Duineser Elegien

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Duineser Elegien




Einleitung

Die Duineser Elegien sind ein Zyklus von zehn Elegien, geschrieben von dem österreichischen Dichter Rainer Maria Rilke zwischen 1912 und 1922. Diese literarischen Werke zählen zu den bedeutendsten Dichtungen der modernen Lyrik und spiegeln Rilkes tiefe Auseinandersetzung mit existenziellen Themen wie Tod, Liebe, das Dasein des Individuums und die Suche nach dem Sinn des Lebens wider. Die Elegien entstanden an verschiedenen Orten, darunter Schloss Duino nahe Triest, wo Rilke zu Beginn des Schreibprozesses zu Gast war und dem Werk seinen Namen gab.


Hintergrund

Rilke begann mit der Niederschrift der ersten beiden Elegien während eines Aufenthalts auf Schloss Duino im Jahr 1912. Dieser kreative Schub wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und Rilkes persönliche Krisen unterbrochen. Erst zehn Jahre später, 1922, konnte er den Zyklus in einem intensiven Arbeitsprozess in der Schweiz abschließen. Die Duineser Elegien reflektieren nicht nur Rilkes eigene innere Kämpfe und philosophische Überlegungen, sondern auch die geistige und soziale Unruhe seiner Zeit.


Inhalt und Themen

Die zehn Elegien behandeln verschiedene, aber miteinander verwobene Themen. Sie erkunden die menschliche Existenz in ihrer Zerrissenheit zwischen der irdischen und der geistigen Welt. Rilke stellt die Frage nach der Möglichkeit echter Erfahrung in einer entzauberten Welt und sucht nach einer neuen, tieferen Verbindung des Menschen mit dem Universum. Die Elegien zeichnen sich durch ihre intensive Bildsprache und symbolische Komplexität aus. Sie verbinden persönliche Erfahrungen mit universellen Fragen und öffnen so einen Raum für vielschichtige Interpretationen.


Bedeutung und Rezeption

Seit ihrer Veröffentlichung haben die Duineser Elegien eine tiefgreifende Wirkung auf Leser und Kritiker ausgeübt. Sie gelten als Höhepunkt von Rilkes lyrischem Schaffen und als einer der Gipfelpunkte der deutschen Lyrik im 20. Jahrhundert. Die Elegien haben zahlreiche Dichter, Denker und Künstler inspiriert und sind bis heute Gegenstand intensiver literaturwissenschaftlicher Forschung. Ihre komplexe Symbolik und metaphorische Dichte machen sie zu einem herausfordernden, aber lohnenden Leseerlebnis.


Interaktive Aufgaben


Quiz: Teste Dein Wissen

In welchem Jahr begann Rilke mit der Niederschrift der Duineser Elegien? (1912) (!1905) (!1914) (!1920)

Wo entstanden die ersten Entwürfe der Duineser Elegien? (Schloss Duino) (!Schloss Muzot) (!Wien) (!Berlin)

Wie viele Elegien umfasst der Zyklus? (10) (!8) (!12) (!5)

Welches zentrale Thema behandeln die Duineser Elegien? (Die menschliche Existenz und ihre Zerrissenheit) (!Die Schönheit der Natur) (!Die Geschichte Europas) (!Die Technologie des 20. Jahrhunderts)

In welchem Jahr wurden die Duineser Elegien abgeschlossen? (1922) (!1918) (!1920) (!1924)

Welches Ereignis unterbrach Rilkes Arbeit an den Elegien? (Der Erste Weltkrieg) (!Der Zweite Weltkrieg) (!Die Russische Revolution) (!Die Wirtschaftskrise)

Wofür ist die Bildsprache der Duineser Elegien bekannt? (Für ihre Intensität und symbolische Komplexität) (!Für ihre Einfachheit und Klarheit) (!Für ihre historischen Bezüge) (!Für ihre humoristischen Elemente)

Was reflektieren die Elegien neben Rilkes persönlichen Überlegungen? (Die geistige und soziale Unruhe seiner Zeit) (!Die technologischen Fortschritte) (!Die Landschaften Europas) (!Die kulinarischen Vorlieben der Epoche)

An welchem Ort vollendete Rilke den Zyklus der Duineser Elegien? (In der Schweiz) (!In Deutschland) (!In Italien) (!In Frankreich)

Was suchen die Duineser Elegien in der entzauberten Welt? (Eine neue, tiefere Verbindung des Menschen mit dem Universum) (!Eine Rückkehr zu traditionellen Werten) (!Eine Flucht in die Vergangenheit) (!Eine Kritik an der Moderne)





Memory

Schloss Duino Entstehungsort der ersten Elegien
1922 Abschlussjahr der Duineser Elegien
Menschliche Existenz Zentrales Thema der Elegien
Erster Weltkrieg Unterbrach Rilkes Arbeit an den Elegien
Symbolische Komplexität Kennzeichen der Bildsprache





Kreuzworträtsel

Duino Wo begann Rilke mit der Niederschrift der Elegien?
Zehn Wie viele Elegien umfasst der Zyklus?
Existenz Ein zentrales Thema der Duineser Elegien
Schweiz Wo vollendete Rilke den Zyklus?
Krieg Ereignis, das Rilkes Arbeit unterbrach
Symbolik Ein Merkmal der Elegien
Rilke Der Autor der Duineser Elegien
Liebe Ein wiederkehrendes Motiv im Werk




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Lückentext

Vervollständige den Text.

Die Duineser Elegien wurden von

geschrieben und sind ein Zyklus von

Elegien. Sie entstanden zwischen

und

und reflektieren tiefgreifende Themen wie Tod, Liebe und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Elegien zeichnen sich durch ihre

und intensive Bildsprache aus.


Offene Aufgaben

Leicht

  1. Recherchiere über Rilkes Aufenthalt auf Schloss Duino und beschreibe, wie diese Umgebung die Entstehung der Duineser Elegien beeinflusst haben könnte.
  2. Wähle eine der Elegien aus und versuche, ihre zentralen Bilder und Symbole zu interpretieren.
  3. Erstelle ein kurzes Gedicht, das von den Themen der Duineser Elegien inspiriert ist.

