Schiller, Friedrich (1759-1805): Don Carlos, Infant von Spanien




Einleitung

In diesem aiMOOC dreht sich alles um Friedrich Schillers Drama "Don Carlos, Infant von Spanien". Das 1787 uraufgeführte Drama ist ein Schlüsselwerk der deutschen Literatur und stellt komplexe Fragen zu Macht, Freiheit und menschlichen Beziehungen in den Vordergrund. Dieser Kurs bietet Dir einen umfassenden Einblick in die Entstehungsgeschichte, die Charaktere, die zentralen Themen sowie die historischen und gesellschaftlichen Kontexte, die Schiller zu diesem Meisterwerk inspiriert haben.


Friedrich Schiller und die Entstehung von Don Carlos

Friedrich Schiller (1759-1805) war ein deutscher Dichter, Philosoph und Historiker, der neben Goethe als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Literatur gilt. "Don Carlos" markiert einen Wendepunkt in Schillers Schaffen, da er sich hier intensiv mit den Idealen der Aufklärung und des Sturm und Drang auseinandersetzt.

  1. Die Entstehung des Werkes begann 1783 und zog sich über mehrere Jahre hinweg.
  2. Schiller ließ sich von historischen Ereignissen und Persönlichkeiten inspirieren, insbesondere von der spanischen Geschichte und dem Konflikt zwischen Philip II. und seinem Sohn Don Carlos.
  3. Die endgültige Fassung des Dramas, die wir heute kennen, wurde 1787 fertiggestellt und uraufgeführt.


Charaktere und Handlung

"Don Carlos" ist reich an komplexen Charakteren, deren Schicksale eng miteinander verflochten sind. Im Zentrum stehen:

  1. Don Carlos, der Infant von Spanien, ein junger Prinz voller idealistischer Vorstellungen.
  2. König Philipp II., sein Vater, dessen strenge Herrschaft und kühle Distanz das Familienleben prägt.
  3. Elisabeth von Valois, ursprünglich Don Carlos' Verlobte, später aber mit Philipp II. verheiratet.
  4. Der Marquis von Posa, Don Carlos' engster Freund, der sich für Freiheit und gegen Unterdrückung einsetzt.

Die Handlung des Dramas entfaltet sich vor dem Hintergrund politischer Intrigen, familiärer Konflikte und philosophischer Debatten über Freiheit und Tyrannei.


Zentrale Themen

"Don Carlos" greift eine Vielzahl von Themen auf, die auch heute noch relevant sind:

  1. Die Suche nach persönlicher Freiheit gegenüber staatlicher Macht und Autorität.
  2. Der Konflikt zwischen persönlichem Glück und politischer Verantwortung.
  3. Die Rolle der Freundschaft und des Vertrauens in Zeiten politischer Unsicherheit.
  4. Die Frage nach der Legitimität von Rebellion gegen tyrannische Herrschaft.


Interaktive Aufgaben


Quiz: Teste Dein Wissen

Wer ist der Autor von "Don Carlos, Infant von Spanien"? (Friedrich Schiller) (!Johann Wolfgang von Goethe) (!Heinrich Heine) (!Thomas Mann)

In welchem Jahr wurde "Don Carlos" uraufgeführt? (1787) (!1789) (!1791) (!1804)

Wer ist der engste Freund von Don Carlos im Drama? (Der Marquis von Posa) (!Duke von Alba) (!Rodrigo) (!Graf von Lerma)

Für welche Werte setzt sich der Marquis von Posa ein? (Freiheit und Gegen Unterdrückung) (!Krieg und Eroberung) (!Reichtum und Macht) (!Kunst und Kultur)

Was ist ein zentrales Thema in "Don Carlos"? (Die Suche nach persönlicher Freiheit) (!Die Entdeckung Amerikas) (!Die Liebe zur Natur) (!Die Industrialisierung)

Mit wem ist Elisabeth von Valois im Drama verheiratet? (König Philipp II.) (!Don Carlos) (!Der Marquis von Posa) (!Duke von Alba)

Aus welchem literarischen Zeitalter stammt "Don Carlos"? (Sturm und Drang/Aufklärung) (!Barock) (!Romantik) (!Realismus)

Welcher historische Konflikt inspirierte Schiller zu "Don Carlos"? (Der Konflikt zwischen Philip II. von Spanien und seinem Sohn) (!Der Dreißigjährige Krieg) (!Die Französische Revolution) (!Die Unabhängigkeitskriege in Amerika)

Was symbolisiert Don Carlos' Kampf im Drama? (Den Kampf zwischen Idealismus und Realpolitik) (!Den Kampf zwischen Gut und Böse) (!Den Kampf der Klassen) (!Den Kampf zwischen Mensch und Natur)

Wie endet "Don Carlos"? (Mit dem Scheitern der Protagonisten) (!Mit einem glücklichen Ende für alle) (!Mit der Krönung von Don Carlos) (!Mit dem Frieden zwischen Vater und Sohn)





Memory

Friedrich Schiller Autor von Don Carlos
1787 Jahr der Uraufführung
Marquis von Posa Freund von Don Carlos
Freiheit Zentrales Thema
Philipp II. Vater von Don Carlos





Kreuzworträtsel

schiller Wer ist der Autor von "Don Carlos, Infant von Spanien"?
posa Wer ist der engste Freund von Don Carlos?
freiheit Welches zentrale Thema behandelt das Drama?
philipp Mit wem ist Elisabeth von Valois verheiratet?
achtzehnsiebenundsiebzig In welchem Jahr wurde "Don Carlos" uraufgeführt?
aufklaerung Aus welchem literarischen Zeitalter stammt "Don Carlos"?
spanien Welches Land bildet den historischen Hintergrund des Dramas?




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Lückentext

Vervollständige den Text.

Don Carlos wurde von

geschrieben und

uraufgeführt. Der engste Freund von Don Carlos im Drama ist

, der sich für

und gegen Unterdrückung einsetzt. Ein zentrales Thema in "Don Carlos" ist die

.


Offene Aufgaben

Leicht

  1. Erstelle eine Zeittafel, die wichtige Lebensdaten von Friedrich Schiller und die Entstehung von "Don Carlos" darstellt.
  2. Skizziere die Beziehungen zwischen den Hauptcharakteren in "Don Carlos" mithilfe einer Mindmap.

Standard

  1. Verfasse einen Brief aus der Perspektive von Don Carlos an den Marquis von Posa, in dem Du Deine Gedanken zur Freiheit und G


User weiter GPT erechtigkeit zum Ausdruck bringst.

  1. Analysiere, wie das Thema Freiheit in "Don Carlos" dargestellt wird und vergleiche es mit einem anderen literarischen Werk, das sich mit Freiheit beschäftigt.

Schwer

  1. Untersuche die historischen Genauigkeiten und Abweichungen in Schillers "Don Carlos". Recherchiere dazu die echte Geschichte von Don Carlos und Philipp II. von Spanien.
  2. Entwickle ein alternatives Ende für "Don Carlos", das auf den Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit basiert. Schreibe ein kurzes Theaterstück oder Drehbuch, das Deine Vision darstellt.




