Tätowier-Bilder - Timm Ulrichs
Im Jahr 1974 lässt Ulrichs sich im Goethe-Institut in Barcelona über dem Herzen eine Zielscheibe tätowieren; er „tätowierte sich zur lebenden Zielscheibe“.[1] Die Tätowierung wurde von Ramón Draper[2], einem spanischen Fremdenlegionär hand-poked durchgeführt[3]; „mehr gerissen als gestochen“, wie Ulrichs selbst bemerkte. Ulrichs wollte, nach eigenem Bekunden, „mit einem politischen Manifest die Gegner des Franquismus unterstützen.“[4] Die Idee zu dieser Aktion stammt aus dem Jahr 1971.[5] Bilder der von Streckenbach nachbearbeiteten Zielscheibentätowierung[6][7] wurden erstmals im Rahmen der Sonderausstellung Tattoo-Legenden. Christian Warlich auf St. Pauli (2019/20), Abteilung Streckenbach-Kohrs-Ulrichs, im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigt.[8]
„tätowierungen interpretieren menschliche haut als schreib- und mal-fläche, als ‚shaped canvas‘, die auf den skelettrahmen des körpers hauteng und hautnah aufgespannt ist. kunst und literatur, so auf den leib geschrieben und ins fleisch geschnitten, sind da tatsächlich fleisch geworden in unmittelbarer, einfleischender ‚inkarnation‘: „das wort ward fleisch“ (joh. 1, 14). ein ‚bild-träger‘, der auf diese weise ein für allemal gezeichnet und gekennzeichnet ist, trägt seine (kunst-)haut allemal bekenntnishafter zu markte als ein normaler kunstsammler, der sich von seinen bildern leicht wieder trennen kann.“
Im Rahmen der Ausstellung „Timm Ulrichs: Tätowier-Bilder“ (12. Januar – 9. März 1975) im Kunstverein Hannover, fand am 26. Januar 1975 eine Tätowier-Aktion statt, auf der Horst Streckenbach, neben sechs weiteren Personen, sein späteres Mentee Manfred Kohrs vor laufender Kamera des NDR tätowierte.[10][11][12] Eine Auswahl an Standard-Tätowiermotiven wurde 1975 von der Kestnergesellschaft- Hannover als Siebdruckmappe (limitiert 1-100/100, sign., dat. und nummeriert, 60 × 60 cm), herausgegeben.[13] Am 28. Januar 1975 berichtete der NDR in der Sendung Nordschau-Magazin über das „Happening im Kunstverein Hannover. „Sammy“ aus Frankfurt über seine Kunst und das Tätowieren“.[14]
„Mein Leben wird von der Geburt bis zum Tod ununterbrochen gefilmt“, plante Ulrichs bereits 1961. Auf sein rechtes Augenlid ließ er sich am 16. Mai 1981 ebenfalls von Streckenbach die Worte „The End“ tätowieren[15] – der Abspann für den ultimativ letzten Film.[16][17] Streckenbach hatte zunächst den Hannoveraner Tätowierer Manfred Kohrs für diese Arbeit vorgesehen. Es kam zwar 1980 zu einem Treffen zwischen Kohrs und Ulrichs, die Ausführung überließ Kohrs dann doch seinem Mentor Streckenbach, der über eine lange Erfahrung mit kosmetischen Tätowierungen im Gesicht verfügte.[18][19]
