Schiller, Friedrich (1759-1805): Die Jungfrau von Orleans

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Schiller, Friedrich (1759-1805): Die Jungfrau von Orleans



Einleitung

Die Jungfrau von Orleans ist eines der bekanntesten dramatischen Werke von Friedrich Schiller, einem der bedeutendsten deutschen Dichter und Dramatiker der Weimarer Klassik. Dieses Drama, das zuerst 1801 veröffentlicht wurde, erzählt die Geschichte von Johanna von Orléans, besser bekannt als Jeanne d’Arc, die Frankreich während des Hundertjährigen Krieges gegen England unterstützt hat. In Schillers Darstellung wird Johanna als eine von Gott gesandte Heldin präsentiert, die einen tiefen inneren Konflikt zwischen ihrer göttlichen Mission und ihren menschlichen Gefühlen erlebt. Dieser aiMOOC wird Dich durch die verschiedenen Aspekte von "Die Jungfrau von Orleans" führen, einschließlich seiner historischen Hintergründe, Charakteranalyse, Themen und Motive sowie seiner Bedeutung in der Literaturgeschichte.


Die historische Johanna von Orléans


Lebensgeschichte

Johanna von Orléans, auch bekannt als die Jungfrau von Orleans, lebte von 1412 bis 1431 und ist eine französische Nationalheldin und Heilige der katholischen Kirche. Sie fühlte sich durch göttliche Visionen berufen, Frankreich im Hundertjährigen Krieg gegen England zu befreien. Ihre entscheidende Rolle bei der Belagerung von Orléans und bei weiteren Schlachten führte zur Krönung Karl VII. zum König von Frankreich, was einen Wendepunkt im Krieg darstellte. Johanna wurde jedoch gefangen genommen, von einem kirchlichen Gericht wegen Häresie verurteilt und 1431 verbrannt. Ihre Heiligsprechung erfolgte im Jahr 1920.


Historischer Kontext

Der Hundertjährige Krieg (1337-1453) zwischen Frankreich und England war geprägt von territorialen Ansprüchen und dem Wunsch der englischen Krone, den französischen Thron zu erlangen. Die Zeit, in der Johanna von Orléans lebte, war von politischer Unsicherheit, sozialen Spannungen und dem Leid der Bevölkerung durch die Kriegshandlungen gezeichnet.


Schillers Dramatisierung


Struktur und Charaktere

Schillers "Die Jungfrau von Orleans" ist ein romantisches Drama in fünf Akten, das die Geschichte von Johanna d’Arc neu interpretiert. Die Hauptfigur, Johanna, wird als reine und unschuldige Heldin dargestellt, deren Schicksal von Gott bestimmt ist. Weitere wichtige Charaktere sind Karl VII., der Dauphin von Frankreich, und verschiedene englische und französische Adlige, deren Leben und Schicksale eng mit Johannas Mission verflochten sind.


Hauptthemen und Motive

Das Drama behandelt Themen wie Patriotismus, Freiheit, göttliche Berufung und den Konflikt zwischen Pflicht und persönlichen Gefühlen. Ein zentrales Motiv ist das Übernatürliche, das sich in Johannas Visionen und ihrer göttlichen Mission widerspiegelt. Schiller stellt auch die Frage nach der Legitimität von Krieg und Gewalt für höhere Ziele.


Bedeutung und Rezeption


Literaturgeschichtliche Einordnung

"Die Jungfrau von Orleans" gehört zu den bedeutendsten Werken der Weimarer Klassik und illustriert Schillers Meisterschaft in der Dramatik sowie sein Interesse an historischen Themen und moralischen Fragestellungen. Das Stück wurde zu Schillers Lebzeiten und auch danach sowohl gefeiert als auch kritisiert, insbesondere wegen seiner freien Interpretation der historischen Fakten und der romantischen Idealisierung Johannas.


Aktuelle Bedeutung

Auch heute noch wird "Die Jungfrau von Orleans" weltweit aufgeführt und studiert, nicht zuletzt wegen seiner zeitlosen Themen und der faszinierenden Hauptfigur. Das Drama bietet Anlass zur Reflexion über Glaube, Pflicht und die Macht des Individuums gegenüber scheinbar unüberwindbaren Herausforderungen.


Interaktive Aufgaben


Quiz: Teste Dein Wissen

Was ist das Hauptthema von Schillers "Die Jungfrau von Orleans"? (Patriotismus und göttliche Berufung) (!Liebe und Verrat) (!Wirtschaftliche Konflikte) (!Familienbeziehungen)

In welchem Jahr wurde "Die Jungfrau von Orleans" erstmals veröffentlicht? (1801) (!1799) (!1803) (!1805)

Wie wird Johanna von Orléans in Schillers Drama hauptsächlich dargestellt? (Als von Gott gesandte Heldin) (!Als verrückte Kriegstreiberin) (!Als einfache Bauersfrau) (!Als politische Strategin)

Gegen wen kämpft Johanna von Orléans in Schillers Drama? (Gegen England im Hundertjährigen Krieg) (!Gegen die eigenen Landsleute) (!Gegen die Kirche) (!Gegen Naturgewalten)

Welches Ereignis markiert einen Wendepunkt im Hundertjährigen Krieg, an dem Johanna maßgeblich beteiligt war? (Die Belagerung von Orléans) (!Die Schlacht von Agincourt) (!Die Unterzeichnung des Vertrags von Troyes) (!Die Krönung Heinrichs V. von England)

Wie endet Johannas Geschichte in Schillers Drama? (Sie wird als Heldin verehrt, nachdem sie Konflikte und Herausforderungen überwunden hat.) (!Sie wird zur Königin von Frankreich gekrönt.) (!Sie verlässt Frankreich und lebt in England.) (!Sie gründet ihre eigene Kirche.)

Welche Rolle spielt das Übernatürliche in "Die Jungfrau von Orleans"? (Es manifestiert sich in Johannas Visionen und göttlicher Mission.) (!Es gibt keine übernatürlichen Elemente im Drama.) (!Es wird als Produkt von Johannas Einbildung dargestellt.) (!Es wird ausschließlich durch die Gegner Johannas repräsentiert.)

Wer war der Herrscher von Frankreich, der durch Johannas Einsatz gekrönt wurde? (Karl VII.) (!Ludwig XI.) (!Heinrich VI.) (!Karl VI.)

Was kritisierten einige Zeitgenossen und spätere Kritiker an Schillers "Die Jungfrau von Orleans"? (Die freie Interpretation der historischen Fakten) (!Die zu moderne Sprache) (!Die Darstellung der englischen Charaktere) (!Die Fokussierung auf französische Politik)

Welches Motiv ist zentral für das Verständnis von Johannas Charakter in dem Drama? (Der Konflikt zwischen ihrer göttlichen Mission und persönlichen Gefühlen) (!Ihre Abneigung gegenüber dem Adel) (!Ihr Wunsch nach familiärem Glück) (!Ihr politisches Geschick)





Memory

Johannas Mission Göttliche Berufung
Hauptgegner England
Historischer Kontext Hundertjähriger Krieg
Schillers Interpretation Romantisches Drama
Wendepunkt im Krieg Belagerung von Orléans





Kreuzworträtsel

patriot Was ist ein zentrales Thema von "Die Jungfrau von Orleans"?
orleans Wo erzielt Johanna ihren bedeutendsten militärischen Erfolg?
vision Was erhält Johanna, das sie auf ihre Mission führt?
schiller Wer ist der Autor von "Die Jungfrau von Orleans"?
karl Wer wird durch Johannas Einsatz zum König gekrönt?
england Gegen welches Land kämpft Frankreich im Hundertjährigen Krieg?
heldin Wie wird Johanna in Schillers Drama hauptsächlich dargestellt?
klassik Zu welcher literarischen Epoche gehört das Werk?




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Lückentext

Vervollständige den Text.

Das Drama "Die Jungfrau von Orleans" wurde von

im Jahr

veröffentlicht. Johanna von Orléans kämpft gegen

im

. Ihre Mission fühlt sie als

. Am Ende des Dramas wird Johanna

, nachdem sie viele Herausforderungen überwunden hat.


Offene Aufgaben

Leicht

  1. Recherchiere über das historische Leben der echten Johanna von Orléans. Wie unterscheidet es sich von Schillers Darstellung?
  2. Erstelle ein Poster, das die wichtigsten Ereignisse im Leben von Johanna von Orléans visualisiert.
  3. Schreibe eine kurze Geschichte aus der Perspektive eines französischen Soldaten, der unter Johannas Führung kämpft.

Standard

  1. Vergleiche Schillers "Die Jungfrau von Orleans" mit einem anderen literarischen Werk, das eine historische Figur behandelt. Diskutiere die Unterschiede in der Darstellung.
  2. Erstelle eine Präsentation über den Hundertjährigen Krieg, mit besonderem Fokus auf die Rolle Johannas von Orléans.
  3. Führe ein Interview mit einem Historiker über die Bedeutung Johannas von Orléans für die französische Geschichte.

Schwer

  1. Schreibe ein eigenes kurzes Drama, das eine Szene aus "Die Jungfrau von Orleans" neu interpretiert.
  2. Entwickle ein multimediales Projekt, das die verschiedenen Interpretationen von Johannas Geschichte in Literatur, Film und Kunst untersucht.
  3. Organisiere eine Diskussionsrunde in deiner Schule oder Gemeinde über die Aktualität von Schillers Themen in der heutigen Zeit.




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Mündliche Prüfung

  1. Diskutiere, inwiefern Schillers Darstellung von Johanna von Orléans als eine von Gott gesandte Heldin relevant für die heutige Gesellschaft sein könnte.
  2. Erörtere den Einfluss von Johannas Geschichte auf das französische Nationalbewusstsein und die Identität.
  3. Analysiere, wie Schiller das Motiv des Übernatürlichen verwendet, um Johannas innere Konflikte darzustellen.
  4. Vergleiche die Darstellung von Krieg und Frieden in "Die Jungfrau von Orleans" mit der in einem anderen literarischen Werk deiner Wahl.
  5. Reflektiere über die Bedeutung der Freiheit in Schillers Drama und wie sie sich auf die Charakterentwicklung auswirkt.

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    Eine romantische Tragödie


    Personen

    Karl der Siebente,
    König von Frankreich
    Königin Isabeau,
    seine Mutter
    Agnes Sorel,
    seine Geliebte
    Philipp der Gute,
    Herzog von Burgund
    Graf Dunois,
    Bastard von Orleans
    La Hire
    Du Chatel
    königliche Offiziere
    Erzbischof von Reims
    Chatillon,
    ein burgundischer Ritter
    Raoul,
    ein lothringischer Ritter
    Talbot,
    Feldherr der Engelländer
    Lionel
    Fastolf
    englische Anführer
    Montgomery,
    ein Walliser
    Ratsherren von Orleans
    Ein englischer Herold
    Thibaut d'Arc,
    ein reicher Landmann
    Margot
    Louison
    Johanna
    seine Töchter
    Etienne
    Claude Marie
    Raimond
    ihre Freier
    Bertrand,
    ein anderer Landmann
    Die Erscheinung eines schwarzen Ritters
    Köhler und Köhlerweib

    Soldaten und Volk, königliche Kronbediente, Bischöfe, Mönche, Marschälle, Magistratspersonen, Hofleute und andere stumme Personen im Gefolge des Krönungszuges


    Prolog

    Eine ländliche Gegend. Vorn zur Rechten ein Heiligenbild in einer Kapelle; zur Linken eine hohe Eiche

    Erster Auftritt

    Thibaut d'Arc. Seine drei Töchter. Drei junge Schäfer, ihre Freier

    Thibaut. Ja, liebe Nachbarn! Heute sind wir noch
    Franzosen, freie Bürger noch und Herren
    Des alten Bodens, den die Väter pflügten;
    Wer weiß, wer morgen über uns befiehlt!
    Denn aller Orten läßt der Engelländer
    Sein sieghaft Banner fliegen, seine Rosse
    Zerstampfen Frankreichs blühende Gefilde.
    Paris hat ihn als Sieger schon empfangen,
    Und mit der alten Krone Dagoberts
    Schmückt es den Sprößling eines fremden Stamms.
    Der Enkel unserer Könige muß irren
    Enterbt und flüchtig durch sein eignes Reich,
    Und wider ihn im Heer der Feinde kämpft
    Sein nächster Vetter und sein erster Pair,
    Ja seine Rabenmutter führt es an.
    Rings brennen Dörfer, Städte. Näher stets
    Und näher wälzt sich der Verheerung Rauch
    An diese Täler, die noch friedlich ruhn.
    – Drum, liebe Nachbarn, hab ich mich mit Gott
    Entschlossen, weil ichs heute noch vermag,
    Die Töchter zu versorgen; denn das Weib
    Bedarf in Kriegesnöten des Beschützers,
    Und treue Lieb hilft alle Lasten heben.
    (Zu dem ersten Schäfer)
    – Kommt, Etienne! Ihr werbt um meine Margot,
    Die Äcker grenzen nachbarlich zusammen,
    Die Herzen stimmen überein – das stiftet
    Ein gutes Ehband!
    (Zu dem zweiten) Claude Marie! Ihr schweigt,
    Und meine Louison schlägt die Augen nieder?
    Werd ich zwei Herzen trennen, die sich fanden,
    Weil ihr nicht Schätze mir zu bieten habt?
    Wer hat jetzt Schätze? Haus und Scheune sind
    Des nächsten Feindes oder Feuers Raub –
    Die treue Brust des braven Manns allein
    Ist ein sturmfestes Dach in diesen Zeiten.

    Louison. Mein Vater!

    Claude Marie. Meine Louison!

    Louison(Johanna umarmend). Liebe Schwester!

    Thibaut. Ich gebe jeder dreißig Acker Landes
    Und Stall und Hof und eine Herde – Gott
    hat mich gesegnet und so segn er euch!

    Margot(Johanna umarmend).
    Erfreue unsern Vater! Nimm ein Beispiel!
    Laß diesen Tag die frohe Bande schließen.

    Thibaut. Geht! Machet Anstalt. Morgen ist die Hochzeit,
    Ich will, das ganze Dorf soll sie mitfeiern.

    (Die zwei Paare gehen Arm in Arm geschlungen ab)

    Zweiter Auftritt

    Thibaut. Raimond. Johanna

    Thibaut. Jeanette, deine Schwestern machen Hochzeit,
    Ich seh sie glücklich, sie erfreun mein Alter,
    Du, meine Jüngste, machst mir Gram und Schmerz.

    Raimond. Was fällt euch ein! Was scheltet Ihr die Tochter?

    Thibaut. Hier dieser wackre Jüngling, dem sich keiner
    Vergleicht im ganzen Dorf, der Treffliche,
    Er hat dir seine Neigung zugewendet,
    Und wirbt um dich, schon ists der dritte Herbst,
    Mit stillem Wunsch, mit herzlichem Bemühn,
    Du stößest ihn verschlossen, kalt, zurück,
    Noch sonst ein andrer von den Hirten allen
    Mag dir ein gütig Lächeln abgewinnen.
    – Ich sehe dich in Jugendfülle prangen,
    Dein Lenz ist da, es ist die Zeit der Hoffnung,
    Entfaltet ist die Blume deines Leibes,
    Doch stets vergebens harr ich, daß die Blume
    Der zarten Lieb aus ihrer Knospe breche,
    Und freudig reife zu der goldnen Frucht!
    O das gefällt mir nimmermehr und deutet
    Auf eine schwere Irrung der Natur!
    Das Herz gefällt mir nicht, das streng und kalt
    Sich zuschließt in den Jahren des Gefühls.

    Raimond. Laßts gut sein, Vater Arc! Laßt sie gewähren!
    Die Liebe meiner trefflichen Johanna
    Ist eine edle, zarte Himmelsfrucht,
    Und still allmählich reift das Köstliche!
    Jetzt liebt sie noch, zu wohnen auf den Bergen,
    Und von der freien Heide fürchtet sie
    Herabzusteigen in das niedre Dach
    Der Menschen, wo die engen Sorgen wohnen.
    Oft seh ich ihr aus tiefem Tal mit stillem
    Erstaunen zu, wenn sie auf hoher Trift
    In Mitte ihrer Herde ragend steht,
    Mit edelm Leibe, und den ernsten Blick
    Herabsenkt auf der Erde kleine Länder.
    Da scheint sie mir was Höhres zu bedeuten,
    Und dünkt mir oft, sie stamm aus andren Zeiten.

    Thibaut. Das ist es, was mir nicht gefallen will!
    Sie flieht der Schwestern fröhliche Gemeinschaft,
    Die öden Berge sucht sie auf, verlässet
    Ihr nächtlich Lager vor dem Hahnenruf,
    Und in der Schreckensstunde, wo der Mensch
    Sich gern vertraulich an den Menschen schließt,
    Schleicht sie, gleich dem einsiedlerischen Vogel,
    Heraus ins graulich düstre Geisterreich
    Der Nacht, tritt auf den Kreuzweg hin und pflegt
    Geheime Zwiesprach mit der Luft des Berges.
    Warum erwählt sie immer diesen Ort
    Und treibt gerade hieher ihre Herde?
    Ich sehe sie zu ganzen Stunden sinnend
    Dort unter dem Druidenbaume sitzen,
    Den alle glücklichen Geschöpfe fliehn.
    Denn nicht geheur ists hier, ein böses Wesen
    Hat seinen Wohnsitz unter diesem Baum,
    Schon seit der alten grauen Heidenzeit.
    Die ältesten im Dorf erzählen sich
    Von diesem Baume schauderhafte Mären,
    Seltsamer Stimmen wundersamen Klang
    Vernimmt man oft aus seinen düstern Zweigen.
    Ich selbst, als mich in später Dämmrung einst
    Der Weg an diesem Baum vorüberführte,
    Hab ein gespenstisch Weib hier sitze sehn.
    Das streckte mir aus weitgefaltetem
    Gewande langsam eine dürre Hand
    Entgegen, gleich als winkt' es, doch ich eilte
    Fürbaß und Gott befahl ich meine Seele.

    Raimond(auf das Heiligenbild in der Kapelle zeigend).
    Des Gnadenbildes segenreiche Näh,
    Das hier des Himmels Frieden um sich streut,
    Nicht Satans Werk führt Eure Tochter her.

    Thibaut. O nein! nein! Nicht vergebens zeigt sichs mir
    In Träumen an und ängstlichen Gesichten.
    Zu dreien Malen hab ich sie gesehn
    Zu Reims auf unsrer Könige Stuhle sitzen,
    Ein funkelnd Diadem von sieben Sternen
    Auf ihrem Haupt, das Szepter in der Hand,
    Aus dem drei weiße Lilien entsprangen,
    Und ich, ihr Vater, ihre beiden Schwestern
    Und alle Fürsten, Grafen, Erzbischöfe,
    Der König selber, neigten sich vor ihr.
    Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?
    O das bedeutet einen tiefen Fall!
    Sinnbildlich stellt mir dieser Warnungstraum
    Das eitle Trachten ihres Herzens dar.
    Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit – weil Gott
    Mit reicher Schönheit ihren Leib geschmückt,
    Mit hohen Wundergaben sie gesegnet,
    Vor allen Hirtenmädchen dieses Tals,
    So nährt sie sündgen Hochmut in dem Herzen,
    Und Hochmut ists, wodurch die Engel fielen,
    Woran der Höllengeist den Menschen faßt.

    Raimond. Wer hegt bescheidnern tugendlichern Sinn
    Als eure fromme Tochter? Ist sies nicht,
    Die ihren ältern Schwestern freudig dient?
    Sie ist die hochbegabteste von allen,
    Doch seht Ihr sie wie eine niedre Magd
    Die schwersten Pflichten still gehorsam üben,
    Und unter ihren Händen wunderbar
    Gedeihen euch die Herden und die Saaten;
    Um alles, was sie schafft, ergießet sich
    Ein unbegreiflich überschwenglich Glück.

    Thibaut. Jawohl! Ein unbegreiflich Glück. – Mir kommt
    Ein eigen Grauen an bei diesem Segen!
    – Nichts mehr davon. Ich schweige. Ich will schweigen;
    Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?
    Ich kann nichts tun als warnen, für sie beten!
    Doch warnen muß ich – Fliehe diesen Baum,
    Bleib nicht allein, und grabe keine Wurzeln
    Um Mitternacht, bereite keine Tränke,
    Und schreibe keine Zeichen in den Sand –
    Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister,
    Sie liegen wartend unter dünner Decke,
    Und leise hörend stürmen sie herauf.
    Bleib nicht allein, denn in der Wüste trat
    Der Satansengel selbst zum Herrn des Himmels.

    Dritter Auftritt

    Bertrand tritt auf, einen Helm in der Hand. Thibaut. Raimond. Johanna

    Raimond. Still! Da kommt Bertrand aus der Stadt zurück.
    Sieh, was er trägt!

    Bertrand. Ihr staunt mich an, ihr seid
    Verwundert ob des seltsamen Gerätes
    In meiner Hand.

    Thibaut. Das sind wir. Saget an.
    Wie kamt Ihr zu dem Helm, was bringt Ihr uns
    Das böse Zeichen in die Friedensgegend?

    (Johanna, welche in beiden vorigen Szenen still und ohne Anteil auf der Seite gestanden, wird aufmerksam und tritt näher)

    Bertrand. Kaum weiß ich selbst zu sagen, wie das Ding
    Mir in die Hand geriet. Ich hatte eisernes
    Gerät mir eingekauft zu Vaucouleurs,
    Ein großes Drängen fand ich auf dem Markt,
    Denn flüchtges Volk war eben angelangt
    Von Orleans mit böser Kriegespost.
    Im Aufruhr lief die ganze Stadt zusammen,
    Und als ich Bahn mir mache durchs Gewühl,
    Da tritt ein braun Bohemerweib mich an
    Mit diesem Helm, faßt mich ins Auge scharf
    Und spricht: "Gesell, Ihr suchet einen Helm,
    Ich weiß, Ihr suchet einen. Da! Nehmt hin!
    Um ein Geringes steht er Euch zu Kaufe!"
    – "Geht zu den Lanzenknechten", sagt ich ihr,
    "Ich bin ein Landmann, brauche nicht des Helmes."
    Sie aber ließ nicht ab und sagte ferner:
    "Kein Mensch vermag zu sagen, ob er nicht
    Des Helmes braucht. Ein stählern Dach fürs Haupt
    Ist jetzo mehr wert als ein steinern Haus."
    So trieb sie mich durch alle Gassen, mir
    Den Helm aufnötigend, den ich nicht wollte.
    Ich sah den Helm, daß er so blank und schön
    Und würdig eines ritterlichen Haupts,
    Und da ich zweifelnd in der Hand ihn wog,
    Des Abenteuers Seltsamkeit bedenkend,
    Da war das Weib mir aus den Augen schnell,
    Hinweggerissen hatte sie der Strom
    Des Volkes, und der Helm blieb mir in Händen.

    Johanna(rasch und begierig danach greifend).
    Gebt mir den Helm!

    Bertrand. Was frommt Euch dies Geräte?
    Das ist kein Schmuck für ein jungfräulich Haupt.

    Johanna(entreißt ihm den Helm).
    Mein ist der Helm und mir gehört er zu.

    Thibaut. Was fällt dem Mädchen ein?

    Raimond. Laßt ihr den Willen!
    Wohl ziemt ihr dieser kriegerische Schmuck,
    Denn ihre Brust verschließt ein männlich Herz.
    Denkt nach, wie sie den Tigerwolf bezwang,
    Das grimmig wilde Tier, das unsre Herden
    Verwüstete, den Schrecken aller Hirten.
    Sie ganz allein, die löwenherzge Jungfrau,
    Stritt mit dem Wolf und rang das Lamm ihm ab,
    Das er im blutgen Rachen schon davontrug.
    Welch tapfres Haupt auch dieser Helm bedeckt,
    Er kann kein würdigeres zieren!

    Thibaut(zu Bertrand). Sprecht!
    Welch neues Kriegesunglück ist geschehn?
    Was brachten jene Flüchtigen?

    Bertrand. Gott helfe
    Dem König und erbarme sich des Landes!
    Geschlagen sind wir in zwei großen Schlachten,
    Mitten in Frankreich steht der Feind, verloren
    Sind alle Länder bis an die Loire –
    Jetzt hat er seine ganze Macht zusammen
    Geführt, womit er Orleans belagert.

    Thibaut. Gott schütze den König!

    Bertrand. Unermeßliches
    Geschütz ist aufgebracht von allen Enden,
    Und wie der Bienen dunkelnde Geschwader
    Den Korb umschwärmen in des Sommers Tagen,
    Wie aus geschwärzter Luft die Heuschreckwolke
    Herunterfällt und meilenlang die Felder
    Bedeckt in unabsehbarem Gewimmel,
    So goß sich eine Kriegeswolke aus
    Von Völkern über Orleans Gefilde,
    Und von der Sprachen unverständlichem
    Gemisch verworren dumpf erbraust das Lager.
    Denn auch der mächtige Burgund, der Länder-
    Gewaltige hat seine Mannen alle
    Herbeigeführt, die Lütticher, Luxemburger,
    Die Hennegauer, die vom Lande Namur,
    Und die das glückliche Brabant bewohnen,
    Die üppgen Genter, die in Samt und Seide
    Stolzieren, die von Seeland, deren Städte
    Sich reinlich aus dem Meereswasser heben,
    Die herdenmelkenden Holländer, die
    Von Utrecht, ja vom äußersten Westfriesland,
    Die nach dem Eispol schaun – Sie folgen alle
    Dem Heerbann des gewaltig herrschenden
    Burgund und wollen Orleans bezwingen.

    Thibaut. O des unselig jammervollen Zwists,
    Der Frankreichs Waffen wider Frankreich wendet!

    Bertrand. Auch sie, die alte Königin, sieht man,
    Die stolze Isabeau, die Bayerfürstin,
    In Stahl gekleidet durch das Lager reiten,
    Mit giftgen Stachelworten alle Völker
    Zur Wut aufregen wider ihren Sohn,
    Den sie in ihrem Mutterschoß getragen!

    Thibaut. Fluch treffe sie! Und möge Gott sie einst
    Wie jene stolze Jesabel verderben!

    Bertrand. Der fürchterliche Salisbury, der Mauren-
    Zertrümmerer, führt die Belagrung an,
    Mit ihm des Löwen Bruder Lionel,
    Und Talbot, der mit mörderischem Schwert
    Die Völker niedermähet in den Schlachten.
    In frechem Mute haben sie geschworen,
    Der Schmach zu weihen alle Jungfrauen,
    Und was das Schwert geführt, dem Schwert zu opfern.
    Vier hohe Warten haben sie erbaut,
    Die Stadt zu überragen; oben späht
    Graf Salisbury mit mordbegiergem Blick,
    Und zählt den schnellen Wandrer auf den Gassen.
    Viel tausend Kugeln schon von Zentners Last
    Sind in die Stadt geschleudert, Kirchen liegen
    Zertrümmert, und der königliche Turm
    Von Notre Dame beugt sein erhabnes Haupt.
    Auch Pulvergänge haben sie gegraben
    Und über einem Höllenreiche steht
    Die bange Stadt, gewärtig jede Stunde,
    Daß es mit Donners Krachen sich entzünde.

    (Johanna horcht mit gespannter Aufmerksamkeit und setzt sich den Helm auf)

    Thibaut. Wo aber waren denn die tapfern Degen
    Saintrailles, La Hire und Frankreichs Brustwehr,
    Der heldenmütge Bastard, daß der Feind
    So allgewaltig reißend vorwärts drang?
    Wo ist der König selbst, und sieht er müßig
    Des Reiches Not und seiner Städte Fall?

    Bertrand. Zu Chinon hält der König seinen Hof,
    Es fehlt an Volk, er kann das Feld nicht halten.
    Was nützt der Führer Mut, der Helden Arm,
    Wenn bleiche Furcht die Heere lähmt?
    Ein Schrecken, wie von Gott herabgesandt,
    Hat auch die Brust der Tapfersten ergriffen.
    Umsonst erschallt der Fürsten Aufgebot.
    Wie sich die Schafe bang zusammendrängen,
    Wenn sich des Wolfes Heulen hören läßt,
    So sucht der Franke, seines alten Ruhms
    Vergessend, nur die Sicherheit der Burgen.
    Ein einzger Ritter nur, hört ich erzählen,
    Hab eine schwache Mannschaft aufgebracht,
    Und zieh dem König zu mit sechzehn Fahnen.

    Johanna(schnell). Wie heißt der Ritter?

    Bertrand. Baudricour. Doch schwerlich
    Möcht er des Feindes Kundschaft hintergehn,
    Der mit zwei Heeren seinen Fersen folgt.

    Johanna. Wo hält der Ritter? Sagt mirs, wenn Ihrs wisset.

    Bertrand. Er steht kaum eine Tagereise weit
    Von Vaucouleurs.

    Thibaut(zu Johanna). Was kümmerts dich! Du fragst
    Nach Dingen, Mädchen, die dir nicht geziemen.

    Bertrand. Weil nun der Feind so mächtig und kein Schutz
    Vom König mehr zu hoffen, haben sie
    Zu Vaucouleurs einmütig den Beschluß
    Gefaßt, sich dem Burgund zu übergeben.
    So tragen wir nicht fremdes Joch und bleiben
    Beim alten Königsstamme – ja vielleicht
    Zur alten Krone fallen wir zurück,
    Wenn einst Burgund und Frankreich sich versöhnen.

    Johanna(in Begeisterung).
    Nichts von Verträgen! Nichts von Übergabe!
    Der Retter naht, er rüstet sich zum Kampf.
    Vor Orleans soll das Glück des Feindes scheitern,
    Sein Maß ist voll, er ist zur Ernte reif.
    Mit ihrer Sichel wird die Jungfrau kommen,
    Und seines Stolzes Saaten niedermähn,
    Herab vom Himmel reißt sie seinen Ruhm,
    Den er hoch an den Sternen aufgehangen.
    Verzagt nicht! Fliehet nicht! Denn eh der Rocken
    Gelb wird, eh sich die Mondesscheibe füllt,
    Wird kein engländisch Ross mehr aus den Wellen
    Der prächtig strömenden Loire trinken.

    Bertrand. Ach! Es geschehen keine Wunder mehr!