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Mündliche Prüfung

  1. Diskutiere, inwiefern "Don Carlos" als ein politisches Statement Schillers gegenüber der absolutistischen Herrschaft seiner Zeit verstanden werden kann.
  2. Erörtere die Rolle des Marquis von Posa im Drama. Inwiefern verkörpert er die Ideale der Aufklärung?
  3. Analysiere die Beziehung zwischen Don Carlos und seinem Vater Philipp II. Welche psychologischen und politischen Dimensionen werden hier beleuchtet?
  4. Reflektiere über das Motiv der unerfüllten Liebe in "Don Carlos". Wie beeinflusst dieses Motiv die Handlung und die Entwicklung der Charaktere?
  5. Bewerte die Aktualität von "Don Carlos" für die heutige Zeit. Welche Themen des Dramas sind auch heute noch relevant und warum?


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    Personen:

    Philipp II, König von Spanien.
    Elisabeth von Valois, seine Gemahlin.
    Don Carlos, der Kronprinz.
    Alexander Farnese, Prinz von Parma, Neffe des Königs.
    Infantin Clara Eugenia, ein Kind von drei Jahren.
    Herzogin von Olivarez, Oberhofmeisterin.
    Marquisin von Mondecar,
    Prinzessin von Eboli
    und
    Gräfin Fuentes,
    Damen der Königin.
    Marquis von Posa, ein Malteserritter.

    Granden von Spanien:
    Herzog von Alba.
    Graf von Lerma, Oberster der Leibwache.
    Herzog von Feria, Ritter des Vließes.
    Herzog von Medina Sidonia, Admiral.
    Don Raimond von Taxis, Oberpostmeister.
    Domingo, Beichtvater des Königs.
    Der Großinquisitor des Königreichs.
    Der Prior eines Carthäuserklosters.
    Ein Page der Königin
    Don Ludwig Mercado, Leibarzt der Königin.

    Mehrere Damen und Granden. Pagen. Officiere. Die Leibwache und verschiedene stumme Personen.

    Erster Akt.

    Der königliche Garten in Aranjuez.

    Erster Auftritt.

    Carlos. Domingo.

    Domingo. Die schönen Tage in Aranjuez
    Sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit
    Verlassen es nicht heiterer. Wir sind
    Vergebens hier gewesen. Brechen Sie
    Dies räthselhafte Schweigen. Oeffnen Sie
    Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz. Zu theuer
    Kann der Monarch die Ruhe seines Sohns –
    Des einz'gen Sohns – zu theuer nie erkaufen.
    (Carlos sieht zur Erde und schweigt.)
    Wär' noch ein Wunsch zurücke, den der Himmel
    Dem liebsten seiner Söhne weigerte?
    Ich stand dabei, als in Toledos Mauern
    Der stolze Carl die Huldigung empfing,
    Als Fürsten sich zu seinem Handkuß drängten
    Und jetzt in einem – einem Niederfall
    Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen –
    Ich stand und sah das junge stolze Blut
    In seine Wangen steigen, seinen Busen
    Von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah
    Sein trunknes Aug durch die Versammlung fliegen,
    In Wonne brechen – Prinz, und dieses Auge
    Gestand: ich bin gesättigt. (Carlos wendet sich weg.)
    Dieser stille
    Und feierliche Kummer, Prinz, den wir
    Acht Monde schon in Ihrem Blicke lesen,
    Das Räthsel dieses ganzen Hofs, die Angst
    Des Königreichs, hat Seiner Majestät
    Schon manche sorgenvolle Nacht gekostet,
    Schon manche Thräne Ihrer Mutter.

    Carlos(dreht sich rasch um). Mutter?
    – O Himmel, gib, daß ich es dem vergesse,
    Der sie zu meiner Mutter machte!

    Domingo. Prinz?

    Carlos(besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stirne).
    Hochwürd'ger Herr – ich habe sehr viel Unglück
    Mit meinen Müttern. Meine erste Handlung,
    Als ich das Licht der Welt erblickte, war
    Ein Muttermord.

    Domingo. Ist's möglich, gnäd'ger Prinz?
    Kann dieser Vorwurf Ihr Gewissen drücken?

    Carlos. Und meine neue Mutter – hat sie mir
    Nicht meines Vaters Liebe schon gekostet?
    Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein ganzes
    Verdienst war noch, sein Einziger zu sein.
    Sie gab ihm eine Tochter – O, wer weiß,
    Was in der Zeiten Hintergrunde schlummert?

    Domingo. Sie spotten meiner, Prinz. Ganz Spanien
    Vergöttert seine Königin. Sie sollten
    Nur mit des Hasses Auge sie betrachten?
    Bei ihrem Anblick nur die Klugheit hören?
    Wie, Prinz? Die schönste Frau auf dieser Welt
    Und Königin – und ehmals Ihre Braut?
    Unmöglich, Prinz! Unglaublich! Nimmermehr!
    Wo Alles liebt, kann Carl allein nicht hassen;
    So seltsam widerspricht sich Carlos nicht.
    Verwahren Sie sich, Prinz, daß sie es nie,
    Wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre;
    Die Nachricht würde schmerzen.

    Carlos. Glauben Sie?

    Domingo. Wenn Eure Hoheit sich des letzteren
    Turniers zu Saragossa noch entsinnen,
    Wo unsern Herrn ein Lanzensplitter streifte –
    Die Königin mit ihren Damen saß
    Auf des Palastes mittlerer Tribune
    Und sah dem Kampfe zu. Auf einmal rief's:
    »Der König blutet!« – Man rennt durch einander,
    Ein dumpfes Murmeln dringt bis zu dem Ohr
    Der Königin. »Der Prinz?« ruft sie und will –
    Und will sich von dem obersten Geländer
    Herunter werfen. – »Nein, der König selbst!«
    Gibt man zur Antwort – »So laßt Aerzte holen!«
    Erwiedert sie, indem sie Athem schöpfte.
    (Nach einigem Stillschweigen.)
    Sie stehen in Gedanken?

    Carlos. Ich bewundre
    Des Königs lust'gen Beichtiger, der so
    Bewandert ist in witzigen Geschichten.
    (Ernsthaft und finster.)
    Doch hab' ich immer sagen hören, daß
    Geberdenspäher und Geschichtenträger
    Des Uebels mehr auf dieser Welt gethan,
    Als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten.
    Die Mühe, Herr, war zu ersparen. Wenn
    Sie Dank erwarten, gehen Sie zum König.

    Domingo. Sie thun sehr wohl, mein Prinz, sich vorzusehn
    Mit Menschen – nur mit Unterscheidung. Stoßen
    Sie mit dem Heuchler nicht den Freund zurück.
    Ich mein' es gut mit Ihnen.