Das Ende ins Auge gefasst hat Timm Ulrichs 1970 im Rahmen seiner in Literatur, Aktion, Video und Fotografie ausgeführten Werkgruppe »Filmvorstellungen, vorgestellt« (1961–1971): „Um zu demonstrieren, daß alles, was in mein Blick-Feld fällt oder mir unter die Augen kommt, Film ist, beschrifte ich (mittels Tätowierung) meine Augenlid-Vorhänge (…) mit dem Wort, Ende‘: Schließen sie sich, ist auch mein Augen-Kino beendet. (…)“. Und 1984 schrieb er dazu (verkürzt): „Ist der Augenblick zu guter Letzt gekommen, da man mir die Augen zum ewigen Schlaf zudrückt, erscheint auf dem rechten Lid die Schlußpointe: die letzte Vorstellung einer bühnenreif intendierten Lebensführung und -aufführung.“ Die Arbeit 'The End' gehört zu den bekannteren Werken des Künstlers. Diese Installation umfasst ein Foto des geschlossenen Augenlides samt der Tätowierung, auf Leinwand 150 × 150 cm, sowie einen Videofilm in der Länge von 6 Minuten und 8 Sekunden, der die Aneinanderreihung von 60 »End« Einstellungen und Schlussbildern aus verschiedenen Filmklassikern zeigt und anschließend den am 16. Mai 1981 in Samy´s Tattoo Studio, in Frankfurt am Main, durchgeführten Tätowiervorgang.[20][21]
Zuletzt ließ er sich am 9. Dezember 2005, durch die Tätowiererin Manuela Langner -Tattoo-Studio sweet Pain Kassel-, an den Unterschenkel den Schriftzug „© by Timm Ulrichs“ tätowieren. Auch über diese Aktion wurde ein Film von fünf Minuten Länge gefertigt.[22][23]
Rezensionen
„Selbst wenn er sich – lange vor der Tätowierungsfuror junger Künstler – eine Zielscheibe auf die Brust tätowieren lässt oder die Worte »The End« aufs rechte Augenlid, setzt er stellvertretend ins Bild, was uns alle betrifft. Unser Leben ist fragil und endlich wie das seine, auch wenn es nicht auf unserer Brust und unseren Lidern steht. So gilt: Was immer der Künstler an Selbstrepräsentationen realisiert, es geht uns an wie ihn. Stets gelten seine Kunstaktionen und Ich-Manifestationen der Beschreibung der condition humaine im allgemeinen. Das heißt: Bescheidener als Timm Ulrichs hat sich kein Künstler je dem Genre des Selbstporträts und der Selbstdarstellung verschrieben.“
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- ↑ Marianne Winter in Braunschweiger Zeitung: Wer nicht denkt, fliegt raus! Eine Ausstellung im Kunstmuseum Celle vereint die Kunst-Rebellen Joseph Beuys und Timm Ulrichs Abgerufen am 29. Juni 2012
- ↑ Katinka Dittrich van Weringh: Wann vergeht Vergangenheit? Weilerswist-Metternich 2017, S. 42
- ↑ Manfred Kohrs: Tätowierungen in der bildenden Kunst des späten 20. Jahrhunderts, in: Tattoo Kulture Magazine 42, Januar/Februar 2021, S. 27.
- ↑ Norbert Joa: {{#invoke:Vorlage:Internetquelle|TitelFormat|titel={{#invoke:WLink|getEscapedTitle|1=Timm Ulrichs, Totalkünstler}}}} (Nicht mehr online verfügbar.) In: {{#invoke:Vorlage:Internetquelle|TitelFormat|titel=ardmediathek.de}} {{#invoke:DateTime|format|11. April 2017|T._Monat JJJJ}}Vorlage:Toter Link{{#invoke:Vorlage:Internetquelle|archivBot|stamp=2019-05-18 16:25:05 InternetArchiveBot|text= }} ehemals im <templatestyles src="Vorlage:IconExternal/styles.css" /> . {{#invoke:TemplatePar|check |all= url= titel= |opt= autor= hrsg= format= sprache= titelerg= werk= seiten= datum= abruf= zugriff= abruf-verborgen= archiv-url= archiv-datum= archiv-bot= kommentar= zitat= AT= CH= offline= |cat= Wikipedia:Vorlagenfehler/Vorlage:Internetquelle |template= Vorlage:Internetquelle |format=0 |preview=1 }}
- ↑ Timm Ulrichs als lebende menschliche Zielscheibe, 1971/1974
- ↑ Zwei Bildabzüge: „Nachtätowierung“ durch Horst Streckenbach/Frankfurt|Leihgaben der TATTOO-COLLECTION-KOHRS.