    Johanna. Es geschehn noch Wunder – Ein weiße Taube
    Wird fliegen und mit Adlerskühnheit diese Geier
    Anfallen, die das Vaterland zerreißen.
    Darniederkämpfen wird sie diesen stolzen
    Burgund, den Reichsverräter, diesen Talbot,
    Den himmelstürmend hunderthändigen,
    Und diesen Salisbury, den Tempelschänder,
    Und diese frechen Inselwohner alle
    Wie eine Herde Lämmer vor sich jagen.
    Der Herr wird mit ihr sein, der Schlachten Gott.
    Sein zitterndes Geschöpf wird er erwählen,
    Durch eine zarte Jungfrau wird er sich
    Verherrlichen, denn er ist der Allmächtge!

    Thibaut. Was für ein Geist ergreift die Dirn?

    Raimond. Es ist
    Der Helm, der sie so kriegerisch beseelt.
    Seht Eure Tochter an. Ihr Auge blitzt,
    Und glühend Feuer sprühen ihre Wangen!

    Johanna. Dies Reich soll fallen? Dieses Land des Ruhms,
    Das schönste, das die ewge Sonne sieht
    In ihrem Lauf, das Paradies der Länder,
    Das Gott liebt, wie den Apfel seines Auges,
    Die Fesseln tragen eines fremden Volks!
    – Hier scheiterte der Heiden Macht. Hier war
    Das erste Kreuz, das Gnadenbild erhöht,
    Hier ruht der Staub des heilgen Ludewig,
    Von hier aus ward Jerusalem erobert.

    Bertrand(erstaunt). Hört ihre Rede! Woher schöpfte sie
    Die hohe Offenbarung – Vater Arc!
    Euch gab Gott eine wundervolle Tochter!

    Johanna. Wir sollen keine eigne Könige
    Mehr haben, keinen eingebornen Herrn –
    Der König, der nie stirbt, soll aus der Welt
    Verschwinden – Der den heilgen Pflug beschützt,
    Der die Trift beschützt und fruchtbar macht die Erde,
    Der die Leibeignen in die Freiheit führt,
    Der die Städte freudig stellt um seinen Thron –
    Der dem Schwachen beisteht und den Bösen schreckt,
    Der den Neid nicht kennet, denn er ist der Größte,
    Der ein Mensch ist und ein Engel der Erbarmung
    Auf der feindselgen Erde. – Denn der Thron
    Der Könige, der von Golde schimmert, ist
    Das Obdach der Verlassenen – hier steht
    Die Macht und die Barmherzigkeit – es zittert
    Der Schuldige, vertrauend naht sich der Gerechte,
    Und scherzet mit den Löwen um den Thron!
    Der fremde König, der von außen kommt,
    Dem keines Ahnherrn heilige Gebeine
    In diesem Lande ruhn, kann er es lieben?
    Der nicht jung war mit unsern Jünglingen,
    Dem unsre Worte nicht zum Herzen tönen,
    Kann er ein Vater sein zu seinen Söhnen?

    Thibaut. Gott schütze Frankreich und den König! Wir
    Sind friedliche Landleute, wissen nicht
    Das Schwert zu führen, noch das kriegerische Roß
    Zu tummeln. – Laßt uns still gehorchend harren,
    Wen uns der Sieg zum König geben wird.
    Das Glück der Schlachten ist das Urteil Gottes,
    Und unser Herr ist, wer die heilge Ölung
    Empfängt und sich die Kron aufsetzt zu Reims.
    – Kommt an die Arbeit! Kommt! Und denke jeder
    Nur an das Nächste! Lassen wir die Großen,
    Der Erde Fürsten um die Erde losen,
    Wir können ruhig die Zerstörung schauen,
    Denn sturmfest steht der Boden, den wir bauen.
    Die Flamme brenne unsre Dörfer nieder,
    Die Saat zerstampfe ihrer Rosse Tritt,
    Der neue Lenz bringt neue Saaten mit,
    Und schnell erstehn die leichten Hütten wieder!

    (Alle außer der Jungfrau gehen ab)

    Vierter Auftritt

    Johanna(allein)
    Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften,
    Ihr traulich stillen Täler lebet wohl!
    Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln,
    Johanna sagt euch ewig Lebewohl.
    Ihr Wiesen, die ich wässerte! Ihr Bäume,
    Die ich gepflanzet, grünet fröhlich fort!
    Lebt wohl, ihr Grotten und ihr kühlen Brunnen!
    Du Echo, holde Stimme dieses Tals,
    Die oft mir Antwort gab auf meine Lieder,
    Johanna geht und nimmer kehrt sie wieder!

    Ihr Plätze aller meiner stillen Freuden,
    Euch laß ich hinter mir auf immerdar!
    Zerstreuet euch, ihr Lämmer auf der Heiden,
    Ihr seid jetzt eine hirtenlose Schar,
    Denn eine andre Herde muß ich weiden,
    Dort auf dem blutgen Felde der Gefahr,
    So ist des Geistes Ruf an mich ergangen,
    Mich treibt nicht eitles, irdisches Verlangen.

    Denn der zu Mosen auf des Horebs Höhen
    Im feurgen Busch sich flammend niederließ,
    Und ihm befahl, vor Pharao zu stehen,
    Der einst den frommen Knaben Isais,
    Den Hirten, sich zum Streiter ausersehen,
    Der stets den Hirten gnädig sich bewies,
    Er sprach zu mir aus dieses Baumes Zweigen:
    "Geh hin! Du sollst auf Erden für mich zeugen.

    In rauhes Erz sollst du die Glieder schnüren,
    Mit Stahl bedecken deine zarte Brust,
    Nicht Männerliebe darf dein Herz berühren,
    Mit sündgen Flammen eitler Erdenlust,
    Nie wird der Brautkranz deine Locke zieren,
    Dir blüht kein lieblich Kind an deiner Brust,
    Doch werd ich dich mit kriegerischen Ehren,
    Vor allen Erdenfrauen dich verklären.

    Denn wenn im Kampf die Mutigsten verzagen,
    Wenn Frankreichs letztes Schicksal nun sich naht,
    Dann wirst du meine Oriflamme tragen
    Und wie die rasche Schnitterin die Saat,
    Den stolzen Überwinder niederschlagen,
    Umwälzen wirst du seines Glückes Rad,
    Errettung bringen Frankreichs Heldensöhnen,
    Und Reims befrein und deinen König krönen!"

    Ein Zeichen hat der Himmel mir verheißen,
    Er sendet mir den Helm, er kommt von ihm,
    Mit Götterkraft berühret mich sein Eisen,
    Und mich durchflammt der Mut der Cherubim,
    Ins Kriegsgewühl hinein will es mich reißen,
    Es treibt mich fort mit Sturmes Ungestüm,
    Den Feldruf hör ich mächtig zu mir dringen,
    Das Schlachtroß steigt und die Trompeten klingen.

    (Sie geht ab)

    Erster Aufzug

    Hoflager König Karls zu Chinon

    Erster Auftritt

    Dunois und Du Chatel

    Dunois. Nein, ich ertrag es länger nicht. Ich sage
    Mich los von diesem König, der unrühmlich
    Sich selbst verläßt. Mir blutet in der Brust
    Das tapfre Herz und glühnde Tränen möcht ich weinen,
    Daß Räuber in das königliche Frankreich
    Sich teilen mit dem Schwert, die edeln Städte,
    Die mit der Monarchie gealtert sind,
    Dem Feind die rostgen Schlüssel überliefern,
    Indes wir hier in tatenloser Ruh
    Die köstlich edle Rettungszeit verschwenden.
    – Ich höre Orleans bedroht, ich fliege
    Herbei aus der entlegnen Normandie,
    Den König denk ich kriegerisch gerüstet
    An seines Heeres Spitze schon zu finden,
    Und find ihn – hier! Umringt von Gaukelspielern
    Und Troubadours, spitzfindge Rätsel lösend
    Und der Sorel galante Feste gebend,
    Als waltete im Reich der tiefste Friede!
    – Der Connetable geht, er kann den Greul
    Nicht länger ansehn. – Ich verlaß ihn auch,
    Und übergeb ihn seinem bösen Schicksal.

    Du Chatel. Da kommt der König!

    Zweiter Auftritt

    König Karl zu den Vorigen

    Karl. Der Connetable schickt sein Schwert zurück,
    Und sagt den Dienst mir auf. – In Gottes Namen!
    So sind wir eines mürrschen Mannes los,
    Der unverträglich uns nur meistern wollte.

    Dunois. Ein Mann ist viel wert in so teurer Zeit,
    Ich möcht ihn nicht mit leichtem Sinn verlieren.

    Karl. Das sagst du nur aus Lust des Widerspruchs,
    Solang er dawar, warst du nie sein Freund.

    Dunois. Er war ein stolz verdrießlich schwerer Narr,
    Und wußte nie zu enden – diesmal aber
    Weiß ers. Er weiß zu rechter Zeit zu gehn,
    Wo keine Ehre mehr zu holen ist.

    Karl. Du bist in deiner angenehmen Laune,
    Ich will dich nicht drin stören. – Du Chatel!
    Es sind Gesandte da vom alten König,
    René, belobte Meister im Gesang,
    Und weit berühmt. – Man muß sie wohl bewirten,
    Und jedem eine goldne Kette reichen.
    (Zum Bastard) Worüber lachst du?

    Dunois. Daß du goldne Ketten
    Aus deinem Munde schüttelst.

    Du Chatel. Sire! Es ist
    Kein Geld in deinem Schatze mehr vorhanden.

    Karl. So schaffe welches. – Edle Sänger dürfen
    Nicht ungeehrt von meinem Hofe ziehen.
    Sie machen uns den dürren Szepter blühn,
    Sie flechten den unsterblich grünen Zweig
    Des Lebens in die unfruchtbare Krone,
    Sie stellen herrschend sich den Herrschern gleich,
    Aus leichten Wünschen bauen sie sich Throne,
    Und nicht im Raume liegt ihr harmlos Reich,
    Sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen!

    Du Chatel. Mein königlicher Herr! Ich hab dein Ohr
    Verschont, solang noch Rat und Hülfe war,
    Doch endlich löst die Notdurft mir die Zunge.
    – Du hast nichts mehr zu schenken, ach! du hast
    Nicht mehr, wovon du morgen könntest leben!
    Die hohe Flut des Reichtums ist zerflossen,
    Und tiefe Ebbe ist in deinem Schatz.
    Den Truppen ist der Sold noch nicht bezahlt,
    Sie drohen murrend abzuziehen. – Kaum weiß
    Ich Rat, dein eignes königliches Haus
    Notdürftig nur, nicht fürstlich, zu erhalten.

    Karl. Verpfände meine königlichen Zölle,
    Und laß dir Geld darleihn von den Lombarden.

    Du Chatel. Sire, deine Kroneinkünfte, deine Zölle,
    Sind auf drei Jahre schon voraus verpfändet.

    Dunois. Und unterdes geht Pfand und Land verloren.

    Karl. Uns bleiben noch viel reiche schöne Länder.

    Dunois. Solang es Gott gefällt und Talbots Schwert!
    Wenn Orleans genommen ist, magst du
    Mit deinem König René Schafe hüten.

    Karl. Stets übst du deinen Witz an diesem König,
    Doch ist es dieser länderlose Fürst,
    Der eben heut mich königlich beschenkte.

    Dunois. Nur nicht mit seiner Krone von Neapel,
    Um Gotteswillen nicht! Denn die ist feil,
    Hab ich gehört, seitdem er Schafe weidet.

    Karl. Das ist ein Scherz, ein heitres Spiel, ein Fest,
    Das er sich selbst und seinem Herzen gibt,
    Sich eine schuldlos reine Welt zu gründen
    In dieser rauh barbarschen Wirklichkeit.
    Doch was er Großes, Königliches will –
    Er will die alten Zeiten wiederbringen,
    Wo zarte Minne herrschte, wo die Liebe
    Der Ritter große Heldenherzen hob,
    Und edle Frauen zu Gerichte saßen,
    Mit zartem Sinne alles Feine schlichtend.
    In jenen Zeiten wohnt der heitre Greis,
    Und wie sie noch in alten Liedern leben,
    So will er sie, wie eine Himmelstadt,
    In goldnen Wolken, auf die Erde setzen –
    Gegründet hat er einen Liebeshof,
    Wohin die edlen Ritter sollen wallen,
    Wo keusche Frauen herrlich sollen thronen,
    Wo reine Minne wiederkehren soll,
    Und mich hat er erwählt zum Fürst der Liebe.

    Dunois. Ich bin so sehr nicht aus der Art geschlagen,
    Daß ich der Liebe Herrschaft sollte schmähn.
    Ich nenne mich nach ihr, ich bin ihr Sohn,
    Und all mein Erbe liegt in ihrem Reich.
    Mein Vater war der Prinz von Orleans,
    Ihm war kein weiblich Herz unüberwindlich,
    Doch auch kein feindlich Schloß war ihm zu fest.
    Willst du der Liebe Fürst dich würdig nennen,
    So sei der Tapfern Tapferster! – Wie ich
    Aus jenen alten Büchern mir gelesen,
    War Liebe stets mit hoher Rittertat
    Gepaart und Helden, hat man mich gelehrt,
    Nicht Schäfer saßen an der Tafelrunde.
    Wer nicht die Schönheit tapfer kann beschützen,
    Verdient nicht ihren goldnen Preis. – Hier ist
    Der Fechtplatz! Kämpf um deiner Väter Krone!
    Verteidige mit ritterlichem Schwert
    Dein Eigentum und edler Frauen Ehre –
    Und hast du dir aus Strömen Feindesbluts
    Die angestammte Krone kühn erobert,
    Dann ist es Zeit und steht dir fürstlich an,
    Dich mit der Liebe Myrten zu bekrönen.

    Karl(zu einem Edelknecht, der hereintritt).
    Was gibts?

    Edelknecht. Ratsherrn von Orleans flehen um Gehör.

    Karl. Führ sie herein.
    (Edelknecht geht ab) Sie werden Hülfe fodern,
    Was kann ich tun, der selber hülflos ist!

    Dritter Auftritt

    Drei Ratsherren zu den Vorigen

    Karl. Willkommen, meine vielgetreuen Bürger
    Aus Orleans! Wie stehts um meine gute Stadt?
    Fährt sie noch fort mit dem gewohnten Mut
    Dem Feind zu widerstehn, der sie belagert?

    Ratsherr. Ach Sire! Es drängt die höchste Not, und stündlich wachsend
    Schwillt das Verderben an die Stadt heran.
    Die äußern Werke sind zerstört, der Feind
    Gewinnt mit jedem Sturme neuen Boden.
    Entblößt sind von Verteidigern die Mauern,
    Denn rastlos fechtend fällt die Mannschaft aus,
    Doch wen'ge sehn die Heimatpforte wieder,
    Und auch des Hungers Plage droht der Stadt.
    Drum hat der edle Graf von Rochepierre,
    Der drin befehlt, in dieser höchsten Not
    Vertragen mit dem Feind, nach altem Brauch,
    Sich zu ergeben auf den zwölften Tag,
    Wenn binnen dieser Zeit kein Heer im Feld
    Erschien, zahlreich genug, die Stadt zu retten.

    (Dunois macht eine heftige Bewegung des Zorns)

    Karl. Die Frist ist kurz.

    Ratsherr. Und jetzo sind wir hier
    Mit Feinds Geleit, daß wir dein fürstlich Herz
    Anflehen, deiner Stadt dich zu erbarmen,
    Und Hülf zu senden binnen dieser Frist,
    Sonst übergibt er sie am zwölften Tage.

    Dunois. Saintrailles konnte seine Stimme geben
    Zu solchem schimpflichen Vertrag!

    Ratsherr. Nein, Herr!
    Solang der Tapfre lebte, durfte nie
    Die Rede sein von Fried und Übergabe.

    Dunois. So ist er tot!

    Ratsherr. An unsern Mauern sank
    Der edle Held für seines Königs Sache.

    Karl. Saintrallles tot! O in dem einzgen Mann
    Sinkt mir ein Heer!

    (Ein Ritter kommt und spricht einige Worte leise mit dem Bastard, welcher betroffen auffährt)

    Dunois. Auch das noch!

    Karl. Nun! Was gibts?

    Dunois. Graf Douglas sendet her. Die schottschen Völker
    Empören sich und drohen abzuziehn,
    Wenn sie nicht heut den Rückstand noch erhalten.

    Karl. Du Chatel!

    Du Chatel(zuckt die Achseln).
    Sire! Ich weiß nicht Rat.

    Karl. Versprich,
    Verpfände was du hast, mein halbes Reich –

    Du Chatel. Hilft nichts! Sie sind zu oft vertröstet worden!

    Karl. Es sind die besten Truppen meines Heers!
    Sie sollen mich jetzt nicht, nicht jetzt verlassen!

    Ratsherr(mit einem Fußfall).
    O König, hilf uns! Unsrer Not gedenke!

    Karl(verzweiflungsvoll). Kann ich Armeen aus der Erde stampfen?
    Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand?
    Reißt mich in Stücken, reißt das Herz mir aus,
    Und münzet es statt Goldes! Blut hab ich
    Für euch, nicht Silber hab ich, noch Soldaten!

    (Er sieht die Sorel hereintreten, und eilt ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen)

    Vierter Auftritt

    Agnes Sorel ein Kästchen in der Hand, zu den Vorigen

    Karl. O meine Agnes! Mein geliebtes Leben!
    Du kommst, mich der Verzweiflung zu entreißen!
    Ich habe dich, ich flieh an deine Brust,
    Nichts ist verloren, denn du bist noch mein.

    Sorel. Mein teurer König!
    (Mit ängstlich fragendem Blick umherschauend)
    Dunois! Ists wahr?
    Du Chatel?

    Du Chatel. Leider!

    Sorel. Ist die Not so groß?
    Es fehlt am Sold? Die Truppen wollen abziehn?

    Du Chatel. Ja leider ist es so!

    Sorel(ihm das Kästchen aufdrängend).
    Hier, hier ist Gold,
    Hier sind Juwelen – Schmelzt mein Silber ein –
    Verkauft, verpfändet meine Schlösser- Leihet
    Auf meine Güter in Provence – Macht alles
    Zu Gelde und befriediget die Truppen.
    Fort! Keine Zeit verloren! (Treibt ihn fort)

    Karl. Nun, Dunois? Nun, Du Chatel! Bin ich euch
    Noch arm, da ich die Krone aller Frauen
    Besitze? – Sie ist edel, wie ich selbst
    Geboren, selbst das königliche Blut
    Der Valois ist nicht reiner, zieren wurde sie
    Den ersten Thron der Welt – doch sie verschmäht ihn,
    Nur meine Liebe will sie sein und heißen.
    Erlaubte sie mir jemals ein Geschenk
    Von höherm Wert, als eine frühe Blume
    Im Winter oder seltne Frucht! Von mir
    Nimmt sie kein Opfer an, und bringt mir alle!
    Wagt ihren ganzen Reichtum und Besitz
    Großmütig an mein untersinkend Glück.

    Sorel. Glaub ihm nicht.
    Er hat sein Leben zehenmal für dich
    Gewagt und zürnt, daß ich mein Gold jetzt wage.
    Wie? Hab ich dir nicht alles froh geopfert,
    Was mehr geachtet wird als Gold und Perlen,
    Und sollte jetzt mein Glück für mich behalten?
    Komm! Laß uns allen überflüßgen Schmuck
    Des Lebens von uns werfen! Laß mich dir
    Ein edles Beispiel der Entsagung geben!
    Verwandle deinen Hofstaat in Soldaten,
    Dein Gold in Eisen, alles was du hast,
    Wirf es entschlossen hin nach deiner Krone!
    Komm! Komm! Wir teilen Mangel und Gefahr!
    Das kriegerische Roß laß uns besteigen,
    Den zarten Leib dem glühnden Pfeil der Sonne
    Preisgeben, die Gewölke über uns
    Zur Decke nehmen, und den Stein zum Pfühl.
    Der rauhe Krieger wird sein eignes Weh
    Geduldig tragen, sieht er seinen König
    Dem Ärmsten gleich ausdauren und entbehren!

    Dunois. Ja sie ist eine Rasende wie du,
    Und wirft ihr Alles in ein brennend Haus,
    Und schöpft ins lecke Faß der Danaiden.
    Dich wird sie nicht erretten, nur sich selbst
    Wird sie mit dir verderben –

    Karl(lächelnd). Ja, nun erfüllt sich mir ein altes Wort
    Der Weissagung, das eine Nonne mir
    Zu Clermont im prophetschert Geiste sprach.
    Ein Weib, verhieß die Nonne, würde mich
    Zum Sieger machen über alle Feinde,
    Und meiner Väter Krone mir erkämpfen.
    Fern sucht ich sie im Feindeslager auf,
    Das Herz der Mutter hofft ich zu versöhnen,
    Hier steht die Heldin, die nach Reims mich führt,
    Durch meiner Agnes Liebe werd ich siegen!

    Sorel. Du wirsts durch deiner Freunde tapfres Schwert.

    Karl. Auch von der Feinde Zwietracht hoff ich viel
    Denn mir ist sichre Kunde zugekommen,
    Daß zwischen diesen stolzen Lords von England
    Und meinem Vetter von Burgund nicht alles mehr
    So steht wie sonst – Drum hab ich den La Hire
    Mit Botschaft an den Herzog abgefertigt,
    Ob mirs gelänge, den erzürnten Pair
    Zur alten Pflicht und Treu zurückzuführen
    Mit jeder Stunde wart ich seiner Ankunft.

    Du Chatel(am Fenster). Der Ritter sprengt soeben in den Hof

    Karl. Willkommner Bote! Nun so werden wir
    Bald wissen, ob wir weichen oder siegen.

    Fünfter Auftritt

    La Hire zu den Vorigen!

    Karl(geht ihm entgegen).
    La Hire! Bringst du uns Hoffnung oder keine?
    Erklär dich kurz. Was hab ich zu erwarten?

    La Hire. Erwarte nichts mehr als von deinem Schwert.

    Karl. Der stolze Herzog laßt sich nicht versöhnen!
    O sprich! Wie nahm er meine Botschaft auf?

    La Hire. Vor allen Dingen und bevor er noch
    Ein Ohr dir könne leihen, Lodert er,
    Daß ihm Du Chatel ausgeliefert werde,
    Den er den Mörder seines Vaters nennt.

    Karl. Und, weigern wir uns dieser Schmachbedingung?

    La Hire. Dann sei der Bund zertrennt, noch eh er anfing.

    Karl. Hast du ihn drauf, wie ich dir anbefahl,
    Zum Kampf mit mir gefodert auf der Brücke
    Zu Montereau, allwo sein Vater fiel?

    La Hire. Ich warf ihm deinen Handschuh hin und sprach:
    Du wolltest deiner Hoheit dich begeben,
    Und als ein Ritter kämpfen um dein Reich.
    Doch er versetzte: nimmer täts ihm not,
    Um das zu fechten, was er schon besitze.
    Doch wenn dich so nach Kämpfen lüstete,
    So würdest du vor Orleans ihn finden,
    Wohin er morgen willens sei zu gehn;
    Und damit kehrt' er lachend mir den Rücken.

    Karl. Erhob sich nicht in meinem Parlamente
    Die reine Stimme der Gerechtigkeit?

    La Hire. Sie ist verstummt vor der Parteien Wut.
    Ein Schluß des Parlaments erklärte dich
    Des Throns verlustig, dich und dein Geschlecht.

    Dunois. Ha frecher Stolz des herrgewordnen Bürgers!

    Karl. Hast du bei meiner Mutter nichts versucht?

    La Hire. Bei deiner Mutter!

    Karl. Ja! Wie ließ sie sich vernehmen?

    La Hire(nachdem er einige Augenblicke sich bedacht).
    Es war gerad das Fest der Königskrönung,
    Als ich zu Saint Denis eintrat. Geschmückt
    Wie zum Triumphe waren die Pariser,
    In jeder Gasse stiegen Ehrenbogen,
    Durch die der engelländsche König zog.
    Bestreut mit Blumen war der Weg und jauchzend,
    Als hätte Frankreich seinen schönsten Sieg
    Erfochten, sprang der Pöbel um den Wagen.

    Sorel. Sie jauchzten – jauchzten, daß sie auf das Herz
    Des liebevollen sanften Königs traten!

    La Hire. Ich sah den jungen Harry Lancaster,
    Den Knaben, auf dem königlichen Stuhl
    Sankt Ludwigs sitzen, seine stolzen Öhme
    Bedford und Gloster standen neben ihm,
    Und Herzog Philipp kniet' am Throne nieder
    Und leistete den Eid für seine Länder.

    Karl. O ehrvergeßner Pair! Unwürdger Vetter!

    La Hire. Das Kind war bang und strauchelte, da es
    Die hohen Stufen an dem Thron hinanstieg.
    »Ein böses Omen!« murmelte das Volk,
    Und es erhob sich schallendes Gelächter.
    Da trat die alte Königin, deine Mutter,
    Hinzu, und – mich entrüstet es zu sagen!

    Karl. Nun?

    La Hire. In die Arme faßte sie den Knaben
    Und setzt' ihn selbst auf deines Vaters Stuhl.

    Karl. O Mutter! Mutter!

    La Hire. Selbst die wütenden
    Burgundier, die mordgewohnten Banden,
    Erglüheten vor Scham bei diesem Anblick.
    Sie nahm es wahr und an das Volk gewendet
    Rief sie mit lauter Stimm: »Dankt mirs, Franzosen,
    Daß ich den kranken Stamm mit reinem Zweig
    Veredle, euch bewahre vor dem miß-
    Gebornen Sohn des hirnverrückten Vaters!«

    (Der König verhüllt sich, Agnes eilt auf ihn zu und schließt ihn in ihre Arme, alle Umstehenden drücken ihren Abscheu, ihr Entsetzen aus)

    Dunois. Die Wölfin! die wutschnaubende Megäre!

    Karl(nach einer Pause zu den Ratsherren).
    Ihr habt gehört, wie hier die Sachen stehn.
    Verweilt nicht länger, geht nach Orleans
    Zurück, und meldet meiner treuen Stadt:
    Des Eides gegen mich entlaß ich sie.
    Sie mag ihr Heil beherzigen und sich
    Der Gnade des Burgundiers ergeben,
    Er heißt der Gute, er wird menschlich sein.

    Dunois. Wie Sire? Du wolltest Orleans verlassen!

    Ratsherr(kniet nieder). Mein königlicher Herr! Zieh deine Hand
    Nicht von uns ab! Gib deine treue Stadt
    Nicht unter Englands harte Herrschaft hin.
    Sie ist ein edler Stein in deiner Krone,
    Und keine hat den Königen, deinen Ahnherrn,
    Die Treue heiliger bewahrt.

    Dunois. Sind wir
    Geschlagen? Ists erlaubt, das Feld zu räumen,
    Eh noch ein Schwertstreich um die Stadt geschehn?
    Mit einem leichten Wörtlein, ehe Blut
    Geflossen ist, denkst du die beste Stadt
    Aus Frankreichs Herzen wegzugeben?

    Karl. Des Blutes ist geflossen und vergebens!
    Des Himmels schwere Hand ist gegen mich,
    Geschlagen wird mein Heer in allen Schlachten,
    Mein Parlament verwirft mich, meine Hauptstadt,
    Mein Volk nimmt meinen Gegner jauchzend auf,
    Die mir die Nächsten sind am Blut, verlassen,
    Verraten mich – Die eigne Mutter nährt
    Die fremde Feindesbrut an ihren Brüsten.
    – Wir wollen jenseits der Loire uns ziehn,
    Und der gewaltgen Hand des Himmels weichen,
    Der mit dem Engelländer ist.

    Sorel. Das wolle Gott nicht, daß wir, an uns selbst
    Verzweifelnd, diesem Reich den Rücken wenden!
    Dies Wort kam nicht aus deiner tapfern Brust.
    Der Mutter unnatürlich rohe Tat
    Hat meines Königs Heldenherz gebrochen!
    Du wirst dich wiederfinden, männlich fassen,
    Mit edelm Mut dem Schicksal widerstehen,
    Das grimmig dir entgegenkämpft.

    Karl(in düstres Sinnen verloren). Ist es nicht wahr?
    Ein finster furchtbares Verhängnis waltet
    Durch Valois' Geschlecht, es ist verworfen
    Von Gott, der Mutter Lastertaten führten
    Die Furien herein in dieses Haus,
    Mein Vater lag im Wahnsinn zwanzig Jahre,
    Drei ältre Brüder hat der Tod vor mir
    Hinweggemäht, es ist des Himmels Schluß,
    Das Haus des sechsten Karls soll untergehn.

    Sorel. In dir wird es sich neuverjüngt erheben!
    Hab Glauben an dich selbst. – O! nicht umsonst
    Hat dich ein gnädig Schicksal aufgespart
    Von deinen Brüdern allen, dich den jüngsten
    Gerufen auf den ungehofften Thron.
    In deiner sanften Seele hat der Himmel
    Den Arzt für alle Wunden sich bereitet,
    Die der Parteien Wut dem Lande schlug.
    Des Bürgerkrieges Flammen wirst du löschen,
    Mir sagts das Herz, den Frieden wirst du pflanzen,
    Des Frankenreiches neuer Stifter sein.

    Karl. Nicht ich. Die rauhe sturmbewegte Zeit
    Heischt einen kraftbegabtem Steuermann.
    Ich hätt ein friedlich Volk beglücken können,
    Ein wild empörtes kann ich nicht bezähmen,
    Nicht mir die Herzen öffnen mit dem Schwert,
    Die sich entfremdet mir in Haß verschließen.

    Sorel. Verblendet ist das Volk, ein Wahn betäubt es,
    Doch dieser Taumel wird vorübergehe,
    Erwachen wird, nicht fern mehr ist der Tag,
    Die Liebe zu dem angestammten König,
    Die tief gepflanzt ist in des Franken Brust,
    Der alte Haß, die Eifersucht erwachen,
    Die beide Völker ewig feindlich trennt;
    Den stolzen Sieger stürzt sein eignes Glück.
    Darum verlasse nicht mit Übereilung
    Den Kampfplatz, ring um jeden Fußbreit Erde,
    Wie deine eigne Brust verteidige
    Dies Orleans! Laß alle Fähren lieber
    Versenken, alle Brücken niederbrennen,
    Die über diese Scheide deines Reichs,
    Das stygsche Wasser der Loire dich führen.

    Karl. Was ich vermocht, hab ich getan. Ich habe
    Mich dargestellt zum ritterlichen Kampf
    Um meine Krone. – Man verweigert ihn.
    Umsonst verschwend ich meines Volkes Leben,
    Und meine Städte sinken in den Staub.
    Soll ich gleich jener unnatürlichen Mutter
    Mein Kind zerteilen lassen mit dem Schwert?
    Nein, daß es lebe, will ich ihm entsagen.