    Carlos. Lassen Sie
    Das meinen Vater ja nicht merken. Sonst
    Sind Sie um Ihren Purpur.

    Domingo(stutzt). Wie?

    Carlos. Nun ja.
    Versprach er Ihnen nicht den ersten Purpur,
    Den Spanien vergeben würde?

    Domingo. Prinz,
    Sie spotten meiner.

    Carlos. Das verhüte Gott,
    Daß ich des fürchterlichen Mannes spotte,
    Der meinen Vater selig sprechen und
    Verdammen kann!

    Domingo. Ich will mich nicht
    Vermessen, Prinz, in das ehrwürdige
    Geheimniß Ihres Kummers einzudringen.
    Nur bitt' ich Eure Hoheit, eingedenk
    Zu sein, daß dem beängstigten Gewissen
    Die Kirche eine Zuflucht aufgethan,
    Wozu Monarchen keinen Schlüssel haben,
    Wo selber Missethaten unterm Siegel
    Des Sacramentes aufgehoben liegen –
    Sie wissen, was ich meine, Prinz. Ich habe
    Genug gesagt.

    Carlos. Nein, das soll ferne von mir sein,
    Daß ich den Siegelführer so versuchte!

    Domingo. Prinz, dieses Mißtraun – Sie verkennen Ihren
    Getreusten Diener.

    Carlos(faßt ihn bei der Hand). Also geben Sie
    Mich lieber auf. Sie sind ein heil'ger Mann,
    Das weiß die Welt – doch, frei heraus – für mich
    Sind Sie bereits zu überhäuft. Ihr Weg,
    Hochwürd'ger Vater, ist der weiteste,
    Bis Sie auf Peters Stuhle niedersitzen.
    Viel Wissen möchte Sie beschweren. Melden
    Sie das dem König, der Sie hergesandt.

    Domingo. Mich hergesandt?

    Carlos. So sagt' ich. O, zu gut
    Zu gut weiß ich, daß ich an diesem Hof
    Verrathen bin – ich weiß, daß hundert Augen
    Gedungen sind, mich zu bewachen, weiß,
    Daß König Philipp seinen einz'gen Sohn
    An seiner Knechte schlechtesten verkaufte
    Und jede von mir aufgefangne Sylbe
    Dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt,
    Als er noch keine gute That bezahlte.
    Ich weiß – O, still! Nichts mehr davon! Mein Herz
    Will überströmen, und ich habe schon
    Zu viel gesagt.

    Domingo. Der König ist gesonnen,
    Vor Abend in Madrid noch einzutreffen.
    Bereits versammelt ist der Hof. Hab' ich
    Die Gnade, Prinz –

    Carlos. Schon gut. Ich werde folgen.
    (Domingo geht ab. Nach einigem Stillschweigen.)
    Beweinenswerther Philipp, wie dein Sohn
    Beweinenswerth! – Schon seh' ich deine Seele
    Vom gift'gen Schlangenbiß des Argwohns bluten;
    Dein unglücksel'ger Vorwitz übereilt
    Die fürchterlichste der Entdeckungen,
    Und rasen wirst du, wenn du sie gemacht.

    Zweiter Auftritt.

    Carlos. Marquis von Posa.

    Carlos. Wer kommt? – Was seh' ich? O ihr guten Geister!
    Mein Roderich!

    Marquis. Mein Carlos!

    Carlos. Ist es möglich?
    Ist's wahr? Ist's wirklich? Bist du's? – O, du bist's!
    Ich drück' an meine Seele dich, ich fühle
    Die deinige allmächtig an mir schlagen.
    O, jetzt ist Alles wieder gut. In dieser
    Umarmung heilt mein krankes Herz. Ich liege
    Am Halse meines Roderich.

    Marquis. Ihr krankes,
    Ihr krankes Herz? Und was ist wieder gut?
    Was ist's, das wieder gut zu werden brauchte?
    Sie hören, was mich stutzen macht.

    Carlos. Und was
    Bringt dich so unverhofft aus Brüssel wieder?
    Wem dank' ich diese Ueberraschung? wem?
    Ich frage noch? Verzeih dem Freudetrunknen,
    Erhabne Vorsicht, diese Lästerung!
    Wem sonst als dir, Allgütigste? Du wußtest,
    Daß Carlos ohne Engel war, du sandtest
    Mir diesen, und ich frage noch?

    Marquis. Vergebung,
    Mein theurer Prinz, wenn ich dies stürmische
    Entzücken mit Bestürzung nur erwiedre.
    So war es nicht, wie ich Don Philipps Sohn
    Erwartete. Ein unnatürlich Roth
    Entzündet sich auf Ihren blassen Wangen,
    Und Ihre Lippen zittern fieberhaft.
    Was muß ich glauben, theurer Prinz? – Das ist
    Der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
    Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet –
    Denn jetzt steh' ich als Roderich nicht hier,
    Nicht als des Knaben Carlos Spielgeselle –
    Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
    Umarm' ich Sie – es sind die flandrischen
    Provinzen, die an Ihrem Halse weinen
    Und feierlich um Rettung Sie bestürmen.
    Gethan ist's um Ihr theures Land, wenn Alba,
    Des Fanatismus rauher Henkersknecht,
    Vor Brüssel rückt mit spanischen Gesetzen.
    Auf Kaiser Carls glorwürd'gem Enkel ruht
    Die letzte Hoffnung dieser edeln Lande.
    Sie stürzt dahin, wenn sein erhabnes Herz
    Vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen.

    Carlos. Sie stürzt dahin.

    Marquis. Weh mir! Was muß ich hören!

    Carlos. Du sprichst von Zeiten, die vergangen sind.
    Auch mir hat einst von einem Carl geträumt,
    Dem's feurig durch die Wangen lief, wenn man
    Von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben.
    Den du hier siehst, das ist der Carl nicht mehr,
    Der in Alcala von dir Abschied nahm,
    Der sich vermaß in süßer Trunkenheit,
    Der Schöpfer eines neuen goldnen Alters
    In Spanien zu werden – O, der Einfall
    War kindisch, aber göttlich schön! Vorbei
    Sind diese Träume. –

    Marquis. Träume, Prinz? – So wären
    Es Träume nur gewesen?

    Carlos. Laß mich weinen,
    An deinem Herzen heiße Thränen weinen,
    Du einz'ger Freund. Ich habe Niemand – Niemand –
    Auf dieser großen weiten Erde Niemand.
    So weit das Scepter meines Vaters reicht,
    So weit die Schifffahrt unsre Flaggen sendet,
    Ist keine Stelle – keine – keine, wo
    Ich meiner Thränen mich entlasten darf,
    Als diese. O, bei Allem, Roderich,
    Was du und ich dereinst im Himmel hoffen,
    Verjage mich von dieser Stelle nicht.

    Marquis(neigt sich über ihn mit sprachloser Rührung).