- ↑ Lt. Scheiben von Timm Ulrichs an das MHG vom 14. November 2019 "…als Samy die in Barcelona gestochene Zielscheibe retuschiert und nachgezeichnet hat (Sie stammt also nicht von ihm in Gänze.)
- ↑ Stiftung Historische Museen Hamburg: {{#invoke:Vorlage:Internetquelle|TitelFormat|titel={{#invoke:WLink|getEscapedTitle|1=Tattoo-Legenden. Christian Warlich auf St. Pauli}}}} (Nicht mehr online verfügbar.) In: {{#invoke:Vorlage:Internetquelle|TitelFormat|titel=Ruhr-Universität Bochum Wortmarke}} {{#invoke:DateTime|format|2018-04-11|T._Monat JJJJ}}Vorlage:Toter Link ehemals im <templatestyles src="Vorlage:IconExternal/styles.css" /> . {{#invoke:TemplatePar|check |all= url= titel= |opt= autor= hrsg= format= sprache= titelerg= werk= seiten= datum= abruf= zugriff= abruf-verborgen= archiv-url= archiv-datum= archiv-bot= kommentar= zitat= AT= CH= offline= |cat= Wikipedia:Vorlagenfehler/Vorlage:Internetquelle |template= Vorlage:Internetquelle |format=0 |preview=1 }}
- ↑ Caroline Rosenthal, Dirk Vanderbeke: Probing the Skin: Cultural Representations of Our Contact Zone. Cambridge Scholars Publishing 2015, ISBN 1-443-8751-8X, S. 274.
- ↑ HAZ, 23. April 1981, Tätowieren – eine besondere Kunst
- ↑ Hannoversche Allgemeine Zeitung, 27. Januar 1975, „Samy tätowierte sieben Häute“
- ↑ In: Paul-Henri Campbell: Tattoo & Religion. Die bunten Kathedralen des Selbst. S. 89. Manfred Kohrs Geschichte machen, Geschichte schreiben.
- ↑ Bleibtreu-Galerie
- ↑ Vollinformation des NDR – Produktionsnummer 0007750128, NDR HH Medienbegleitkarte 12. Dezember 2008 St. (1, 2)
- ↑ THE END, Dokument einer Tätowieraktion von Horst Streckenbach, Samy´s Tattoo Studio, Frankfurt am Main, 16. Mai 1981, Timm Ulrichs: Ausstellungskatalog: Betreten der Ausstellung verboten, Hrsg. Kunstverein Hannover und Sprengelmuseum, 2011, S. 59
- ↑ Vgl. Christina Sticht, Timm Ulrichs: Pionier der Konzeptkunst, nw-news.de, 31. März 2010.
- ↑ situation-kunst.de Abgerufen am: 31. Oktober 2010
- ↑ Paul-Henri Campbell: Tattoo & Religion. Die bunten Kathedralen des Selbst. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2019, ISBN 978-3-88423-606-2. S. 90.
- ↑ Manfred Kohrs: Der vergessene Pionier – Horst H. Streckenbach. Tattoo-Samy, in: Tattoo Kulture Magazine 32, Mai/Juni 2019, S. 28–40.
- ↑ {{#invoke:WLink|getEscapedTitle|monopol-magazin.de: Timm Ulrichs - Den Blitz auf sich lenken}} (Memento vom 14. Juli 2014 im Internet Archive) , Abgerufen am 28. Juni 2012.
- ↑ Timm Ulrichs: Betreten der Ausstellung verboten, Hrsg. Kunstverein Hannover und Sprengelmuseum Hannover, 2011, S. 59
- ↑ sueddeutsche.de: Ausstellung: Timm Ulrichs – Die Kunst der Egomanie Abgerufen am 28. Juni 2012
- ↑ Timm Ulrichs: Betreten der Ausstellung verboten, Hrsg. Kunstverein Hannover und Sprengelmuseum Hannover, 2011, S. 170