und laßt ihn kommen. Ha!
    Er soll's wohl bleibenlassen, mir mein Weib
    Zu nehmen. Gebt sie mir; geschwind! Sie sei
    Nun Eure Tochter, oder sei es nicht!
    Sei Christin, oder Jüdin, oder keines!
    Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder itzt
    Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben
    Darum befragen. Sei, wie's sei!

    Nathan. Ihr wähnt
    Wohl gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen
    Sehr nötig?

    Tempelherr. Sei, wie's sei!

    Nathan. Ich hab es ja
    Euch oder wem es sonst zu wissen ziemt
    Noch nicht geleugnet, daß sie eine Christin,
    Und nichts als meine Pflegetochter ist.
    Warum ich's aber ihr noch nicht entdeckt?
    Darüber brauch ich nur bei ihr mich zu
    Entschuldigen.

    Tempelherr. Das sollt Ihr auch bei ihr
    Nicht brauchen. Gönnt's ihr doch, daß sie Euch nie
    Mit andern Augen darf betrachten! Spart
    Ihr die Entdeckung doch! Noch habt Ihr ja,
    Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt
    Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir!
    Ich bin's allein, der sie zum zweiten Male
    Euch retten kann und will.

    Nathan. Ja konnte! konnte!
    Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.

    Tempelherr.
    Wieso? zu spät?

    Nathan. Dank sei dem Patriarchen ...

    Tempelherr.
    Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür?
    Dank hätte der bei uns verdienen wollen?
    Wofür? wofür?

    Nathan. Daß wir nun wissen, wem
    Sie unverwandt; nun wissen, wessen Händen
    Sie sicher ausgeliefert werden kann.

    Tempelherr.
    Das dank' ihm wer für mehr ihm danken wird!

    Nathan.
    Aus diesen müßt Ihr sie nun auch erhalten;
    Und nicht aus meinen.

    Tempelherr. Arme Recha! Was
    Dir alles zustößt, arme Recha! Was
    Ein Glück für andre Waisen wäre, wird
    Dein Unglück! Nathan! Und wo sind sie, diese
    Verwandte?

    Nathan. Wo sie sind?

    Tempelherr. Und wer sie sind?

    Nathan.
    Besonders hat ein Bruder sich gefunden,
    Bei dem Ihr um sie werben müßt.

    Tempelherr. Ein Bruder?
    Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat?
    Ein Geistlicher? Laßt hören, was ich mir
    Versprechen darf.

    Nathan. Ich glaube, daß er keines
    Von beiden oder beides ist. Ich kenn
    Ihn noch nicht recht.

    Tempelherr. Und sonst?

    Nathan. Ein braver Mann
    Bei dem sich Recha gar nicht übel wird
    Befinden.

    Tempelherr. Doch ein Christ! Ich weiß zuzeiten
    Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll:
    Nehmt mir's nicht ungut, Nathan. Wird sie nicht
    Die Christin spielen müssen, unter Christen?
    Und wird sie, was sie lange g'nug gespielt,
    Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen,
    Den Ihr gesät, das Unkraut endlich nicht
    Ersticken? Und das kümmert Euch so wenig?
    Dem ungeachtet könnt Ihr sagen Ihr?
    Daß sie bei ihrem Bruder sich nicht übel
    Befinden werde?

    Nathan. Denk ich! hoff ich! Wenn
    Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat
    Sie Euch und mich denn nicht noch immer?

    Tempelherr. Oh!
    Was wird bei ihm ihr mangeln können! Wird
    Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung,
    Mit Naschwerk und mit Putz, das Schwesterchen
    Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht
    Ein Schwesterchen denn mehr? Ei freilich: auch
    Noch einen Mann! Nun, nun, auch den, auch den
    Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit
    Schon schaffen; wie er immer nur zu finden!
    Der Christlichste der Beste! Nathan, Nathan!
    Welch einen Engel hattet Ihr gebildet,
    Den Euch nun andre so verhunzen werden!

    Nathan.
    Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe
    Noch immer wert genug behaupten.

    Tempelherr. Sagt
    Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht!
    Denn die läßt nichts sich unterschlagen; nichts.
    Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen!
    Doch halt! Argwohnt sie wohl bereits, was mit
    Ihr vorgeht?

    Nathan. Möglich; ob ich schon nicht wüßte,
    Woher?