Standard

  1. Vergleiche die Duineser Elegien mit einem anderen literarischen Werk, das sich mit ähnlichen Themen beschäftigt.
  2. Analysiere, wie Rilke die menschliche Existenz in den Duineser Elegien darstellt.
  3. Diskutiere die Bedeutung der Natur in den Elegien.

Schwer

  1. Untersuche die philosophischen Einflüsse auf Rilkes Duineser Elegien.
  2. Erarbeite eine Präsentation über die Rezeptionsgeschichte der Duineser Elegien.
  3. Schreibe einen Essay, der die Rolle des Todes in den Duineser Elegien analysiert.




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Mündliche Prüfung

  1. Diskutiere, wie die Duineser Elegien die Spannung zwischen der irdischen und der geistigen Welt thematisieren.
  2. Erkläre, warum die Duineser Elegien als Höhepunkt von Rilkes lyrischem Schaffen gelten.
  3. Reflektiere über die Bedeutung des Schreibprozesses und der verschiedenen Entstehungsorte für das Werk.
  4. Vergleiche die Behandlung des Themas Liebe in den Duineser Elegien mit einem anderen Werk Rilkes.
  5. Analysiere, wie die historischen Ereignisse der Zeit in den Duineser Elegien widergespiegelt werden.


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    DIE ERSTE ELEGIE

    WER, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
    Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
    einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
    stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
    als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
    und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
    uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
    Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
    dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
    wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
    und die findigen Tiere merken es schon,
    daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
    in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
    irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
    wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
    und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
    der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
    O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
    uns am Angesicht zehrt –, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
    sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
    mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
    Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.
    Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
    zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
    die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.


    Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche
    Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob
    sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
    da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
    gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
    Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer
    noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
    eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,
    da doch die großen fremden Gedanken bei dir
    aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)
    Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange
    noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.
    Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du
    so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn
    immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;
    denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm
    nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
    Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur
    in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,
    dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa
    denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen,
    dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel
    dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie?
    Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen
    fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend
    uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:
    wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung
    mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.


    Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur
    Heilige hörten: daß die der riesige Ruf
    aufhob vom Boden; sie aber knieten,
    Unmögliche, weiter und achtetens nicht:
    So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest
    die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
    die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
    Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.
    Wo immer du eintratest, redete nicht in Kirchen
    zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?
    Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,
    wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.
    Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts
    Anschein abtun, der ihrer Geister
    reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.


    Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
    kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
    Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
    nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
    das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
    nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
    wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
    Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam,
    alles, was sich bezog, so lose im Raume
    flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
    und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
    Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen
    alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.
    Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
    Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
    reißt durch beide Bereiche alle Alter
    immer mit sich und übertönt sie in beiden.


    Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,
    man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten
    milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große
    Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft
    seliger Fortschritt entspringt –: könnten wir sein ohne sie?
    Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos
    wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
    daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
    plötzlich für immer enttrat, die Leere in jene
    Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.

    DIE ZWEITE ELEGIE

    JEDER Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir,
    ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele,
    wissend um euch. Wohin sind die Tage Tobiae,
    da der Strahlendsten einer stand an der einfachen Haustür,
    zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar;
    (Jüngling dem Jüngling, wie er neugierig hinaussah).
    Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen
    eines Schrittes nur nieder und herwärts: hochauf-
    schlagend erschlüg uns das eigene Herz. Wer seid ihr?


    Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung,
    Höhenzüge, morgenrötliche Grate
    aller Erschaffung, – Pollen der blühenden Gottheit,
    Gelenke des Lichtes, Gänge, Treppen, Throne,
    Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne, Tumulte
    stürmisch entzückten Gefühls und plötzlich, einzeln,
    Spiegel: die die entströmte eigene Schönheit
    wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.


    Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir
    atmen uns aus und dahin; von Holzglut zu Holzglut
    geben wir schwächern Geruch. Da sagt uns wohl einer:
    ja, du gehst mir ins Blut, dieses Zimmer, der Frühling
    füllt sich mit dir . . . Was hilfts, er kann uns nicht halten,
    wir schwinden in ihm und um ihn. Und jene, die schön sind,
    o wer hält sie zurück? Unaufhörlich steht Anschein
    auf in ihrem Gesicht und geht fort. Wie Tau von dem Frühgras
    hebt sich das Unsre von uns, wie die Hitze von einem
    heißen Gericht. O Lächeln, wohin? O Aufschaun:
    neue, warme, entgehende Welle des Herzens –;
    weh mir: wir sinds doch. Schmeckt denn der Weltraum,
    in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel
    wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes,
    oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig
    unseres Wesens dabei? Sind wir in ihre
    Züge so viel nur gemischt wie das Vage in die Gesichter
    schwangerer Frauen? Sie merken es nicht in dem Wirbel
    ihrer Rückkehr zu sich. (Wie sollten sie's merken.)


    Liebende könnten, verstünden sie's, in der Nachtluft
    wunderlich reden. Denn es scheint, daß uns alles
    verheimlicht. Siehe, die Bäume sind; die Häuser,
    die wir bewohnen, bestehn noch. Wir nur
    ziehen allem vorbei wie ein luftiger Austausch.
    Und alles ist einig, uns zu verschweigen, halb als
    Schande vielleicht und halb als unsägliche Hoffnung.


    Liebende, euch, ihr in einander Genügten,
    frag ich nach uns. Ihr greift euch. Habt ihr Beweise?
    Seht, mir geschiehts, daß meine Hände einander
    inne werden oder daß mein gebrauchtes
    Gesicht in ihnen sich schont. Das giebt mir ein wenig
    Empfindung. Doch wer wagte darum schon zu sein?
    Ihr aber, die ihr im Entzücken des anderen
    zunehmt, bis er euch überwältigt
    anfleht: nicht mehr –; die ihr unter den Händen
    euch reichlicher werdet wie Traubenjahre;
    die ihr manchmal vergeht, nur weil der andre
    ganz überhand nimmt: euch frag ich nach uns. Ich weiß,
    ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält,
    weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,
    zudeckt; weil ihr darunter das reine
    Dauern verspürt. So versprecht ihr euch Ewigkeit fast
    von der Umarmung. Und doch, wenn ihr der ersten
    Blicke Schrecken besteht und die Sehnsucht am Fenster,
    und den ersten gemeinsamen Gang, ein Mal durch den Garten:
    Liebende, seid ihrs dann noch? Wenn ihr einer dem andern
    euch an den Mund hebt und ansetzt –: Getränk an Getränk:
    o wie entgeht dann der Trinkende seltsam der Handlung.