    Carlos. Berede dich, ich wär' ein Waisenkind,
    Das du am Thron mitleidig aufgelesen.
    Ich weiß ja nicht, was Vater heißt – ich bin
    Ein Königssohn – O, wenn es eintrifft, was
    Mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen
    Herausgefunden bist, mich zu verstehn,
    Wenn's wahr ist, daß die schaffende Natur
    Den Roderich im Carlos wiederholte
    Und unsrer Seelen zartes Saitenspiel
    Am Morgen unsers Lebens gleich bezog,
    Wenn eine Thräne, die mir Lindrung gibt,
    Dir theurer ist als meines Vaters Gnade –

    Marquis. O theurer als die ganze Welt.

    Carlos. So tief
    Bin ich gefallen – bin so arm geworden,
    Daß ich an unsre frühen Kinderjahre
    Dich mahnen muß – daß ich dich bitten muß,
    Die lang vergeßnen Schulden abzutragen,
    Die du noch im Matrosenkleide machtest –
    Als du und ich, zween Knaben wilder Art,
    So brüderlich zusammen aufgewachsen,
    Kein Schmerz mich drückte, als von deinem Geiste
    So sehr verdunkelt mich zu sehn – ich endlich
    Mich kühn entschloß, dich grenzenlos zu lieben,
    Weil mich der Muth verließ, dir gleich zu sein.
    Da fing ich an, mit tausend Zärtlichkeiten
    Und treuer Bruderliebe dich zu quälen;
    Du, stolzes Herz, gabst sie mir kalt zurück.
    Oft stand ich da, und – doch das sahst du nie!
    Und heiße, schwere Thränentropfen hingen
    In meinem Aug, wenn du, mich überhüpfend,
    Geringre Kinder in die Arme drücktest.
    Warum nur diese? rief ich trauernd aus:
    Bin ich dir nicht auch herzlich gut? – Du aber,
    Du knietest kalt und ernsthaft vor mir nieder:
    Das, sagtest du, gebührt dem Königssohn.

    Marquis. O stille, Prinz, von diesen kindischen
    Geschichten, die mich jetzt noch schamroth machen.

    Carlos. Ich hatt' es nicht um dich verdient. Verschmähen,
    Zerreißen konntest du mein Herz, doch nie
    Von dir entfernen. Dreimal wiesest du
    Den Fürsten von dir, dreimal kam er wieder
    Als Bittender, um Liebe dich zu flehn
    Und dir gewaltsam Liebe aufzudringen.
    Ein Zufall that, was Carlos nie gekonnt.
    Einmal geschah's bei unsern Spielen, daß
    Der Königin von Böhmen, meiner Tante,
    Der Federball ins Auge flog. Sie glaubte,
    Daß es mit Vorbedacht geschehn, und klagt' es
    Dem Könige mit thränendem Gesicht.
    Die ganze Jugend des Palastes muß
    Erscheinen, ihm den Schuldigen zu nennen.
    Der König schwört, die hinterlist'ge That,
    Und wär' es auch an seinem eignen Kinde,
    Aufs schrecklichste zu ahnden. – Damals sah ich
    Dich zitternd in der Ferne stehn, und jetzt,
    Jetzt trat ich vor und warf mich zu den Füßen
    Des Königs. Ich, ich that es, rief ich aus:
    An deinem Sohn erfülle deine Rache.

    Marquis. Ach, woran mahnen Sie mich, Prinz!

    Carlos. Sie ward's!
    Im Angesicht des ganzen Hofgesindes,
    Das mitleidsvoll im Kreise stand, ward sie
    Auf Sklavenart an deinem Carl vollzogen.
    Ich sah auf dich und weinte nicht. Der Schmerz
    Schlug meine Zähne knirschend an einander;
    Ich weinte nicht. Mein königliches Blut
    Floß schändlich unter unbarmherz'gen Streichen;
    Ich sah auf dich und weinte nicht. – Du kamst;
    Laut weinend sankst du mir zu Füßen. Ja,
    Ja, riefst du aus, mein Stolz ist überwunden,
    Ich will bezahlen, wenn du König bist.

    Marquis(reicht ihm die Hand).
    Ich will es, Carl. Das kindische Gelübde
    Erneur' ich jetzt als Mann. Ich will bezahlen.
    Auch meine Stunde schlägt vielleicht.

    Carlos. Jetzt, jetzt –
    O, zögre nicht – jetzt hat sie ja geschlagen.
    Die Zeit ist da, wo du es lösen kannst.
    Ich brauche Liebe. – Ein entsetzliches
    Geheimniß brennt in meiner Brust. Es soll,
    Es soll heraus. In deinen blassen Mienen
    Will ich das Urtheil meines Todes lesen.
    Hör' an – erstarre – doch erwiedre nichts –
    Ich liebe meine Mutter.

    Marquis. O mein Gott!

    Carlos. Nein! Diese Schonung will ich nicht. Sprich's aus,
    Sprich, daß auf diesem großen Rund der Erde
    Kein Elend an das meine grenze – sprich –
    Was du mir sagen kannst, errath' ich schon.
    Der Sohn liebt seine Mutter. Weltgebräuche,
    Die Ordnung der Natur und Roms Gesetze
    Verdammen diese Leidenschaft. Mein Anspruch
    Stößt fürchterlich auf meines Vaters Rechte.
    Ich fühl's, und dennoch lieb' ich. Dieser Weg
    Führt nur zum Wahnsinn oder Blutgerüste.
    Ich liebe ohne Hoffnung – lasterhaft –
    Mit Todesangst und mit Gefahr des Lebens –
    Das seh' ich ja, und dennoch lieb' ich.

    Marquis. Weiß
    Die Königin um diese Neigung?

    Carlos. Konnt' ich
    Mich ihr entdecken? Sie ist Philipps Frau
    Und Königin, und das ist span'scher Boden.
    Von meines Vaters Eifersucht bewacht,
    Von Etikette ringsum eingeschlossen,
    Wie konnt' ich ohne Zeugen mich ihr nahn?
    Acht höllenbange Monde sind es schon,
    Daß von der hohen Schule mich der König
    Zurückberief, daß ich sie täglich anzuschaun
    Verurtheilt bin und, wie das Grab, zu schweigen.
    Acht höllenbange Monde, Roderich,
    Daß dieses Feu'r in meinem Busen wüthet,
    Daß tausendmal sich das entsetzliche
    Geständniß schon auf meinen Lippen meldet,
    Doch scheu und feig zurück zum Herzen kriecht.
    O Roderich – nur wen'ge Augenblicke
    Allein mit ihr –

    Marquis. Ach! Und Ihr Vater, Prinz –

    Carlos. Unglücklicher! Warum an den mich mahnen?
    Sprich mir von all den Schrecken des Gewissens,
    Von meinem Vater sprich mir nicht.

    Carlos. Sie hassen Ihren Vater!