    Tempelherr. Auch eben viel; sie soll sie muß
    In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht,
    Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke,
    Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen,
    Als bis ich sie die Meine nennen dürfe,
    Fällt weg. Ich eile ...

    Nathan. Bleibt! wohin?

    Tempelherr. Zu ihr!
    Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug
    Wohl ist, den einzigen Entschluß zu fassen,
    Der ihrer würdig wäre!

    Nathan. Welchen?

    Tempelherr. Den:
    Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht
    Zu fragen

    Nathan. Und?

    Tempelherr. Und mir zu folgen; wenn
    Sie drüber eines Muselmannes Frau
    Auch werden müßte.

    Nathan. Bleibt! Ihr trefft sie nicht.
    Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.

    Tempelherr.
    Seit wenn? warum?

    Nathan. Und wollt Ihr da bei ihnen
    Zugleich den Bruder finden: kommt nur mit.

    Tempelherr.
    Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?

    Nathan.
    Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt Euch, kommt!

    (Er führt ihn fort.)

    Sechster Auftritt

    (Szene: in Sittahs Harem.)

    Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen.

    Sittah.
    Was freu ich mich nicht deiner, süßes Mädchen!
    Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern!
    Sei munter! sei gesprächiger! vertrauter!

    Recha.
    Prinzessin....

    Sittah. Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn
    Mich Sittah, deine Freundin, deine Schwester.
    Nenn mich dein Mütterchen! Ich könnte das
    Ja schier auch sein. So jung! so klug! so fromm!
    Was du nicht alles weißt! nicht alles mußt
    Gelesen haben!

    Recha. Ich gelesen? Sittah,
    Du spottest deiner kleinen albern Schwester.
    Ich kann kaum lesen.

    Sittah. Kannst kaum, Lügnerin!

    Recha.
    Ein wenig meines Vaters Hand! Ich meinte,
    Du sprächst von Büchern.

    Sittah. Allerdings! von Büchern.

    Recha.
    Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen!

    Sittah. Im Ernst?

    Recha. In ganzem Ernst. Mein Vater liebt
    Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich
    Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt,
    Zu wenig.

    Sittah. Ei, was sagst du! Hat indes
    Wohl nicht sehr unrecht! Und so manches, was
    Du weißt ... ?

    Recha. Weiß ich allein aus seinem Munde
    Und könnte bei dem meisten dir noch sagen,
    Wie? wo? warum? er mich's gelehrt.

    Sittah. So hängt
    Sich freilich alles besser an. So lernt
    Mit eins die ganze Seele.

    Recha. Sicher hat
    Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!

    Sittah.
    Wieso? Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil.
    Allein wieso? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund?

    Recha.
    Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt;
    So ganz sich selbst nur ähnlich ...

    Sittah. Nun?

    Recha. Das sollen
    Die Bücher uns nur selten lassen! sagt
    Mein Vater.

    Sittah. O was ist dein Vater für
    Ein Mann!

    Recha. Nicht wahr?

    Sittah. Wie nah er immer doch
    Zum Ziele trifft!

    Recha. Nicht wahr? Und diesen Vater

    Sittah.
    Was ist dir, Liebe?

    Recha. Diesen Vater

    Sittah. Gott!
    Du weinst?

    Recha. Und diesen Vater Ah! es muß
    Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft ...

    (Wirft sich, von Tränen überwältiget, zu ihren Füßen.)

    Sittah. Kind, was
    Geschieht dir? Recha?

    Recha. Diesen Vater soll
    Soll ich verlieren!

    Sittah. Du? verlieren? ihn?
    Wie das? Sei ruhig! Nimmermehr! Steh auf!

    Recha.
    Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin,
    Zu meiner Schwester nicht erboten haben!

    Sittah.
    Ich bin's ja! bin's! Steh doch nur auf! Ich muß
    Sonst Hilfe rufen.

    Recha(die sich ermannt und aufsteht).
    Ah! verzeih! vergib!
    Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer
    Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein
    Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft
    Will alles über sie allein vermögen.
    Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!

    Sittah.
    Nun dann?

    Recha. Nein; meine Freundin, meine Schwester
    Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, daß mir
    Ein andrer Vater aufgedrungen werde!

    Sittah.
    Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir?
    Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?

    Recha.
    Wer? Meine gute böse Daja kann
    Das wollen, will das können. ja; du kennst
    Wohl diese gute böse Daja nicht?
    Nun, Gott vergeb' es ihr! belohn' es ihr!
    Sie hat mir so viel Gutes, so viel Böses
    Erwiesen!