    Dunois. Wie Sire? Ist das die Sprache eines Königs?
    Gibt man so eine Krone auf? Es setzt
    Der Schlechtste deines Volkes Gut und Blut
    An seine Meinung, seinen Haß und Liebe,
    Partei wird alles, wenn das blutge Zeichen
    Des Bürgerkrieges ausgehangen ist.
    Der Ackersmann verläßt den Pflug, das Weib
    Den Rocken, Kinder, Greise waffnen sich,
    Der Bürger zündet seine Stadt, der Landmann
    Mit eignen Händen seine Saaten an,
    Um dir zu schaden oder wohlzutun
    Und seines Herzens Wollen zu behaupten.
    Nichts schont er selber und erwartet sich
    Nicht Schonung, wenn die Ehre ruft, wenn er
    Für seine Götter oder Götzen kämpft.
    Drum weg mit diesem weichlichen Mitleiden,
    Das einer Königsbrust nicht ziemt. – Laß du
    Den Krieg ausrasen, wie er angefangen,
    Du hast ihn nicht leichtsinnig selbst entflammt.
    Für seinen König muß das Volk sich opfern,
    Das ist das Schicksal und Gesetz der Welt.
    Der Franke weiß es nicht und wills nicht anders. Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
    Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.

    Karl(zu den Ratsherren). Erwartet keinen anderen Bescheid.
    Gott schütz euch. Ich kann nicht mehr.

    Dunois. Nun so kehre
    Der Siegesgott auf ewig dir den Rücken,
    Wie du dem väterlichen Reich. Du hast
    Dich selbst verlassen, so verlaß ich dich.
    Nicht Englands und Burgunds vereinte Macht,
    Dich stürzt der eigne Kleinmut von dem Thron.
    Die Könige Frankreichs sind geborne Helden,
    Du aber bist unkriegerisch gezeugt.
    (Zu den Ratsherren) Der König gibt euch auf. Ich aber will
    In Orleans, meines Vaters Stadt, mich werfen,
    Und unter ihren Trümmern mich begraben.

    (Er will gehen. Agnes Sorel hält ihn auf)

    Sorel(zum König). O laß ihn nicht im Zorne von dir gehn!
    Sein Mund spricht rauhe Worte, doch sein Herz
    Ist treu wie Gold, es ist derselbe doch,
    Der warm dich liebt und oft für dich geblutet.
    Kommt, Dunois! Gesteht, daß Euch die Hitze
    Des edeln Zorns zu weit geführt- Du aber
    Verzeih dem treuen Freund die heftge Rede!
    O kommt, kommt! Laßt mich eure Herzen schnell
    Vereinigen, eh sich der rasche Zorn
    Unlöschbar, der verderbliche, entflammt!

    (Dunois fixiert den König und scheint eine Antwort zu erwarten)

    Karl(zu Du Chatel). Wir gehen über die Loire. Laß mein
    Gerät zu Schiffe bringen!

    Dunois(schnell zur Sorel). Lebet wohl!
    (Wendet sich schnell und geht, Ratsherren folgen)
    Sorel(ringt verzweifelt die Hände).
    O wenn er geht, so sind wir ganz verlassen!
    – Folgt ihm, La Hire. O sucht ihn zu begütgen.

    (La Hire geht ab)

    Sechster Auftritt

    Karl. Sorel. Du Chatel

    Karl. Ist denn die Krone ein so einzig Gut?
    Ist es so bitter schwer, davon zu scheiden?
    Ich kenne was noch schwerer sich erträgt.
    Von diesen trotzig herrischen Gemütern
    Sich meistern lassen, von der Gnade leben
    Hochsinnig eigenwilliger Vasallen,
    Das ist das Harte für ein edles Herz,
    Und bittrer als dem Schicksal unterliegen!
    (Zu Du Chatel, der noch zaudert) Tu was ich dir befohlen!

    Du Chatel(wirft sich zu seinen Füßen).
    O mein König!

    Karl. Es ist beschlossen. Keine Worte weiter!

    Du Chatel. Mach Frieden mit dem Herzog von Burgund,
    Sonst seh ich keine Rettung mehr für dich.

    Karl. Du rätst mir dieses, und dein Blut ist es,
    Womit ich diesen Frieden soll versiegeln?

    Du Chatel. Hier ist mein Haupt. Ich hab es oft für dich
    Gewagt in Schlachten und ich leg es jetzt
    Für dich mit Freuden auf das Blutgerüste.
    Befriedige den Herzog. Überliefre mich
    Der ganzen Strenge seines Zorns und laß
    Mein fließend Blut den alten Haß versöhnen!

    Karl(blickt ihn eine Zeitlang gerührt und schweigend an).
    Ist es denn wahr? Steht es so schlimm mit mir,
    Daß meine Freunde, die mein Herz durchschauen,
    Den Weg der Schande mir zur Rettung zeigen?
    Ja, jetzt erkenn ich meinen tiefen Fall,
    Denn das Vertraun ist hin auf meine Ehre.

    Du Chatel. Bedenk —

    Karl. Kein Wort mehr! Bringe mich nicht auf!
    Müßt ich zehn Reiche mit dem Rücken schauen,
    Ich rette mich nicht mit des Freundes Leben.
    – Tu was ich dir befohlen. Geh und laß
    Mein Heergerät einschiffen.

    Du Chatel. Es wird schnell
    Getan sein.

    (Steht auf und geht, Agnes Sorel weint heftig)

    Siebenter Auftritt

    Karl und Agnes Sorel

    Karl(ihre Hand fassend). Sei nicht traurig, meine Agnes.
    Auch jenseits der Loire liegt noch ein Frankreich,
    Wir gehen in ein glücklicheres Land.
    Da lacht ein milder niebewölkter Himmel
    Und leichtre Lüfte wehn, und sanftre Sitten
    Empfangen uns, da wohnen die Gesänge
    Und schöner blüht das Leben und die Liebe.

    Sorel. O muß ich diesen Tag des Jammers schauen!
    Der König muß in die Verbannung gehn,
    Der Sohn auswandern aus des Vaters Hause
    Und seine Wiege mit dem Rücken schauen.
    O angenehmes Land, das wir verlassen,
    Nie werden wir dich freudig mehr betreten.

    Achter Auftritt

    La Hire kommt zurück. Karl und Sorel

    Sorel. Ihr kommt allein. Ihr bringt ihn nicht zurück?
    (Indem sie ihn näher ansieht)
    La Hire! Was gibts? Was sagt mir Euer Blick?
    Ein neues Unglück ist geschehn!

    La Hire. Das Unglück
    Hat sich erschöpft und Sonnenschein ist wieder!

    Sorel. Was ists? Ich bitt Euch.

    La Hire(zum König).Ruf die Abgesandten
    Von Orleans zurück!

    Karl. Warum? Was gibts?

    La Hire. Ruf sie zurück. Dein Glück hat sich gewendet,
    Ein Treffen ist geschehn, du hast gesiegt.

    Sorel. Gesiegt! O himmlische Musik des Wortes!

    Karl. La Hire! Dich täuscht ein fabelhaft Gerücht.
    Gesiegt! Ich glaub an keine Siege mehr.

    La Hire. O du wirst bald noch größre Wunder glauben.
    – Da kommt der Erzbischof. Er führt den Bastard
    In deinen Arm zurück –

    Sorel. O schöne Blume
    des Siegs, die gleich die edeln Himmelsfrüchte,
    Fried und Versöhnung trägt!

    Neunter Auftritt

    Erzbischof von Reims. Dunois. Du Chatel mit Raoul, einem geharnischten Ritter, zu den Vorigen

    Erzbischof(führt den Bastard zu dem König und legt ihre Hände ineinander). Umarmt euch, Prinzen!
    Laßt allen Groll und Hader jetzo schwinden,
    Da sich der Himmel selbst für uns erklärt.
    (Dunois umarmt den König)

    Karl. Reißt mich aus meinem Zweifel und Erstaunen.
    Was kündigt dieser feierliche Ernst mir an?
    Was wirkte diesen schnellen Wechsel?

    Erzbischof(führt den Ritter hervor und stellt ihn vor den König). Redet!

    Raoul. Wir hatten sechzehn Fähnlein aufgebracht
    Lothringisch Volk, zu deinem Heer zu stoßen,
    Und Ritter Baudricour aus Vaucouleurs
    War unser Führer. Als wir nun die Höhen
    Bei Vermanton erreicht und in das Tal,
    Das die Yonne durchströmt, herunterstiegen,
    Da stand in weiter Ebene vor uns der Feind,
    Und Waffen blitzten, da wir rückwärts sahn.
    Umrungen sahn wir uns von beiden Heeren.
    Nicht Hoffnung war zu siegen noch zu fliehn,
    Da sank dem Tapfersten das Herz und alles,
    Verzweiflungsvoll, will schon die Waffen strecken.
    Als nun die Führer miteinander noch
    Rat suchten und nicht fanden – sich da stellte sich
    Ein seltsam Wunder unsern Augen dar!
    Denn aus der Tiefe des Gehölzes plötzlich
    Trat eine Jungfrau, mit behelmtem Haupt
    Wie eine Kriegesgöttin, schön zugleich
    Und schrecklich anzusehn, um ihren Nacken
    In dunkeln Ringen fiel das Haar, ein Glanz
    Vom Himmel schien die Hohe zu umleuchten,
    Als sie die Stimm erhub und also sprach:
    »Was zagt ihr, tapfre Franken! Auf den Feind!
    Und wären sein mehr denn des Sands im Meere,
    Gott und die heilge Jungfrau führt euch an!«
    Und schnell dem Fahnenträger aus der Hand
    Riß sie die Fahn und vor dem Zuge her
    Mit kühnem Anstand schritt die Mächtige.
    Wir, stumm vor Staunen, selbst nicht wollend, folgen
    Der hohen Fahn und ihrer Trägerin,
    Und auf den Feind gerad an stürmen wir.
    Der, hochbetroffen, steht bewegungslos
    Mit weitgeöffnet starrem Blick das Wunder
    Anstaunend, das sich seinen Augen zeigt –
    Doch schnell, als hätten Gottes Schrecken ihn
    Ergriffen, wendet er sich um
    Zur Flucht, und Wehr und Waben von sich werdend
    Entschart das ganze Heer sich im Gefilde,
    Da hilft kein Machtwort, keines Führers Ruf,
    Vor Schrecken sinnlos, ohne rückzuschaun,
    Stürzt Mann und Roß sich in des Flusses Bette,
    Und läßt sich würgen ohne Widerstand,
    Ein Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen!
    Zweitausend Feinde deckten das Gefild,
    Die nicht gerechnet, die der Fluß verschlang,
    Und von den Unsern ward kein Mann vermißt.

    Karl. Seltsam bei Gott! höchst wunderbar und seltsam!

    Sorel. Und eine Jungfrau wirkte dieses Wunder?
    Wo kam sie her? Wer ist sie?

    Raoul. Wer sie sei,
    Will sie allein dem König offenbaren.
    Sie nennt sich eine Seherin und Gotts
    Gesendete Prophetin, und verspricht
    Orleans zu retten, eh der Mond noch wechselt.
    Ihr glaubt das Volk und dürstet nach Gefechten.
    Sie folgt dem Heer, gleich wird sie selbst hiersein.
    (Man hört Glocken und Geklirr von Waffen, die aneinandergeschlagen werden)
    Hört ihr den Auflauf? Das Geläut der Glocken?
    Sie ists, das Volk begrüßt die Gottgesandte.

    Karl(zu Du Chatel). Führt sie herein –
    (zum Erzbischof) Was soll ich davon denken!
    Ein Mädchen bringt mir Sieg und eben jetzt,
    Da nur ein Götterarm mich retten kann!
    Das ist nicht in dem Laufe der Natur,
    Und darf ich – Bischof, darf ich Wunder glauben?

    Viele Stimmen(hinter der Szene).
    Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin!

    Karl. Sie kommt!
    (Zu Dunois) Nehmt meinen Platz ein, Dunois!
    Wir wollen dieses Wundermädchen prüfen,
    Ist sie begeistert und von Gott gesandt,
    Wird sie den König zu entdecken wissen.

    (Dunois setzt sich, der König steht zu seiner Rechten, neben ihm Agnes Sorel, der Erzbischof mit den übrigen gegenüber, daß der mittlere Raum leer bleibt)

    Zehnter Auftritt

    Die Vorigen. Johanna begleitet von den Ratsherren und vielen Rittern, welche den Hintergrund der Szene anfüllen; mit edelm Anstand tritt sie vorwärts, und schaut die Umstehenden der Reihe nach an

    Dunois(nach einer tiefen feierlichen Stille).
    Bist du es, wunderbares Mädchen –

    Johanna(unterbricht ihn, mit Klarheit und Hoheit ihn anschauend).
    Bastard von Orleans! Du willst Gott versuchen!
    Steh auf von diesem Platz, der dir nicht ziemt,
    An diesen Größeren bin ich gesendet.

    (Sie geht mit entschiedenem Schritt auf den König zu, beugt ein Knie vor ihm und steht sogleich wieder auf, zurücktretend. Alle Anwesenden drücken ihr Erstaunen aus. Dunois verläßt seinen Sitz und es wird Raum vor dem König)

    Karl. Du siehst mein Antlitz heut zum erstenmal,
    Von wannen kommt dir diese Wissenschaft?

    Johanna. Ich sah dich, wo dich niemand sah als Gott.
    (Sie nähert sich dem König und spricht geheimnisvoll)
    In jüngst verwichner Nacht, besinne dich!
    Als alles um dich her in tiefem Schlaf
    Begraben lag, da standst du auf von deinem Lager,
    Und tatst ein brünstiges Gebet zu Gott.
    Laß die hinausgehn und ich nenne dir
    Den Inhalt des Gebets.

    Karl. Was ich dem Himmel
    Vertraut, brauch ich vor Menschen nicht zu bergen.
    Entdecke mir den Inhalt meines Flehns,
    So zweifl ich nicht mehr, daß dich Gott begeistert.

    Johanna. Es waren drei Gebete, die du tatst,
    Gib wohl acht, Dauphin, ob ich dir sie nenne!
    Zum ersten flehtest du den Himmel an,
    Wenn unrecht Gut an dieser Krone hafte,
    Wenn eine andre schwere Schuld, noch nicht
    Gebüßt, von deiner Väter Zeiten her,
    Diesen tränenvollen Krieg herbeigerufen,
    Dich zum Opfer anzunehmen für dein Volk,
    Und auszugießen auf dein einzig Haupt
    Die ganze Schale seines Zorns.

    Karl(tritt mit Schrecken zurück).
    Wer bist du, mächtig Wesen?
    Woher kommst du?

    (Alle zeigen ihr Erstaunen)

    Johanna. Du tatst dem Himmel diese zweite Bitte.
    Wenn es sein hoher Schluß und Wille sei,
    Das Szepter deinem Stamme zu entwinden,
    Dir alles zu entziehn, was deine Väter,
    Die Könige in diesem Reich besaßen,
    Drei einzge Güter flehtest du ihn an
    Dir zu bewahren, die zufriedne Brust,
    Des Freundes Herz und deiner Agnes Liebe.
    (König verbirgt das Gesicht heftig weinend, große Bewegung des Erstaunens unter den Anwesenden. Nach einer Pause)
    Soll ich dein dritt Gebet dir nun noch nennen?

    Karl. Genug! Ich glaube dir! Soviel vermag
    Kein Mensch! Dich hat der höchste Gott gesendet.

    Erzbischof. Wer bist du heilig wunderbares Mädchen!
    Welch glücklich Land gebar dich? Sprich! Wer sind
    Die gottgeliebten Eltern, die dich zeugten?

    Johanna. Ehrwürdger Herr, Johanna nennt man mich,
    Ich bin nur eines Hirten niedre Tochter
    Aus meines Königs Flecken Dom Remi,
    Der in dem Kirchensprengel liegt von Tour
    Und hütete die Schafe meines Vaters
    Von Kind auf- Und ich hörte viel und oft
    Erzählen von dem fremden Inselvolk,
    Das über Meer gekommen, uns zu Knechten
    Zu machen, und den fremdgebornen Herrn
    Uns aufzuzwingen, der das Volk nicht liebt,
    Und daß sie schon die große Stadt Paris
    Innhätten und des Reiches sich ermächtigt.
    Da rief ich flehend Gottes Mutter an,
    Von uns zu wenden fremder Ketten Schmach,
    Uns den einheimschen König zu bewahren.
    Und vor dem Dorf, wo ich geboren, steht
    Ein uralt Muttergottesbild, zu dem
    Der frommen Pilgerfahrten viel geschahn,
    Und eine heilge Eiche steht darneben,
    Durch vieler Wunder Segenskraft berühmt.
    Und in der Eiche Schatten saß ich gern,
    Die Herde weidend, denn mich zog das Herz.
    Und ging ein Lamm mir in den wüsten Bergen
    Verloren, immer zeigte mirs der Traum,
    Wenn ich im Schatten dieser Eiche schlief.
    – Und einsmals als ich eine lange Nacht
    In frommer Andacht unter diesem Baum
    Gesessen und dem Schlafe widerstand,
    Da trat die Heilige zu mir, ein Schwert
    Und Fahne tragend, aber sonst wie ich
    Als Schäferin gekleidet, und sie sprach zu mir:
    »Ich bins. Steh auf, Johanna. Laß die Herde.
    Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft!
    Nimm diese Fahne! Dieses Schwert umgürte dir!
    Damit vertilge meines Volkes Feinde,
    Und führe deines Herren Sohn nach Reims,
    Und krön ihn mit der königlichen Krone!«
    Ich aber sprach: »Wie kann ich solcher Tat
    Mich unterwinden, eine zarte Magd,
    Unkundig des verderblichen Gefechts!«
    Und sie versetzte: »Eine reine Jungfrau
    Vollbringt jedwedes Herrliche auf Erden,
    Wenn sie der irdschen Liebe widersteht.
    Sich mich an! Eine keusche Magd wie du
    Hab ich den Herrn, den göttlichen, geboren,
    Und göttlich bin ich selbst!« – Und sie berührte
    Mein Augenlid, und als ich aufwärts sah,
    Da war der Himmel voll von Engelknaben,
    Die trugen weiße Lilien in der Hand,
    Und süßer Ton verschwebte in den Lüften.
    – Und so drei Nächte nacheinander ließ
    Die Heilige sich sehn, und rief: »Steh auf, Johanna,
    Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft.«
    Und als sie in der dritten Nacht erschien,
    Da zürnte sie und scheltend sprach sie dieses Wort:
    Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden,
    Das harte Dulden ist ihr schweres Los,
    Durch strengen Dienst muß sie geläutert werden,
    Die hier gedienet, ist dort oben groß.«
    Und also sprechend ließ sie das Gewand
    Der Hirtin fallen und als Königin
    Der Himmel stand sie da im Glanz der Sonnen,
    Und goldne Wolken trugen sie hinauf
    Langsam verschwindend in das Land der Wonnen.

    (Alle sind gerührt. Agnes Sorel heftig weinend verbirgt ihr Gesicht an des Königs Brust)

    Erzbischof(nach einem langen Stillschweigen).
    Vor solcher göttlicher Beglaubigung
    Muß jeder Zweifel irdscher Klugheit schweigen.
    Die Tat bewährt es, daß sie Wahrheit spricht,
    Nur Gott allein kann solche Wunder wirken.

    Dunois. Nicht ihren Wundern, ihrem Auge glaub ich,
    Der reinen Unschuld ihres Angesichts.

    Karl. Und bin ich Sündger solcher Gnade wert!
    Untrüglich allerforschend Aug, du siehst
    Mein Innerstes und kennest meine Demut!

    Johanna. Der Hohen Demut leuchtet hell dort oben,
    Du beugtest dich, drum hat er dich erhoben.

    Karl. So werd ich meinen Feinden widerstehn?

    Johanna. Bezwungen leg ich Frankreich dir zu Füßen!

    Karl. Und Orleans sagst du, wird nicht übergehn?

    Johanna. Eh siehest du die Loire zurückefließen.

    Karl. Werd ich nach Reims als Überwinder ziehn?

    Johanna. Durch tausend Feinde führ ich dich dahin.

    (Alle anwesende Ritter erregen ein Getöse mit ihren Lanzen und Schilden, und geben Zeichen des Muts)

    Dunois. Stell uns die Jungfrau an des Heeres Spitze,
    Wir folgen blind, wohin die Göttliche
    Uns führt! Ihr Seherauge soll uns leiten,
    Und schützen soll sie dieses tapfre Schwert!

    La Hire. Nicht eine Welt in Waffen fürchten wir,
    Wenn sie einher vor unsern Scharen zieht.
    Der Gott des Sieges wandelt ihr zur Seite,
    Sie führ uns an, die Mächtige, im Streite!
    (Die Ritter erregen ein großes Waffengetös und treten vorwärts)

    Karl. Ja heilig Mädchen, führe du mein Heer,
    Und seine Fürsten sollen. dir gehorchen.
    Dies Schwert der höchsten Kriegsgewalt, das uns
    Der Kronfeldherr im Zorn zurückgesendet,
    Hat eine würdigere Hand gefunden.
    Empfange du es, heilige Prophetin,
    Und sei fortan –

    Johanna. Nicht also, edler Dauphin!
    Nicht durch dies Werkzeug irdischer Gewalt
    Ist meinem Herrn der Sieg verliehn. Ich weiß
    Ein ander Schwert, durch das ich siegen werde.
    Ich will es dir bezeichnen, wie's der Geist
    Mich lehrte, sende hin und laß es holen.

    Karl. Nenn es, Johanna.

    Johanna. Sende nach der alten Stadt
    Fierboys, dort, auf Sankt Kathrinens Kirchhof
    Ist ein Gewölb, wo vieles Eisen liegt,
    Von alter Siegesbeute aufgehäuft.
    Das Schwert ist drunter, das mir dienen soll.
    An dreien goldnen Lilien ists zu kennen,
    Die auf der Klinge eingeschlagen sind,
    Dies Schwert laß holen, denn durch dieses wirst du siegen.

    Karl. Man sende hin und tue, wie sie sagt.

    Johanna. Und eine weiße Fahne laß mich tragen,
    Mit einem Saum von Purpur eingefaßt.
    Auf dieser Fahne sei die Himmelskönigin
    Zu sehen mit dem schönen Jesusknaben,
    Die über einer Erdenkugel schwebt,
    Denn also zeigte mirs die heilge Mutter.

    Karl. Es sei so, wie du sagst.

    Johanna (zum Erzbischof). Ehrwürdger Bischof,
    Legt Eure priesterliche Hand auf mich,
    Und sprecht den Segen über Eure Tochter!
    (Kniet nieder)

    Erzbischof. Du bist gekommen, Segen auszuteilen,
    Nicht zu empfangen- Geh mit Gottes Kraft!
    Wir aber sind Unwürdige und Sünder!
    (Sie steht auf)

    Edelknecht. Ein Herold kommt vom engelländschen Feldherrn.

    Johanna. Laß ihn eintreten, denn ihn sendet Gott!

    (Der König winkt den Edelknecht, der hinausgeht)

    Eilfter Auftritt

    Der Herold zu den Vorigen

    Karl. Was bringst du, Herold? Sage deinen Auftrag.

    Herold. Wer ist es, der für Karin von Valois,
    Den Grafen von Ponthieu das Wort hier führt?

    Dunois. Nichtswürdger Herold! Niederträchtger Bube!
    Erfrechst du dich, den König der Franzosen
    Auf seinem eignen Boden zu verleugnen.
    Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du –

    Herold. Frankreich erkennt nur einen einzgen König,
    Und dieser lebt im engelländischen Lager.

    Karl. Seid ruhig, Vetter! Deinen Auftrag, Herold!

    Herold. Mein edler Feldherr, den des Blutes jammert,
    Das schon genossen und noch Lieben soll,
    Hält seiner Krieger Schwert noch in der Scheide,
    Und ehe Orleans im Sturme fällt,
    Läßt er noch gütlichen Vergleich dir bieten.

    Karl. Laß hören!

    Johanna(tritt hervor). Sire! Laß mich an deiner Statt
    Mit diesem Herold reden.

    Karl. Tu das, Mädchen!
    Entscheide du, ob Krieg sei oder Friede.

    Johanna(zum Herold).
    Wer sendet dich und spricht durch deinen Mund?

    Herold. Der Briten Feldherr, Graf von Salisbury.

    Johanna. Herold, du lügst! Der Lord spricht nicht durch dich.
    Nur die Lebendgen sprechen, nicht die Toten.

    Herold. Mein Feldherr lebt in Fülle der Gesundheit
    Und Kraft, und lebt euch allen zum Verderben.

    Johanna. Er lebte, da du abgingst. Diesen Morgen
    Streckt' ihn ein Schuß aus Orleans zu Boden,
    Als er von Turm La Tournelle niedersaß.
    – Du lachst, weil ich Entferntes dir verkünde?
    Nicht meiner Rede, deinen Augen glaube!
    Begegnen wird dir seiner Leiche Zug,
    Wenn deine Füße dich zurücketragen!
    Jetzt Herold, sprich und sage deinen Auftrag.

    Herold. Wenn du Verborgnes zu enthüllen weißt,
    So kennst du ihn, noch eh ich dir ihn sage.

    Johanna. Ich brauch ihn nicht zu wissen, aber du
    Vernimm den meinen jetzt! und diese Worte
    Verkündige den Fürsten, die dich sandten!
    – König von England, und ihr, Herzoge
    Bedford und Gloster, die das Reich verwesen!
    Gebt Rechenschaft dem Könige des Himmels
    Von wegen des vergoßnen Blutes! Gebt
    Heraus die Schlüssel alle von den Städten,
    Die ihr bezwungen wider göttlich Recht,
    Die Jungfrau kommt vom Könige des Himmels,
    Euch Frieden zu bieten oder blutgen Krieg.
    Wählt! Denn das sag ich euch, damit ihre wisset,
    Euch ist das schöne Frankreich nicht beschieden
    Vom Sohne der Maria – sondern Karl
    Mein Herr und Dauphin, dem es Gott gegeben,
    Wird königlich einziehen zu Paris,
    Von allen Großen seines Reichs begleitet.
    – Jetzt Herold, geh und mach dich eilends fort,
    Denn eh du noch das Lager magst erreichen,
    Und Botschaft bringen, ist die Jungfrau dort,
    Und pflanzt in Orleans das Siegeszeichen.

    (Sie geht, alles setzt sich in Bewegung, der Vorhang fällt)

    Zweiter Aufzug

    Gegend von Felsen begrenzt

    Erster Auftritt

    Talbot und Lionel, englische Heerführer. Philipp Herzog von Burgund. Ritter Fastolf und Chatillon mit Soldaten und Fahnen

    Talbot. Hier unter diesen Felsen lasset uns
    Haltmachen und ein festes Lager schlagen,
    Ob wir vielleicht die tüchtgen Völker wieder sammeln,
    Die in dem ersten Schrecken sich zerstreut.
    Stellt gute Wachen aus, besetzt die Höhn!
    Zwar sichert uns die Nacht vor der Verfolgung,
    Und wenn der Gegner nicht auch Flügel hat,
    So fürcht ich keinen Überfall. – Dennoch
    Bedarfs der Vorsicht, denn wir haben es
    Mit einem kecken Feind und sind geschlagen.

    (Ritter Fastolf geht ab mit den Soldaten)

    Lionel. Geschlagen! Feldherr, nennt das Wort nicht mehr.
    Ich darf es mir nicht denken, daß der Franke
    Des Engelländers Rücken heut gesehn.
    – O Orleans! Orleans! Grab unsers Ruhms!
    Auf deinen Feldern liegt die Ehre Englands.
    Beschimpfend lächerliche Niederlage!
    Wer wird es glauben in der künftgen Zeit!
    Die Sieger bei Poitiers, Crequi
    Und Azincourt gejagt von einem Weibe!

    Burgund. Das muß uns trösten. Wir sind nicht von Menschen
    Besiegt, wir sind vom Teufel überwunden.

    Talbot. Vom Teufel unsrer Narrheit- Wie, Burgund?
    Schreckt dies Gespenst des Pöbels auch die Fürsten?
    Der Aberglaube ist ein schlechter Mantel
    Für Eure Feigheit – Eure Völker Hohn zuerst.

    Burgund. Niemand hielt stand. Das Fliehn war allgemein.

    Talbot. Nein, Herr! Auf Eurem Flügel fing es an.
    Ihr stürztet Euch in unser Lager, schreiend:
    »Die Höll ist los, der Satan kämpft für Frankreich!«
    Und brachtet so die Unsern in Verwirrung.

    Lionel. Ihr könnts nicht leugnen. Euer Flügel wich zuerst.

    Burgund. Weil dort der erste Angriff war.

    Talbot. Das Mädchen kannte unsers Lagers Blöße,
    Sie wußte, wo die Furcht zu finden war.

    Burgund. Wie? Soll Burgund die Schuld des Unglücks tragen?

    Lionel. Wir Engelländer, waren wir allein,
    Bei Gott! Wir hätten Orleans nicht verloren!

    Burgund. Nein – denn ihr hättet Orleans nie gesehn!
    Wer bahnte euch den Weg in dieses Reich,
    Reicht' euch die treue Freundeshand, als ihr
    An diese feindlich fremde Küste stieget?
    Wer krönte euren Heinrich zu Paris,
    Und unterwarf ihm der Franzosen Herzen?
    Bei Gott! Wenn dieser starke Arm euch nicht
    Hereingeführt, ihr sahet nie den Rauch
    Von einem Fränkischen Kamine steigen!

    Lionel. Wenn es die großen Worte täten, Herzog,
    So hättet Ihr allein Frankreich erobert.

    Burgund. Ihr seid unlustig, weil euch Orleans
    Entging, und laßt nun eures Zornes Galle
    An mir, dem Bundsfreund, aus. Warum entging
    Uns Orleans, als eurer Habsucht wegen?
    Es war bereit, sich mir zu übergeben,
    Ihr, euer Neid allein hat es verhindert.

    Talbot. Nicht Eurentwegen haben wirs belagert.

    Burgund. Wie stünds um euch, zög ich mein Heer zurück?

    Lionel. Nicht schlimmer, glaubt mir, als bei Azincourt,
    Wo wir mit Euch und mit ganz Frankreich fertig wurden.