    Erstaunte euch nicht auf attischen Stelen die Vorsicht
    menschlicher Geste? war nicht Liebe und Abschied
    so leicht auf die Schultern gelegt, als wär es aus amderm
    Stoffe gemacht als bei uns? Gedenkt euch der Hände,
    wie sie drucklos beruhen, obwohl in den Torsen die Kraft steht.
    Diese Beherrschten wußten damit: so weit sind wirs,
    dieses ist unser, uns so zu berühren; stärker
    stemmen die Götter uns an. Doch dies ist Sache der Götter.


    Fänden auch wir ein reines, verhaltenes, schmales
    Menschliches, einen unseren Streifen Fruchtlands
    zwischen Strom und Gestein. Denn das eigene Herz übersteigt uns
    noch immer wie jene. Und wir können ihm nicht mehr
    nachschaun in Bilder, die es besänftigen, noch in
    göttliche Körper, in denen es größer sich mäßigt.

    DIE DRITTE ELEGIE

    EINES ist, die Geliebte zu singen. Ein anderes, wehe,
    jenen verborgenen schuldigen Fluß-Gott des Bluts.
    Den sie von weitem erkennt, ihren Jüngling, was weiß er
    selbst von dem Herren der Lust, der aus dem Einsamen oft,
    ehe das Mädchen noch linderte, oft auch als wäre sie nicht,
    ach, von welchem Unkenntlichen triefend, das Gotthaupt
    aufhob, aufrufend die Nacht zu unendlichem Aufruhr.
    O des Blutes Neptun, o sein furchtbarer Dreizack,
    o der dunkele Wind seiner Brust aus gewundener Muschel.
    Horch, wie die Nacht sich muldet und höhlt. Ihr Sterne,
    stammt nicht von euch des Liebenden Lust zu dem Antlitz
    seiner Geliebten? Hat er die innige Einsicht
    in ihr reines Gesicht nicht aus dem reinen Gestirn?


    Du nicht hast ihm, wehe, nicht seine Mutter
    hat ihm die Bogen der Braun so zur Erwartung gespannt.
    Nicht an dir, ihn fühlendes Mädchen, an dir nicht
    bog seine Lippe sich zum fruchtbarern Ausdruck.
    Meinst du wirklich, ihn hätte dein leichter Auftritt
    also erschüttert, du, die wandelt wie Frühwind?
    Zwar du erschrakst ihm das Herz; doch ältere Schrecken
    stürzten in ihn bei dem berührenden Anstoß.
    Ruf ihn . . . du rufst ihn nicht ganz aus dunkelem Umgang.
    Freilich, er will, er entspringt; erleichtert gewöhnt er
    sich in dein heimliches Herz und nimmt und beginnt sich.
    Aber begann er sich je?
    Mutter, du machtest ihn klein, du warsts, die ihn anfing;
    dir war er neu, du beugtest über die neuen
    Augen die freundliche Welt und wehrtest der fremden.
    Wo, ach, hin sind die Jahre, da du ihm einfach
    mit der schlanken Gestalt wallendes Chaos vertratst?
    Vieles verbargst du ihm so; das nächtlich-verdächtige Zimmer
    machtest du harmlos, aus deinem Herzen voll Zuflucht
    mischtest du menschlichern Raum seinem Nacht-Raum hinzu.
    Nicht in die Finsternis, nein, in dein näheres Dasein
    hast du das Nachtlicht gestellt, und es schien wie aus Freundschaft.
    Nirgends ein Knistern, das du nicht lächelnd erklärtest,
    so als wüßtest du längst, wann sich die Diele benimmt . . .
    Und er horchte und linderte sich. So vieles vermochte
    zärtlich dein Aufstehn; hinter den Schrank trat
    hoch im Mantel sein Schicksal, und in die Falten des Vorhangs
    paßte, die leicht sich verschob, seine unruhige Zukunft.


    Und er selbst, wie er lag, der Erleichterte, unter
    schläfernden Lidern deiner leichten Gestaltung
    Süße lösend in den gekosteten Vorschlaf –:
    schien ein Gehüteter . . . Aber innen: wer wehrte,
    hinderte innen in ihm die Fluten der Herkunft?
    Ach, da war keine Vorsicht im Schlafenden; schlafend,
    aber träumend, aber in Fiebern: wie er sich ein-ließ.
    Er, der Neue, Scheuende, wie er verstrickt war,
    mit des innern Geschehens weiterschlagenden Ranken
    schon zu Mustern verschlungen, zu würgendem Wachstum, zu tierhaft
    jagenden Formen. Wie er sich hingab –. Liebte.
    Liebte sein Inneres, seines Inneren Wildnis,
    diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein
    lichtgrün sein Herz stand. Liebte. Verließ es, ging die
    eigenen Wurzeln hinaus in gewaltigen Ursprung,
    wo seine kleine Geburt schon überlebt war. Liebend
    stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,
    wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes
    Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.
    Ja, das Entsetzliche lächelte . . . Selten
    hast du so zärtlich gelächelt, Mutter. Wie sollte
    er es nicht lieben, da es ihm lächelte. Vor dir
    hat ers geliebt, denn, da du ihn trugst schon,
    war es im Wasser gelöst, das den Keimenden leicht macht.


    Siehe, wir lieben nicht, wie die Blumen, aus einem
    einzigen Jahr; uns steigt, wo wir lieben,
    unvordenklicher Saft in die Arme. O Mädchen,
    dies: daß wir liebten in uns, nicht Eines, ein Künftiges, sondern
    das zahllos Brauende; nicht ein einzelnes Kind,
    sondern die Väter, die wie Trümmer Gebirgs
    uns im Grunde beruhn; sondern das trockene Flußbett
    einstiger Mütter –; sondern die ganze
    lautlose Landschaft unter dem wolkigen oder
    reinen Verhängnis –: dies kam dir, Mädchen, zuvor.