    Sittah. Böses dir? So muß sie Gutes
    Doch wahrlich wenig haben.

    Recha. Doch! recht viel,
    Recht viel!

    Sittah. Wer ist sie?

    Recha. Eine Christin, die
    In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so
    Gepflegt! Du glaubst nicht! Die mir eine Mutter
    So wenig missen lassen! Gott vergelt'
    Es ihr! Die aber mich auch so geängstet!
    Mich so gequält!

    Sittah. Und über was? warum?
    Wie?

    Recha. Ach! die arme Frau ich sag dir's ja
    Ist eine Christin; muß aus Liebe quälen;
    Ist eine von den Schwärmerinnen, die
    Den allgemeinen, einzig wahren Weg
    Nach Gott zu wissen wähnen!

    Sittah. Nun versteh ich!

    Recha.
    Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,
    Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken.
    Kaum können sie auch anders. Denn ist's wahr,
    Daß dieser Weg allein nur richtig führt:
    Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
    Auf einem andern wandeln sehn, der ins
    Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
    Es müßte möglich sein, denselben Menschen
    Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen.
    Auch ist's das nicht, was endlich laute Klagen
    Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
    Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt'
    Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
    Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
    Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt's doch
    Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
    Von wem's auch sei, gehalten fühlen, daß
    Er den Gedanken nicht ertragen kann,
    Er müss' einmal auf ewig uns entbehren!

    Sittah.
    Sehr wahr!

    Recha. Allein allein das geht zu weit!
    Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht
    Geduld, nicht Überlegung; nichts!

    Sittah. Was? wem?

    Recha.
    Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.

    Sittah.
    Entdeckt? und eben itzt?

    Recha. Nur eben itzt!
    Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem
    Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand
    Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte
    Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald
    Auf mich. Komm, sprach sie endlich, laß uns hier
    Durch diesen Tempel in die Richte gehn!
    Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift
    Mit Graus die wankenden Ruinen durch.
    Nun steht sie wieder; und ich sehe mich
    An den versunknen Stufen eines morschen
    Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da
    Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen
    Zu meinen Füßen stürzte ...

    Sittah. Gutes Kind!

    Recha.
    Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst
    So manch Gebet erhört, so manches Wunder
    Verrichtet habe, mich beschwor; mit Blicken
    Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner
    Doch zu erbarmen! Wenigstens, ihr zu
    Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,
    Was ihre Kirch' auf mich für Anspruch habe.

    Sittah.
    (Unglückliche! Es ahnte mir!)

    Recha. Ich sei
    Aus christlichem Geblüte; sei getauft;
    Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater!
    Gott! Gott! Er nicht mein Vater! Sittah! Sittah!
    Sieh mich aufs neu' zu deinen Füßen ...

    Sittah. Recha!
    Nicht doch! steh auf! Mein Bruder kömmt! steh auf!

    Siebenter Auftritt

    Saladin und die Vorigen.

    Saladin.
    Was gibt's hier, Sittah?

    Sittah. Sie ist von sich! Gott!

    Saladin.
    Wer ist's?

    Sittah. Du weißt ja ...

    Saladin. Unsers Nathans Tochter?
    Was fehlt ihr?

    Sittah. Komm doch zu dir, Kind! Der Sultan ...

    Recha(die sich auf den Knien zu Saladins Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt).
    Ich steh nicht auf! nicht eher auf! mag eher
    Des Sultans Antlitz nicht erblicken! eher
    Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit
    Und Güte nicht in seinen Augen, nicht
    Auf seiner Stirn bewundern...

    Saladin. Steh ... steh auf!

    Recha.
    Eh' er mir nicht verspricht...

    Saladin. Komm! ich verspreche ...
    Sei was es will!

    Recha. Nicht mehr, nicht weniger,
    Als meinen Vater mir zu lassen; und
    Mich ihm! Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater
    Zu sein verlangt; verlangen kann. Will's auch
    Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut
    Den Vater? nur das Blut?

    Saladin(der sie aufhebt).
    Ich merke wohl!
    Wer war so grausam denn, dir selbst dir selbst
    Dergleichen in den Kopf zu setzen? Ist
    Es denn schon völlig ausgemacht? erwiesen?

    Recha.
    Muß wohl! Denn Daja will von meiner Amm'
    Es haben.