    Burgund. Doch tats euch sehr um unsre Freundschaft not,
    Und teuer kaufte sie der Reichsverweser.

    Talbot. Ja teuer, teuer haben wir sie heut
    Vor Orleans bezahlt mit unsrer Ehre.

    Burgund. Treibt es nicht weiter, Lord, es könnt Euch reuen!
    Verließ ich meines Herrn gerechte Fahnen,
    Lud auf mein Haupt den Namen des Verräters,
    Um von dem Fremdling solches zu ertragen?
    Was tu ich hier und fechte gegen Frankreich?
    Wenn ich dem Undankbaren dienen soll,
    So will ichs meinem angebornen König.

    Talbot. Ihr steht in Unterhandlung mit dem Dauphin,
    Wir Wissens, doch wir werden Mittel finden,
    Uns vor Verrat zu schützen.

    Burgund. Tod und Hölle!
    Begegnet man mir so? – Chatillon!
    Laß meine Völker sich zum Aufbruch rüsten,
    Wir gehn in unser Land zurück.

    (Chatillon geht ab)

    Lionel.Glück auf den Weg!
    Nie war der Ruhm des Briten glänzender,
    Als da er seinem guten Schwert allein
    Vertrauend ohne Helfershelfer focht.
    Es kämpfe jeder seine Schlacht allein,
    Denn ewig bleibt es wahr! Französisch Blut
    Und englisch kann sich redlich nie vermischen.

    Zweiter Auftritt

    Königin Isabella von einen Pagen begleitet zu den Vorigen

    Isabeau. Was muß ich hören, Feldherrn! Haltet ein!
    Was für ein hirnverrückender Planet
    Verwirrt euch also die gesunden Sinne?
    Jetzt, da euch Eintracht nur erhalten kann,
    Wollt ihr in Haß euch trennen und euch selbst
    Befehdend euren Untergang bereiten?
    – Ich bitt Euch, edler Herzog.
    Ruft den raschen Befehl zurück. – Und Ihr, ruhmvoller Talbot,
    Besänftiget den aufgebrachten Freund!
    Kommt, Lionel, helft mir die stolzen Geister
    Zufriedensprechen und Versöhnung stiften.

    Lionel. Ich nicht, Mylady. Mir ist alles gleich.
    Ich denke so: was nicht zusammen kann
    Bestehen, tut am besten sich zu lösen.

    Isabeau. Wie? Wirkt der Hölle Gaukelkunst, die uns
    Im Treffen so verderblich war, auch hier
    Noch fort uns sinnverwirrend zu betören?
    Wer fing den Zank an? Redet! – Edler Lord!
    (Zu Talbot) Seid Ihrs, der seines Vorteils so vergaß,
    Den werten Bundsgenossen zu verletzen?
    Was wollt Ihr schaffen ohne diesen Arm?
    Er baute Eurem König seinen Thron,
    Er hält ihn noch und stürzt ihn, wenn er will,
    Sein Heer verstärkt Euch und noch mehr sein Name.
    Ganz England, strömt' es alle seine Bürger
    Auf unsre Küsten aus, vermöchte nicht
    Dies Reich zu zwingen, wenn es einig ist,
    Nur Frankreich konnte Frankreich überwinden.

    Talbot. Wir wissen den getreuen Freund zu ehren.
    Dem falschen wehren ist der Klugheit Pflicht.

    Burgund. Wer treulos sich des Dankes will entschlagen,
    Dem fehlt des Lügners freche Stirne nicht.

    Isabeau. Wie, edler Herzog, Könntet Ihr so sehr
    Der Scham absagen und der Fürstenehre,
    In jene Hand, die Euren Vater mordete,
    Die Eurige zu legen? Wärt Ihr rasend
    Genug, an eine redliche Versöhnung
    Zu glauben mit dem Dauphin, den Ihr selbst
    An des Verderbens Rand geschleudert habt?
    So nah dem Falle wolltet Ihr ihn halten,
    Und Euer Werk wahnsinnig selbst zerstören?
    Hier stehen Eure Freunde. Euer Heil
    Ruht in dem festen Bunde nur mit England.

    Burgund. Fern ist mein Sinn vom Frieden mit dem Dauphin,
    Doch die Verachtung und den Übermut
    Des stolzen Englands kann ich nicht ertragen.

    Isabeau. Kommt! Haltet ihm ein rasches Wort zugut.
    Schwer ist der Kummer, der den Feldherrn drückt,
    Und ungerecht, Ihr wißt es, macht das Unglück.
    Kommt! Kommt! Umarmt euch, laßt mich diesen Riß
    Schnell heilend schließen, eh er ewig wird.

    Talbot. Was dünket Euch, Burgund? Ein edles Herz
    Bekennt sich gern von der Vernunft besiegt.
    Die Königin hat ein kluges Wort geredet,
    Laßt diesen Händedruck die Wunde heilen,
    Die meine Zunge übereilend schlug.

    Burgund. Madame sprach ein verständig Wort, und mein
    Gerechter Zorn weicht der Notwendigkeit.

    Isabeau. Wohl! So besiegelt den erneuten Bund
    Mit einem brüderlichen Kuß und mögen
    Die Winde das Gesprochene verwehen.

    (Burgund und Talbot umarmen sich)

    Lionel(betrachtet die Gruppe, für sich).
    Glück zu dem Frieden, den die Furie stiftet!

    Isabeau. Wir haben eine Schlacht verloren, Feldherrn,
    Das Glück war uns zuwider, darum aber
    Entsink euch nicht der edle Mut. Der Dauphin
    Verzweifelt an des Himmels Schutz und ruft
    Des Satans Kunst zu Hülfe, doch er habe
    Umsonst sich der Verdammnis übergeben,
    Und seine Hölle selbst errett ihn nicht.
    Ein sieghaft Mädchen führt des Feindes Heer,
    Ich will das eure führen, ich will euch
    Statt einer Jungfrau und Prophetin sein.

    Lionel.. Madame, geht nach Paris zurück. Wir wollen
    Mit guten Waffen, nicht mit Weibern siegen.

    Talbot. Geht! Geht! Seit Ihr im Lager seid, geht alles
    Zurück, kein Segen ist mehr in unsern Waffen.

    Burgund. Geht! Eure Gegenwart schafft hier nichts Gutes,
    Der Krieger nimmt ein Ärgernis an Euch.

    Isabeau(sieht einen um den andern erstaunt an).
    Ihr auch, Burgund? Ihr nehmet wider mich
    Partei mit diesen undankbaren Lords?

    Burgund. Geht! Der Soldat verliert den guten Mut,
    Wenn er für Eure Sache glaubt zu fechten.

    Isabeau. Ich hab kaum Frieden zwischen euch gestiftet,
    So macht ihr schon ein Bündnis wider mich?

    Talbot. Geht, geht mit Gott, Madame. Wir fürchten uns
    Vor keinem Teufel mehr, sobald Ihr wegseid.

    Isabeau. Bin ich nicht eure treue Bundsgenossin?
    Ist eure Sache nicht die meinige?

    Talbot. Doch Eure nicht die unsrige. Wir sind
    In einem ehrlich guten Streit begriffen.

    Burgund. Ich räche eines Vaters blutgen Mord,
    Die fromme Sohnspflicht heiligt meine Waffen.

    Talbot. Doch gradheraus! Was Ihr am Dauphin tut,
    Ist weder menschlich gut, noch göttlich recht.

    Isabeau. Fluch soll ihn treffen bis ins zehnte Glied!
    Er hat gefrevelt an dem Haupt der Mutter.

    Burgund. Er rächte einen Vater und Gemahl.

    Isabeau. Er warf sich auf zum Richter meiner Sitten!

    Lionel. Das war unehrerbietig von dem Sohn!

    Isabeau. In die Verbannung hat er mich geschickt.

    Talbot. Die öffentliche Stimme zu vollziehn.

    Isabeau. Fluch treffe mich, wenn ich ihm je vergebe!
    Und eh er herrscht in seines Vaters Reich –

    Talbot. Eh opfert Ihr die Ehre seiner Mutter!

    Isabeau. Ihr wißt nicht, schwache Seelen,
    Was ein beleidigt Mutterherz vermag.
    Ich liebe, wer mir Gutes tut, und hasse,
    Wer mich verletzt, und ists der eigne Sohn,
    Den ich geboren, desto hassenswerter.
    Dem ich das Dasein gab, will ich es rauben,
    Wenn er mit ruchlos frechem Übermut
    Den eignen Schoß verletzt, der ihn getragen.
    Ihr die ihr Krieg führt gegen meinen Sohn,
    Ihr habt nicht Recht, noch Grund ihn zu berauben.
    Was hat der Dauphin Schweres gegen euch
    Verschuldet? Welche Pflichten brach er euch?
    Euch treibt die Ehrsucht, der gemeine Neid,
    Ich darf ihn hassen, ich hab ihn geboren.

    Talbot. Wohl, an der Rache fühlt er seine Mutter!

    Isabeau. Armselge Gleisner, wie veracht ich euch,
    Die ihr euch selbst so wie die Welt belügt!
    Ihr Engelländer streckt die Räuberhände
    Nach diesem Frankreich aus, wo ihr nicht Recht
    Noch gültgen Anspruch habt auf so viel Erde,
    Als eines Pferdes Huf bedeckt. – Und dieser Herzog,
    Der sich den Guten schelten läßt, verkauft
    Sein Vaterland, das Erbreich seiner Ahnen
    Dem Reichsfeind und dem fremden Herrn. – Gleichwohl
    Ist euch das dritte Wort Gerechtigkeit.
    – Die Heuchelei veracht ich. Wie ich bin,
    So sehe mich das Aug der Welt.

    Burgund. Wahr ists!
    Den Ruhm habt Ihr mit starkem Geist behauptet.

    Isabeau. Ich habe Leidenschaften, warmes Blut
    Wie eine andre, und ich kam als Königin
    In dieses Land, zu leben, nicht zu scheinen.
    Sollt ich der Freud absterben, weil der Fluch
    Des Schicksals meine lebensfrohe Jugend
    Zu dem wahnsinngen Gatten hat gesellt?
    Mehr als das Leben lieb ich meine Freiheit,
    Und wer mich hier verwundet – Doch warum
    Mit euch mich streiten über meine Rechte?
    Schwer fließt das dicke Blut in euren Adern,
    Ihr kennt nicht das Vergnügen, nur die Wut!
    Und dieser Herzog, der sein Lebenlang
    Geschwankt hat zwischen Bös und Gut, kann nicht
    Von Herzen hassen noch von Herzen lieben.
    – Ich geh nach Melun. Gebt mir diesen da,
    (auf Lionel zeigend) Der mir gefällt, zur Kurzweil und Gesellschaft,
    Und dann macht, was ihr wollt! Ich frage nichts
    Nach den Burgundern noch den Engelländern.
    (Sie winkt ihrem Pagen und will gehen)

    Lionel. Verlaßt Euch drauf. Die schönsten Frankenknaben,
    Die wir erbeuten, schicken wir nach Melun.

    Isabeau(zurückkommend).
    Wohl taugt ihr, mit dem Schwerte dreinzuschlagen,
    Der Franke nur weiß Zierliches zu sagen. (Sie geht ab)

    Dritter Auftritt

    Talbot. Burgund. Lionel

    Talbot. Was für ein Weib!

    Lionel. Nun eure Meinung, Feldherrn!
    Fliehn wir noch weiter oder wenden uns
    Zurück, durch einen schnellen kühnen Streich
    Den Schimpf des heutgen Tages auszulöschen?

    Burgund. Wir sind zu schwach, die Völker sind zerstreut,
    Zu neu ist noch der Schrecken in dem Heer.

    Talbot. Ein blinder Schrecken nur hat uns besiegt,
    Der schnelle Eindruck eines Augenblicks.
    Dies Furchtbild der erschreckten Einbildung
    Wird, näher angesehn, in nichts verschwinden.
    Drum ist mein Rat, wir führen die Armee
    Mit Tagesanbruch über den Strom zurück,
    Dem Feind entgegen.

    Burgund. Überlegt –

    Lionel. Mit Eurer
    Erlaubnis. Hier ist nichts zu überlegen.
    Wir müssen das Verlorne schleunig wieder
    Gewinnen oder sind beschimpft auf ewig.

    Talbot. Es ist beschlossen. Morgen schlagen wir.
    Und dies Phantom des Schreckens zu zerstören,
    Das unsre Völker blendet und entmannt,
    Laßt uns mit diesem jungfräulichen Teufel
    Uns messen in persönlichem Gefecht.
    Stellt sie sich unserm tapfern Schwert, nun dann,
    So hat sie uns zum letztenmal geschadet,
    Stellt sie sich nicht, und seid gewiß, sie meidet
    Den ernsten Kampf, so ist das Heer entzaubert.

    Lionel. So seis! Und mir, mein Feldherr, überlasset
    Dies leichte Kampfspiel, wo kein Blut soll fließen.
    Denn lebend denk ich das Gespenst zu fangen,
    Und vor des Bastards Augen, ihres Buhlen,
    Trag ich auf diesen Armen sie herüber
    Zur Lust des Heers, in das britannsche Lager.

    Burgund. Versprechet nicht zu viel.

    Talbot. Erreich ich sie,
    Ich denke sie so sanft nicht zu umarmen.
    Kommt jetzo, die ermüdete Natur
    Durch einen leichten Schlummer zu erquicken,
    Und dann zum Aufbruch mit der Morgenröte. (Sie gehen ab)

    Vierter Auftritt

    Johanna mit der Fahne, in Helm und Brustharnisch, sonst aber weiblich gekleidet, Dunois, La Hire, Ritter und Soldaten zeigen sich oben auf dem Felsenweg, ziehen still darüber hinweg, und erscheinen gleich darauf auf der Szene

    Johanna(zu den Rittern, die sie umgeben, indem der Zug oben immer noch fortwährt).
    Erstiegen ist der Wall, wir sind im Lager!
    Jetzt werft die Hülle der verschwiegner Nacht
    Von euch, die euren stillen Zug verhehlte,
    Und macht dem Feinde eure Schreckensnähe
    Durch lauten Schlachtruf kund – Gott und die Jungfrau!

    Alle (rufen laut unter wildem Waffengetös).
    Gott und die Jungfrau! (Trommeln und Trompeten)

    Schildwache(hinter der Szene). Feinde! Feinde! Feinde!

    Johanna. Jetzt Fackeln her! Werft Feuer in die Zelte!
    Der Flammen Wut vermehre das Entsetzen,
    Und drohend rings umfange sie der Tod!

    (Soldaten eilen fort, sie will folgen)

    Dunois(hält sie zurück). Du hast das Deine nun erfüllt, Johanna!
    Mitten ins Lager hast du uns geführt,
    Den Feind hast du in unsre Hand gegeben.
    Jetzt aber bleibe von dem Kampf zurück,
    Uns überlaß die blutige Entscheidung.

    La Hire. Den Weg des Siegs bezeichne du dem Heer,
    Die Fahne trag uns vor in reiner Hand,
    Doch nimm das Schwert, das tödliche, nicht selbst,
    Versuche nicht den falschen Gott der Schlachten,
    Denn blind und ohne Schonung waltet er.

    Johanna. Wer darf mir Halt gebieten? Wer dem Geist
    Vorschreiben, der mich führt? Der Pfeil muß fliegen,
    Wohin die Hand ihn seines Schützen treibt.
    Wo die Gefahr ist, muß Johanna sein,
    Nicht heut, nicht hier ist mir bestimmt zu fallen,
    Die Krone muß ich sehn auf meines Königs Haupt,
    Dies Leben wird kein Gegner mir entreißen,
    Bis ich vollendet, was mir Gott geheißen. (Sie geht ab)

    La Hire. Kommt, Dunois! Laßt uns der Heldin folgen,
    Und ihr die tapfre Brust zum Schilde leihn! (Gehen ab)

    Fünfter Auftritt

    Englische Soldaten fliehen über die Bühne. Hierauf Talbot

    Erster. Das Mädchen! Mitten im Lager!

    Zweiter. Nicht möglich! Nimmermehr! Wie kam sie in das Lager?

    Dritter. Durch die Luft! Der Teufel hilft ihr!

    Vierter und Fünfter.
    Flieht! Flieht! Wir sind alle des Todes! (Gehen ab)

    Talbot(kommt). Sie hören nicht- Sie wollen mir nicht stehn!
    Gelöst sind alle Bande des Gehorsams,
    Als ob die Hölle ihre Legionen
    Verdammter Geister ausgespieen, reißt
    Ein Taumelwahn den Tapfern und den Feigen
    Gehirnlos fort, nicht eine kleine Schar
    Kann ich der Feinde Flut entgegenstellen,
    Die wachsend, wogend in das Lager dringt!
    – Bin ich der einzig Nüchterne und alles
    Muß um mich her in Fiebers Hitze rasen?
    Vor diesen fränkschen Weichlingen zu fliehn,
    Die wir in zwanzig Schlachten überwunden! –
    Wer ist sie denn, die Unbezwingliche,
    Die Schreckensgöttin, die der Schlachten Glück
    Auf einmal wendet, und ein schüchtern Heer
    Von feigen Rehn in Löwen umgewandelt?
    Eine Gauklerin, die die gelernte Rolle
    Der Heldin spielt, soll wahre Helden schrecken?
    Ein Weib entriß mir allen Siegesruhm?

    Soldat(stürzt herein). Das Mädchen! Flieh! Flieh, Feldherr!

    Talbot(stößt ihn nieder). Flieh zur Hölle
    Du selbst! Den soll dies Schwert durchbohren,
    Der mir von Furcht spricht und von feiger Flucht. (Er geht ab)

    Sechster Auftritt

    Der Prospekt öffnet sich. Man sieht das englische Lager in vollen Flammen stehen. Trommeln, Flucht und Verfolgung. Nach einer Weile kommt Montgomery

    Montgomery(allein).
    Wo soll ich hinfliehn? Feinde ringsumher und Tod!
    Hier der ergrimmte Feldherr, der mit drohndem Schwert
    Die Flucht versperrend uns dem Tod entgegentreibt.
    Dort die Fürchterliche, die verderblich um sich her
    Wie die Brunst des Feuers raset – Und ringsum kein Busch,
    Der mich verbärge, keiner Höhle sichtet Raum!
    O wär ich nimmer über Meer hieher geschifft,
    Ich Unglückselger! Eitler Wahn betörte mich,
    Wohlfeilen Ruhm zu suchen in dem Frankenkrieg,
    Und jetzo führt mich das verderbliche Geschick
    In diese blutge Mordschlacht. – Wär ich weit von hier
    Daheim noch an der Savern' blühendem Gestad,
    Im sichern Vaterhause, wo die Mutter mir
    In Gram zurückblieb und die zarte süße Braut.
    (Johanna zeigt sich in der Ferne)
    Weh mir! Was seh ich! Dort erscheint die Schreckliche!
    Aus Brandes Flammen, düster leuchtend, hebt sie sich,
    Wie aus der Hölle Rachen ein Gespenst der Nacht
    Hervor. – Wohin entrinn ich! Schon ergreift sie mich
    Mit ihren Feueraugen, wirft von fern
    Der Blicke Schlingen nimmer fehlend nach mir aus.
    Um meine Füße, fest und fester, wirret sich
    Das Zauberknäuel, daß sie gefesselt mir die Flucht
    Versagen! Hinsehn muß ich, wie das Herz mir auch
    Dagegen kämpfe, nach der tödlichen Gestalt!
    (Johanna tut einige Schritte ihm entgegen, und bleibt wieder stehen)
    Sie naht! Ich will nicht warten, bis die Grimmige
    Zuerst mich anfällt! Bittend will ich ihre Knie
    Umfassen, um mein Leben flehn, sie ist ein Weib,
    Ob ich vielleicht durch Tränen sie erweichen kann!

    (Indes er auf sie zugehen will, tritt sie ihm rasch entgegen)

    Siebenter Auftritt

    Johanna. Montgomery

    Johanna. Du bist des Todes! Eine britsche Mutter zeugte dich.

    Montgomery(fällt ihr zu Füßen).
    Halt ein, Furchtbare! Nicht den Unverteidigten
    Durchbohre. Weggeworfen hab ich Schwert und Schild,
    Zu deinen Füßen sink ich wehrlos, flehend hin.
    Laß mir das Licht des Lebens, nimm ein Lösegeld.
    Reich an Besitztum wohnt der Vater mir daheim
    Im schönen Lande Wallis, wo die schlängelnde
    Savern' durch grüne Auen rollt den Silberstrom,
    Und fünfzig Dörfer kennen seine Herrschaft an.
    Mit reichem Golde löst er den geliebten Sohn,
    Wenn er mich im Frankenlager lebend noch vernimmt.

    Johanna. Betrogner Tor! Verlorner! In der Jungfrau Hand
    Bist du gefallen, die verderbliche, woraus
    Nicht Rettung noch Erlösung mehr zu hoffen ist.
    Wenn dich das Unglück in des Krokodils Gewalt
    Gegeben oder des gefleckten Tigers Klaun,
    Wenn du der Löwenmutter junge Brut geraubt,
    Du könntest Mitleid finden und Barmherzigkeit,
    Doch tödlich ists, der Jungfrau zu begegnen.
    Denn dem Geisterreich, dem strengen, unverletzlichen,
    Verpflichtet mich der furchtbar bindende Vertrag,
    Mit dem Schwert zu töten alles Lebende, das mir
    Der Schlachten Gott verhängnisvoll entgegenschickt.

    Montgomery. Furchtbar ist deine Rede, doch dein Blick ist sanft,
    Nicht schrecklich bist du in der Nähe anzuschaun,
    Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt.
    O bei der Milde deines zärtlichen Geschlechts
    Fleh ich dich an. Erbarme meiner Jugend dich!

    Johanna. Nicht mein Geschlecht beschwöre! Nenne mich nicht Weib.
    Gleichwie die körperlosen Geister, die nicht frein
    Auf irdsche Weise, schließ ich mich an kein Geschlecht
    Der Menschen an, und dieser Panzer deckt kein Herz.

    Montgomery. O bei der Liebe heilig wallendem Gesetz,
    Dem alle Herzen huldigen, beschwör ich dich.
    Daheimgelassen hab ich eine holde Braut,
    Schön wie du selbst bist, blühend in der Jugend
    Sie harret weinend des Geliebten Wiederkunft,
    O wenn du selber je zu lieben hoffst, und hoffst
    Beglückt zu sein durch Liebe! Trenne grausam nicht
    Zwei Herzen, die der Liebe heilig Bündnis knüpft!

    Johanna. Du rufest lauter irdisch fremde Götter an,
    Die mir nicht heilig, noch verehrlich sind. Ich weiß
    Nichts von der Liebe Bündnis, das du mir beschwörst,
    Und nimmer kennen werd ich ihren eiteln Dienst.
    Verteidige dein Leben, denn dir ruft der Tod.

    Montgomery. O so erbarme meiner jammervollen Eltern dich,
    Die ich zu Haus verlassen. Ja gewiß auch du
    Verließest Eltern, die die Sorge quält um dich.

    Johanna. Unglücklicher! Und du erinnerst mich daran,
    Wie viele Mütter dieses Landes kinderlos,
    Wie viele zarte Kinder vaterlos, wie viel
    Verlobte Bräute Witwen worden sind durch euch!
    Auch Englands Mütter mögen die Verzweiflung nun
    Erfahren, und die Tränen kennenlernen,
    Die Frankreichs jammervolle Gattinnen geweint.

    Montgomery. O schwer ists, in der Fremde sterben unbeweint.

    Johanna. Wer rief euch in das fremde Land, den blühnden Fleiß
    Der Felder zu verwüsten, von dem heimschen Herd
    Uns zu verjagen und des Krieges Feuerbrand
    Zu werfen in der Städte friedlich Heiligtum?
    Ihr träumtet schon in eures Herzens eitelm Wahn,
    Den freigebornen Franken in der Knechtschaft Schmach
    Zu stürzen und dies große Land, gleichwie ein Boot,
    An euer stolzes Meerschiff zu befestigen!
    Ihr Toren! Frankreichs königliches Wappen hängt
    Am Throne Gottes, eher rißt ihr einen Stern
    Vom Himmelwagen, als ein Dorf aus diesem Reich,
    Dem unzertrennlich ewig einigen! – Der Tag
    Der Rache ist gekommen, nicht lebendig mehr
    Zurückemessen werdet ihr das heilge Meer,
    Das Gott zur Länderscheide zwischen euch und uns
    Gesetzt, und das ihr frevelnd überschritten habt.

    Montgomery(läßt ihre Hand los).
    O ich muß sterben! Grausend faßt mich schon der Tod.

    Johanna. Stirb, Freund! Warum so zaghaft zittern vor dem Tod,
    Dem unentfliehbaren Geschick? – Sieh mich an! Sieh!
    Ich bin nur eine Jungfrau, eine Schäferin
    Geboren, nicht des Schwerts gewohnt ist diese Hand,
    Die den unschuldig frommen Hirtenstab geführt.
    Doch weggerissen von der heimatlichen Flur,
    Vom Vaters Busen, von der Schwestern lieber Brust
    Muß ich hier, ich muß – mich treibt die Götterstimme, nicht
    Eignes Gelüsten, – euch zu bitterm Harm, mir nicht
    Zur Freude, ein Gespenst des Schreckens würgend gehn,
    Den Tod verbreiten und sein Opfer sein zuletzt!
    Denn nicht den Tag der frohen Heimkehr werd ich sehn,
    Noch vielen von den Euren werd ich tödlich sein,
    Noch viele Witwen machen, aber endlich werd
    Ich selbst umkommen und erfüllen mein Geschick.
    – Erfülle du auch deines. Greife frisch zum Schwert,
    Und um des Lebens süße Beute kämpfen wir.

    Montgomery(steht auf).
    Nun, wenn du sterblich bist wie ich und Waffen dich
    Verwunden, kanns auch meinem Arm beschieden sein,
    Zur Höll dich sendend Englands Not zu endigen.
    In Gottes gnädge Hände leg ich mein Geschick.
    Ruf du Verdammte deine Höllengeister an,
    Dir beizustehen! Wehre deines Lebens dich!

    (Er ergreift Schild und Schwert und dringt auf sie ein, kriegerische Musik erschallt in der Ferne, nach einen kurzen Gefechte fällt Montgomery)

    Achter Auftritt

    Johanna allein

    Dich trug dein Fuß zum Tode – Fahre hin!
    (Sie tritt von ihm weg und bleibt gedankenvoll stehen)
    Erhabne Jungfrau, du wirkst Mächtiges in mir!
    Du rüstest den unkriegerischen Arm mit Kraft,
    Dies Herz mit Unerbittlichkeit bewaffnest du.
    In Mitleid schmilzt die Seele und die Hand erbebt,
    Als bräche sie in eines Tempels heilgen Bau,
    Den blühenden Leib des Gegners zu verletzen,
    Schon vor des Eisens blanker Schneide schaudert mir,
    Doch wenn es not tut, alsbald ist die Kraft mir da,
    Und nimmer irrend in der zitternden Hand regiert
    Das Schwert sich selbst, als wär es ein lebendger Geist.

    Neunter Auftritt

    Ein Ritter mit geschloßnem Visier. Johanna

    Ritter. Verfluchte! Deine Stunde ist gekommen,
    Dich sucht ich auf dem ganzen Feld der Schlacht.
    Verderblich Blendwerk! Fahre zu der Hölle
    Zurück, aus der du aufgestiegen bist.

    Johanna. Wer bist du, den sein böser Engel mir
    Entgegen schickt? Gleich eines Fürsten ist
    Dein Anstand, auch kein Brite scheinst du mir,
    Denn dich bezeichnet die burgundsche Binde,
    Vor der sich meines Schwertes Spitze neigt.

    Ritter. Verworfne, du verdientest nicht zu fallen
    Von eines Fürsten edler Hand. Das Beil
    Des Henkers sollte dein verdammtes Haupt
    Vom Rumpfe trennen, nicht der tapfre Degen
    Des königlichen Herzogs von Burgund.

    Johanna. So bist du dieser edle Herzog selbst?

    Ritter(schlägt das Visier auf).
    Ich bins. Elende, zittre und verzweifle!
    Die Satanskünste schützen dich nicht mehr,
    Du hast bis jetzt nur Schwächlinge bezwungen,
    Ein Mann steht vor dir.

    Zehnter Auftritt

    Dunois und La Hire zu den Vorigen

    Dunois. Wende dich, Burgund!
    Mit Männern kämpfe, nicht mit Jungfrauen.

    La Hire. Wir schützen der Prophetin heilig Haupt,
    Erst muß dein Degen diese Brust durchbohren –

    Burgund. Nicht diese buhlerische Circe fürcht ich,
    Noch euch, die sie so schimpflich hat verwandelt.
    Erröte, Bastard, Schande dir, La Hire,
    Daß du die alte Tapferkeit zu Künsten
    Der Höll erniedrigst, den verächtlichen
    Schildknappen einer Teufelsdirne machst.
    Kommt her! Euch allen biet ichs! Der verzweifelt
    An Gottes Schutz, der zu dem Teufel flieht.

    (Sie bereiten sich zum Kampf, Johanna tritt dazwischen)

    Johanna. Haltet inne!

    Burgund. Zitterst du für deinen Buhlen?
    Vor deinen Augen soll er – (Dringt auf Dunois ein)

    Johanna. Haltet inne!
    Trennt sie, La Hire – Kein französisch Blut soll fließen!
    Nicht Schwerter sollen diesen Streit entscheiden.
    Ein andres ist beschlossen in den Sternen –
    Auseinander sag ich – Höret und verehrt
    Den Geist, der mich ergreift, der aus mir redet!

    Dunois. Was hältst du meinen aufgehobnen Arm,
    Und hemmst des Schwertes blutige Entscheidung?
    Das Eisen ist gezückt, es fällt der Streich,
    Der Frankreich rächen und versöhnen soll.

    Johanna(stellt sich in die Mitte und trennt beide Teile durch einen weiten Zwischenraum, zum Bastard). Tritt auf die Seite!
    (Zu La Hire) Bleib gefesselt stehen!
    Ich habe mit dem Herzoge zu reden.
    (Nachdem alles ruhig ist)
    Was willst du tun, Burgund? Wer ist der Feind,
    Den deine Blicke mordbegierig suchen?
    Dieser edle Prinz ist Frankreichs Sohn wie du
    Dieser Tapfre ist dein Waffenfreund und Landsmann,
    Ich selbst bin deines Vaterlandes Tochter.
    Wir alle, die du zu vertilgen strebst,
    Gehören zu den Deinen – unsre Arme
    Sind aufgetan dich zu empfangen, unsre Knie
    Bereit dich zu verehren- unser Schwert
    Hat keine Spitze gegen dich. Ehrwürdig
    Ist uns das Antlitz, selbst im Feindeshelm,
    Das unsers Königs teure Züge trägt.