    Und du selber, was weißt du –, du locktest
    Vorzeit empor in dem Liebenden. Welche Gefühle
    wühlten herauf aus entwandelten Wesen. Welche
    Frauen haßten dich da. Was für finstere Männer
    regtest du auf im Geäder des Jünglings? Tote
    Kinder wollten zu dir . . . O leise, leise,
    tu ein liebes vor ihm, ein verläßliches Tagwerk, – führ ihn
    nah an den Garten heran, gieb ihm der Nächte
    Übergewicht . . . . . .
    Verhalt ihn . . . . . .

    DIE VIERTE ELEGIE

    O BÄUME Lebens, o wann winterlich?
    Wir sind nicht einig. Sind nicht wie die Zug-
    vögel verständigt. Überholt und spät,
    so drängen wir uns plötzlich Winden auf
    und fallen ein auf teilnahmslosen Teich.
    Blühn und verdorrn ist uns zugleich bewußt.
    Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen,
    solang sie herrlich sind, von keiner Ohnmacht.


    Uns aber, wo wir Eines meinen, ganz,
    ist schon des andern Aufwand fühlbar. Feindschaft
    ist uns das Nächste. Treten Liebende
    nicht immerfort an Ränder, eins im andern,
    die sich versprachen Weite, Jagd und Heimat.
    Da wird für eines Augenblickes Zeichnung
    ein Grund von Gegenteil bereitet, mühsam,
    daß wir sie sähen; denn man ist sehr deutlich
    mit uns. Wir kennen den Kontur
    des Fühlens nicht: nur, was ihn formt von außen.
    Wer saß nicht bang vor seines Herzens Vorhang?
    Der schlug sich auf: die Szenerie war Abschied.
    Leicht zu verstehen. Der bekannte Garten,
    und schwankte leise: dann erst kam der Tänzer.
    Nicht der. Genug! Und wenn er auch so leicht tut,
    er ist verkleidet und er wird ein Bürger
    und geht durch seine Küche in die Wohnung.
    Ich will nicht diese halbgefüllten Masken,
    lieber die Puppe. Die ist voll. Ich will
    den Balg aushalten und den Draht und ihr
    Gesicht und Aussehn. Hier. Ich bin davor.
    Wenn auch die Lampen ausgehn, wenn mir auch
    gesagt wird: Nichts mehr –, wenn auch von der Bühne
    das Leere herkommt mit dem grauen Luftzug,
    wenn auch von meinen stillen Vorfahrn keiner
    mehr mit mir dasitzt, keine Frau, sogar
    der Knabe nicht mehr mit dem braunen Schielaug:
    Ich bleibe dennoch. Es giebt immer Zuschaun.


    Hab ich nicht recht? Du, der um mich so bitter
    das Leben schmeckte, meines kostend, Vater,
    den ersten trüben Aufguß meines Müssens,
    da ich heranwuchs, immer wieder kostend
    und, mit dem Nachgeschmack so fremder Zukunft
    beschäftigt, prüftest mein beschlagnes Aufschaun, –
    der du, mein Vater, seit du tot bist, oft
    in meiner Hoffnung, innen in mir, Angst hast,
    und Gleichmut, wie ihn Tote haben, Reiche
    von Gleichmut, aufgiebst für mein bißchen Schicksal,
    hab ich nicht recht? Und ihr, hab ich nicht recht,
    die ihr mich liebtet für den kleinen Anfang
    Liebe zu euch, von dem ich immer abkam,
    weil mir der Raum in eurem Angesicht,
    da ich ihn liebte, überging in Weltraum,
    in dem ihr nicht mehr wart . . . .: wenn mir zumut ist,
    zu warten vor der Puppenbühne, nein,
    so völlig hinzuschaun, daß, um mein Schauen
    am Ende aufzuwiegen, dort als Spieler
    ein Engel hinmuß, der die Bälge hochreißt.
    Engel und Puppe: dann ist endlich Schauspiel.
    Dann kommt zusammen, was wir immerfort
    entzwein, indem wir da sind. Dann entsteht
    aus unsern Jahreszeiten erst der Umkreis
    des ganzen Wandelns. Über uns hinüber
    spielt dann der Engel. Sieh, die Sterbenden,
    sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand
    das alles ist, was wir hier leisten. Alles
    ist nicht es selbst. O Stunden in de Kindheit,
    da hinter den Figuren mehr als nur
    Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft.
    Wir wuchsen freilich und wir drängten manchmal,
    bald groß zu werden, denen halb zulieb,
    die andres nicht mehr hatten, als das Großsein.
    Und waren doch, in unserem Alleingehn,
    mit Dauerndem vergnügt und standen da
    im Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug,
    an einer Stelle, die seit Anbeginn
    gegründet war für einen reinen Vorgang.


    Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt
    es ins Gestirn und giebt das Maß des Abstands
    ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod
    aus grauem Brot, das hart wird, – oder läßt
    ihn drin im runden Mund, so wie den Gröps
    von einem schönen Apfel? . . . . . . Mörder sind
    leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,
    den ganzen Tod, noch vor dem Leben so
    sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,
    ist unbeschreiblich.

    DIE FÜNFTE ELEGIE

    Frau Hertha Koenig zugeeignet

    WER aber sind sie, sag mir, die Fahrenden, diese ein wenig
    Flüchtigern noch als wir selbst, die dringend von früh an
    wringt ein wem, wem zu Liebe
    niemals zufriedener Wille? Sondern er wringt sie,
    biegt sie, schlingt sie und schwingt sie,
    wirft sie und fängt sie zurück; wie aus geölter,
    glatterer Luft kommen sie nieder
    auf dem verzehrten, von ihrem ewigen
    Aufsprung dünneren Teppich, diesem verlorenen
    Teppich im Weltall.
    Aufgelegt wie ein Pflaster, als hätte der Vorstadt-
    Himmel der Erde dort wehe getan. Und kaum dort,
    aufrecht, da und gezeigt: des Dastehns
    großer Anfangsbuchstab . . ., schon auch, die stärksten
    Männer, rollt sie wieder, zum Scherz, der immer
    kommende Griff, wie August der Starke bei Tisch
    einen zinnenen Teller.


    Ach und um diese
    Mitte, die Rose des Zuschauns:
    blüht und entblättert. Um diesen
    Stampfer, den Stempel, den von dem eignen
    blühenden Staub getroffnen, zur Scheinfrucht
    wieder der Unlust befrucheten, ihrer
    niemals bewußten, – glänzend mit dünnster
    Oberfläche leicht scheinlächelnden Unlust.