    Marquis. Nein! Ach, nein!
    Ich hasse meinen Vater nicht – Doch Schauer
    Und Missethäters-Bangigkeit ergreifen
    Bei diesem fürchterlichen Namen mich.
    Kann ich dafür, wenn eine knechtische
    Erziehung schon in meinem jungen Herzen
    Der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
    Hatt' ich gelebt, als mir zum ersten Mal
    Der Fürchterliche, der wie sie mir sagten,
    Mein Vater war, vor Augen kam. Es war
    An einem Morgen, wo er stehnden Fußes
    Vier Bluturtheile unterschrieb. Nach diesem
    Sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn
    Bestrafung angekündigt ward. – O Gott!
    Hier fühl' ich, daß ich bitter werde – Weg –
    Weg, weg von dieser Stelle!

    Marquis. Nein, Sie sollen,
    Jetzt sollen Sie sich öffnen, Prinz. In Worten
    Erleichtert sich der schwer beladne Busen.

    Carlos. Oft hab' ich mit mir selbst gerungen, oft
    Um Mitternacht, wenn meine Wachen schliefen,
    Mit heißen Thränengüssen vor das Bild
    Der Hochgebenedeiten mich geworfen,
    Sie um ein kindlich Herz gefleht – doch ohne
    Erhörung stand ich auf. Ach, Roderich!
    Enthülle du dies wunderbare Räthsel
    Der Vorsicht mir – Warum von tausend Vätern
    Just eben diesen Vater mir? Und ihm
    Just diesen Sohn von tausend bessern Söhnen?
    Zwei unverträglichere Gegentheile
    Fand die Natur in ihrem Umkreis nicht.
    Wie mochte sie die beiden letzten Enden
    Des menschlichen Geschlechtes – mich und ihn –
    Durch ein so heilig Band zusammen zwingen?
    Furchtbares Loos! Warum mußt' es geschehn?
    Warum zwei Menschen, die sich ewig meiden,
    In einem Wunsche schrecklich sich begegnen?
    Hier, Roderich, siehst du zwei feindliche
    Gestirne, die im ganzen Lauf der Zeiten
    Ein einzig Mal in scheitelrechter Bahn
    Zerschmetternd sich berühren, dann auf immer
    Und ewig aus einander fliehn.

    Marquis. Mir ahnet
    Ein unglücksvoller Augenblick.

    Carlos. Mir selbst.
    Wie Furien des Abgrunds folgen mir
    Die schauerlichsten Träume. Zweifelnd ringt
    Mein guter Geist mit gräßlichen Entwürfen;
    Durch labyrinthische Sophismen kriecht
    Mein unglücksel'ger Scharfsinn, bis er endlich
    Vor eines Abgrunds gähem Rachen stutzt –
    O Roderich, wenn ich den Vater je
    In ihm verlernte – Roderich – ich sehe,
    Dein todtenblasser Blick hat mich verstanden –
    Wenn ich den Vater je in ihm verlernte,
    Was würde mir der König sein?

    Marquis.(nach einigem Stillschweigen). Darf ich
    An meinen Carlos eine Bitte wagen?
    Was Sie auch Willens sind zu thun, versprechen Sie
    Nichts ohne Ihren Freund zu unternehmen.
    Versprechen Sie mir dieses?

    Carlos. Alles, Alles,
    Was deine Liebe mir gebeut. Ich werfe
    Mich ganz in deine Arme.

    Marquis. Wie man sagt,
    Will der Monarch zur Stadt zurückekehren.
    Die Zeit ist kurz. Wenn Sie die Königin
    Geheim zu sprechen wünschen, kann es nirgends
    Als in Aranjuez geschehn. Die Stille
    Des Orts – des Landes ungezwungne Sitte
    Begünstigen –

    Carlos. Das war auch meine Hoffnung.
    Doch, ach, sie war vergebens!

    Marquis. Nicht so ganz.
    Ich gehe, mich sogleich ihr vorzustellen.
    Ist sie in Spanien Dieselbe noch,
    Die sie vordem an Heinrichs Hof gewesen,
    So find' ich Offenherzigkeit. Kann ich
    In ihren Blicken Carlos' Hoffnung lesen,
    Find' ich zu dieser Unterredung sie
    Gestimmt – sind ihre Damen zu entfernen –

    Carlos. Die meisten sind mir zugethan. Besonders
    Die Mondecar hab' ich durch ihren Sohn,
    Der mir als Page dient, gewonnen. –

    Marquis. Desto besser.
    So sind Sie in der Nähe, Prinz, sogleich
    Auf mein gegebnes Zeichen zu erscheinen.

    Carlos. Das will ich – will ich – also eile nur.

    Marquis. Ich will nun keinen Augenblick verlieren.
    Dort also, Prinz, auf Wiedersehn!

    (Beide gehen ab zu verschiedenen Seiten.)

    Die Hofhaltung der Königin in Aranjuez.

    Eine einfache ländliche Gegend, von einer Allee durchschnitten, vom Landhause der Königin begrenzt.

    Dritter Auftritt.

    Die Königin. Die Herzogin von Olivarez. Die Prinzessin von Eboli und die Marquisin von Mondecar, welche die Allee heraufkommen.

    Königin(zur Marquisin). Sie will ich um mich haben, Mondecar.
    Die muntern Augen der Prinzessin quälen
    Mich schon den ganzen Morgen. Sehen Sie,
    Kaum weiß sie ihre Freude zu verbergen,
    Weil sie vom Lande Abschied nimmt.

    Eboli. Ich will es
    Nicht leugnen, meine Königin, daß ich
    Madrid mit großer Freude wieder sehe.

    Mondecar. Und Ihre Majestät nicht auch? Sie sollten
    So ungern von Aranjuez sich trennen?

    Königin. Von – dieser schönen Gegend wenigstens.
    Hier bin ich wie in meiner Welt. Dies Plätzchen
    Hab' ich mir längst zum Liebling auserlesen.
    Hier grüßt mich meine ländliche Natur,
    Die Busenfreundin meiner jungen Jahre.
    Hier find' ich meine Kinderspiele wieder,
    Und meines Frankreichs Lüfte wehen hier.
    Verargen Sie mir's nicht. Uns alle zieht
    Das Herz zum Vaterland.

    Eboli. Wie einsam aber,
    Wie todt und traurig ist es hier! Man glaubt
    Sich in la Trappe.

    Königin. Das Gegentheil vielmehr.
    Todt find' ich es nur in Madrid. – Doch, was
    Spricht unsre Herzogin dazu?

    Olivarez. Ich bin
    Der Meinung, Ihre Majestät, daß es
    So Sitte war, den einen Monat hier,
    Den andern in dem Pardo auszuhalten,
    Den Winter in der Residenz, so lange
    Es Könige in Spanien gegeben.

    Königin. Ja, Herzogin, das wissen Sie; mit Ihnen
    Hab' ich auf immer mich des Streits begeben.

    Mondecar. Und wie lebendig selbst mit Nächstem in
    Madrid sein wird! Zu einem Stiergefechte
    Wird schon die Plaza Mayor zugerichtet,
    Und ein Auto da Fe hat man uns auch
    Versprochen –

    Königin. Uns versprochen! Hör' ich das
    Von meiner sanften Mondecar?