    Saladin. Deiner Amme!

    Recha. Die es sterbend
    Ihr zu vertrauen sich verbunden fühlte.

    Saladin.
    Gar sterbend! Nicht auch faselnd schon? Und wär's
    Auch wahr! Jawohl: das Blut, das Blut allein
    Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum
    Den Vater eines Tieres! gibt zum höchsten
    Das erste Recht, sich diesen Namen zu
    Erwerben! Laß dir doch nicht bange sein!
    Und weißt du was? Sobald der Väter zwei
    Sich um dich streiten: laß sie beide; nimm
    Den dritten! Nimm dann mich zu deinem Vater!

    Sittah.
    O tu's! o tu's!

    Saladin. Ich will ein guter Vater,
    Recht guter Vater sein! Doch halt! mir fällt
    Noch viel was Bessers bei. Was brauchst du denn
    Der Väter überhaupt? Wenn sie nun sterben?
    Beizeiten sich nach einem umgesehn,
    Der mit uns um die Wette leben will!
    Kennst du noch keinen? ...

    Sittah. Mach sie nicht erröten!

    Saladin.
    Das hab ich allerdings mir vorgesetzt.
    Erröten macht die Häßlichen so schön:
    Und sollte Schöne nicht noch schöner machen?
    Ich habe deinen Vater Nathan; und
    Noch einen einen noch hierher bestellt.
    Errätst du ihn? Hierher! Du wirst mir doch
    Erlauben, Sittah?

    Sittah. Bruder!

    Saladin. Daß du ja
    Vor ihm recht sehr errötest, liebes Mädchen!

    Recha.
    Vor wem? erröten? ...

    Saladin. Kleine Heuchlerin!
    Nun, so erblasse lieber! Wie du willst
    Und kannst!

    (Eine Sklavin tritt herein und nahet sich Sittah.)

    Sie sind doch etwa nicht schon da?

    Sittah(zur Sklavin).
    Gut! laß sie nur herein. Sie sind es, Bruder!

    Letzter Auftritt

    Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.

    Saladin.
    Ah, meine guten lieben Freunde! Dich,
    Dich, Nathan, muß ich nur vor allen Dingen
    Bedeuten, daß du nun, sobald du willst,
    Dein Geld kannst wieder holen lassen!

    Nathan. Sultan!

    Saladin.
    Nun steh ich auch zu deinen Diensten

    Nathan. Sultan!

    Saladin.
    Die Karawan' ist da. Ich bin so reich
    Nun wieder, als ich lange nicht gewesen.
    Komm, sag mir, was du brauchst, so recht was Großes
    Zu unternehmen! Denn auch ihr, auch ihr,
    Ihr Handelsleute, könnt des baren Geldes
    Zuviel nie haben!

    Nathan. Und warum zuerst
    Von dieser Kleinigkeit? Ich sehe dort
    Ein Aug' in Tränen, das zu trocknen, mir
    Weit angelegner ist. (Geht auf Recha zu.)
    Du hast geweint?
    Was fehlt dir? bist doch meine Tochter noch?

    Recha.
    Mein Vater! ...

    Nathan. Wir verstehen uns. Genug!
    Sei heiter! Sei gefaßt! Wenn sonst dein Herz
    Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst
    Nur kein Verlust nicht droht! Dein Vater ist
    Dir unverloren!

    Recha. Keiner, keiner sonst!

    Tempelherr.
    Sonst keiner? Nun! so hab ich mich betrogen.
    Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat
    Man zu besitzen nie geglaubt, und nie
    Gewünscht. Recht wohl! recht wohl! Das ändert, Nathan,
    Das ändert alles! Saladin, wir kamen
    Auf dein Geheiß. Allein, ich hatte dich
    Verleitet; itzt bemüh dich nur nicht weiter!

    Saladin.
    Wie gach nun wieder, junger Mann! Soll alles
    Dir denn entgegenkommen? Alles dich
    Erraten?

    Tempelherr. Nun du hörst ja! siehst ja, Sultan!

    Saladin.
    Ei wahrlich! Schlimm genug, daß deiner Sache
    Du nicht gewisser warst!

    Tempelherr. So bin ich's nun.

    Saladin.
    Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt,
    Nimmt sie zurück. Was du gerettet, ist
    Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst wär'
    Der Räuber, den sein Geiz ins Feuer jagt,
    So gut ein Held wie du!