    Burgund. Mit süßer Rede schmeichlerischem Ton
    Willst du Sirene! deine Opfer locken.
    Arglistge, mich betörst du nicht. Verwahrt
    Ist mir das Ohr vor deiner Rede Schlingen
    Und deines Auges Feuerpfeile gleiten
    Am guten Harnisch meines Busens ab.
    Zu den Waffen, Dunois!
    Mit Streichen nicht mit Worten laß uns fechten.

    Dunois. Erst Worte und dann Streiche. Fürchtest du
    Vor Worten dich? Auch das ist Feigheit
    Und der Verräter einer bösen Sache.

    Johanna. Uns treibt nicht die gebieterische Not
    Zu deinen Füßen, nicht als Flehende
    Erscheinen wir vor dir. – Blick um dich her!
    In Asche liegt das engelländsche Lager,
    Und eure Toten decken das Gefild.
    Du hörst der Franken Kriegstrommete tönen,
    Gott hat entschieden, unser ist der Sieg.
    Des schönen Lorbeers frisch gebrochnen Zweig
    Sind wir bereit, mit unserm Freund zu teilen.
    – O komm herüber! Edler Flüchtling komm!
    Herüber, wo das Recht ist und der Sieg.
    Ich selbst, die Gottgesandte, reiche dir
    Die schwesterliche Hand. Ich will dich rettend
    Herüberziehn auf unsre reine Seite! –
    Der Himmel ist für Frankreich. Seine Engel,
    Du siehst sie nicht, sie fechten für den König,
    Sie alle sind mit Lilien geschmückt,
    Lichtweiß wie diese Fahn ist unsre Sache,
    Die reine Jungfrau ist ihr keusches Sinnbild.

    Burgund. Verstrickend ist der Lüge trüglich Wort,
    Doch ihre Rede ist wie eines Kindes.
    Wenn böse Geister ihr die Worte leihn,
    So ahmen sie die Unschuld siegreich nach.
    Ich will nicht weiter hören. Zu den Waffen!
    Mein Ohr, ich fühle, ist schwächer als mein Arm.

    Johanna. Du nennst mich eine Zauberin, gibst mir Künste
    Der Hölle schuld – Ist Frieden stiften, Haß
    Versöhnen ein Geschäft der Hölle? Kommt
    Die Eintracht aus dem ewgen Pfuhl hervor?
    Was ist unschuldig, heilig, menschlich gut,
    Wenn es der Kampf nicht ist ums Vaterland?
    Seit wann ist die Natur so mit sich selbst
    Im Streite, daß der Himmel die gerechte Sache
    Verläßt, und daß die Teufel sie beschützen?
    Ist aber das, was ich dir sage, gut,
    Wo anders als von oben könnt ichs schöpfen?
    Wer hätte sich auf meiner Schäfertrift
    Zu mir gesellt, das kindsche Hirtenmädchen
    In königlichen Dingen einzuweihn?
    Ich bin vor hohen Fürsten nie gestanden,
    Die Kunst der Rede ist dem Munde fremd.
    Doch jetzt, da ichs bedarf dich zu bewegen,
    Besitz ich Einsicht, hoher Dinge Kunde,
    Der Länder und der Könige Geschick
    Liegt sonnenhell vor meinem Kindesblick,
    Und einen Donnerkeil führ ich im Munde.

    Burgund(lebhaft bewegt, schlägt die Augen zu ihr auf und betrachtet sie mit Erstaunen und Rührung).
    Wie wird mir? Wie geschieht mir? Ists ein Gott,
    Der mir das Herz im tiefsten Busen wendet!
    – Sie trügt nicht, diese rührende Gestalt!
    Nein! Nein! Bin ich durch Zaubers Macht geblendet,
    So ists durch eine himmlische Gewalt,
    Mir sagts das Herz, sie ist von Gott gesendet.

    Johanna. Er ist gerührt, er ists! Ich habe nicht
    Umsonst gefleht, des Zornes Donnerwolke schmilzt
    Von seiner Stirne tränentauend hin,
    Und aus den Augen, Friede strahlend, bricht
    Die goldne Sonne des Gefühls hervor.
    – Weg mit den Waffen – drücket Herz an Herz –
    Er weint, er ist bezwungen, er ist unser!

    (Schwert und Fahne entsinken ihr, sie eilt auf ihn zu mit ausgebreiteten Armen und umschlingt ihn mit leidenschaftlichem Ungestüm. La Hire und Dunois lassen die Schwerter fallen und eilen ihn zu umarmen)

    Dritter Aufzug

    Hoflager des Königs zu Chalons an der Marne

    Erster Auftritt

    Dunois und La Hire

    Dunois. Wir waren Herzensfreunde, Waffenbrüder,
    Für eine Sache hoben wir den Arm
    Und hielten fest in Not und Tod zusammen.
    Laßt Weiberliebe nicht das Band zertrennen,
    Das jeden Schicksalswechsel ausgehalten.

    La Hire. Prinz, hört mich an!

    Dunois. Ihr liebt das wunderbare Mädchen,
    Und mir ist wohl bekannt, worauf Ihr sinnt.
    Zum König denkt Ihr stehnden Fußes jetzt
    Zu gehen, und die Jungfrau zum Geschenk
    Euch zu erbitten- Eurer Tapferkeit
    Kann er den wohlverdienten Preis nicht weigern.
    Doch wißt – eh ich in eines andern Arm
    Sie sehe –

    La Hire. Hört mich, Prinz!

    Dunois. Es zieht mich nicht
    Der Augen flüchtig schnelle Lust zu ihr.
    Den unbezwungnen Sinn hat nie ein Weib
    Gerührt, bis ich die Wunderbare sah,
    Die eines Gottes Schickung diesem Reich
    Zur Retterin bestimmt und mir zum Weibe,
    Und in dem Augenblick gelobt ich mir
    Mit heilgem Schwur als Braut sie heimzuführen.
    Denn nur die Starke kann die Freundin sein
    Des starken Mannes, und dies glühnde Herz
    Sehnt sich an einer gleichen Brust zu ruhn,
    Die seine Kraft kann fassen und ertragen.

    La Hire. Wie könnt ichs wagen, Prinz, mein schwach Verdienst
    Mit Eures Namens Heldenruhm zu messen!
    Wo sich Graf Dunois in die Schranken stellt,
    Muß jeder andre Mitbewerber weichen.
    Doch eine niedre Schäferin kann nicht
    Als Gattin würdig Euch zur Seite stehn,
    Das königliche Blut, das Eure Adern
    Durchrinnt, verschmäht so niedrige Vermischung.

    Dunois. Sie ist das Götterkind der heiligen
    Natur, wie ich, und ist mir ebenbürtig.
    Sie sollte eines Fürsten Hand entehren,
    Die eine Braut der reinen Engel ist,
    Die sich das Haupt mit einem Götterschein
    Umgibt, der heller strahlt als irdsche Kronen,
    Die jedes Größte, Höchste dieser Erden
    Klein unter ihren Füßen liegen sieht;
    Denn alle Fürstenthronen aufeinander
    Gestellt, bis zu den Sternen fortgebaut,
    Erreichten nicht die Höhe, wo sie steht,
    In ihrer Engelsmajestät!

    La Hire. Der König mag entscheiden.

    Dunois. Nein, sie selbst
    Entscheide! Sie hat Frankreich frei gemacht
    Und selber frei muß sie ihr Herz verschenken.

    La Hire. Da kommt der König!

    Zweiter Auftritt

    Karl. Agnes Sorel. Du Chatel, der Erzbischof und Chatillon zu den Vorigen

    Karl(zu Chatillon). Er kommt! Er will als seinen König mich
    Erkennen, sagt Ihr, und mir huldigen?

    Chatillon. Hier, Sire, in deiner königlichen Stadt
    Chalons will sich der Herzog, mein Gebieter,
    Zu deinen Füßen werfen. – Mir befahl er,
    Als meinen Herrn und König dich zu grüßen,
    Er folgt mir auf dem Fuß, gleich naht er selbst.

    Sorel. Er kommt! O schöne Sonne dieses Tags,
    Der Freude bringt und Frieden und Versöhnung!

    Chatillon. Mein Herr wird kommen mit zweihundert Rittern,
    Er wird zu deinen Füßen niederknien,
    Doch er erwartet, daß du es nicht duldest,
    Als deinen Vetter freundlich ihn umarmest.

    Karl. Mein Herz glüht, an dem seinigen zu schlagen.

    Chatillon. Der Herzog bittet, daß des alten Streits
    Beim ersten Wiedersehn mit keinem Worte Meldung gescheh!

    Karl. Versenkt im Lethe sei
    Auf ewig das Vergangene. Wir wollen
    Nur in der Zukunft heitre Tage sehn.

    Chatillon. Die für Burgund gefochten, alle sollen
    In die Versöhnung aufgenommen sein.

    Karl. Ich werde so mein Königreich verdoppeln!

    Chatillon. Die Königin Isabeau soll in dem Frieden
    Mit eingeschlossen sein, wenn sie ihn annimmt.

    Karl. Sie führet Krieg mit mir, nicht ich mit ihr.
    Unser Streit ist aus, sobald sie selbst ihn endigt.

    Chatillon. Zwölf Ritter sollen bürgen für dein Wort.

    Karl. Mein Wort ist heilig.

    Chatillon. Und der Erzbischof
    Soll eine Hostie teilen zwischen dir und ihm,
    Zum Pfand und Siegel redlicher Versöhnung.

    Karl. So sei mein Anteil an dem ewgen Heil,
    Als Herz und Handschlag bei mir einig sind.
    Welch andres Pfand verlangt der Herzog noch?

    Chatillon(mit einem Blick auf Du Chatel).
    Hier seh ich einen, dessen Gegenwart
    Den ersten Gruß vergiften könnte.

    (Du Chatel geht schweigend)

    Karl. Geh,
    Du Chatel! Bis der Herzog deinen Anblick
    Ertragen kann, magst du verborgen bleiben!
    (Er folgt ihm mit den Augen, dann eilt er ihm nach und umarmt ihn)
    Rechtschaffner Freund! Du wolltest mehr als dies
    Für meine Ruhe tun!

    (Du Chatel geht ab)

    Chatillon. Die andern Punkte nennt dies Instrument.

    Karl(zum Erzbischof). Bringt es in Ordnung. Wir genehmgen alles,
    Für einen Freund ist uns kein Preis zu hoch.
    Geht, Dunois! Nehmt hundert edle Ritter
    Mit Euch und holt den Herzog freundlich ein.
    Die Truppen alle sollen sich mit Zweigen
    Bekränzen, ihre Brüder zu empfangen.
    Zum Feste schmücke sich die ganze Stadt,
    Und alle Glocken sollen es verkünden,
    Daß Frankreich und Burgund sich neu verbünden.
    (Ein Edelknecht kommt. Man hört Trompeten)
    Horch! Was bedeutet der Trompeten Ruf?

    Edelknecht. Der Herzog von Burgund hält seinen Einzug. (Geht ab)

    Dunois(geht mit La Hire und Chatillon). Auf! Ihm entgegen!

    Karl(zur Sorel). Agnes, du weinst? Beinah gebricht auch mir
    Die Stärke, diesen Auftritt zu ertragen.
    Wie viele Todesopfer mußten fallen,
    Bis wir uns friedlich konnten wiedersehen.
    Doch endlich legt sich jedes Sturmes Wut,
    Tag wird es auf die dickste Nacht, und kommt
    Die Zeit, so reifen auch die spätsten Früchte!

    Erzbischof(am Fenster).
    Der Herzog kann sich des Gedränges kaum
    Erledigen. Sie heben ihn vom Pferd,
    Sie küssen seinen Mantel, seine Sporen.

    Karl. Es ist ein gutes Volk, in seiner Liebe
    Raschlodernd wie in seinem Zorn. – Wie schnell
    Vergessen ists, daß eben dieser Herzog
    Die Väter ihnen und die Söhne schlug,
    Der Augenblick verschlingt ein ganzes Leben!
    – Faß dich, Sorel! Auch deine heftge Freude
    Möcht ihm ein Stachel in die Seele sein,
    Nichts soll ihn hier beschämen, noch betrüben.

    Dritter Auftritt

    Die Vorigen. Herzog von Burgund. Dunois. La Hire. Chatillon und noch zwei andere Ritter von des Herzogs Gefolge. Der Herzog bleibt am Eingang stehen, der König bewegt sich gegen ihn, sogleich nähert sich Burgund und in dem Augenblick, wo er sich auf ein Knie will niederlassen, empfängt ihn der König in seinen Armen

    Karl. Ihr habt uns überrascht – Euch einzuholen
    Gedachten wir – Doch Ihr habt schnelle Pferde.

    Burgund. Sie trugen mich zu meiner Pflicht.
    (Er umarmt die Sorel und küßt sie auf die Stirne)
    Mit Eurer Erlaubnis,
    Base. Das ist unser Herrenrecht
    Zu Arras und kein schönes Weib darf sich
    Der Sitte weigern.

    Karl. Eure Hofstatt ist
    Der Sitz der Minne, sagt man, und der Markt,
    Wo alles Schöne muß den Stapel halten.

    Burgund. Wir sind ein handeltreibend Volk, mein König.
    Was köstlich wächst in allen Himmelstrichen,
    Wird ausgestellt zur Schau und zum Genuß
    Auf unserm Markt zu Brügg, das höchste aber
    Von allen Gütern ist der Frauen Schönheit.

    Sorel. Der Frauen Treue gilt noch höhern Preis,
    Doch auf dem Markte wird sie nicht gesehn.

    Karl. Ihr steht in bösem Ruf und Leumund, Vetter,
    Daß Ihr der Frauen schönste Tugend schmäht.

    Burgund. Die Ketzerei straft sich am schwersten selbst.
    Wohl Euch, mein König! Früh hat Euch das Herz,
    Was mich ein wildes Leben spät, gelehrt!
    (Er bemerkt den Erzbischof und reicht ihm die Hand)
    Ehrwürdger Mann Gottes! Euren Segen!
    Euch trifft man immer auf dem rechten Platz,
    Wer Euch will finden, muß im Guten wandeln.

    Erzbischof. Mein Meister rufe, wenn er will, dies Herz
    Ist freudensatt und ich kann fröhlich scheiden,
    Da meine Augen diesen Tag gesehn!

    Burgund(zur Sorel). Man spricht, Ihr habt Euch Eurer edeln Steine
    Beraubt, um Waffen gegen mich daraus
    Zu schmieden? Wie? Seid Ihr so kriegerisch
    Gesinnt? Wars Euch so ernst mich zu verderben,
    Doch unser Streit ist nun vorbei, es findet
    Sich alles wieder, was verloren war,
    Auch Euer Schmuck hat sich zurückgefunden,
    Zum Kriege wider mich war er bestimmt,
    Nehmt ihn aus meiner Hand zum Friedenszeichen.

    (Er empfängt von einem seiner Begleiter das Schmuckkästchen und überreicht es ihr geöffnet. Agnes Sorel sieht den König betroffen an)

    Karl. Nimm das Geschenk, es ist ein zweifach teures Pfand
    Der schönen Liebe mir und der Versöhnung.

    Burgund(indem er eine brillantne Rose in ihre Haare steckt).
    Warum ist es nicht Frankreichs Königskrone?
    Ich würde sie mit gleich geneigtem Herzen
    Auf diesem schönen Haupt befestigen.
    (Ihre Hand bedeutend fassend)
    Und – zählt auf mich, wenn Ihr dereinst des Freundes
    Bedürfen solltet!

    (Agnes Sorel in Tränen ausbrechend tritt auf die Seite, auch der König bekämpft eine große Bewegung, alle Umstehende blicken gerührt auf beide Fürsten)

    Burgund(nachdem er alle der Reihe nach angesehen, wirft er sich in die Arme des Königs).
    O mein König!

    (In demselben Augenblick eilen die drei burgundischen Ritter auf Dunois, La Hire und den Erzbischof zu und umarmen einander. Beide Fürsten liegen eine Zeitlang einander sprachlos in den Armen)

    Euch konnt ich hassen! Euch konnt ich entsagen!

    Karl. Still! Still! Nicht weiter!

    Burgund. Diesen Engelländer
    Konnt ich krönen! Diesem Fremdling Treue schwören!
    Euch meinen König ins Verderben stürzen!

    Karl. Vergeßt es! Alles ist verziehen. Alles
    Tilgt dieser einzge Augenblick. Es war
    Ein Schicksal, ein unglückliches Gestirn!

    Burgund(faßt seine Hand).
    Ich will gutmachen! Glaubet mir, ich wills.
    Alle Leiden sollen Euch erstattet werden,
    Euer ganzes Königreich sollt Ihr zurück
    Empfangen – nicht ein Dorf soll daran fehlen!

    Karl. Wir sind vereint. Ich fürchte keinen Feind mehr.

    Burgund. Glaubt mir, ich führte nicht mit frohem Herzen
    Die Waffen wider Euch. O wüßtet Ihr –
    Warum habt Ihr mir diese nicht geschickt?
    (Auf die Sorel zeigend) Nicht widerstanden hätt ich ihren Tränen!
    – Nun soll uns keine Macht der Hölle mehr
    Entzweien, da wir Brust an Brust geschlossen!
    Jetzt hab ich meinen wahren Ort gefunden,
    An diesem Herzen endet meine Irrfahrt.

    Erzbischof(tritt zwischen beide).
    Ihr seid vereinigt, Fürsten! Frankreich steigt
    Ein neu verjüngter Phönix aus der Asche,
    Uns lächelt eine schöne Zukunft an.
    Des Landes tiefe Wunden werden heilen,
    Die Dörfer, die verwüsteten, die Städte
    Aus ihrem Schutt sich prangender erheben,
    Die Felder decken sich mit neuem Grün
    Doch, die das Opfer eures Zwists gefallen,
    Die Toten stehen nicht mehr auf, die Tränen,
    Die eurem Streit geflossen, sind und bleiben
    Geweint! Das kommende Geschlecht wird blühen,
    Doch das vergangne war des Elends Raub,
    Der Enkel Glück erweckt nicht mehr die Väter.
    Das sind die Früchte eures Bruderzwists!
    Laßts euch zur Lehre dienen! Fürchtet die Gottheit
    Des Schwerts, eh ihrs der Scheid entreißt. Loslassen
    Kann der Gewaltige den Krieg, doch nicht
    Gelehrig wie der Falk sich aus den Lüften
    Zurückschwingt auf des Jägers Hand, gehorcht
    Der wilde Gott dem Ruf der Menschenstimme.
    Nicht zweimal kommt im rechten Augenblick
    Wie heut die Hand des Retters aus den Wolken.

    Burgund. O Sire! Euch wohnt ein Engel an der Seite.
    – Wo ist sie? Warum seh ich sie nicht hier?

    Karl. Wo ist Johanna? Warum fehlt sie uns
    In diesem festlich schönen Augenblick,
    Den sie uns schenkte?

    Erzbischof. Sire! Das heilge Mädchen
    Liebt nicht die Ruhe eines müßgen Hofs,
    Und ruft sie nicht der göttliche Befehl
    Ans Licht der Welt hervor, so meidet sie
    Verschämt den eitlen Blick gemeiner Augen!
    Gewiß bespricht sie sich mit Gott, wenn sie
    Für Frankreichs Wohlfahrt nicht geschäftig ist,
    Denn allen ihren Schritten folgt der Segen.

    Vierter Auftritt

    Johanna zu den Vorigen. Sie ist im Harnisch, aber ohne Helm, und trägt einen Kranz in den Haaren

    Karl Du kommst als Priesterin geschmückt, Johanna,
    Den Bund, den du gestiftet, einzuweihn?

    Burgund. Wie schrecklich war die Jungfrau in der Schlacht,
    Und wie umstrahlt mit Anmut sie der Friede!
    – Hab ich mein Wort gelöst, Johanna? Bist du
    Befriedigt und verdien ich deinen Beifall?

    Johanna. Dir selbst hast du die größte Gunst erzeigt.
    Jetzt schimmerst du in segenvollem Licht,
    Da du vorhin in blutrotdüsterm Schein
    Ein Schreckensmond an diesem Himmel hingst.
    (Sich umschauend)
    Viel edle Ritter find ich hier versammelt
    Und alle Augen glänzen freudenhell,
    Nur einem Traurigen hab ich begegnet,
    Der sich verbergen muß, wo alles jauchzt.

    Burgund. Und wer ist sich so schwerer Schuld bewußt,
    Daß er an unsrer Huld verzweifeln müßte,

    Johanna. Darf er sich nahn? O sage, daß ers darf?
    Mach dein Verdienst vollkommen. Eine Versöhnung
    Ist keine, die das Herz nicht ganz befreit.
    Ein Tropfe Haß, der in dem Freudenbecher
    Zurückbleibt, macht den Segenstrank zum Gift.
    – Kein Unrecht sei so blutig, daß Burgund
    An diesem Freudentag es nicht vergebe!

    Burgund. Ha, ich verstehe dich!

    Johanna. Und willst verzeihn?
    Du willst es, Herzog? – Komm herein, Du Chatel!
    (Sie öffnet die Tür und führt Du Chatel herein, dieser bleibt in der Entfernung stehen)
    Der Herzog ist mit seinen Feinden allen
    Versöhnt, er ist es auch mit dir.

    (Du Chatel tritt einige Schritte näher und sucht in den Augen des Herzogs zu lesen)

    Burgund. Was machst du
    Aus mir, Johanna? Weißt du, was du foderst?

    Johanna. Ein gütger Herr tut seine Pforten auf
    Für alle Gäste, keinen schließt er aus;
    Frei wie das Firmament die Welt umspannt,
    So muß die Gnade Freund und Feind umschließen.
    Es schickt die Sonne ihre Strahlen gleich
    Nach allen Räumen der Unendlichkeit,
    Gleichmessend gießt der Himmel seinen Tau
    Auf alle durstenden Gewächse aus.
    Was irgend gut ist und von oben kommt,
    Ist allgemein und ohne Vorbehalt,
    Doch in den Falten wohnt die Finsternis!

    Burgund. O sie kann mit mir schalten wie sie will,
    Mein Herz ist weiches Wachs in ihrer Hand.
    – Umarmt mich, Du Chatel; ich vergeb Euch.
    Geist meines Vaters, zürne nicht, wenn ich
    Die Hand, die dich getötet, freundlich fasse.
    Ihr Todesgötter, rechnet mirs nicht zu,
    Daß ich mein schrecklich Rachgelübde breche.
    Bei euch dort unten in der ewgen Nacht,
    Da schlägt kein Herz mehr, da ist alles ewig,
    Steht alles unbeweglich fest- doch anders
    Ist es hier oben in der Sonne Licht.
    Der Mensch ist, der lebendig fühlende,
    Der leichte Raub des mächtgen Augenblicks.

    Karl(zu Johanna). Was dank ich dir nicht alles, hohe Jungfrau!
    Wie schön hast du dein Wort gelöst!
    Wie schnell mein ganzes Schicksal umgewandelt!
    Die Freunde hast du mir versöhnt, die Feinde
    Mir in den Staub gestürzt, und meine Städte
    Dem fremden Joch entrissen – Du allein
    Vollbrachtest alles. – Sprich, wie lohn ich dir!

    Johanna. Sei immer menschlich, Herr, im Glück, wie dus
    Im Unglück warst – und auf der Größe Gipfel
    Vergiß nicht, was ein Freund wiegt in der Not,
    Du hasts in der Erniedrigung erfahren.
    Verweigre nicht Gerechtigkeit und Gnade
    Dem letzten deines Volks, denn von der Herde
    Berief dir Gott die Retterin – du wirst
    Ganz Frankreich sammeln unter deinen Szepter,
    Der Ahn, und Stammherr großer Fürsten sein,
    Die nach dir kommen, werden heller leuchten,
    Als die dir auf dem Thron vorangegangen.
    Dein Stamm wird blühn, solang er sich die Liebe
    Bewahrt im Herzen seines Volks,
    Der Hochmut nur kann ihn zum Falle fahren,
    Und von den niedern Hütten, wo dir jetzt
    Der Retter ausging, droht geheimnisvoll
    Den schuldgefleckten Enkeln das Verderben!

    Burgund. Erleuchtet Mädchen, das der Geist beseelt,
    Wenn deine Augen in die Zukunft dringen,
    So sprich mir auch von meinem Stamm! Wird er
    Sich herrlich breiten wie er angefangen?

    Johanna. Burgund! Hoch bis zu Throneshöhe hast
    Du deinen Stuhl gesetzt, und höher strebt
    Das stolze Herz, es hebt bis in die Wolken
    Den kühnen Bau. – Doch eine Hand von oben
    Wird seinem Wachstum schleunig Halt gebieten.
    Doch fürchte drum nicht deines Hauses Fall!
    In einer Jungfrau lebt es glänzend fort,
    Und zeptertragende Monarchen, Hirten
    Der Völker werden ihrem Schoß entblühn.
    Sie werden herrschen auf zwei großen Thronen,
    Gesetze schreiben der bekannten Welt
    Und einer neuen, welche Gottes Hand
    Noch zudeckt hinter unbeschifften Meeren.

    Karl. O sprich, wenn es der Geist dir offenbaret,
    Wird dieses Freundesbündnis, das wir jetzt
    Erneut, auch noch die späten Enkelsöhne
    Vereinigen?

    Johanna(nach einem Stillschweigen).
    Ihr Könige und Herrscher!
    Fürchtet die Zwietracht! Wecket nicht den Streit
    Aus seiner Höhle, wo er schläft, denn einmal
    Erwacht bezähmt er spät sich wieder! Enkel
    Erzeugt er sich, ein eisernes Geschlecht,
    Fortzündet an dem Brande sich der Brand.
    – Verlangt nicht mehr zu wissen! Freuet euch
    Der Gegenwart, laßt mich die Zukunft still
    Bedecken!

    Sorel. Heilig Mädchen, du erforschest
    Mein Herz, du weißt, ob es nach Größe eitel strebt.
    Auch mir gib ein erfreuliches Orakel.

    Johanna. Mir zeigt der Geist nur große Weltgeschicke,
    Dein Schicksal ruht in deiner eignen Brust!

    Dunois. Was aber wird dein eigen Schicksal sein,
    Erhabnes Mädchen, das der Himmel liebt!
    Dir blüht gewiß das schönste Glück der Erden,
    Da du so fromm und heilig bist.

    Johanna. Das Glück
    Wohnt droben in dem Schoß des ewgen Vaters.

    Karl. Dein Glück sei fortan deines Königs Sorge!
    Denn deinen Namen will ich herrlich machen
    In Frankreich, selig preisen sollen dich
    Die spätesten Geschlechter – und gleich jetzt
    Erfüll ich es. – Knie nieder!
    (Er zieht das Schwert und berührt sie mit demselben)
    Und steh auf Als eine Edle! Ich erhebe dich,
    Dein König, aus dem Staube deiner dunkeln
    Geburt – Im Grabe adl ich deine Väter –
    Du sollst die Lilie im Wappen tragen,
    Den Besten sollst du ebenbürtig sein
    In Frankreich, nur das königliche Blut
    Von Valois sei edler als das deine!
    Der Größte meiner Großen fühle sich
    Durch deine Hand geehrt, mein sei die Sorge,
    Dich einem edeln Gatten zu vermählen.

    Dunois(tritt vor). Mein Herz erkor sie, da sie niedrig war,
    Die neue Ehre, die ihr Haupt umglänzt,
    Erhöht nicht ihr Verdienst, noch meine Liebe.
    Hier in dem Angesichte meines Königs
    Und dieses heilgen Bischofs reich ich ihr
    Die Hand als meiner fürstlichen Gemahlin,
    Wenn sie mich würdig hält, sie zu empfangen.

    Karl. Unwiderstehlich Mädchen, du häufst Wunder
    Auf Wunder! Ja, nun glaub ich, daß dir nichts
    Unmöglich ist. Du hast dies stolze Herz
    Bezwungen, das der Liebe Allgewalt
    Hohn sprach bis jetzt.

    La Hire(tritt vor). Johannas schönster Schmuck,
    Kenn ich sie recht, ist ihr bescheidnes Herz.
    Der Huldigung des Größten ist sie wert,
    Doch nie wird sie den Wunsch so hoch erheben.
    Sie strebt nicht schwindelnd irdscher Hoheit nach,
    Die treue Neigung eines redlichen
    Gemüts genügt ihr, und das stille Los,
    Das ich mit dieser Hand ihr anerbiete.

    Karl. Auch du, La Hire? Zwei treffliche Bewerber
    An Heldentugend gleich und Kriegesruhm!
    – Willst du, die meine Feinde mir versöhnt,
    Mein Reich vereinigt, mir die liebsten Freunde
    Entzwein? Es kann sie einer nur besitzen,
    Und jeden acht ich solches Preises wert.
    So rede du, dein Herz muß hier entscheiden.

    Sorel(tritt näher). Die edle Jungfrau seh ich überrascht
    Und ihre Wangen färbt die züchtge Scham.
    Man geb ihr Zeit, ihr Herz zu fragen, sich
    Der Freundin zu vertrauen und das Siegel
    Zu lösen von der fest verschloßnen Brust.
    Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo
    Auch ich der strengen Jungfrau schwesterlich
    Mich nahen, ihr den treu verschwiegnen Busen
    Darbieten darf – Man laß uns weiblich erst
    Das Weibliche bedenken und erwarte,
    Was wir beschließen werden.

    Karl(im Begriff zu gehen). Also seis!

    Johanna. Nicht also, Sire! Was meine Wangen färbte,
    War die Verwirrung nicht der blöden Scham.
    Ich habe dieser edeln Frau nichts zu vertraun,
    Dess' ich vor Männern mich zu schämen hätte.
    Hoch ehrt mich dieser edeln Ritter Wahl.
    Doch nicht verließ ich meine Schäfertrift,
    Um weltlich eitle Hoheit zu erlagen,
    Noch mir den Brautkranz in das Haar zu flechten,
    Legt ich die ehrne Waffenrüstung an.
    Berufen bin ich zu ganz anderm Werk,
    Die reine Jungfrau nur kann es vollenden.
    Ich bin die Kriegerin des höchsten Gottes,
    Und keinem Manne kann ich Gattin sein.