    Mondecar. Warum nicht?
    Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht.

    Königin. Ich hoffe, meine Eboli denkt anders.

    Eboli. Ich? Ihre Majestät, ich bitte sehr,
    Für keine schlechtre Christin mich zu halten,
    Als die Marquisin Mondecar.

    Königin. Ach! Ich
    Vergesse, wo ich bin. – Zu etwas Anderm. –
    Vom Lande, glaub' ich, sprachen wir. Der Monat
    Ist, däucht mir, auch erstaunlich schnell vorüber.
    Ich habe mir der Freude viel, sehr viel
    Von diesem Aufenthalt versprochen, und
    Ich habe nicht gefunden, was ich hoffte.
    Geht es mit jeder Hoffnung so? Ich kann
    Den Wunsch nicht finden, der mir fehlgeschlagen.

    Olivarez. Prinzessin Eboli, Sie haben uns
    Noch nicht gesagt, ob Gomez hoffen darf?
    Ob wir sie bald als seine Braut begrüßen?

    Königin. Ja! Gut, daß Sie mich mahnen, Herzogin. (Zur Prinzessin.)
    Man bittet mich, bei Ihnen fürzusprechen.
    Wie aber kann ich das? Der Mann, den ich
    Mit meiner Eboli belohne, muß
    Ein würd'ger Mann sein.

    Olivarez. Ihre Majestät,
    Das ist er, ein sehr würd'ger Mann, ein Mann
    Den unser gnädigster Monarch bekanntlich
    Mit ihrer königlichen Gunst beehren.

    Königin. Das wird den Mann sehr glücklich machen. – Doch
    Wir wollen wissen, ob er lieben kann
    Und Liebe kann verdienen. – Eboli,
    Das frag' ich Sie.

    Eboli(steht stumm und verwirrt, die Augen zur Erde geschlagen, endlich fällt sie der Königin zu Füßen).
    Großmüth'ge Königin,
    Erbarmen Sie sich meiner. Lassen Sie –
    Um Gottes willen, lassen Sie mich nicht –
    Nicht aufgeopfert werden.

    Königin. Aufgeopfert?
    Ich brauche nichts mehr. Stehn Sie auf. Es ist
    Ein hartes Schicksal, aufgeopfert werden.
    Ich glaube Ihnen. Stehn Sie auf. – Ist es
    Schon lang, daß Sie den Grafen ausgeschlagen?

    Eboli(aufstehend). O, viele Monate. Prinz Carlos war
    Noch auf der hohen Schule.

    Königin(stutzt und sieht sie mit forschenden Augen an). Haben Sie
    Sich auch geprüft, aus welchen Gründen?

    Eboli(mit einiger Heftigkeit). Niemals
    Kann es geschehen, meine Königin,
    Aus tausend Gründen niemals.

    Königin(sehr ernsthaft). Mehr als einer ist
    Zu viel. Sie können ihn nicht schätzen – Das
    Ist mir genug. Nichts mehr davon. (Zu den andern Damen.) Ich habe
    Ja die Infanten heut noch nicht gesehen.
    Marquisin, bringen Sie sie mir.

    Olivarez(sieht auf die Uhr). Es ist
    Noch nicht die Stunde, Ihre Majestät.

    Königin. Noch nicht die Stunde, wo ich Mutter sein darf?
    Das ist doch schlimm. Vergessen Sie es ja nicht,
    Mich zu erinnern, wenn sie kommt.

    (Ein Page tritt auf und spricht leise mit der Oberhofmeisterin, welche sich darauf zur Königin wendet.)

    Olivarez. Der Marquis
    Von Posa, Ihre Majestät –

    Königin. Von Posa?

    Olivarez. Er kommt aus Frankreich und den Niederlanden
    Und wünscht die Gnade zu erhalten, Briefe
    Von der Regentin Mutter übergeben
    Zu dürfen.

    Königin. Und ist das erlaubt?

    Olivarez. In meiner Vorschrift
    Ist des besondern Falles nicht gedacht,
    Wenn ein castilian'scher Grande Briefe
    Von einem fremden Hof der Königin
    Von Spanien in ihrem Gartenwäldchen
    Zu überreichen kommt.

    Königin. So will ich denn
    Auf meine eigene Gefahr es wagen.

    Olivarez. Doch mir vergönne Ihro Majestät,
    Mich so lang zu entfernen. –

    Königin. Halten Sie
    Das, wie Sie wollen, Herzogin.

    (Die Oberhofmeisterin geht ab, und die Königin gibt dem Pagen einen Wink, welcher sogleich hinausgeht.)

    Vierter Auftritt.

    Königin. Prinzessin von Eboli. Marquisin von Mondecar und Marquis von Posa.

    Königin. Ich heiße Sie
    Willkommen, Chevalier, auf span'schem Boden.

    Marquis. Den ich noch nie mit so gerechtem Stolze
    Mein Vaterland genannt, als jetzt. –

    Königin(zu den beiden Damen). Der Marquis
    Von Posa, der im Ritterspiel zu Rheims
    Mit meinem Vater eine Lanze brach
    Und meine Farbe dreimal siegen machte –
    Der Erste seiner Nation, der mich
    Den Ruhm empfinden lehrte, Königin
    Der Spanier zu sein. (Zum Marquis sich wendend.) Als wir im Louvre
    Zum letzten Mal uns sahen, Chevalier,
    Da träumt' es Ihnen wohl noch nicht, daß Sie
    Mein Gast sein würden in Castilien.

    Marquis. Nein, große Königin – denn damals träumte
    Mir nicht, daß Frankreich noch das Einzige
    An uns verlieren würde, was wir ihm
    Beneidet hatten.

    Königin. Stolzer Spanier!
    Das Einzige? – Und das zu einer Tochter
    Vom Hause Valois?

    Marquis. Jetzt darf ich es
    Ja sagen, Ihre Majestät – denn jetzt
    Sind Sie ja unser.

    Königin. Ihre Reise, hör' ich,
    Hat auch durch Frankreich Sie geführt. – Was bringen
    Sie mir von meiner hochverehrten Mutter
    Und meinen vielgeliebten Brüdern?

    Marquis(überreicht ihr die Briefe).
    Die Königin Mutter fand ich krank, geschieden
    Von jeder andern Freude dieser Welt,
    Als ihre königliche Tochter glücklich
    Zu wissen auf dem span'schen Thron.

    Königin. Muß sie
    Es nicht sein bei dem theuern Angedenken
    So zärtlicher Verwandten? bei der süßen
    Erinnrung an – Sie haben viele Höfe
    Besucht auf Ihren Reisen, Chevalier,
    Und viele Länder, vieler Menschen Sitte
    Gesehn – und jetzt, sagt man, sind Sie gesonnen,
    Ich Ihrem Vaterland sich selbst zu leben?
    Ein größrer Fürst in Ihren stillen Mauern,
    Als König Philipp auf dem Thron – ein Freier!
    Ein Philosoph! – Ich zweifle sehr, ob Sie
    Sich werden können in Madrid gefallen.
    Man ist sehr – ruhig in Madrid.