    (Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.)

    Komm, liebes Mädchen,
    Komm! Nimm's mit ihm nicht so genau. Denn wär'
    Er anders; wär' er minder warm und stolz:
    Er hätt' es bleibenlassen, dich zu retten.
    Du mußt ihm eins fürs andre rechnen. Komm!
    Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte!
    Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an!
    Und wenn er dich verschmäht; dir's je vergißt,
    Wie ungleich mehr in diesem Schritte du
    Für ihn getan, als er für dich ... Was hat
    Er denn für dich getan? Ein wenig sich
    Beräuchern lassen! ist was Rechts! so hat
    Er meines Bruders, meines Assad, nichts!
    So trägt er seine Larve, nicht sein Herz.
    Komm, Liebe ...

    Sittah. Geh! geh, Liebe, geh! Es ist
    Für deine Dankbarkeit noch immer wenig;
    Noch immer nichts.

    Nathan. Halt Saladin! halt Sittah!

    Saladin.
    Auch du?

    Nathan. Hier hat noch einer mitzusprechen...

    Saladin.
    Wer leugnet das? Unstreitig, Nathan, kömmt
    So einem Pflegevater eine Stimme
    Mit zu! Die erste, wenn du willst. Du hörst,
    Ich weiß der Sache ganze Lage.

    Nathan. Nicht so ganz!
    Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer;
    Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin,
    Doch auch vorher zu hören bitte.

    Saladin. Wer?

    Nathan.
    Ihr Bruder!

    Saladin. Rechas Bruder?

    Nathan. Ja!

    Recha. Mein Bruder?
    So hab ich einen Bruder?

    Tempelherr(aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend).
    Wo? wo ist
    Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt'
    Ihn hier ja treffen.

    Nathan. Nur Geduld!

    Tempelherr(äußerst bitter). Er hat
    Ihr einen Vater aufgebunden: wird
    Er keinen Bruder für sie finden?

    Saladin. Das
    Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger
    Verdacht wär' über Assads Lippen nicht
    Gekommen. Gut! fahr nur so fort!

    Nathan. Verzeih
    Ihm! Ich verzeih ihm gern. Wer weiß, was wir
    An seiner Stell', in seinem Alter dächten!
    (Freundschaftlich auf ihn zugehend.)
    Natürlich, Ritter! Argwohn folgt auf Mißtraun!
    Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich
    Gewürdigt hättet ...

    Tempelherr. Wie?

    Nathan. Ihr seid kein Stauffen!

    Tempelherr.
    Wer bin ich denn?

    Nathan. Heißt Curd von Stauffen nicht!

    Tempelherr.
    Wie heiß ich denn?

    Nathan. Heißt Leu von Filnek.

    Tempelherr. Wie?

    Nathan.
    Ihr stutzt?

    Tempelherr. Mit Recht! Wer sagt das?

    Nathan. Ich; der mehr,
    Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes
    Euch keiner Lüge.

    Tempelherr. Nicht?

    Nathan. Kann doch wohl sein,
    Daß jener Nam' Euch ebenfalls gebührt.

    Tempelherr.
    Das sollt' ich meinen! (Das hieß Gott ihn sprechen!)

    Nathan.
    Denn Eure Mutter die war eine Stauffin.
    Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,
    Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen,
    Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben,
    Sie wieder hierzulande kamen: Der
    Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindes Statt
    Vielleicht Euch angenommen haben! Seid
    Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber-
    Gekommen? Und er lebt doch noch?

    Tempelherr. Was soll
    Ich sagen? Nathan! Allerdings! So ist's!
    Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten
    Verstärkung unsers Ordens. Aber, aber
    Was hat mit diesem allen Rechas Bruder
    Zu schaffen?

    Nathan. Euer Vater ...

    Tempelherr. Wie? auch den
    Habt Ihr gekannt? Auch den?

    Nathan. Er war mein Freund.

    Tempelherr.
    War Euer Freund? Ist's möglich, Nathan! ...

    Nathan. Nannte
    Sich Wolf von Filnek; aber war kein Deutscher ...

    Tempelherr.
    Ihr wißt auch das?

    Nathan. War einer Deutschen nur
    Vermählt; war Eurer Mutter nur nach Deutschland
    Auf kurze Zeit gefolgt ...

    Tempelherr. Nicht mehr! Ich bitt
    Euch! Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder ...

    Nathan.
    Seid Ihr!