    Da: der welke, faltige Stemmer,
    der alte, der nur noch trommelt,
    eingegangen in seiner gewaltigen Haut, als hätte sie früher
    zwei Männer enthalten, und einer
    läge nun schon auf dem Kirchhof, und er überlebte den andern,
    taub und manchmal ein wenig
    wirr, in der verwitweten Haut.


    Aber der junge, der Mann, als wär er der Sohn eines Nackens
    und einer Nonne: prall und strammig erfüllt
    mit Muskeln und Einfalt.


    Oh ihr,
    die ein Leid, das noch klein war,
    einst als Spielzeug bekam, in einer seiner
    langen Genesungen . . . .


    Du, der mit dem Aufschlag,
    wie nur Früchte ihn kennen, unreif,
    täglich hundertmal abfällt vom Baum der gemeinsam
    erbauten Bewegung (der, rascher als Wasser, in wenig
    Minuten Lenz, Sommer und Herbst hat) –
    abfällt und anprallt ans Grab:
    manchmal, in halber Pause, will dir ein liebes
    Antlitz entstehn hinüber zu deiner selten
    zärtlichen Mutter; doch an deinen Körper verliert sich,
    der es flächig verbraucht, das schüchtern
    kaum versuchte Gesicht . . . Und wieder
    klatscht der Mann in die Hand zu dem Ansprung, und eh dir
    jemals ein Schmerz deutlicher wird in der Nähe des immer
    trabenden Herzens, kommt das Brennen der Fußsohln
    ihm, seinem Ursprung, zuvor mit ein paar dir
    rasch in die Augen gejagten leiblichen Tränen.
    Und dennoch, blindlings,
    das Lächeln . . . . .


    Engel! o nimms, pflücks, das kleinblütige Heilkraut.
    Schaff eine Vase, verwahrs! Stells unter jene, uns noch nicht
    offenen Freuden; in lieblicher Urne
    rühms mit blumiger schwungiger Aufschrift: > Subrisio Saltat.<.
    Du dann, Liebliche,
    du, von den reizendsten Freuden
    stumm Übersprungne. Vielleicht sind
    deine Fransen glücklich für dich –,
    oder über den jungen
    prallen Brüsten die grüne metallene Seide
    fühlt sich unendlich verwöhnt und entbehrt nichts.
    Du,
    immerfort anders auf alle des Gleichgewichts schwankende Waagen
    hingelegte Marktfrucht des Gleichmuts,
    öffentlich unter den Schultern.


    Wo, o wo ist der Ort – ich trag ihn im Herzen –,
    wo sie noch lange nicht konnten, noch voneinander
    abfieln, wie sich bespringende, nicht recht
    paarige Tiere; –
    wo die Gewichte noch schwer sind;
    wo noch von ihren vergeblich
    wirbelnden Stäben die Teller
    torkeln . . . . .


    Und plötzlich in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich
    die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig
    unbegreiflich verwandelt –, umspringt
    in jenes leere Zuviel.
    Wo die vielstellige Rechnung
    zahlenlos aufgeht.


    Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,
    wo die Modistin, Madame Lamort,
    die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,
    schlingt und windet und neue aus ihnen
    Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte –, alle
    unwahr gefärbt, – für die billigen
    Winterhüte des Schicksals.
    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


    Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten,
    auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die's hier
    bis zum Können nie bringen, ihre kühnen
    hohen Figuren des Herzschwungs,
    ihre Türme aus Lust, ihre
    längst, wo Boden nie war, nur an einander
    lehnenden Leitern, bebend, – und könntens,
    vor den Zuschauern rings, unzähligen lautlosen Toten:
    Würfen die dann ihre letzten, immer ersparten,
    immer verborgenen, die wir nicht kennen, ewig
    gültigen Münzen des Glücks vor das endlich
    wahrhaft lächelnde Paar auf gestilltem
    Teppich?

    DIE SECHSTE ELEGIE

    FEIGENBAUM, seit wie lange schon ists mir bedeutend,
    wie du die Blüte beinah ganz überschlägst
    und hinein in die zeitig entschlossene Frucht,
    ungerühmt, drängst dein reines Geheimnis.
    Wie der Fontäne Rohr treibt dein gebognes Gezweig
    abwärts den Saft und hinan: und er springt aus dem Schlaf,
    fast nicht erwachend, ins Glück seiner süßesten Leistung.
    Sieh: wie der Gott in den Schwan. . . . . . . Wir aber verweilen,
    ach, uns rühmt es zu blühn, und ins verspätete Innre
    unserer endlichen Frucht gehn wir verraten hinein.
    Wenigen steigt so stark der Andrang des Handelns,
    daß sie schon anstehn und glühn in der Fülle des Herzens,
    wenn die Verführung zum Blühn wie gelinderte Nachtluft
    ihnen die Jugend des Munds, ihnen die Lider berührt:
    Helden vielleicht und den frühe Hinüberbestimmten,
    denen der gärtnernde Tod anders die Adern verbiegt.
    Diese stürzen dahin: dem eigenen Lächeln
    sind sie voran, wie das Rossegespann in den milden
    muldigen Bildern von Karnak dem siegenden König.


    Wunderlich nah ist der Held doch den jugendlich Toten. Dauern
    ficht ihn nicht an. Sein Aufgang ist Dasein; beständig
    nimmt er sich fort und tritt ins veränderte Sternbild
    seiner steten Gefahr. Dort fänden ihn wenige. Aber,
    das uns finster verschweigt, das plötzlich begeisterte Schicksal
    singt ihn hinein in den Sturm seiner aufrauschenden Welt.
    Hör ich doch keinen wie ihn. Auf einmal durchgeht mich
    mit der strömenden Luft sein verdunkelter Ton.


    Dann, wie verbärg ich mich gern vor der Sehnsucht: O wär ich,
    wär ich ein Knabe und dürft es noch werden und säße
    in die künftigen Arme gestützt und läse von Simson,
    wie seine Mutter erst nichts und dann alles gebar.