    Marquis. Und das
    Ist mehr, als sich das ganze übrige
    Europa zu erfreuen hat.

    Königin. So hör' ich.
    Ich habe alle Händel dieser Erde
    Bis fast auf die Erinnerung verlernt.
    (Zur Prinzessin von Eboli.)
    Mir däucht, Prinzessin Eboli, ich sehe
    Dort eine Hyacinthe blühen – Wollen
    Sie mir sie bringen?
    (Die Prinzessin geht nach dem Platze. Die Königin etwas leiser zum Marquis.)
    Chevalier, ich müßte
    Mich sehr betrügen, oder Ihre Ankunft
    Hat einen frohen Menschen mehr gemacht
    An diesem Hofe.

    Marquis. Einen Traurigen
    Hab' ich gefunden – den auf dieser Welt
    Nur etwas fröhlich –
    (Die Prinzessin kommt mit der Blume zurück.)

    Eboli. Da der Chevalier
    So viele Länder hat gesehen, wird
    Er ohne Zweifel viel Merkwürdiges
    Uns zu erzählen wissen.

    Marquis. Allerdings.
    Und Abenteuer suchen, ist bekanntlich
    Der Ritter Pflicht – die heiligste von allen,
    Die Damen zu beschützen.

    Mondecar. Gegen Riesen!
    Jetzt gibt es keine Riesen mehr.

    Marquis. Gewalt
    Ist für den Schwachen jederzeit ein Riese.

    Königin. Der Chevalier hat Recht. Es gibt noch Riesen,
    Doch keine Ritter gibt es mehr.

    Marquis. Noch jüngst,
    Auf meinem Rückzug von Neapel, war
    Ich Zeuge einer rührenden Geschichte,
    Die mir der Freundschaft heiliges Legat
    Zu meiner eigenen gemacht. – Wenn ich
    Nicht fürchten müßte, Ihre Majestät
    Durch die Erzählung zu ermüden –

    Königin. Bleibt
    Mir eine Wahl? Die Neugier der Prinzessin
    Läßt sich nichts unterschlagen. Nur zur Sache.
    Auch ich bin eine Freundin von Geschichten.

    Marquis. Zwei edle Häuser in Mirandola,
    Der Eifersucht, der langen Feindschaft müde,
    Die von den Ghibellinen und den Guelfen
    Jahrhunderte schon fortgeerbt, beschlossen,
    Durch der Verwandtschaft zarte Bande sich
    In einem ew'gen Frieden zu vereinen.
    Des mächtigen Pietro Schwestersohn,
    Fernando, und die göttliche Mathilde,
    Colonnas Tochter, waren ausersehn,
    Dies schöne Band der Einigkeit zu knüpfen.
    Nie hat zwei schönre Herzen die Natur
    Gebildet für einander – nie die Welt,
    Nie eine Wahl so glücklich noch gepriesen.
    Noch hatte seine liebenswürd'ge Braut
    Fernando nur im Bildniß angebetet –
    Wie zitterte Fernando, wahr zu finden,
    Was seine feurigsten Erwartungen
    Dem Bilde nicht zu glauben sich getrauten!
    In Padua, wo seine Studien
    Ihn fesselten, erwartete Fernando
    Des frohen Augenblickes nur, der ihm
    Vergönnen sollte, zu Mathildens Füßen
    Der Liebe erste Huldigung zu stammeln.

    (Die Königin wird aufmerksamer. Der Marquis fährt nach einem kurzen Stillschweigen fort, die Erzählung, soweit es die Gegenwart der Königin erlaubt, mehr an die Prinzessin Eboli gerichtet.)

    Indessen macht der Gattin Tod die Hand
    Pietros frei – Mit jugendlicher Gluth
    Verschlingt der Greis die Stimmen des Gerüchtes,
    Das in dem Ruhm Mathildens sich ergoß.
    Er kommt! Er sieht! – Er liebt! Die neue Regung
    Erstickt die leisre Stimme der Natur,
    Der Oheim wirbt um seines Neffens Braut
    Und heiligt seinen Raub vor dem Altare.

    Königin. Und was beschließt Fernando?

    Marquis. Auf der Liebe Flügeln,
    Des fürchterlichen Wechsels unbewußt,
    Eilt nach Mirandola der Trunkene.
    Mit Sternenschein erreicht sein schnelles Roß
    Die Thore – ein bacchantisches Getön
    Von Reigen und von Pauken donnert ihm
    Aus dem erleuchteten Palast entgegen.
    Er bebt die Stufen scheu hinauf und sieht
    Sich unerkannt im lauten Hochzeitsaale,
    Wo in der Gäste taumelndem Gelag
    Pietro saß – ein Engel ihm zur Seite,
    Ein Engel, den Fernando kennt, der ihm
    In Träumen selbst so glänzend nie erschienen.
    Ein einz'ger Blick zeigt ihm, was er besessen,
    Zeigt ihm, was er auf immerdar verloren.

    Eboli. Unglücklicher Fernando!

    Königin. Die Geschichte
    Ist doch zu Ende, Chevalier? – Sie muß
    Zu Ende sein.

    Marquis. Noch nicht ganz.

    Königin. Sagten Sie
    Uns nicht, Fernando sei Ihr Freund gewesen?

    Marquis. Ich habe keinen theurern.

    Eboli. Fahren Sie
    Doch fort in der Geschichte, Chevalier.

    Marquis. Sie wird sehr traurig – und das Angedenken
    Erneuert meinen Schmerz. Erlassen Sie
    Mir den Beschluß. –

    (Ein allgemeines Stillschweigen.)

    Königin(wendet sich zur Prinzessin von Eboli).
    Nun wird mir endlich doch
    Vergönnt sein, meine Tochter zu umarmen? –
    Prinzessin, bringen Sie sie mir.

    (Diese entfernt sich. Der Marquis winkt einem Pagen, der sich im Hintergrunde zeigt und sogleich verschwindet. Die Königin erbricht die Briefe, die der Marquis ihr gegeben, und scheint überrascht zu werden. In dieser Zeit spricht der Marquis geheim und sehr angelegentlich mit der Marquisin von Mondecar. – Die Königin hat die Briefe gelesen und wendet sich mit einem ausforschenden Blicke zum Marquis.)

    Sie haben
    Uns von Mathilden nichts gesagt? Vielleicht
    Weiß sie es nicht, wie viel Fernando leidet?

    Marquis. Mathildens Herz hat Niemand noch ergründet –
    Doch große Seelen dulden still.

    Königin. Sie sehn sich um? Wen suchen Ihre Augen?

    Marquis. Ich denke nach, wie glücklich ein Gewisser,
    Den ich nicht nennen darf, an meinem Platze
    Sein müßte.