    Tempelherr. Ich? ich ihr Bruder?

    Recha. Er mein Bruder?

    Sittah.
    Geschwister!

    Saladin. Sie Geschwister!

    Recha(will auf ihn zu). Ah! mein Bruder!

    Tempelherr(tritt zurück).
    Ihr Bruder!

    Recha(hält an, und wendet sich zu Nathan).
    Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz
    Weiß nichts davon! Wir sind Betrüger! Gott!

    Saladin(zum Tempelherrn).
    Betrüger? wie? Das denkst du? kannst du denken?
    Betrüger selbst! Denn alles ist erlogen
    An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein!
    So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!

    Tempelherr(sich demütig ihm nahend).
    Mißdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan!
    Verkenn in einem Augenblick', in dem
    Du schwerlich deinen Assad je gesehen,
    Nicht ihn und mich! (Auf Nathan zueilend.)
    Ihr nehmt und gebt mir, Nathan!
    Mit vollen Händen beides! Nein! Ihr gebt
    Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr!
    (Recha um den Hals fallend.)
    Ah! meine Schwester! meine Schwester!

    Nathan. Blanda
    Von Filnek.

    Tempelherr. Blanda? Blanda? Recha nicht?
    Nicht Eure Recha mehr? Gott! Ihr verstoßt
    Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder!
    Verstoßt sie meinetwegen! Nathan! Nathan!
    Warum es sie entgelten lassen? sie!

    Nathan.
    Und was? O meine Kinder! meine Kinder!
    Denn meiner Tochter Bruder wär' mein Kind
    Nicht auch, sobald er will?
    (Indem er sich ihren Umarmungen überläßt, tritt Saladin mit unruhigem Erstaunen zu seiner Schwester.)

    Saladin. Was sagst du, Schwester?

    Sittah.
    Ich bin gerührt ...

    Saladin. Und ich, ich schaudere
    Vor einer größern Rührung fast zurück!
    Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.

    Sittah.
    Wie?

    Saladin. Nathan, auf ein Wort! ein Wort!

    (Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnahme zu bezeigen; und Nathan und Saladin sprechen leiser.)

    Hör! hör doch, Nathan! Sagtest du vorhin
    Nicht ?

    Nathan. Was?

    Saladin. Aus Deutschland sei ihr Vater nicht
    Gewesen; ein geborner Deutscher nicht.
    Was war er denn? Wo war er sonst denn her?

    Nathan.
    Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen.
    Aus seinem Munde weiß ich nichts davon.

    Saladin.
    Und war auch sonst kein Frank? kein Abendländer?

    Nathan.
    Oh! daß er der nicht sei, gestand er wohl.
    Er sprach am liebsten Persisch ...

    Saladin. Persisch? Persisch?
    Was will ich mehr? Er ist's! Er war es!

    Nathan. Wer?

    Saladin.
    Mein Bruder! ganz gewiß! Mein Assad! ganz
    Gewiß!

    Nathan. Nun, wenn du selbst darauf verfällst:
    Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!

    (Ihm das Brevier überreichend.)

    Saladin(es begierig aufschlagend).
    Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!

    Nathan.
    Noch wissen sie von nichts! Noch steht's bei dir
    Allein, was sie davon erfahren sollen!

    Saladin(indes er darin geblättert).
    Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen?
    Ich meine Neffen meine Kinder nicht?
    Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen?
    (Wieder laut.)
    Sie sind's! Sie sind es, Sittah, sind's! Sie sind's!
    Sind beide meines ... deines Bruders Kinder!
    (Er rennt in ihre Umarmungen.)

    Sittah(ihm folgend).
    Was hör ich! Konnt's auch anders, anders sein!

    Saladin(zum Tempelherrn).
    Nun mußt du doch wohl, Trotzkopf, mußt mich lieben!
    (Zu Recha.)
    Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot?
    Magst wollen, oder nicht!

    Sittah. Ich auch! ich auch!

    Saladin(zum Tempelherrn zurück).
    Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!

    Tempelherr.
    Ich deines Bluts! So waren jene Träume,
    Womit man meine Kindheit wiegte, doch
    Doch mehr als Träume!
    (Ihm zu Füßen fallend.)

    Saladin(ihn aufhebend).
    Seht den Bösewicht!
    Er wußte was davon, und konnte mich
    Zu seinem Mörder machen wollen! Wart!

    (Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.)