    War er nicht Held schon in dir, o Mutter, begann nicht
    dort schon, in dir, seine herrische Auswahl?
    Tausende brauten im Schooß und wollten er sein,
    aber sieh: er ergriff und ließ aus –, wählte und konnte.
    Und wenn er Säulen zerstieß, so wars, da er ausbrach
    aus der Welt deines Leibs in die engere Welt, wo er weiter
    wählte und konnte. O Mütter der Helden, o Ursprung
    reißender Ströme! Ihr Schluchten, in die sich
    hoch von dem Herzrand, klagend,
    schon die Mädchen gestürzt, künftig die Opfer dem Sohn.


    Denn hinstürmte der Held durch Aufenthalte der Liebe,
    jeder hob ihn hinaus, jeder ihn meinende Herzschlag,
    abgewendet schon, stand er am Ende der Lächeln, – anders.

    DIE SIEBENTE ELEGIE

    WERBUNG nicht mehr, nicht Werbung, entwachsene Stimme,
    sei deines Schreies Natur; zwar schrieest du rein wie der Vogel,
    wenn ihn die Jahreszeit aufhebt, die steigende, beinah vergessend,
    daß er ein kümmerndes Tier und nicht nur ein einzelnes Herz sei,
    das sie ins Heitere wirft, in die innigen Himmel. Wie er, so
    würbest du wohl, nicht minder –, daß, noch unsichtbar,
    dich die Freundin erführ, die stille, in der eine Antwort
    langsam erwacht und über dem Hören sich anwärmt, –
    deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin.


    O und der Frühling begriffe –, da ist keine Stelle,
    die nicht trüge den Ton der Verkündigung. Erst jenen kleinen
    fragenden Auflaut, den, mit steigernder Stille,
    weithin umschweigt ein reiner bejahender Tag.
    Dann die Stufen hinan, Ruf-Stufen hinan, zum geträumten
    Tempel der Zukunft –; dann den Triller, Fontäne,
    die zu dem drängenden Strahl schon das Fallen zuvornimmt
    im versprechlichen Spiel . . . . Und vor sich, den Sommer.


    Nicht nur die Morgen alles des Sommers –, nicht nur
    wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.
    Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,
    um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.
    Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,
    nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,
    nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,
    nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends . . .
    sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers,
    Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.
    O einst tot sein und sie wissen unendlich,
    alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!


    Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur
    käme . . . Es kämen aus schwächlichen Gräbern
    Mädchen und ständen . . . Denn wie beschränk ich,
    wie, den gerufenen Ruf? Die Versunkenen suchen
    immer noch Erde. – Ihr Kinder, ein hiesig
    einmal ergriffenes Ding gälte für viele.
    Glaubt nicht, Schicksal sei mehr, als das Dichte der Kindheit;
    wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend,
    atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie.


    Hiersein ist herrlich. Ihr wußtet es, Mädchen, ihr auch,
    die ihr scheinbar entbehrtet, versankt –, ihr, in den ärgsten
    Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall
    Offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht
    ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum
    Meßliches zwischen zwei Weilen –, da sie ein Dasein
    hatte. Alles. Die Adern voll Dasein.
    Nur, wir vergessen so leicht, was der lachende Nachbar
    uns nicht bestätigt oder beneidet. Sichtbar
    wollen wirs heben, wo doch das sichtbarste Glück uns
    erst zu erkennen sich giebt, wenn wir es innen verwandeln.


    Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Unser
    Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer
    schwindet das Außen. Wo einmal ein dauerndes Haus war,
    schlägt sich erdachtes Gebild vor, quer, zu Erdenklichem
    völlig gehörig, als ständ es noch ganz im Gehirne.
    Weite Speicher der Kraft schafft sich der Zeitgeist, gestaltlos
    wie der spannende Drang, den er aus allem gewinnt.
    Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens, Verschwendung
    sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht,
    ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes –,
    hält es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin.
    Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil,
    daß sie's nun innerlich baun, mit Pfeilern und Statuen, größer!


    Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte,
    denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört.
    Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen. Uns soll
    dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung
    der noch erkannten Gestalt. – Dies stand einmal unter Menschen,
    mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten
    im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog
    Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel,
    dir noch zeig ich es, da! in deinem Anschaun
    steht es gerettet zuletzt, nun endlich aufrecht.
    Säulen, Pylone, der Sphinx, das strebende Stemmen,
    grau aus vergehender Stadt oder aus fremder, des Doms.


    War es nicht Wunder? O staune, Engel, denn wir sinds,
    wir, o du Großer, erzähls, daß wir solches vermochten, mein Atem
    reicht für die Rühmung nicht aus. So haben wir dennoch
    nicht die Räume versäumt, diese gewährenden, diese
    unseren Räume. (Was müssen sie fürchterlich groß sein,
    da sie Jahrtausende nicht unseres Fühlns überfülln.)
    Aber ein Turm war groß, nicht wahr? O Engel, er war es, –
    groß, auch noch neben dir? Chartres war groß –, und Musik
    reichte noch weiter hinan und überstieg uns. Doch selbst nur
    eine Liebende –, oh, allein am nächtlichen Fenster . . . .
    reichte sie dir nicht ans Knie –?
    Glaub nicht, daß ich werbe.
    Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht. Denn mein
    Anruf ist immer voll Hinweg; wider so starke
    Strömung kannst du nicht schreiten. Wie ein gestreckter
    Arm ist mein Rufen. Und seine zum Greifen
    oben offene Hand bleibt vor dir
    offen, wie Abwehr und Warnung,
    Unfaßlicher, weitauf.

    DIE ACHTE ELEGIE

    Rudolf Kassner zugeeignet

    MIT allen Augen sieht die Kreatur
    das Offene. Nur unsre Augen sind
    wie umgekehrt und ganz um sie gestellt
    als Fallen, rings um ihren freien Ausgang.
    Was draußen ist, wir wissens aus des Tiers
    Antlitz allein; denn schon das frühe Kind
    wenden wir um und zwingens, daß es rückwärts
    Gestaltung sehe, nicht das Offne, das
    im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod.
    Ihn sehen wir allein; das freie Tier
    hat seinen Untergang stets hinter sich
    und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts
    in Ewigkeit, so wie die Brunnen gehen.
    Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag,
    den reinen Raum vor uns, in den die Blumen
    unendlich aufgehn. Immer ist es Welt
    und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine,
    Unüberwachte, das man atmet und
    unendlich weiß und nicht begehrt. Als Kind
    verliert sich eins im Stilln an dies und wird
    gerüttelt. Oder jener stirbt und ists.
    Denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr
    und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick.
    Liebende, wäre nicht der andre, der
    die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen . . .
    Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan
    hinter dem andern . . . Aber über ihn
    kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt.
    Der Schöpfung immer zugewendet, sehn
    wir nur auf ihr die Spiegelung des Frein,
    von uns verdunkelt. Oder daß ein Tier,
    ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch.
    Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein
    und nichts als das und immer gegenüber.