    Erzbischof. Dem Mann zur liebenden Gefährtin ist
    Das Weib geboren – wenn sie der Natur
    Gehorcht, dient sie am würdigsten dem Himmel!
    Und hast du dem Befehle deines Gottes,
    Der in das Feld dich rief, genuggetan,
    So wirst du deine Waffen von dir legen,
    Und wiederkehren zu dem sanfteren
    Geschlecht, das du verleugnet hast, das nicht
    Berufen ist zum blutgen Werk der Waffen.

    Johanna. Ehrwürdger Herr, ich weiß noch nicht zu sagen,
    Was mir der Geist gebieten wird zu tun;
    Doch wenn die Zeit kommt, wird mir seine Stimme
    Nicht schweigen, und gehorchen werd ich ihr.
    Jetzt aber heißt er mich mein Werk vollenden,
    Die Stirne meines Herren ist noch nicht
    Gekrönt, das heilge Öl hat seine Scheitel
    Noch nicht benetzt, noch heißt mein Herr nicht König.

    Karl. Wir sind begriffen auf dem Weg nach Reims.

    Johanna. Laß uns nicht still stehn, denn geschäftig sind
    Die Feinde rings, den Weg dir zu verschließen.
    Doch mitten durch sie alle führ ich dich!

    Dunois. Wenn aber alles wird vollendet sein,
    Wenn wir zu Reims nun siegend eingezogen,
    Wirst du mir dann vergönnen, heilig Mädchen –

    Johanna. Will es der Himmel, daß ich sieggekrönt
    Aus diesem Kampf des Todes wiederkehre,
    So ist mein Werk vollendet – und die Hirtin
    Hat kein Geschäft mehr in des Königs Hause.

    Karl(ihre Hand fassend).
    Dich treibt des Geistes Stimme jetzt, es schweigt
    Die Liebe in dem gotterfüllten Busen.
    Sie wird nicht immer schweigen, glaube mir!
    Die Waffen werden ruhn, es führt der Sieg
    Den Frieden an der Hand, dann kehrt die Freude
    In jeden Busen ein, und sanftere
    Gefühle wachen auf in allen Herzen –
    Sie werden auch in deiner Brust erwachen,
    Und Tränen süßer Sehnsucht wirst du weinen,
    Wie sie dein Auge nie vergoß – dies Herz,
    Das jetzt der Himmel ganz erfüllt, wird sich
    Zu einem irdschen Freunde liebend wenden –
    Jetzt hast du rettend Tausende beglückt,
    Und einen zu beglücken wirst du enden!

    Johanna. Dauphin! Bist du der göttlichen Erscheinung
    Schon müde, daß du ihr Gefäß zerstören,
    Die reine Jungfrau, die dir Gott gesendet,
    Herab willst ziehn in den gemeinen Staub,
    Ihr blinden Herzen! Ihr Kleingläubigen!
    Des Himmels Herrlichkeit umleuchtet euch,
    Vor eurem Aug enthüllt er seine Wunder,
    Und ihr erblickt in mir nichts als ein Weib.
    Darf sich ein Weib mit kriegerischem Erz
    Umgeben, in die Männerschlacht sich mischen?
    Weh mir, wenn ich das Rachschwert meines Gottes
    In Händen führte, und im eiteln Herzen
    Die Neigung trüge zu dem irdschen Mann!
    Mir wäre besser, ich wär nie geboren!
    Kein solches Wort mehr, sag ich euch, wenn ihr
    Den Geist in mir nicht zürnend wollt entrüsten!
    Der Männer Auge schon, das mich begehrt,
    Ist mir ein Grauen und Entheiligung.

    Karl. Brecht ab. Es ist umsonst sie zu bewegen.

    Johanna. Befiehl, daß man die Kriegstrommete blase!
    Mich preßt und ängstigt diese Waffenstille,
    Es jagt mich auf aus dieser müßgen Ruh,
    Und treibt mich fort, daß ich mein Werk erfülle,
    Gebietrisch mahnend meinem Schicksal zu.

    Fünfter Auftritt

    Ein Ritter eilfertig

    Karl. Was ists?

    Ritter. Der Feind ist über die Marne gegangen,
    Und stellt sein Heer zum Treffen.

    Johanna(begeistert). Schlacht und Kampf!
    Jetzt ist die Seele ihrer Banden frei.
    Bewaffnet euch, ich ordn indes die Scharen. (Sie eilt hinaus)

    Karl. Folgt ihr, La Hire – Sie wollen uns am Tore
    Von Reims noch um die Krone kämpfen lassen!

    Dunois. Sie treibt nicht wahrer Mut. Es ist der letzte
    Versuch ohnmächtig wütender Verzweiflung.

    Karl. Burgund, Euch sporn ich nicht. Heut ist der Tag,
    Um viele böse Tage zu vergüten.

    Burgund. Ihr sollt mit mir zufrieden sein.

    Karl. Ich selbst
    Will Euch vorangehn auf dem Weg des Ruhms,
    Und in dem Angesicht der Krönungsstadt
    Die Krone mir erfechten. – Meine Agnes!
    Dein Ritter sagt dir Lebewohl!

    Agnes(umarmt ihn). Ich weine nicht, ich zittre nicht für dich,
    Mein Glaube greift vertrauend in die Wolken!
    So viele Pfänder seiner Gnade gab
    Der Himmel nicht, daß wir am Ende trauern!
    Vom Sieg gekrönt umarm ich meinen Herrn,
    Mir sagts das Herz, in Reims' bezwungnen Mauern.

    (Trompeten erschallen mit mutigem Ton und gehen, während daß verwandelt wird, in ein wildes Kriegsgetümmel über, das Orchester fällt ein bei offener Szene und wird von kriegerischen Instrumenten hinter der Szene begleitet)

    Der Schauplatz verwandelt sich in eine freie Gegend, die von Bäumen begrenzt wird. Man sieht während der Musik Soldaten über den Hintergrund schnell wegziehen

    Sechster Auftritt

    Talbot auf Fastolf gestützt und von Soldaten begleitet. Gleich darauf Lionel

    Talbot. Hier unter diesen Bäumen setzt mich nieder,
    Und ihr begebt euch in die Schlacht zurück,
    Ich brauche keines Beistands, um zu sterben.

    Fastolf. O unglückselig jammervoller Tag!
    (Lionel tritt auf)
    Zu welchem Anblick kommt Ihr, Lionel!
    Hier liegt der Feldherr auf den Tod verwundet.

    Lionel. Das wolle Gott nicht! Edler Lord, steht auf!
    Jetzt ists nicht Zeit, ermattet hinzusinken.
    Weicht nicht dem Tod, gebietet der Natur
    Mit Eurem mächtgen Willen, daß sie lebe!

    Talbot. Umsonst! Der Tag des Schicksals ist gekommen,
    Der unsern Thron in Frankreich stürzen soll.
    Vergebens in verzweiflungsvollem Kampf
    Wagt ich das Letzte noch, ihn abzuwenden.
    Vom Stahl dahin geschmettert lieg ich hier,
    Um nicht mehr aufzustehn. – Reims ist verloren,
    So eilt, Paris zu retten!

    Lionel. Paris hat sich vertragen mit dem Dauphin,
    Soeben bringt ein Eilbot uns die Nachricht.

    Talbot(reißt den Verband ab).
    So strömet hin, ihr Bäche meines Bluts,
    Denn überdrüssig bin ich dieser Sonne!

    Lionel. Ich kann nicht bleiben. – Fastolf, bringt den Feldherrn
    An einen sichern Ort, wir können uns
    Nicht lange mehr auf diesem Posten halten.
    Die Unsern fliehen schon von allen Seiten,
    Unwiderstehlich dringt das Mädchen vor –

    Talbot. Unsinn, du siegst und ich muß untergehn!
    Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
    Erhabene Vernunft, lichthelle Tochter
    Des göttlichen Hauptes, weise Gründerin
    Des Weltgebäudes, Führerin der Sterne,
    Wer bist du denn, wenn du dem tollen Roß
    Des Aberwitzes an den Schweif gebunden,
    Ohnmächtig rufend, mit dem Trunkenen
    Dich sehend in den Abgrund stürzen mußt!
    Verflucht sei, wer sein Leben an das Große
    Und Würdge wendet und bedachte Plane
    Mit weisem Geist entwirft! Dem Narrenkönig
    Gehört die Welt –

    Lionel. Mylord! Ihr habt nur noch
    Für wenig Augenblicke Leben – denkt
    An Euren Schöpfer!

    Talbot. Wären wir als Tapfre
    Durch andre Tapfere besiegt, wir könnten
    Uns trösten mit dem allgemeinen Schicksal,
    Das immer wechselnd seine Kugel dreht –
    Doch solchem groben Gaukelspiel erliegen!
    War unser ernstes arbeitvolles Leben
    Keines ernsthaftem Ausgangs wert?

    Lionel(reicht ihm die Hand).
    Mylord, fahrt wohl! Der Tränen schuldgen Zoll
    Will ich Euch redlich nach der Schlacht entrichten,
    Wenn ich alsdann noch übrig bin. Jetzt aber
    Ruft das Geschick mich fort, das auf dem Schlachtfeld
    Noch richtend sitzt und seine Lose schüttelt.
    Auf Wiedersehn in einer andern Welt,
    Kurz ist der Abschied für die lange Freundschaft. (Geht ab)

    Talbot. Bald ists vorüber und der Erde geb ich,
    Der ewgen Sonne die Atome wieder,
    Die sich zu Schmerz und Lust in mir gefügt –
    Und von dem mächtgen Talbot, der die Welt
    Mit seinem Kriegsruhm füllte, bleibt nichts übrig,
    Als eine Handvoll leichten Staubs. – So geht
    Der Mensch zu Ende – und die einzige
    Ausbeute, die wir aus dem Kampf des Lebens
    Wegtragen, ist die Einsicht in das Nichts,
    Und herzliche Verachtung alles dessen,
    Was uns erhaben schien und wünschenswert –

    Siebenter Auftritt

    Karl. Burgund. Dunois. Du Chatel und Soldaten treten auf

    Burgund. Die Schanze ist erstürmt.

    Dunois. Der Tag ist unser.

    Karl(Talbot bemerkend).
    Seht, wer es ist, der dort vom Licht der Sonne
    Den unfreiwillig schweren Abschied nimmt?
    Die Rüstung zeigt mir keinen schlechten Mann,
    Geht, springt ihm bei, wenn ihm noch Hülfe frommt.
    (Soldaten aus des Königs Gefolge treten hinzu)

    Fastolf. Zurück! Bleibt fern! Habt Achtung vor dem Toten,
    Dem ihr im Leben nie zu nahn gewünscht!

    Burgund. Was seh ich! Talbot liegt in seinem Blut!
    (Er geht auf ihn zu. Talbot blickt ihn starr an und stirbt)

    Fastolf. Hinweg, Burgund! Den letzten Blick des Helden
    Vergifte nicht der Anblick des Verräters!

    Dunois. Furchtbarer Talbot! Unbezwinglicher!
    Nimmst du vorlieb mit so geringem Raum,
    Und Frankreichs weite Erde konnte nicht
    Dem Streben deines Riesengeistes gnügen.
    – Erst jetzo, Sire, begrüß ich Euch als König,
    Die Krone zitterte auf Eurem Haupt,
    So lang ein Geist in diesem Körper lebte.

    Karl(nachdem er den Toten stillschweigend betrachtet). Ihn hat ein Höherer besiegt, nicht wir!
    Er liegt auf Frankreichs Erde, wie der Held
    Auf seinem Schild, den er nicht lassen wollte.
    Bringt ihn hinweg!
    (Soldaten heben den Leichnam auf und tragen ihn fort)
    Fried sei mit seinem Staube!
    Ihm soll ein ehrenvolles Denkmal werden,
    Mitten in Frankreich, wo er seinen Lauf
    Als Held geendet, ruhe sein Gebein!
    So weit als er, drang noch kein feindlich Schwert,
    Seine Grabschrift sei der Ort, wo man ihn findet.

    Fastolf(gibt sein Schwert ab). Herr, ich bin dein Gefangener.

    Karl(gibt ihm sein Schwert zurück). Nicht also!
    Die fromme Pflicht ehrt auch der rohe Krieg,
    Frei sollt Ihr Eurem Herrn zu Grabe folgen.
    Jetzt eilt, Du Chatel – Meine Agnes zittert –
    Entreißt sie ihrer Angst um uns – Bringt ihr
    Die Botschaft, daß wir leben, daß wir siegten,
    Und führt sie im Triumph nach Reims!
    (Du Chatel geht ab)

    Achter Auftritt

    La Hire zu den Vorigen

    Dunois. La Hire!
    Wo ist die Jungfrau?

    La Hire. Wie? Das frag ich Euch.
    An Eurer Seite fechtend ließ ich sie.

    Dunois. Von Eurem Arme glaubt ich sie beschützt,
    Als ich dem König beizuspringen eilte.

    Burgund. Im dichtsten Feindeshaufen sah ich noch
    Vor kurzem ihre weiße Fahne wehn.

    Dunois. Weh uns, wo ist sie? Böses ahndet mir!
    Kommt, eilen wir sie zu befrein. – Ich fürchte,
    Sie hat der kühne Mut zu weit geführt,
    Umringt von Feinden kämpft sie ganz allein,
    Und hülflos unterliegt sie jetzt der Menge.

    Karl. Eilt, rettet sie!

    La Hire. Ich folg euch, kommt!

    Burgund. Wir alle! (Sie eilen fort)

    Eine andre öde Gegend des Schlachtfelds
    Man sieht die Türme von Reims in der Ferne, von der Sonne beleuchtet

    Neunter Auftritt

    Ein Ritter in ganz schwarzer Rüstung, mit geschloßnem Visier. Johanna verfolgt ihn bis auf die vordere Bühne, wo er stille steht und sie erwartet

    Johanna. Arglistger! Jetzt erkenn ich deine Tücke!
    Du hast mich trüglich durch verstellte Flucht
    Vom Schlachtfeld weggelockt und Tod und Schicksal
    Von vieler Britensöhne Haupt entfernt.
    Doch jetzt ereilt dich selber das Verderben.

    Schwarzer Ritter. Warum verfolgst du mich und heftest dich
    So wutentbrannt an meine Fersen? Mir
    Ist nicht bestimmt, von deiner Hand zu fallen.

    Johanna. Verhaßt in tiefster Seele bist du mir,
    Gleich wie die Nacht, die deine Farbe ist.
    Dich weg zu tilgen von dem Licht des Tags
    Treibt mich die unbezwingliche Begier.
    Wer bist du? Öffne dein Visier. – Hätt ich
    Den kriegerischen Talbot in der Schlacht
    Nicht fallen sehn, so sagt ich, du wärst Talbot.

    Schwarzer Ritter. Schweigt dir die Stimme des Prophetengeistes?

    Johanna. Sie redet laut in meiner tiefsten Brust,
    Daß mir das Unglück an der Seite steht.

    Schwarzer Ritter. Johanna d'Arc! Bis an die Tore Reims
    Bist du gedrungen auf des Sieges Flügeln.
    Dir gnüge der erworbne Ruhm. Entlasse
    Das Glück, das dir als Sklave hat gedient,
    Eh es sich zürnend selbst befreit, es haßt
    Die Treu und keinem dient es bis ans Ende.

    Johanna. Was heißest du in Mitte meines Laufs
    Mich stille stehen und mein Werk verlassen?
    Ich führ es aus und löse mein Gelübde!

    Schwarzer Ritter. Nichts kann dir, du Gewaltge, widerstehn,
    In jedem Kampfe siegst du. – Aber gehe
    In keinen Kampf mehr. Höre meine Warnung!

    Johanna. Nicht aus den Händen leg ich dieses Schwert,
    Als bis das stolze England niederliegt.

    Schwarzer Ritter. Schau hin! Dort hebt sich Reims mit seinen Türmen,
    Das Ziel und Ende deiner Fahrt – die Kuppel
    Der hohen Kathedrale siehst du leuchten,
    Dort wirst du einziehn im Triumphgepräng,
    Deinen König krönen, dein Gelübde lösen.
    – Geh nicht hinein. Kehr um. Hör meine Warnung.

    Johanna. Wer bist du, doppelzüngig falsches Wesen,
    Das mich erschrecken und verwirren will?
    Was maßest du dir an, mir falsch Orakel
    Betrüglich zu verkündigen?
    (Der schwarze Ritter will abgehen, sie tritt ihm in den Weg)
    Nein, du stehst
    Mir Rede, oder stirbst von meinen Händen!
    (Sie will einen Streich auf ihn führen)

    Schwarzer Ritter(berührt sie mit der Hand, sie bleibt unbeweglich stehen). Töte, was sterblich ist!

    (Nacht, Blitz und Donnerschlag. Der Ritter versinkt)

    Johanna(steht anfangs erstaunt, faßt sich aber bald wieder).
    Es war nichts Lebendes. – Ein trüglich Bild
    Der Hölle wars, ein widerspenstger Geist,
    Heraufgestiegen aus dem Feuerpfuhl,
    Mein edles Herz im Busen zu erschüttern.
    Wen fürcht ich mit dem Schwerte meines Gottes?
    Siegreich vollenden will ich meine Bahn,
    Und käm die Hölle selber in die Schranken,
    Mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken!
    (Sie will abgehen)

    Zehnter Auftritt

    Lionel. Johanna

    Lionel. Verfluchte, rüste dich zum Kampf- Nicht beide
    Verlassen wir lebendig diesen Platz.
    Du hast die Besten meines Volks getötet,
    Der edle Talbot hat die große Seele
    In meinen Busen ausgehaucht. – Ich räche
    Den Tapfern oder teile sein Geschick.
    Und daß du wissest, wer dir Ruhm verleiht,
    Er sterbe oder siege – Ich bin Lionel,
    Der letzte von den Fürsten unsers Heers,
    Und unbezwungen noch ist dieser Arm.
    (Er dringt auf sie ein, nach einem kurzen Gefecht schlägt sie ihm das Schwert aus der Hand)
    Treuloses Glück! (Er ringt mit ihr)

    Johanna(ergreift ihn von hinten zu am Helmbusch und reißt ihm den Helm gewaltsam herunter, daß sein Gesicht entblößt wird, zugleich zückt sie das Schwert mit der Rechten).
    Erleide, was du suchtest,
    Die heilge Jungfrau opfert dich durch mich!
    (In diesem Augenblick sieht sie ihm ins Gesicht, sein Anblick ergreift sie, sie bleibt unbeweglich stehen und läßt dann langsam den Arm sinken)

    Lionel. Was zauderst du und hemmst den Todesstreich?
    Nimm mir das Leben auch, du nahmst den Ruhm,
    Ich bin in deiner Hand, ich will nicht Schonung.
    (Sie gibt ihm ein Zeichen mit der Hand, sich zu entfernen) Entfliehen soll ich? Dir soll ich mein Leben
    Verdanken? – Eher sterben!

    Johanna(mit abgewandtem Gesicht). Rette dich!
    Ich will nichts davon wissen, daß dein Leben
    In meine Macht gegeben war.

    Lionel. Ich hasse dich und dein Geschenk – Ich will
    Nicht Schonung – Töte deinen Feind, der dich
    Verabscheut, der dich töten wollte.

    Johanna. Töte mich
    – Und fliehe!

    Lionel Ha! Was ist das?

    Johanna(verbirgt das Gesicht). Weh mir!

    Lionel(tritt ihr näher). Du tötest, sagt man, alle Engelländer,
    Die du im Kampf bezwingst – Warum nur mich
    Verschonen?

    Johanna(erhebt das Schwert mit einer raschen Bewegung gegen ihn, läßt es aber, wie sie ihn ins Gesicht faßt, schnell wieder sinken).
    Heilge Jungfrau!

    Lionel. Warum nennst du
    Die Heilge? Sie weiß nichts von dir, der Himmel
    Hat keinen Teil an dir.

    Johanna(in der heftigsten Beängstigung). Was hab ich
    Getan! Gebrochen hab ich mein Gelübde!
    (Sie ringt verzweifelnd die Hände)

    Lionel(betrachtet sie mit Teilnahme und tritt ihr näher).
    Unglücklich Mädchen! Ich beklage dich,
    Du rührst mich, du hast Großmut ausgeübt
    An mir allein, ich fühle, daß mein Haß
    Verschwindet, ich muß Anteil an dir nehmen!
    – Wer bist du? Woher kommst du?

    Johanna. Fort! Entfliehe!

    Lionel. Mich jammert deine Jugend, deine Schönheit!
    Dein Anblick dringt mir an das Herz. Ich möchte
    Dich gerne retten – Sage mir, wie kann ichs!
    Komm! Komm! Entsage dieser gräßlichen
    Verbindung – Wirf sie von dir, diese Waffen!

    Johanna. Ich bin unwürdig, sie zu führen!

    Lionel. Wirf
    Sie von dir, schnell, und folge mir!

    Johanna(mit Entsetzen). Dir folgen!

    Lionel. Du kannst gerettet werden. Folge mir!
    Ich will dich retten, aber säume nicht.
    Mich faßt ein ungeheurer Schmerz um dich,
    Und ein unnennbar Sehnen, dich zu retten –
    (Bemächtigt sich ihres Armes)

    Johanna. Der Bastard naht! Sie sinds! Sie suchen mich!
    Wenn sie dich finden –

    Lionel. Ich beschütze dich!

    Johanna. Ich sterbe, wenn du fällst von ihren Händen!

    Lionel. Bin ich dir teuer?

    Johanna. Heilige des Himmels!

    Lionel. Werd ich dich wiedersehen? Von dir hören?

    Johanna. Nie! Niemals!

    Lionel. Dieses Schwert zum Pfand, daß ich
    Dich wiedersehe!
    (Er entreißt ihr das Schwert)

    Johanna. Rasender, du wagst es?

    Lionel. Jetzt weich ich der Gewalt, ich seh dich wieder!
    (Er geht ab)

    Eilfter Auftritt

    Dunois und La Hire. Johanna

    La Hire. Sie lebt! Sie ists!

    Dunois. Johanna, fürchte nichts!
    Die Freunde stehen mächtig dir zur Seite.

    La Hire. Flieht dort nicht Lionel?

    Dunois. Laß ihn entfliehn!
    Johanna, die gerechte Sache siegt,
    Reims öffnet seine Tore, alles Volk
    Strömt jauchzend seinem Könige entgegen –

    La Hire. Was ist der Jungfrau? Sie erbleicht, sie sinkt!
    (Johanna schwindelt und will sinken)

    Dunois. Sie ist verwundet – Reißt den Panzer auf –
    Es ist der Arm und leicht ist die Verletzung.

    La Hire. Ihr Blut fließt.

    Johanna. Laßt es mit meinem Leben
    Hinströmen! (Sie liegt ohnmächtig in La Hires Armen)

    Vierter Aufzug

    Ein festlich ausgeschmückter Saal, die Säulen sind mit Festons umwunden, hinter der Szene Flöten und Hoboen

    Erster Auftritt

    Johanna. Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen,
    Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz,
    Durch alle Straßen tönt der muntre Reigen,
    Altar und Kirche prangt in Festes Glanz,
    Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,
    Und um die Säule windet sich der Kranz,
    Das weite Reims faßt nicht die Zahl der Gäste,
    Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.

    Und einer Freude Hochgefühl entbrennet,
    Und ein Gedanke schlägt in jeder Brust,
    Was sich noch jüngst in blutgem Haß getrennet,
    Das teilt entzückt die allgemeine Lust,
    Wer nur zum Stamm der Franken sich bekennet,
    Der ist des Namens stolzer sich bewußt,
    Erneuert ist der Glanz der alten Krone,
    Und Frankreich huldigt seinem Königssohne.

    Doch mich, die all dies Herrliche vollendet,
    Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück,
    Mir ist das Herz verwandelt und gewendet,
    Es flieht von dieser Festlichkeit zurück,
    Ins britsche Lager ist es hingewendet,
    Hinüber zu dem Feinde schweift der Blick,
    Und aus der Freude Kreis muß ich mich stehlen,
    Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.

    Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild
    In meinem reinen Busen tragen?
    Dies Herz, von Himmels Glanz erfüllt,
    Darf einer irdschen Liebe schlagen?
    Ich meines Landes Retterin,
    Des höchsten Gottes Kriegerin,
    Für meines Landes Feind entbrennen!
    Darf ichs der keuschen Sonne nennen,
    Und mich vernichtet nicht die Scham!

    (Die Musik hinter der Szene geht in eine weich schmelzende Melodie über)

    Wehe! Weh mir! Welche Töne!
    Wie verführen sie mein Ohr!
    Jeder ruft mir seine Stimme,
    Zaubert mir sein Bild hervor!

    Daß der Sturm der Schlacht mich faßte.
    Speere sausend mich umtönten
    In des heißen Streites Wut!
    Wieder fänd ich meinen Mut!

    Diese Stimmen, diese Töne,
    Wie umstricken sie mein Herz,
    Jede Kraft in meinem Busen
    Lösen sie in weichem Sehnen,
    Schmelzen sie in Wehmuts-Tränen!

    (Nach einer Pause lebhafter)

    Sollt ich ihn töten? Konnt ichs, da ich ihm
    Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich
    Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt!
    Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?
    Ist Mitleid Sünde? – Mitleid! Hörtest du
    Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit
    Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert?
    Warum verstummte sie, als der Walliser dich,
    Der zarte Jüngling um sein Leben flehte?
    Arglistig Herz! Du lügst dem ewgen Licht,
    Dich trieb des Mitleids fromme Stimme nicht!

    Warum mußt ich ihm in die Augen sehn!
    Die Züge schaun des edeln Angesichts!
    Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an,
    Unglückliche! Ein blindes Werkzeug fodert Gott,
    Mit blinden Augen mußtest dus vollbringen!
    Sobald du sahst, verließ dich Gottes Schild,
    Ergriffen dich der Hölle Schlingen!

    (Die Flöten wiederholen, sie versinkt in eine stille Wehmut )

    Frommer Stab! O hätt ich nimmer
    Mit dem Schwerte dich vertauscht!
    Hätt es nie in deinen Zweigen,
    Heilge Eiche! mir gerauscht!
    Wärst du nimmer mir erschienen,
    Hohe Himmelskönigin!
    Nimm, ich kann sie nicht verdienen,
    Deine Krone, nimm sie hin!

    Ach, ich sah den Himmel offen
    Und der Selgen Angesicht!
    Doch auf Erden ist mein Hoffen,
    Und im Himmel ist es nicht!
    Mußtest du ihn auf mich laden
    Diesen furchtbaren Beruf,
    Konnt ich dieses Herz verhärten,
    Das der Himmel fühlend schuf!

    Willst du deine Macht verkünden,
    Wähle sie, die frei von Sünden
    Stehn in deinem ewgen Haus,
    Deine Geister sende aus,
    Die Unsterblichen, die Reinen,
    Die nicht fühlen, die nicht weinen!
    Nicht die zarte Jungfrau wähle,
    Nicht der Hirtin weiche Seele!

    Kümmert mich das Los der Schlachten,
    Mich der Zwist der Könige?
    Schuldlos trieb ich meine Lämmer
    Auf des stillen Berges Höh.
    Doch du rissest mich ins Leben,
    In den stolzen Fürstensaal,
    Mich der Schuld dahinzugeben,
    Ach! es war nicht meine Wahl!

    Zweiter Auftritt

    Agnes Sorel. Johanna

    Sorel(kommt in lebhafter Rührung, wie sie die Jungfrau erblickt, eilt sie auf sie zu und fällt ihr um den Hals; plötzlich besinnt sie sich, läßt sie los und fällt vor ihr nieder). Nein! Nicht so! Hier im Staub vor dir –

    Johanna(will sie aufheben). Steh auf!
    Was ist dir? Du vergissest dich und mich.

    Sorel. Laß mich! Es ist der Freude Drang, der mich
    Zu deinen Füßen niederwirft – ich muß
    Mein überwallend Herz vor Gott ergießen,
    Den Unsichtbaren bet ich an in dir.
    Du bist der Engel, der mir meinen Herrn
    Nach Reims geführt und mit der Krone schmückt.
    Was ich zu sehen nie geträumt, es ist
    Erfüllt! Der Krönungszug bereitet sich,
    Der König steht im festlichen Ornat,
    Versammelt sind die Pairs, die Mächtigen
    Der Krone, die Insignien zu tragen,
    Zur Kathedrale wallend strömt das Volk,
    Es schallt der Reigen und die Glocken tönen,
    O dieses Glückes Fülle trag ich nicht!

    (Johanna hebt sie sanft in die Höhe. Agnes Sorel hält einen Augenblick inne, indem sie der Jungfrau näher ins Auge sieht)

    Doch du bleibst immer ernst und streng, du kannst
    Das Glück erschaffen, doch du teilst es nicht.
    Dein Herz ist kalt, du fühlst nicht unsre Freuden,
    Du hast der Himmel Herrlichkeit gesehn,
    Die reine Brust bewegt kein irdisch Glück.

    (Johanna ergreift ihre Hand mit Heftigkeit, läßt sie aber schnell wieder fahren)

    O könntest du ein Weib sein und empfinden!
    Leg diese Rüstung ab, kein Krieg ist mehr,
    Bekenne dich zum sanfteren Geschlechte!
    Mein liebend Herz flieht scheu vor dir zurück,
    Solange du der strengen Pallas gleichst.

    Johanna. Was foderst du von mir!

    Sorel. Entwaffne dich! Leg diese Rüstung ab, die Liebe fürchtet,
    Sich dieser stahlbedeckten Brust zu nahn.
    O sei ein Weib und du wirst Liebe fühlen!

    Johanna. Jetzt soll ich mich entwaffnen! Jetzt! Dem Tod
    Will ich die Brust entblößen in der Schlacht!
    Jetzt nicht – o möchte siebenfaches Erz
    Vor euren Festen, vor mir selbst mich schützen!

    Sorel. Dich liebt Graf Dunois. Sein edles Herz,
    Dem Ruhm nur offen und der Heldentugend,
    Es glüht für dich in heiligem Gefühl.
    O es ist schön, von einem Helden sich geliebt
    Zu sehn – es ist noch schöner, ihn zu lieben!
    (Johanna wendet sich mit Abscheu hinweg)
    Du hassest ihn! – Nein, nein, du kannst ihn nur
    Nicht lieben – Doch wie solltest du ihn hassen!
    Man haßt nur den, der den Geliebten uns
    Entreißt, doch dir ist keiner der Geliebte!
    Dein Herz ist ruhig – Wenn es fühlen könnte –

    Johanna. Beklage mich! Beweine mein Geschick!