    Wäre Bewußtheit unsrer Art in dem
    sicheren Tier, das uns entgegenzieht
    in anderer Richtung –, riß es uns herum
    mit seinem Wandel. Doch sein Sein ist ihm
    unendlich, ungefaßt und ohne Blick
    auf seinen Zustand, rein, so wie sein Ausblick.
    Und wo wir Zukunft sehn, dort sieht es Alles
    und sich in Allem und geheilt für immer.


    Und doch ist in dem wachsam warmen Tier
    Gewicht und Sorge einer großen Schwermut.
    Denn ihm auch haftet immer an, was uns
    oft überwältigt, – die Erinnerung,
    als sei schon einmal das, wonach man drängt,
    näher gewesen, treuer und sein Anschluß
    unendlich zärtlich. Hier ist alles Abstand,
    und dort wars Atem. Nach der ersten Heimat
    ist ihm die zweite zwitterig und windig.
    O Seligkeit der kleinen Kreatur,
    die immer bleibt im Schooße, der sie austrug;
    o Glück der Mücke, die noch innen hüpft,
    selbst wenn sie Hochzeit hat: denn Schooß ist Alles.
    Und sieh die halbe Sicherheit des Vogels,
    der beinah beides weiß aus seinem Ursprung,
    als wär er eine Seele der Etrusker,
    aus einem Toten, den ein Raum empfing,
    doch mit der ruhenden Figur als Deckel.
    Und wie bestürzt ist eins, das fliegen muß
    und stammt aus einem Schooß. Wie vor sich selbst
    erschreckt, durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung
    durch eine Tasse geht. So reißt die Spur
    der Fledermaus durchs Porzellan des Abends.


    Und wir: Zuschauer, immer, überall,
    dem allen zugewandt und nie hinaus!
    Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
    Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.


    Wer hat uns also umgedreht, daß wir,
    was wir auch tun, in jener Haltung sind
    von einem, welcher fortgeht? Wie er auf
    dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal
    noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt –,
    so leben wir und nehmen immer Abschied.

    DIE NEUNTE ELEGIE

    WARUM, wenn es angeht, also die Frist des Daseins
    hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles
    andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem
    Blattrand (wie eines Windes Lächeln) –: warum dann
    Menschliches müssen – und, Schicksal vermeidend,
    sich sehnen nach Schicksal?. . .

    Oh, nicht, weil Glück ist,
    dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.
    Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens,
    das auch im Lorbeer wäre . . . . .


    Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar
    alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das
    seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal
    jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nichtmehr. Und wir auch
    ein Mal. Nie wieder. Aber dieses
    ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal:
    irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.


    Und so drängen wir uns und wollen es leisten,
    wollens enthalten in unsern einfachen Händen,
    im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.
    Wollen es werden. – Wem es geben? Am liebsten
    alles behalten für immer . . . Ach, in den andern Bezug,
    wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das hier
    langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.
    Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,
    also der Liebe lange Erfahrung, – also
    lauter Unsägliches. Aber später,
    unter den Sternen, was solls: die sind besser unsäglich.
    Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands
    nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die Allen unsägliche, sondern
    ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blaun
    Enzian. Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
    Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, –
    höchstens: Säule, Turm . . . aber zu sagen, verstehs,
    oh zu sagen so, wie selber die Dinge niemals
    innig meinten zu sein. Ist nicht die heimliche List
    dieser verschwiegenen Erde, wenn sie die Liebenden drängt,
    daß sich in ihrem Gefühl jedes und jedes entzückt?
    Schwelle: was ists für zwei
    Liebende, daß sie die eigne ältere Schwelle der Tür
    ein wenig verbrauchen, auch sie, nach den vielen vorher
    und vor den Künftigen . . . ., leicht.


    Hier ist des Säglichen Zeit, hier seine Heimat.
    Sprich und bekenn. Mehr als je
    fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,
    was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.
    Tun unter Krusten, die willig zerspringen, sobald
    innen das Handeln entwächst und sich anders begrenzt.
    Zwischen den Hämmern besteht
    unser Herz, wie die Zunge
    zwischen den Zähnen, die doch,
    dennoch, die preisende bleibt.


    Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm
    kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,
    wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig
    ihm das Einfache, das von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,
    als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.
    Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standest
    bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.
    Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser,
    wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt,
    dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding –, und jenseits
    selig der Geige entgeht. – Und diese, von Hingang
    lebenden Dinge verstehn, daß du sie rühmst; vergänglich,
    traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.
    Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen verwandeln
    in – o unendlich – in uns! Wer wir am Ende auch seien.


    Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
    in uns erstehn? – Ist es dein Traum nicht,
    einmal unsichtbar zu sein? – Erde! unsichtbar!
    Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?
    Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte
    nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen –, einer,
    ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.
    Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.
    Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall
    ist der vertrauliche Tod.


    Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
    werden weniger . . . . . Überzähliges Dasein
    entspringt mir im Herzen.

    DIE ZEHNTE ELEGIE

    DASS ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht,
    Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.
    Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens
    keiner versage an weichen, zweifelnden oder
    reißenden Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz
    glänzender mache; daß das unscheinbare Weinen
    blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,
    gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,
    hinnahm, nicht in euer gelöstes
    Haar mich gelöster ergab. Wir, Vergeuder der Schmerzen.
    Wie wir sie absehn voraus, in die traurige Dauer,
    ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja
    unser winterwähriges Laub, unser dunkeles Sinngrün,
    eine der Zeiten des heimlichen Jahres –, nicht nur
    Zeit –, sind Stelle, Siedelung, Lager, Boden, Wohnort.