    Sorel. Was könnte dir zu deinem Glücke mangeln?
    Du hast dein Wort gelöst, Frankreich ist frei,
    Bis in die Krönungsstadt hast du den König
    Siegreich geführt, und hohen Ruhm erstritten,
    Dir huldiget, dich preist ein glücklich Volk,
    Von allen Zungen überströmend fließt
    Dein Lob, du bist die Göttin dieses Festes,
    Der König selbst mit seiner Krone strahlt
    Nicht herrlicher als du.

    Johanna. O könnt ich mich
    Verbergen in den tiefsten Schoß der Erde!

    Sorel. Was ist dir? Welche seltsame Bewegung!
    Wer dürfte frei aufschaun an diesem Tage,
    Wenn du die Blicke niederschlagen sollst!
    Mich laß erröten, mich, die neben dir
    So klein sich fühlt, zu deiner Heldenstärke sich,
    Zu deiner Hoheit nicht erheben kann!
    Denn soll ich meine ganze Schwäche dir
    Gestehen, – Nicht der Ruhm des Vaterlandes,
    Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht
    Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude
    Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist
    Nur einer, der es ganz erfüllt, es hat
    Nur Raum für dieses einzige Gefühl:
    Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,
    Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,
    Er ist der Meine, der Geliebte ists.

    Johanna. O du bist glücklich! Selig preise dich!
    Du liebst, wo alles liebt! Du darfst dein Herz
    Aufschließen, laut aussprechen dein Entzücken
    Und offen tragen vor der Menschen Blicken!
    Dies Fest des Reichs ist deiner Liebe Fest,
    Die Völker alle, die unendlichen,
    Die sich in diesen Mauren flutend drängen,
    Sie teilen dein Gefühl, sie heilgen es,
    Dir jauchzen sie, dir flechten sie den Kranz,
    Eins bist du mit der allgemeinen Wonne,
    Du liebst das Allerfreuende, die Sonne,
    Und was du siehst, ist deiner Liebe Glanz!

    Sorel(ihr um den Hals fallend).
    O du entzückst mich, du verstehst mich ganz!
    Ja ich verkannte dich, du kennst die Liebe,
    Und was ich fühle, sprichst du mächtig aus.
    Von seiner Furcht und Scheue löst sich mir
    Das Herz, es wallt vertrauend dir entgegen

    Johanna(entreißt sich mit Heftigkeit ihren Armen).
    Verlaß mich. Wende dich von mir! Beflecke
    Dich nicht mit meiner pesterfüllten Nähe!
    Sei glücklich, geh, mich laß in tiefster Nacht
    Mein Unglück, meine Schande, mein Entsetzen
    Verbergen –

    Sorel. Du erschreckst mich, ich begreife
    Dich nicht, doch ich begriff dich nie – und stets
    Verhüllt war mir dein dunkel tiefes Wesen.
    Wer möcht es fassen, was dein heilig Herz,
    Der reinen Seele Zartgefühl erschreckt!

    Johanna. Du bist die Heilige! Du bist die Reine!
    Sähst du mein Innerstes, du stießest schaudernd
    Die Feindin von dir, die Verräterin!

    Dritter Auftritt

    Die Vorigen. Dunois. Du Chatel und La Hire mit der Fahne der Johanna

    Dunois. Dich suchen wir, Johanna. Alles ist
    Bereit, der König sendet uns, er will,
    Daß du vor ihm die heilge Fahne tragest,
    Du sollst dich schließen an der Fürsten Reihn,
    Die Nächste an ihm selber sollst du gehn,
    Denn er verleugnete nicht und alle Welt
    Soll es bezeugen, daß er dir allein
    Die Ehre dieses Tages zuerkennt.

    La Hire. Hier ist die Fahne. Nimm sie, edle Jungfrau,
    Die Fürsten warten und es harrt das Volk.

    Johanna Ich vor ihm herziehn! Ich die Fahne tragen!

    Dunois. Wem anders ziemt' es! Welche andre Hand
    Ist rein genug, das Heiligtum zu tragen!
    Du schwangst sie im Gefechte, trage sie
    Zur Zierde nun auf diesem Weg der Freude.

    (La Hire will ihr die Fahne überreichen, sie bebt schaudernd davor zurück)

    Johanna. Hinweg! Hinweg!

    La Hire. Was ist dir? Du erschrickst
    Vor deiner eignen Fahne! – Sieh sie an!
    (Er rollt die Fahne auseinander)
    Es ist dieselbe, die du siegend schwangst.
    Die Himmelskönigin ist drauf gebildet,
    Die über einer Erdenkugel schwebt,
    Denn also lehrte dichs die heilge Mutter.

    Johanna(mit Entsetzen hinschauend).
    Sie ists! Sie selbst! Ganz so erschien sie mir.
    Seht, wie sie herblickt und die Stirne faltet,
    Zornglühend aus den finstern Wimpern schaut!

    Sorel. O sie ist außer sich! Komm zu dir selbst!
    Erkenne dich, du siehst nichts Wirkliches!
    Das ist ihr irdisch nachgeahmtes Bild,
    Sie selber wandelt in des Himmels Chören!

    Johanna. Furchtbare, kommst du dein Geschöpf zu strafen?
    Verderbe, strafe mich, nimm deine Blitze,
    Und laß sie fallen auf mein schuldig Haupt.
    Gebrochen hab ich meinen Bund, entweiht,
    Gelästert hab ich deinen heilgen Namen!

    Dunois. Weh uns! Was ist das! Welch unselge Reden!

    La Hire(erstaunt zu Du Chatel).
    Begreift Ihr diese seltsame Bewegung?

    Du Chatel. Ich sehe, was ich seh. Ich hab es längst
    Gefürchtet.

    Dunois. Wie? Was sagt Ihr?

    Du Chatel. Was ich denke,
    Darf ich nicht sagen. Wollte Gott, es wäre
    Vorüber und der König wär gekrönt!

    La Hire. Wie? Hat der Schrecken, der von dieser Fahne
    Ausging, sich auf dich selbst zurückgewendet?
    Den Briten laß vor diesem Zeichen zittern,
    Den Feinden Frankreichs ist es fürchterlich,
    Doch seinen treuen Bürgern ist es gnädig.

    Johanna. Ja du sagst recht! Den Freunden ist es hold
    Und auf die Feinde sendet es Entsetzen!

    (Man hört den Krönungsmarsch)

    Dunois. So nimm die Fahne! Nimm sie! Sie beginnen
    Den Zug, kein Augenblick ist zu verlieren!

    (Sie dringen ihr die Fahne auf, sie ergreift sie mit heftigem Widerstreben und geht ab, die andern folgen)

    Die Szene verwandelt sich in einen freien Platz vor der Kathedralkirche

    Vierter Auftritt

    Zuschauer erfüllen den Hintergrund, aus ihnen heraus treten Bertrand, Claude Marie und Etienne und kommen vorwärts. Der Krönungsmarsch erschallt gedämpft aus der Ferne

    Bertrand. Hört die Musik! Sie sinds! Sie nahen schon!
    Was ist das Beste? Steigen wir hinauf
    Auf die Platforme, oder drängen uns
    Durchs Volk, daß wir vom Aufzug nichts verlieren,

    Etienne. Es ist nicht durchzukommen. Alle Straßen sind
    Von Menschen vollgedrängt, zu Roß und Wagen.
    Laßt uns hieher an diese Häuser treten,
    Hier können wir den Zug gemächlich sehen,
    Wenn er vorüberkommt!

    Claude Marie. Ists doch, als ob
    Halb Frankreich sich zusammen hier gefunden!
    So allgewaltig ist die Flut, daß sie
    Auch uns im fernen lothringischen Land
    Hat aufgehoben und hieher gespült!

    Bertrand. Wer wird
    In seinem Winkel müßig sitzen, wenn
    Das Große sich begibt im Vaterland!
    Es hat auch Schweiß und Blut genug gekostet,
    Bis daß die Krone kam aufs rechte Haupt!
    Und unser König, der der wahre ist,
    Dem wir die Kron itzt geben, soll nicht schlechter
    Begleitet sein, als der Pariser ihrer,
    Den sie zu Saint Denis gekrönt! Der ist
    Kein Wohlgesinnter, der von diesem Fest
    Wegbleibt, und nicht mit ruft: es lebe der König!

    Fünfter Auftritt

    Margot und Louison treten zu ihnen

    Louison. Wir werden unsre Schwester sehen, Margot!
    Mir pocht das Herz.

    Margot. Wir werden sie im Glanz
    Und in der Hoheit sehn, und zu uns sagen:
    Es ist Johanna, es ist unsre Schwester!

    Louison. Ich kanns nicht glauben, bis ich sie mit Augen
    Gesehn, daß diese Mächtige, die man
    Die Jungfrau nennt von Orleans, unsre Schwester
    Johanna ist, die uns verlorenging.

    (Der Marsch kommt immer näher)

    Margot. Du zweifelst noch! Du wirsts mit Augen sehn!

    Bertrand. Gebt acht! Sie kommen!

    Sechster Auftritt

    Flötenspieler und Hoboisten eröffnen den Zug. Kinderfolgen, weiß gekleidet, mit Zweigen in der Hand, hinter diesen zwei Herolde. Darauf ein Zug von Hellebardierern. Magistratspersonen in der Robe folgen. Hierauf zwei Marschälle mit dem Stabe, Herzog von Burgund das Schwert tragend, Dunois mit dem Szepter, andere Große mit der Krone, dem Reichsapfel und dem Gerichtsstabe, andere mit Opfergaben; hinter diesen Ritter in ihrem Ordensschmuck, Chorknaben mit dem Rauchfaß, dann zwei Bischöfe mit der Sainte Ampoule. Erzbischof mit dem Kruzifix; ihm folgt Johanna mit der Fahne. Sie geht mit gesenktem Haupt und ungewissen Schritten, die Schwestern geben bei ihrem Anblick Zeichen des Erstaunens und der Freude. Hinter ihr kommt der König, unter einem Thronhimmel, welchen vier Barone tragen, Hofleute folgen, Soldaten schließen. Wenn der Zug in die Kirche hinein ist, schweigt der Marsch

    Siebenter Auftritt

    Louison. Margot. Claude Marie. Etienne. Bertrand

    Margot. Sahst du die Schwester?

    Claude Marie. Die im goldnen Harnisch,
    Die vor dem König herging mit der Fahne!

    Margot. Sie wars. Es war Johanna, unsre Schwester!

    Louison. Und sie erkannt uns nicht! Sie ahndete
    Die Nähe nicht der schwesterlichen Brust.
    Sie sah zur Erde und erschien so blaß,
    Und unter ihrer Fahne ging sie zitternd –
    Ich konnte mich nicht freun, da ich sie sah.

    Margot. So hab ich unsre Schwester nun im Glanz
    Und in der Herrlichkeit gesehn. – Wer hätte
    Auch nur im Traum geahndet und gedacht,
    Da sie die Herde trieb auf unsern Bergen,
    Daß wir in solcher Pracht sie würden schauen.

    Louison. Der Traum des Vaters ist erfüllt, daß wir
    Zu Reims uns vor der Schwester würden neigen.
    Das ist die Kirche, die der Vater sah
    Im Traum, und alles hat sich nun erfüllt.
    Doch der Vater sah auch traurige Gesichte,
    Ach, mich bekümmerts, sie so groß zu sehn!

    Bertrand. Was stehn wir müßig hier? Kommt in die Kirche,
    Die heilge Handlung anzusehn!

    Margot. Ja kommt!
    Vielleicht, daß wir der Schwester dort begegnen.

    Louison. Wir haben sie gesehen, kehren wir
    In unser Dorf zurück.

    Margot. Was? Eh wir sie
    Begrüßt und angeredet?

    Louison. Sie gehört
    Uns nicht mehr an, bei Fürsten ist ihr Platz
    Und Königen- Wer sind wir, daß wir uns
    Zu ihrem Glanze rühmend eitel drängen?
    Sie war uns fremd, da sie noch unser war!

    Margot. Wird sie sich unser schämen, uns verachten?

    Bertrand. Der König selber schämt sich unser nicht,
    Er grüßte freundlich auch den Niedrigsten.
    Sei sie so hoch gestiegen als sie will,
    Der König ist doch größer!

    (Trompeten und Pauken erschallen aus der Kirche)

    Claude Marie. Kommt zur Kirche!

    (Sie eilen nach dem Hintergrund, wo sie sich unter dem Volke verlieren)

    Achter Auftritt

    Thibaut kommt, schwarz gekleidet, Raimond folgt ihm und will ihn zurückehalten

    Raimond. Bleibt, Vater Thibaut! Bleibt aus dem Gedränge
    Zurück! Hier seht Ihr lauter frohe Menschen,
    Und Euer Gram beleidigt dieses Fest.
    Kommt! Fliehn wir aus der Stadt mit eilgen Schritten.

    Thibaut. Sahst du mein unglückselig Kind? Hast du
    Sie recht betrachtet?

    Raimond. O ich bitt Euch, flieht!

    Thibaut. Bemerktest du, wie ihre Schritte wankten,
    Wie bleich und wie verstört ihr Antlitz war!
    Die Unglückselige fühlt ihren Zustand,
    Das ist der Augenblick, mein Kind zu retten,
    Ich will ihn nutzen.
    (Er will gehen)

    Raimond. Bleibt! Was wollt Ihr tun?

    Thibaut. Ich will sie überraschen, will sie stürzen
    Von ihrem eiteln Glück, ja mit Gewalt
    Will ich zu ihrem Gott, dem sie entsagt,
    Zurück sie führen.

    Raimond. Ach! Erwägt es wohl!
    Stürzt Euer eigen Kind nicht ins Verderben!

    Thibaut. Lebt ihre Seele nur, ihr Leib mag sterben.

    (Johanna stürzt aus der Kirche heraus, ohne ihre Fahne, Volk dringt zu ihr, adoriert sie rund küßt ihre Kleider, sie wird durch das Gedränge im Hintergrunde aufgehalten)

    Sie kommt! Sie ists! Bleich stürzt sie aus der Kirche,
    Es treibt die Angst sie aus dem Heiligtum,
    Das ist das göttliche Gericht, das sich
    An ihr verkündiget! –

    Raimond. Lebt wohl!
    Verlangt nicht, daß ich länger Euch begleite!
    Ich kam voll Hoffnung und ich geh voll Schmerz.
    Ich habe Eure Tochter wieder gesehn,
    Und fühle, daß ich sie aufs neu verliere!
    (Er geht ab, Thibaut entfernt sich auf der entgegengesetzten Seite)

    Neunter Auftritt

    Johanna. Volk. Hernach ihre Schwestern

    Johanna(hat sich des Volks erwehrt und kommt vorwärts).
    Ich kann nicht bleiben – Geister jagen mich,
    Wie Donner schallen mir der Orgel Töne,
    Des Doms Gewölbe stürzen auf mich ein,
    Des freien Himmels Weite muß ich suchen!
    Die Fahne ließ ich in dem Heiligtum,
    Nie, nie soll diese Hand sie mehr berühren!
    – Mir wars, als hält ich die geliebten Schwestern,
    Margot und Louison, gleich einem Traum
    An mir vorüber gleiten sehen. – Ach!
    Es war nur eine täuschende Erscheinung!
    Fern sind sie, fern und unerreichbar weit,
    Wie meiner Kindheit, meiner Unschuld Glück!

    Margot(hervortretend). Sie ists, Johanna ists.

    Louison(eilt ihr entgegen). O meine Schwester!

    Johanna. So wars kein Wahn – Ihr seid es – Ich umfaß euch,
    Dich meine Louison! Dich meine Margot!
    Hier in der fremden menschenreichen Öde
    Umfang ich die vertraute Schwesterbrust!

    Margot. Sie kennt uns noch, ist noch die gute Schwester.

    Johanna. Und eure Liebe führt euch zu mir her
    So weit, so weit! Ihr zürnt der Schwester nicht,
    Die lieblos ohne Abschied euch verließ!

    Louison. Dich führte Gottes dunkle Schickung fort.

    Margot. Der Ruf von dir, der alle Welt bewegt,
    Der deinen Namen trägt auf allen Zungen,
    Hat uns erweckt in unserm stillen Dorf,
    Und hergeführt zu dieses Festes Feier.
    Wir kommen deine Herrlichkeit zu sehn,
    Und wir sind nicht allein!

    Johanna(schnell). Der Vater ist mit euch!
    Wo, wo ist er? Warum verbirgt er sich?

    Margot. Der Vater ist nicht mit uns.

    Johanna. Nicht? Er will sein Kind
    Nicht sehn? Ihr bringt mir seinen Segen nicht?

    Louison. Er weiß nicht, daß wir hier sind.

    Johanna. Weiß es nicht!
    Warum nicht? – Ihr verwirret euch? Ihr schweigt
    Und seht zur Erde! Sagt, wo ist der Vater?

    Margot. Seitdem du weg bist—

    Louison(winkt ihr). Margot!

    Margot. Ist der Vater
    Schwermütig worden.

    Johanna. Schwermütig!

    Louison. Tröste dich!
    Du kennst des Vaters ahndungsvolle Seele!
    Er wird sich fassen, sich zufrieden geben,
    Wenn wir ihm sagen, daß du glücklich bist.

    Margot. Du bist doch glücklich? Ja du mußt es sein,
    Da du so groß bist und geehrt!

    Johanna. Ich bins.
    Da ich euch wieder sehe, eure Stimme
    Vernehme, den geliebten Ton, mich heim
    Erinnre an die väterliche Flur.
    Da ich die Herde trieb auf unsern Höhen,
    Da war ich glücklich wie im Paradies –
    Kann ichs nicht wieder sein, nicht wieder werden!

    (Sie verbirgt ihr Gesicht an Louisons Brust. Claude Marie, Etienne und Bertrand zeigen sich und bleiben schüchtern in der Ferne stehen)

    Margot. Kommt, Etienne! Bertrand! Claude Marie!
    Die Schwester ist nicht stolz, sie ist so sanft
    Und spricht so freundlich, als sie nie getan,
    Da sie noch in dem Dorf mit uns gelebt.

    (Jene treten näher und wollen ihr die Hand reichen, Johanna sieht sie mit starren Blicken an, und fällt in ein tiefes Staunen)

    Johanna. Wo war ich? Sagt mir! War das alles nur
    Ein langer Traum und ich bin aufgewacht?
    Bin ich hinweg aus Dom Remi? Nicht wahr!
    Ich war entschlafen unterm Zauberbaum,
    Und bin erwacht, und ihr steht um mich her,
    Die wohlbekannten traulichen Gestalten?
    Mir hat von diesen Königen und Schlachten
    Und Kriegestaten nur geträumt – es waren
    Nur Schatten, die an mir vorübergingen,
    Denn lebhaft träumt sichs unter diesem Baum.
    Wie kämet ihr nach Reims? Wie käm ich selbst
    Hieher? Nie, nie verließ ich Dom Remi!
    Gesteht mirs offen und erfreut mein Herz.

    Louison. Wir sind zu Reims. Dir hat von diesen Taten
    Nicht bloß geträumt, du hast sie alle wirklich
    Vollbracht. – Erkenne dich, blick um dich her,
    Befühle deine glänzend goldne Rüstung!
    (Johanna fährt mit der Hand nach der Brust, besinnt sich und erschrickt)

    Bertrand. Aus meiner Hand empfingt Ihr diesen Helm.

    Claude Marie. Es ist kein Wunder, daß Ihr denkt zu träumen,
    Denn was Ihr ausgerichtet und getan,
    Kann sich im Traum nicht wunderbarer fügen.

    Johanna(schnell). Kommt, laßt uns fliehn! Ich geh mit euch, ich kehre
    In unser Dorf, in Vaters Schoß zurück.

    Louison. O komm! komm mit uns!

    Johanna. Diese Menschen alle
    Erheben mich weit über mein Verdienst!
    Ihr habt mich kindisch, klein und schwach gesehn,
    Ihr liebt mich, doch ihr betet mich nicht an!

    Margot. Du wolltest allen diesen Glanz verlassen!

    Johanna. Ich werf ihn von mir, den verhaßten Schmuck,
    Der euer Herz von meinem Herzen trennt,
    Und eine Hirtin will ich wieder werden.
    Wie eine niedre Magd will ich euch dienen,
    Und büßen will ichs mit der strengsten Buße,
    Daß ich mich eitel über euch erhob!

    (Trompeten erschallen)

    Zehenter Auftritt

    Der König tritt aus der Kirche, er ist im Krönungsornat, Agnes Sorel, Erzbischof, Burgund, Dunois, La Hire, Du Chatel, Ritter, Hofleute und Volk

    Alle Stimmen(rufen wiederholt, während daß der König vorwärtskommt).
    Es lebe der König! Karl der Siebente!

    (Trompeten fallen ein. Auf ein Zeichen, das der König gibt, gebieten die Herolde mit erhobenem Stabe Stillschweigen)

    König. Mein gutes Volk! Habt Dank für eure Liebe!
    Die Krone, die uns Gott aufs Haupt gesetzt,
    Durchs Schwert ward sie gewonnen und erobert,
    Mit edelm Bürgerblut ist sie benetzt,
    Doch friedlich soll der Ölzweig sie umgrünen.
    Gedankt sei allen, die für uns gefochten,
    Und allen, die uns widerstanden, sei
    Verziehn, denn Gnade hat uns Gott erzeigt,
    Und unser erstes Königswort sei – Gnade!

    Volk. Es lebe der König! Karl der Gütige!

    König. Von Gott allein, dem höchsten Herrschenden,
    Empfangen Frankreichs Könige die Krone.
    Wir aber haben sie sichtbarer Weise
    Aus seiner Hand empfangen.
    (Zur Jungfrau sich wendend)
    Hier steht die Gottgesendete, die euch
    Den angestammten König wieder gab,
    Das Joch der fremden Tyrannei zerbrochen!
    Ihr Name soll dem heiligen Denis
    Gleich sein, der dieses Landes Schützer ist,
    Und ein Altar sich ihrem Ruhm erheben!

    Volk. Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin! (Trompeten)

    König(zu Johanna). Wenn du von Menschen bist gezeugt wie wir,
    So sage, welches Glück dich kann erfreuen;
    Doch wenn dein Vaterland dort oben ist,
    Wenn du die Strahlen himmlischer Natur
    In diesem jungfräulichen Leib verhüllst,
    So nimm das Band hinweg von unsern Sinnen
    Und laß dich sehn in deiner Lichtgestalt,
    Wie dich der Himmel sieht, daß wir anbetend
    Im Staube dich verehren.

    (Ein allgemeines Stillschweigen, jedes Auge ist auf die Jungfrau gerichtet)

    Johanna(plötzlich aufschreiend). Gott! Mein Vater!

    Eilfter Auftritt

    Die Vorigen. Thibaut tritt aus der Menge und steht Johanna gerade gegenüber

    Mehrere Stimmen. Ihr Vater!

    Thibaut. Ja ihr jammervoller Vater,
    Der die Unglückliche gezeugt, den Gottes
    Gericht hertreibt, die eigne Tochter anzuklagen.

    Burgund. Ha! Was ist das!

    Du Chatel. Jetzt wird es schrecklich tagen!

    Thibaut(zum König).
    Gerettet glaubst du dich durch Gottes Macht?
    Betrogner Fürst! Verblendet Volk der Franken!
    Du bist gerettet durch des Teufels Kunst.

    (Alle treten mit Entsetzen zurück)

    Dunois. Rast dieser Mensch?

    Thibaut. Nicht ich, du aber rasest,
    Und diese hier, und dieser weise Bischof,
    Die glauben, daß der Herr der Himmel sich
    Durch eine schlechte Magd verkünden werde.
    Laß sehn, ob sie auch in des Vaters Stirn
    Der dreisten Lüge Gaukelspiel behauptet,
    Womit sie Volk und König hinterging.
    Antworte mir im Namen des Dreieinen,
    Gehörst du zu den Heiligen und Reinen?

    (Allgemeine Stille, alle Blicke sind auf sie gespannt, sie steht unbeweglich)

    Sorel. Gott, sie verstummt!

    Thibaut. Das muß sie vor dem furchtbarn Namen
    Der in der Höllen Tiefen selbst
    Gefürchtet wird! – Sie eine Heilige,
    Von Gott gesendet! – An verfluchter Stätte
    Ward es ersonnen, unterm Zauberbaum,
    Wo schon von alters her die bösen Geister
    Den Sabbat halten – hier verkaufte sie
    Dem Feind der Menschen ihr unsterblich Teil,
    Daß er mit kurzem Weltruhm sie verherrliche.
    Laßt sie den Arm aufstreifen, seht die Punkte,
    Womit die Hölle sie gezeichnet hat!

    Burgund. Entsetzlich! – Doch dem Vater muß man glauben,
    Der wider seine eigne Tochter zeugt!

    Dunois. Nein, nicht zu glauben ist dem Rasenden,
    Der in dem eignen Kind sich selber schändet!

    Sorel(zur Johanna). O rede! Brich dies unglückselge Schweigen!
    Wir glauben dir! Wir trauen fest auf dich!
    Ein Wort aus deinem Mund, ein einzig Wort
    Soll uns genügen – Aber sprich! Vernichte
    Die gräßliche Beschuldigung – Erkläre,
    Du seist unschuldig, und wir glauben dir.

    (Johanna steht unbeweglich, Agnes Sorel tritt mit Entsetzen von ihr hinweg)

    La Hire. Sie ist erschreckt. Erstaunen und Entsetzen
    Schließt ihr den Mund. – Vor solcher gräßlichen
    Anklage muß die Unschuld selbst erheben.
    (Er nähert sich ihr)
    Faß dich, Johanna. Fühle dich. Die Unschuld
    Hat eine Sprache, einen Siegerblick,
    Der die Verleumdung mächtig niederblitzt!
    In edelm Zorn erhebe dich, blick auf,
    Beschäme, strafe den unwürdgen Zweifel,
    Der deine heilge Tugend schmäht.

    (Johanna steht unbeweglich. La Hire tritt entsetzt zurück, die Bewegung vermehrt sich)

    Dunois. Was zagt das Volk? Was zittern selbst die Fürsten?
    Sie ist unschuldig – Ich verbürge mich,
    Ich selbst, für sie mit meiner Fürstenehre!
    Hier werf ich meinen Ritterhandschuh hin,
    Wer wagte, sie eine Schuldige zu nennen?

    (Ein heftiger Donnerschlag, alle stehen entsetzt)

    Thibaut. Antworte bei dem Gott, der droben donnert!
    Sprich, du seist schuldlos. Leugn es, daß der Feind
    In deinem Herzen ist, und straf mich Lügen!

    (Ein zweiter stärkerer Schlag, das Volk en Sieht zu allen Seiten)

    Burgund. Gott schütz uns! Welche fürchterliche Zeichen!

    Du Chatel(zum König).
    Kommt! Kommt, mein König! Fliehet diesen Ort!

    Erzbischof(zur Johanna).
    Im Namen Gottes frag ich dich. Schweigst du
    Aus dem Gefühl der Unschuld oder Schuld,
    Wenn dieses Donners Stimme fiir dich zeugt,
    So fasse dieses Kreuz und gib ein Zeichen!

    (Johanna bleibt unbeweglich. Neue heftige Donnerschläge. Der König, Agnes Sorel, Erzbischof, Burgund, La Hire und Du Chatel gehen ab)

    Zwölfter Auftritt

    Dunois. Johanna

    Dunois. Du bist mein Weib – Ich hab an dich geglaubt
    Beim ersten Blick, und also denk ich noch.
    Dir glaub ich mehr als diesen Zeichen allen,
    Als diesem Donner selbst, der droben spricht.
    Du schweigst in edelm Zorn, verachtest es,
    In deine heilge Unschuld eingehüllt,
    So schändlichen Verdacht zu widerlegen.
    – Veracht es, aber mir vertraue dich,
    An deiner Unschuld hab ich nie gezweifelt.
    Sag mir kein Wort, die Hand nur reiche mir
    Zum Pfand und Zeichen, daß du meinem Arme
    Getrost vertraust und deiner guten Sache.

    (Er reicht ihr die Hand hin, sie wendet sich mit einer zuckenden Bewegung von ihm hinweg; er bleibt in starrem Entsetzen stehen)

    Dreizehnter Auftritt

    Johanna. Du Chatel. Dunois. Zuletzt Raimond

    Du Chatel(zurückkommend).
    Johanna d'Arc! Der König will erlauben,
    Daß Ihr die Stadt verlasset ungekränkt.
    Die Tore stehn Euch offen. Fürchtet keine
    Beleidigung. Euch schützt des Königs Frieden –
    Folgt mir, Graf Dunois – Ihr habt nicht Ehre,
    Hier länger zu verweilen – Welch ein Ausgang!

    (Er geht. Dunois fährt aus seiner Erstarrung auf, wirft noch einen Blick auf Johanna und geht ab. Diese steht einen Augenblick ganz allein. Endlich erscheint Raimond, bleibt eine Weile in der Ferne stehen, und betrachtet sie mit stillem Schmerz. Dann tritt er auf sie zu und faßt sie bei der Hand)

    Raimond. Ergreift den Augenblick. Kommt! Kommt! Die Straßen
    Sind leer. Gebt mir die Hand. Ich will Euch führen.

    (Bei seinem Anblick gibt sie das erste Zeichen der Empfindung, sieht ihn starr an und blickt zum Himmel, dann ergreift sie ihn heftig bei der Hand und geht ab)

    Fünfter Aufzug

    Ein wilder Wald, in der Ferne Köhlerhütten. Es ist ganz dunkel, heftiges Donnern und Blitzen, dazwischen Schießen

    Erster Auftritt

    Köhler und Köhlerweib

    Köhler. Das ist ein grausam, mördrisch Ungewitter,
    Der Himmel droht in Feuerbächen sich
    Herabzugießen, und am hellen Tag
    Ists Nacht, daß man die Sterne könnte sehn.
    Wie eine losgelaßne Hölle tobt
    Der Sturm, die Erde bebt und krachend beugen
    Die alt verjährten Eschen ihre Krone.
    Und dieser fürchterliche Krieg dort oben,
    Der auch die wilden Tiere Sanftmut lehrt,
    Daß sie sich zahm in ihre Gruben bergen,
    Kann unter Menschen keinen Frieden stiften –
    Aus dem Geheul der Winde und des Sturms
    Heraus hört ihr das Knallen des Geschützes;
    Die beiden Heere stehen sich so nah,
    Daß nur der Wald sie trennt, und jede Stunde
    Kann es sich blutig fürchterlich entladen.