    Freilich, wehe, wie fremd sind die Gassen der Leid-Stadt,
    wo in der falschen, aus Übertönung gemachten
    Stille, stark, aus der Gußform des Leeren der Ausguß
    prahlt: der vergoldete Lärm, das platzende Denkmal.
    O, wie spurlos zerträte ein Engel ihnen den Trostmarkt,
    den die Kirche begrenzt, ihre fertig gekaufte:
    reinlich und zu und enttäuscht wie ein Postamt am Sonntag.
    Draußen aber kräuseln sich immer die Ränder von Jahrmarkt.
    Schaukeln der Freiheit! Taucher und Gaukler des Eifers!
    Und des behübschten Glücks figürliche Schießstatt,
    wo es zappelt von Ziel und sich blechern benimmt,
    wenn ein Geschickterer trifft. Von Beifall zu Zufall
    taumelt er weiter; denn Buden jeglicher Neugier
    werben, trommeln und plärrn. Für Erwachsene aber
    ist noch besonders zu sehn, wie das Geld sich vermehrt, anatomisch,
    nicht zur Belustigung nur: der Geschlechtsteil des Gelds,
    alles, das Ganze, der Vorgang –, das unterrichtet und macht
    fruchtbar . . . . . . . . .
    . . . . Oh aber gleich darüber hinaus,
    hinter der letzten Planke, beklebt mit Plakaten des >Todlos<,
    jenes bitteren Biers, das den Trinkenden süß scheint,
    wenn sie immer dazu frische Zerstreuungen kaun . . .,
    gleich im Rücken der Planke, gleich dahinter, ists wirklich.
    Kinder spielen, und Liebende halten einander, – abseits,
    ernst, im ärmlichen Gras, und Hunde haben Natur.
    Weiter noch zieht es den Jüngling; vielleicht, daß er eine junge
    Klage liebt . . . . . Hinter ihr her kommt er in Wiesen. Sie sagt:
    – Weit. Wir wohnen dort draußen . . . . Wo? Und der Jüngling
    folgt. Ihn rührt ihre Haltung. Die Schulter, der Hals –, vielleicht
    ist sie von herrlicher Herkunft. Aber er läßt sie, kehrt um,
    wendet sich, winkt . . . Was solls? Sie ist eine Klage.


    Nur die jungen Toten, im ersten Zustand
    zeitlosen Gleichmuts, dem der Entwöhnung,
    folgen ihr liebend. Mädchen
    wartet sie ab und befreundet sie. Zeigt ihnen leise,
    was sie an sich hat. Perlen des Leids und die feinen
    Schleier der Duldung. – Mit Jünglingen geht sie
    schweigend.


    Aber dort, wo sie wohnen, im Tal, der Älteren eine, der Klagen,
    nimmt sich des Jünglings an, wenn er fragt: – Wir waren,
    sagt sie, ein Großes Geschlecht, einmal, wir Klagen. Die Väter
    trieben den Bergbau dort in dem großen Gebirg; bei Menschen
    findest du manchmal ein Stück geschliffenes Ur-Leid
    oder, aus altem Vulkan, schlackig versteinerten Zorn.
    Ja, der stammte von dort. Einst waren wir reich. –


    Und sie leitet ihn leicht durch die weite Landschaft der Klagen,
    zeigt ihm die Säulen der Tempel oder die Trümmer
    jener Burgen, von wo Klage-Fürsten das Land
    einstens weise beherrscht. Zeigt ihm die hohen
    Tränenbäume und Felder blühender Wehmut,
    (Lebendige kennen sie nur als sanftes Blattwerk);
    zeigt ihm die Tiere der Trauer, weidend, – und manchmal
    schreckt ein Vogel und zieht, flach ihnen fliegend durchs Aufschaun,
    weithin das schriftliche Bild seines vereinsamten Schreis. –
    Abends führt sie ihn hin zu den Gräbern der Alten
    aus dem Klage-Geschlecht, den Sibyllen und Warn-Herrn.
    Naht aber Nacht, so wandeln sie leiser, und bald
    mondets empor, das über Alles
    wachende Grab-Mal. Brüderlich jenem am Nil,
    der erhabene Sphinx –: der verschwiegenen Kammer
    Antlitz.
    Und sie staunen dem krönlichen Haupt, das für immer,
    schweigend, der Menschen Gesicht
    auf die Waage der Sterne gelegt.


    Nicht erfaßt es sein Blick, im Frühtod
    schwindelnd. Aber ihr Schaun,
    hinter dem Pschent-Rand hervor, scheucht es die Eule. Und sie,
    streifend im langsamen Abstrich die Wange entlang,
    jene der reifesten Rundung,
    zeichnet weich in das neue
    Totengehör, über ein doppelt
    aufgeschlagenes Blatt, den unbeschreiblichen Umriß.


    Und höher, die Sterne. Neue. Die Sterne des Leidlands.
    Langsam nennt sie die Klage: – Hier,
    siehe: den Reiter, den Stab, und das vollere Sternbild
    nennen sie: Fruchtkranz. Dann, weiter, dem Pol zu:
    Wiege; Weg; Das Brennende Buch; Puppe; Fenster.
    Aber im südlichen Himmel, rein wie im Innern
    einer gesegneten Hand, das klar erglänzende > M<,
    das die Mütter bedeutet . . . . . . –


    Doch der Tote muß fort, und schweigend bringt ihn die ältere
    Klage bis an die Talschlucht,
    wo es schimmert im Mondschein:
    die Quelle der Freude. In Ehrfurcht
    nennt sie sie, sagt: – Bei den Menschen
    ist sie ein tragender Strom. –


    Stehn am Fuß des Gebirgs.
    Und da umarmt sie ihn, weinend.


    Einsam steigt er dahin, in die Berge des Ur-Leids.
    Und nicht einmal sein Schritt klingt aus dem tonlosen Los.


    Aber erweckten sie uns, die unendlich Toten, ein Gleichnis,
    siehe, sie zeigten vielleicht auf die Kätzchen der leeren
    Hasel, die hängenden, oder
    meinten den Regen, der fällt auf dunkles Erdreich im Frühjahr. –


    Und wir, die an steigendes Glück
    denken, empfänden die Rührung,
    die uns beinah bestürzt,
    wenn ein Glückliches fällt.