    Köhlerweib. Gott steh uns bei! Die Feinde waren ja
    Schon ganz aufs Haupt geschlagen und zerstreut,
    Wie kommts, daß sie aufs neu uns ängstigen?

    Köhler. Das macht, weil sie den König nicht mehr fürchten.
    Seitdem das Mädchen eine Hexe ward
    Zu Reims, der böse Feind uns nicht mehr hilft,
    Geht alles rückwärts.

    Köhlerweib. Horch! Wer naht sich da?

    Zweiter Auftritt

    Raimond und Johanna zu den Vorigen

    Raimond. Hier seh ich Hütten. Kommt, hier finden wir
    Ein Obdach vor dem wütgen Sturm. Ihr haltets
    Nicht länger aus, drei Tage schon seid Ihr
    Herumgeirrt, der Menschen Auge fliehend,
    Und wilde Wurzeln waren Eure Speise.
    (Der Sturm legt sich, es wird hell und heiter)
    Es sind mitleidge Köhler. Kommt herein.

    Köhler. Ihr scheint der Ruhe zu bedürfen. Kommt!
    Was unser schlechtes Dach vermag, ist euer.

    Köhlerweib. Was will die zarte Jungfrau unter Waffen?
    Doch freilich! Jetzt ist eine schwere Zeit,
    Wo auch das Weib sich in den Panzer steckt!
    Die Königin selbst, Frau Isabeau, sagt man,
    Läßt sich gewaffnet sehn in Feindes Lager,
    Und eine Jungfrau, eines Schäfers Dirn,
    Hat für den König unsern Herrn gefochten.

    Köhler. Was redet Ihr? Geht in die Hütte, bringt
    Der Jungfrau einen Becher zur Erquickung.

    (Köhlerweib geht nach der Hütte)

    Raimond(zur Johanna).
    Ihr seht, es sind nicht alle Menschen grausam,
    Auch in der Wildnis wohnen sanfte Herzen.
    Erheitert Euch! Der Sturm hat ausgetobt,
    Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder.

    Köhler. Ich denk, ihr wollt zu unsers Königs Heer,
    Weil ihr in Waffen reiset – Seht euch vor!
    Die Engelländer stehen nah gelagert,
    Und ihre Scharen streifen durch den Wald.

    Raimond. Weh uns! Wie ist da zu entkommen?

    Köhler. Bleibt,
    Bis daß mein Bub zurück ist aus der Stadt.
    Der soll euch auf verborgnen Pfaden führen,
    Daß ihr nichts zu befürchten habt. Wir kennen
    Die Schliche.

    Raimond(zur Johanna). Legt den Helm ab und die Rüstung,
    Sie macht Euch kenntlich und beschützt Euch nicht.

    (Johanna schüttelt den Kopf)

    Köhler. Die Jungfrau ist sehr traurig – Still! Wer kommt da?

    Dritter Auftritt

    Vorige. Köhlerweib kommt aus der Hütte mit einem Becher. Köhlerbub

    Köhlerweib. Es ist der Bub, den wir zurückerwarten.
    (Zur Johanna) Trinkt, edle Jungfrau! Mögs Euch Gott gesegnen!

    Köhler(zu seinem Sohn). Kommst du, Anet? Was bringst du?

    Köhlerbub(hat die Jungfrau ins Auge gefaßt, welche eben den Becher an den Mund setzt; er erkennet sie, tritt auf sie zu und reißt ihr den Becher vom Munde). Mutter! Mutter!
    Was macht Ihr? Wen bewirtet Ihr? Das ist die Hexe
    Von Orleans!

    Köhler und Köhlerweib. Gott sei uns gnädig! (Bekreuzen sich und entfliehen)

    Vierter Auftritt

    Raimond. Johanna

    Johanna(gefaßt und sanft).
    Du siehst, mir folgt der Fluch, und alles flieht mich,
    Sorg für dich selber und verlaß mich auch.

    Raimond. Ich Euch verlassen! Jetzt! Und wer soll Euer
    Begleiter sein?

    Johanna. Ich bin nicht unbegleitet.
    Du hast den Donner über mir gehört.
    Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde
    Ans Ziel gelangen, ohne daß ichs suche.

    Raimond. Wo wollt Ihr hin? Hier stehn die Engelländer,
    Die Euch die grimmig blutge Rache schwuren
    Dort stehn die Unsern, die Euch ausgestoßen,
    Verbannt –

    Johanna. Mich wird nichts treffen, als was sein muß.

    Raimond. Wer soll Euch Nahrung suchen? Wer Euch schützen
    Vor wilden Tieren und noch wildern Menschen?
    Euch pflegen, wenn Ihr krank und elend werdet?

    Johanna. Ich kenne alle Kräuter, alle Wurzeln,
    Von meinen Schafen lernt ich das Gesunde
    Vom Giftgen unterscheiden – ich verstehe
    Den Lauf der Sterne und der Wolken Zug
    Und die verborgnen Quellen hör ich rauschen.
    Der Mensch braucht wenig und an Leben reich
    Ist die Natur.

    Raimond(faßt sie bei der Hand).
    Wollt Ihr nicht in Euch gehn,
    Euch nicht mit Gott versöhnen – in den Schoß
    Der heilgen Kirche reuend wiederkehren,

    Johanna. Auch du hältst mich der schweren Sünde schuldig?

    Raimond. Muß ich nicht, Euer schweigendes Geständnis –

    Johanna. Du, der mir in das Elend nachgefolgt,
    Das einzge Wesen, das mir treu geblieben,
    Sich an mich kettet, da mich alle Welt
    Ausstieß, du hältst mich auch für die Verworfne,
    Die ihrem Gott entsagt –
    (Raimond schweigt) O das ist hart!

    Raimond(erstaunt). Ihr wäret wirklich keine Zauberin?

    Johanna. Ich eine Zauberin!

    Raimond. Und diese Wunder,
    Ihr hättet sie vollbracht mit Gottes Kraft
    Und seiner Heiligen?

    Johanna. Mit welcher sonst!

    Raimond. Und Ihr verstummtet auf die gräßliche
    Beschuldigung? – Ihr redet jetzt, und vor dem König,
    Wo es zu reden galt, verstummtet Ihr!

    Johanna. Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick,
    Das Gott, mein Meister, über mich verhängte.

    Raimond. Ihr konntet Eurem Vater nichts erwidern!

    Johanna. Weil es vom Vater kam, so kams von Gott,
    Und väterlich wird auch die Prüfung sein.

    Raimond. Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld!

    Johanna. Der Himmel sprach, drum schwieg ich.

    Raimond. Wie? Ihr konntet
    Mit einem Wort Euch reinigen, und ließt
    Die Welt in diesem unglückselgen Irrtum?

    Johanna. Es war kein Irrtum, eine Schickung wars.

    Raimond. Ihr littet alle diese Schmach unschuldig,
    Und keine Klage kam von Euren Lippen!
    – Ich staune über Euch, ich steh erschüttert,
    Im tiefsten Busen kehrt sich mir das Herz!
    O gerne nehm ich Euer Wort für Wahrheit,
    Denn schwer ward mirs, an Eure Schuld zu glauben.
    Doch könnt ich träumen, daß ein menschlich Herz
    Das Ungeheure schweigend würde tragen!

    Johanna. Verdient ichs, die Gesendete zu sein,
    Wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte!
    Und ich bin nicht so elend, als du glaubst.
    Ich leide Mangel, doch das ist kein Unglück
    Für meinen Stand, ich bin verbannt und flüchtig,
    Doch in der Öde lernt ich mich erkennen.
    Da, als der Ehre Schimmer mich umgab,
    Da war der Streit in meiner Brust, ich war
    Die Unglückseligste, da ich der Welt
    Am meisten zu beneiden schien – Jetzt bin ich
    Geheilt, und dieser Sturm in der Natur,
    Der ihr das Ende drohte, war mein Freund,
    Er hat die Welt gereinigt und auch mich.
    In mir ist Friede – Komme, was da will,
    Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!

    Raimond. O kommt, kommt, laßt uns eilen, Eure Unschuld
    Laut, laut vor aller Welt zu offenbaren!

    Johanna. Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!
    Nur wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht!
    Ein Tag wird kommen, der mich reiniget.
    Und die mich jetzt verworfen und verdammt,
    Sie werden ihres Wahnes inne werden,
    Und Tränen werden meinem Schicksal fließen.

    Raimond. Ich sollte schweigend dulden, bis der Zufall –

    Johanna(ihn sanft bei der Hand fassend).
    Du siehst nur das Natürliche der Dinge,
    Denn deinen Blick umhüllt das irdsche Band.
    Ich habe das Unsterbliche mit Augen
    Gesehen – ohne Götter fällt kein Haar
    Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne
    Am Himmel niedergehen – So gewiß
    Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,
    So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!

    Fünfter Auftritt

    Die Vorigen. Königin Isabeau mit Soldaten erscheint im Hintergrund

    Isabeau(noch hinter der Szene).
    Dies ist der Weg ins engelländsche Lager!

    Raimond. Weh uns! die Feinde!

    (Soldaten treten auf, bemerken im Hervorkommen die Johanna, und taumeln erschrocken zurück)

    Isabeau. Nun! was hält der Zug!

    Soldaten. Gott steh uns bei!

    Isabeau. Erschreckt euch ein Gespenst!
    Seid ihr Soldaten? Memmen seid ihr! – Wie,
    (Sie drängt sich durch die andern, tritt hervor und fährt zurück, wie sie die Jungfrau erblickt)
    Was seh ich! Ha!
    (Schnell faßt sie sich und tritt ihr entgegen)
    Ergib dich! Du bist meine
    Gefangene.

    Johanna. Ich bins.

    (Raimond entflieht mit Zeichen der Verzweiflung)

    Isabeau(zu den Soldaten). Legt sie in Ketten!
    (Die Soldaten nahen sich der Jungfrau schüchtern, sie reicht den Arm hin und wird gefesselt)
    Ist das die Mächtige, Gefürchtete,
    Die eure Scharen wie die Lämmer scheuchte,
    Die jetzt sich selber nicht beschützen kann?
    Tut sie nur Wunder, wo man Glauben hat,
    Und wird zum Weib, wenn ihr ein Mann begegnet?
    (Zur Jungfrau) Warum verließest du dein Heer? Wo bleibt
    Graf Dunois, dein Ritter und Beschützer?

    Johanna. Ich bin verbannt.

    Isabeau(erstaunt zurücktretend).
    Was? Wie? Du bist verbannt?
    Verbannt vom Dauphin!

    Johanna. Frage nicht! Ich bin
    In deiner Macht, bestimme mein Geschick.

    Isabeau. Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet,
    Die Krone ihm hast aufgesetzt zu Reims,
    Zum König über Frankreich ihn gemacht?
    Verbannt! Daran erkenn ich meinen Sohn!
    – Führt sie ins Lager. Zeiget der Armee
    Das Furchtgespenst, vor dem sie so gezittert!
    Sie eine Zauberin! Ihr ganzer Zauber
    Ist euer Wahn und euer feiges Herz!
    Eine Närrin ist sie, die für ihren König
    Sich opferte, und jetzt den Königslohn
    Dafür empfängt – Bringt sie zu Lionel –
    Das Glück der Franken send ich ihm gebunden,
    Gleich folg ich selbst.

    Johanna. Zu Lionel! Ermorde mich
    Gleich hier, eh du zu Lionel mich sendest.

    Isabeau(zu den Soldaten).
    Gehorchet dem Befehle. Fort mit ihr! (Geht ab)

    Sechster Auftritt

    Johanna. Soldaten

    Johanna(zu den Soldaten). Engländer, duldet nicht, daß ich lebendig
    Aus eurer Hand entkomme! Rächet euch!
    Zieht eure Schwerter, taucht sie mir ins Herz,
    Reißt mich entseelt zu eures Feldherrn Füßen!
    Denkt, daß ichs war, die eure Trefflichsten
    Getötet, die kein Mitleid mit euch trug,
    Die ganze Ströme engelländschen Bluts
    Vergossen, euren tapfern Heldensöhnen
    Den Tag der frohen Wiederkehr geraubt!
    Nehmt eine blutge Rache! Tötet mich!
    Ihr habt mich jetzt, nicht immer möchtet ihr
    So schwach mich sehn –

    Anführer der Soldaten. Tut, was die Königin befahl!

    Johanna Sollt ich
    Noch unglückselger werden als ich war!
    Furchtbare Heilge! deine Hand ist schwer!
    Hast du mich ganz aus deiner Huld verstoßen?
    Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr,
    Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen.
    (Sie folgt den Soldaten)

    Das französische Lager

    Siebenter Auftritt

    Dunois zwischen dein Erzbischof und Du Chatel

    Erzbischof. Bezwinget Euern finstern Unmut, Prinz!
    Kommt mit uns! Kehrt zurück zu Euerm König!
    Verlasset nicht die allgemeine Sache
    In diesem Augenblick, da wir aufs neu
    Bedränget, Eures Heldenarms bedürfen.

    Dunois. Warum sind wir bedrängt? Warum erhebt
    Der Feind sich wieder? Alles war getan,
    Frankreich war siegend und der Krieg geendigt.
    Die Retterin habt ihr verbannt, nun rettet
    Euch selbst! Ich aber will das Lager
    Nicht wieder sehen, wo sie nicht mehr ist.

    Du Chatel. Nehmt bessern Rat an, Prinz. Entlaßt uns nicht
    Mit einer solchen Antwort!

    Dunois. Schweigt, Du Chatel! Ich hasse Euch, von Euch will ich nichts hören.
    Ihr seid es, der zuerst an ihr gezweifelt.

    Erzbischof. Wer ward nicht irr an ihr und hätte nicht
    Gewankt an diesem unglückselgen Tage,
    Da alle Zeichen gegen sie bewiesen!
    Wir waren überrascht, betäubt, der Schlag
    Traf zu erschütternd unser Herz – Wer konnte
    In dieser Schreckensstunde prüfend wägen?
    Jetzt kehrt uns die Besonnenheit zurück,
    Wir sehn sie, wie sie unter uns gewandelt,
    Und keinen Tadel finden wir an ihr.
    Wir sind verwirrt – wir fürchten schweres Unrecht
    Getan zu haben. – Reue fühlt der König,
    Der Herzog klagt sich an, La Hire ist trostlos,
    Und jedes Herz hüllt sich in Trauer ein.

    Dunois. Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit
    Verkörpern will in sichtbarer Gestalt,
    So muß sie ihre Züge an sich tragen!
    Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit
    Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen,
    In ihren klaren Augen muß sie wohnen!

    Erzbischof. Der Himmel schlage durch ein Wunder sich
    Ins Mittel, und erleuchte dies Geheimnis,
    Das unser sterblich Auge nicht durchdringt –
    Doch wie sichs auch entwirren mag und lösen,
    Eins von den beiden haben wir verschuldet!
    Wir haben uns mit höllischen Zauberwaffen
    Verteidigt oder eine Heilige verbannt!
    Und beides ruft des Himmels Zorn und Strafen
    Herab auf dieses unglückselge Land!

    Achter Auftritt

    Ein Edelmann zu den Vorigen, hernach Raimond

    Edelmann. Ein junger Schäfer fragt nach deiner Hoheit,
    Er fodert dringend, mit dir selbst zu reden,
    Er komme, sagt er, von der Jungfrau –

    Dunois. Eile!
    Bring ihn herein! Er kommt von ihr!
    (Edelmann öffnet dem Raimond die Türe, Dunois eilt ihm entgegen)
    Wo ist sie?
    Wo ist die Jungfrau?

    Raimond. Heil Euch, edler Prinz,
    Und Heil mir, daß ich diesen frommen Bischof,
    Den heilgen Mann, den Schirm der Unterdrückten,
    Den Vater der Verlaßnen bei Euch finde!

    Dunois. Wo ist die Jungfrau?

    Erzbischof. Sag es uns, mein Sohn!

    Raimond. Herr, sie ist keine schwarze Zauberin!
    Bei Gott und allen Heiligen bezeug ichs.
    Im Irrtum ist das Volk. Ihr habt die Unschuld
    Verbannt, die Gottgesendete verstoßen!

    Dunois. Wo ist sie? Sage!

    Raimond. Ihr Gefährte war ich
    Auf ihrer Flucht in dem Ardennerwald,
    Mir hat sie dort ihr Innerstes gebeichtet.
    In Martern will ich sterben, meine Seele
    Hab keinen Anteil an dem ewgen Heil,
    Wenn sie nicht rein ist, Herr, von aller Schuld!

    Dunois. Die Sonne selbst am Himmel ist nicht reiner!
    Wo ist sie, sprich!

    Raimond. O wenn Euch Gott das Herz
    Gewendet hat – So eilt! So rettet sie!
    Sie ist gefangen bei den Engelländern.

    Dunois. Gefangen! Was!

    Erzbischof. Die Unglückselige!

    Raimond. In den Ardennen, wo wir Obdach suchten,
    Ward sie ergriffen von der Königin,
    Und in der Engelländer Hand geliefert.
    O rettet sie, die euch gerettet hat,
    Von einem grausenvollen Tode!

    Dunois. Zu den Waffen! Auf! Schlagt Lärmen! Rührt die Trommeln!
    Führt alle Völker ins Gefecht! Ganz Frankreich
    Bewaffne sich! Die Ehre ist verpfändet
    Die Krone, das Palladium entwendet,
    Setzt alles Blut! setzt euer Leben ein!
    Frei muß sie sein, noch eh der Tag sich endet! (Gehen ab)

    Ein Wachturm, oben eine Öffnung

    Neunter Auftritt

    Johanna und Lionel. Fastolf. Isabeau

    Fastolf(eilig hereintretend). Das Volk ist länger nicht zu bändigen.
    Sie fodern wütend, daß die Jungfrau sterbe.
    Ihr widersteht vergebens. Tötet sie,
    Und werft ihr Haupt von dieses Turmes Zinnen,
    Ihr fließend Blut allein versöhnt das Heer.

    Isabeau(kommt). Sie setzen Leitern an, sie laufen Sturm!
    Befriediget das Volk. Wollt Ihr erwarten,
    Bis sie den ganzen Turm in blinder Wut
    Umkehren und wir alle mit verderben?
    Ihr könnt sie nicht beschützen, gebt sie hin.

    Lionel. Laßt sie anstürmen! Laßt sie wütend toben!
    Dies Schloß ist fest, und unter seinen Trümmern
    Begrab ich mich, eh mich ihr Wille zwingt.
    – Antworte mir, Johanna! Sei die Meine,
    Und gegen eine Welt beschütz ich dich.

    Isabeau. Seid Ihr ein Mann?

    Lionel. Verstoßen haben dich
    Die Deinen, aller Pflichten bist du ledig
    Für dein unwürdig Vaterland. Die Feigen,
    Die um dich warben, sie verließen dich,
    Sie wagten nicht den Kampf um deine Ehre.
    Ich aber, gegen mein Volk und das deine
    Behaupt ich dich. – Einst ließest du mich glauben,
    Daß dir mein Leben teuer sei! Und damals
    Stand ich im Kampf als Feind dir gegenüber,
    Jetzt hast du keinen Freund als mich!

    Johanna. Du bist
    Der Feind mir, der verhaßte, meines Volks.
    Nichts kann gemein sein zwischen dir und mir.
    Nicht lieben kann ich dich, doch wenn dein Herz
    Sich zu mir neigt, so laß es Segen bringen
    Für unsre Völker. – Führe deine Heere
    Hinweg von meines Vaterlandes Boden,
    Die Schlüssel aller Städte gib heraus,
    Die ihr bezwungen, allen Raub vergüte,
    Gib die Gefangnen ledig, sende Geiseln
    Des heiligen Vertrags, so biet ich dir
    Den Frieden an in meines Königs Namen.

    Isabeau. Willst du in Banden uns Gesetze geben?

    Johanna. Tu es bei Zeiten, denn du mußt es doch.
    Frankreich wird nimmer Englands Fesseln tragen.
    Nie, nie wird das geschehen! Eher wird es
    Ein weites Grab für eure Heere sein.
    Gefallen sind euch eure Besten, denkt
    Auf eine sichre Rückkehr, euer Ruhm
    Ist doch verloren, eure Macht ist hin.

    Isabeau. Könnt Ihr den Trotz der Rasenden ertragen?

    Zehnter Auftritt

    Die Vorigen. Ein Hauptmann kommt eilig

    Hauptmann. Eilt, Feldherr, eilt, das Heer zur Schlacht zu stellen,
    Die Franken rücken an mit fliegenden Fahnen,
    Von ihren Waffen blitzt das ganze Tal.

    Johanna(begeistert). Die Franken rücken an! Jetzt, stolzes England,
    Heraus ins Feld, jetzt gilt es, frisch zu fechten!

    Fastolf. Unsinnige, bezähme deine Freude!
    Du wirst das Ende dieses Tags nicht sehn.

    Johanna. Mein Volk wird siegen und ich werde sterben,
    Die Tapfern brauchen meines Arms nicht mehr.

    Lionel. Ich spotte dieser Weichlinge! Wir haben
    Sie vor uns her gescheucht in zwanzig Schlachten,
    Eh dieses Heldenmädchen für sie stritt!
    Das ganze Volk veracht ich bis auf eine,
    Und diese haben sie verbannt. – Kommt, Fastolf!
    Wir wollen ihnen einen zweiten Tag
    Bei Crequi und Poitiers bereiten.
    Ihr, Königin, bleibt in diesem Turm, bewacht
    Die Jungfrau, bis das Treffen sich entschieden,
    Ich laß Euch fünfzig Ritter zur Bedeckung.

    Fastolf. Was? Sollen wir dem Feind entgegengehn,
    Und diese Wütende im Rücken lassen?

    Johanna. Erschreckt dich ein gefesselt Weib?

    Lionel. Gib mir
    Dein Wort, Johanna, dich nicht zu befreien!

    Johanna. Mich zu befreien ist mein einzger Wunsch.

    Isabeau Legt ihr dreifache Fesseln an. Mein Leben
    Verbürg ich, daß sie nicht entkommen soll.

    (Sie wird mit schweren Ketten um den Leib und um die Arme gefesselt)

    Lionel(zur Johanna). Du willst es so! Du zwingst uns! Noch stehts bei dir!
    Entsage Frankreich! Trage Englands Fahne,
    Und du bist frei, und diese Wütenden,
    Die jetzt dein Blut verlangen, dienen dir!

    Fastolf(dringend). Fort, fort, mein Feldherr!

    Johanna. Spare deine Worte!
    Die Franken rücken an, verteidge dich!

    (Trompeten ertönen, Lionel eilt fort)

    Fastolf. Ihr wißt, was Ihr zu tun habt, Königin!
    Erklärt das Glück sich gegen uns, seht Ihr,
    Daß unsre Völker fliehen –

    Isabeau(einen Dolch ziehend). Sorget nicht!
    Sie soll nicht leben, unsern Fall zu sehn.

    Fastolf(zur Johanna). Du weißt, was dich erwartet. Jetzt erflehe
    Glück für die Waffen deines Volks! (Er geht ab)

    Eilfter Auftritt

    Isabeau. Johanna. Soldaten

    Johanna. Das will ich!
    Daran soll niemand mich verhindern. – Horch!
    Das ist der Kriegsmarsch meines Volks! Wie mutig
    Er in das Herz mir schallt und siegverkündend!
    Verderben über England! Sieg den Franken!
    Auf, meine Tapfern! Auf! Die Jungfrau ist
    Euch nah, sie kann nicht vor euch her wie sonst
    Die Fahne tragen – schwere Bande fesseln sie,
    Doch frei aus ihrem Kerker schwingt die Seele
    Sich auf den Flügeln eures Kriegsgesangs.

    Isabeau(zu einem Soldaten).
    Steig auf die Warte dort, die nach dem Feld
    Hin sieht, und sag uns, wie die Schlacht sich wendet.

    (Soldat steigt hinauf)

    Johanna. Mut, Mut, mein Volk! Es ist der letzte Kampf!
    Den einen Sieg noch, und der Feind liegt nieder.

    Isabeau. Was siehest du?

    Soldat. Schon sind sie aneinander.
    Ein Wütender auf einem Barberroß,
    Im Tigerfell, sprengt vor mit den Gendarmen.

    Johanna. Das ist Graf Dunois! Frisch, wackrer Streiter!
    Der Sieg ist mit dir!

    Soldat. Der Burgunder greift
    Die Brücke an.

    Isabeau. Daß zehen Lanzen ihm
    Ins falsche Herz eindrängen, dem Verräter!

    Soldat. Lord Fastolf tut ihm mannhaft Widerstand.
    Sie sitzen ab, sie kämpfen Mann für Mann,
    Des Herzogs Leute und die unsrigen.

    Isabeau. Siehst du den Dauphin nicht? Erkennst du nicht
    Die königlichen Zeichen?

    Soldat. Alles ist
    In Staub vermengt Ich kann nichts unterscheiden.

    Johanna. Hätt er mein Auge oder stünd ich oben,
    Das Kleinste nicht entginge meinem Blick!
    Das wilde Huhn kann ich im Fluge zählen,
    Den Falk erkenn ich in den höchsten Lüften.

    Soldat. Am Graben ist ein fürchterlich Gedräng,
    Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort.

    Isabeau. Schwebt unsre Fahne noch?

    Soldat. Hoch flattert sie.

    Johanna Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen,
    Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren!

    Soldat. Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist
    Umzingelt!

    Isabeau(zuckt den Dolch auf Johanna). Stirb, Unglückliche!

    Soldat(schnell). Er ist befreit.
    Im Rücken faßt der tapfere Fastolf
    Den Feind – er bricht in seine dichtsten Scharen.

    Isabeau(zieht den Dolch zurück).
    Das sprach dein Engel!

    Soldat. Sieg! Sieg! Sie entfliehen!

    Isabeau. Wer flieht?

    Soldat.
    Die Franken, die Burgunder fliehn,
    Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde.

    Johanna. Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verlassen!

    Soldat. Ein schwer Verwundeter wird dort geführt.
    Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst.

    Isabeau. Der Unsern einer oder Fränkischen?

    Soldat. Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists.

    Johanna(greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten).
    Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!

    Soldat. Sie! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel
    Verbrämt mit Gold,

    Johanna(lebhaft). Das ist mein Herr, der König!

    Soldat. Sein Roß wird scheu – es überschlägt sich – stürzt,
    Er windet schwer arbeitend sich hervor –
    (Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen)
    Die Unsern nahen schon in vollem Lauf –
    Sie haben ihn erreicht – umringen ihn –

    Johanna. O hat der Himmel keine Engel mehr!

    Isabeau(hohnlachend). Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette!

    Johanna(stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend).
    Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not,
    Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch,
    In deine Himmel send ich meine Seele.
    Du kannst die Fäden eines Spinngewebs
    Stark machen wie die Taue eines Schiffs,
    Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande
    In dünnes Spinngewebe zu verwandeln –
    Du willst und diese Ketten fallen ab,
    Und diese Turmwand spaltet sich – du halfst
    Dem Simson, da er blind war und gefesselt,
    Und seiner stolzen Feinde bittern Spott
    Erduldete. – Auf dich vertrauend faßt' er
    Die Pfosten seines Kerkers mächtig an,
    Und neigte sich und stürzte das Gebäude –

    Soldat. Triumph! Triumph!

    Isabeau. Was ists?

    Soldat. Der König ist
    Gefangen!

    Johanna(springt auf).
    So sei Gott mir gnädig!

    (Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach)

    Zwölfter Auftritt

    Vorige ohne Johanna

    Isabeau(nach einer langen Pause).
    Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin?
    Wie brach sie diese zentnerschweren Bande?
    Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt,
    Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen.

    Soldat(auf der Warte).
    Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie
    Hinabgeführt?

    Isabeau. Sprich, ist sie unten?

    Soldat. Mitten
    Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller
    Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort –
    Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!
    – Sie teilt die Haufen – Alles weicht vor ihr,
    Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu!
    – Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen
    Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken –

    Isabeau. Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen?

    Soldat. Grad auf den König dringt sie an – Sie hat ihn
    Erreicht – Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf.
    – Lord Fastolf stürzt – Der Feldherr ist gefangen.

    Isabeau. Ich will nicht weiter hören. Komm herab.

    Soldat. Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen.
    Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran.
    (Er steigt herunter)

    Isabeau(das Schwert ziehend). So fechtet, Memmen!

    Dreizehnter Auftritt

    Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt streckt das Volk der Königin die Waffen

    La Hire(naht ihr ehrerbietig). Königin, unterwerft Euch
    Der Allmacht – Eure Ritter haben sich
    Ergeben, aller Widerstand ist unnütz!
    – Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin
    Ihr wollt begleitet sein.

    Isabeau. Jedweder Ort
    Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne.
    (Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten)

    Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld

    Vierzehnter Auftritt

    Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein

    Sorel(wirft sich an des Königs Brust).
    Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder!

    König. Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis!
    (Zeigt auf Johanna)

    Sorel. Johanna! Gott! Sie stirbt!

    Burgund. Sie hat geendet!
    Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,
    Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!
    Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,
    Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben
    Ist noch zu spüren in der warmen Hand.

    König. Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen,
    Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.
    Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,
    Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.

    Sorel. Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!

    Burgund(erstaunt). Kehrt sie
    Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod,
    Sie richtet sich empor! Sie steht!

    Johanna(steht ganz aufgerichtet und schaut umher).
    Wo bin ich?

    Burgund. Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!

    König. In deiner Freunde, deines Königs Armen!

    Johanna(nachdem sie ihn lange starr angesehen).
    Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß ich bins nicht.

    König. Du bist heilig wie die Engel,
    Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.

    Johanna(sieht heiter lächelnd umher).
    Und ich bin wirklich unter meinem Volk.
    Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
    Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
    – Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
    Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
    Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie?
    Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
    Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
    Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
    Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.

    König (mit abgewandtem Gesicht). Gebt ihr die Fahne!

    (Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet, die Fahne in der Hand – Der Himmel ist von einem rosigten Schein beleuchtet)

    Johanna. Seht ihr den Regenbogen in der Luft,
    Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,
    Im Chor der Engel steht sie glänzend da,
    Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,
    Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.
    Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich –
    der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
    Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück –
    Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!

    (Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder – Alle stehen lange in loser Rührung. Auf einen leisen Wink des Königs werden alle Fahnen sanft auf sie niedergelassen, daß sie ganz davon bedeckt wird)