    Königin. Wessen Schuld ist es, daß er
    Es nicht ist?

    Marquis(lebhaft einfallend). Wie? Darf ich mich unterstehen,
    Dies zu erklären, wie ich will? – Er würde
    Vergebung finden, wenn er jetzt erschiene?

    Königin(erschrocken).
    Jetzt, Marquis, jetzt? Was meinen Sie damit?

    Marquis. Er dürfte hoffen – dürft' er?

    Königin(mit wachsender Verwirrung). Sie erschrecken mich,
    Marquis – er wird doch nicht –

    Marquis. Hier ist er schon.

    Fünfter Auftritt.

    Die Königin. Carlos.

    (Marquis von Posa und die Marquisin von Mondecar treten nach dem Hintergrunde zurück.)

    Carlos(vor der Königin niedergeworfen).
    So ist er endlich da, der Augenblick,
    Und Carl darf diese theure Hand berühren! –

    Königin. Was für ein Schritt – welch eine strafbare,
    Tollkühne Ueberraschung! Stehn Sie auf!
    Wir sind entdeckt. Mein Hof ist in der Nähe.

    Carlos. Ich steh' nicht auf – hier will ich ewig knien,
    Auf diesem Platz will ich verzaubert liegen,
    In dieser Stellung angewurzelt –

    Königin. Rasender!
    Zu welcher Kühnheit führt Sie meine Gnade?
    Wie? Wissen Sie, daß es die Königin,
    Daß es die Mutter ist, an die sich diese
    Verwegne Sprache richtet? Wissen Sie,
    Daß ich – ich selbst von diesem Ueberfalle
    Dem Könige –

    Carlos. Und daß ich sterben muß!
    Man reiße mich von hier aufs Blutgerüste!
    Ein Augenblick, gelebt im Paradiese,
    Wird nicht zu theuer mit dem Tod gebüßt.

    Königin. Und Ihre Königin?

    Carlos(steht auf). Gott, Gott! ich gehe –
    Ich will Sie ja verlassen – Muß ich nicht,
    Wenn Sie es also fordern? Mutter, Mutter,
    Wie schrecklich spielen Sie mit mir! Ein Wink,
    Ein halber Blick, ein Laut aus Ihrem Munde
    Gebietet mir, zu sein und zu vergehen.
    Was wollen Sie, daß noch geschehen soll?
    Was unter dieser Sonne kann es geben,
    Das ich nicht hinzuopfern eilen will,
    Wenn Sie es wünschen?

    Königin. Fliehen Sie.

    Carlos. O Gott!

    Königin. Das Einz'ge, Carl, warum ich Sie mit Thränen
    Beschwöre – fliehen Sie! – eh meine Damen –
    Eh meine Kerkermeister Sie und mich
    Beisammen finden und die große Zeitung
    Vor Ihres Vaters Ohren bringen –

    Carlos. Ich erwarte
    Mein Schicksal – es sei Leben oder Tod.
    Wie? Hab' ich darum meine Hoffnungen
    Auf diesen einz'gen Augenblick verwiesen,
    Der Sie mir endlich ohne Zeugen schenkt,
    Daß falsche Schrecken mich am Ziele täuschten?
    Nein, Königin! Die Welt kann hundertmal,
    Kann tausendmal um ihre Pole treiben,
    Eh diese Gunst der Zufall wiederholt.

    Königin. Auch soll er das in Ewigkeit nicht wieder.
    Unglücklicher! was wollen Sie von mir?

    Carlos. O Königin, daß ich gerungen habe,
    Gerungen, wie kein Sterblicher noch rang,
    Ist Gott mein Zeuge – Königin, umsonst!
    Hin ist mein Heldenmuth. Ich unterliege.

    Königin. Nichts mehr davon – um meiner Ruhe willen –

    Carlos. Sie waren mein – im Angesicht der Welt
    Mir zugesprochen von zwei großen Thronen,
    Mir zuerkannt von Himmel und Natur,
    Und Philipp, Philipp hat mir Sie geraubt.

    Königin. Er ist Ihr Vater.

    Carlos. Ihr Gemahl.

    Königin. Der Ihnen
    Das größte Reich der Welt zum Erbe gibt.

    Carlos. Und Sie zur Mutter.

    Königin. Großer Gott! Sie rasen –

    Carlos. Und weiß er auch, wie reich er ist? Hat er
    Ein fühlend Herz, das Ihrige zu schätzen?
    Ich will nicht klagen, nein, ich will vergessen,
    Wie unaussprechlich glücklich ich mit ihr
    Geworden wäre – wenn nur er es ist.
    Er ist es nicht – Das, das ist Höllenqual!
    Er ist es nicht und wird es niemals werden.
    Du nahmst mir meinen Himmel nur, um ihn
    In König Philipps Armen zu vertilgen.

    Königin. Abscheulicher Gedanke!

    Carlos. O, ich weiß,
    Wer dieser Ehe Stifter war – ich weiß,
    Wie Philipp lieben kann, und wie er freite.
    Wer sind Sie denn in diesem Reich? Laß hören.
    Regentin etwa? Nimmermehr! Wie könnten,
    Wo Sie Regentin sind, die Alba würgen?
    Wie könnte Flandern für den Glauben bluten?
    Wie, oder sind Sie Philipps Frau? Unmöglich!
    Ich kann's nicht glauben. Eine Frau besitzt
    Des Mannes Herz, und wem gehört das seine?
    Und bittet er nicht jede Zärtlichkeit,
    Die ihm vielleicht in Fiebergluth entwischte,
    Dem Scepter ab und seinen grauen Haaren?

    Königin. Wer sagte Ihnen, daß an Philipps Seite
    Mein Loos beweinenswürdig sei?

    Carlos. Mein Herz,
    Das feurig fühlt, wie es an meiner Seite
    Beneidenswürdig wäre.

    Königin. Eitler Mann!
    Wenn mein Herz nun das Gegentheil mir sagte?
    Wenn Philipps ehrerbiet'ge Zärtlichkeit
    Und seiner Liebe stumme Mienensprache
    Weit inniger, als seines stolzen Sohns
    Verwegene Beredsamkeit, mich rührten?
    Wenn eines Greisen überlegte Achtung –

    Carlos. Das ist was andres – Dann – ja, dann – Vergebung.
    Das wußt' ich nicht, daß Sie den König lieben.

    Königin. Ihn ehren ist mein Wunsch und mein Vergnügen.

    Carlos. Sie haben nie geliebt?

    Königin. Seltsame Frage!

    Carlos. Sie haben nie geliebt?

    Königin. – Ich liebe nicht mehr.

    Carlos. Weil es Ihr Herz, weil es Ihr Eid verbietet?

    Königin. Verlassen Sie mich, Prinz, und kommen Sie
    Zu keiner solchen Unterredung wieder.

    Carlos. Weil es Ihr Eid, weil es Ihr Herz verbietet?

    Königin. Weil meine Pflicht – – Unglücklicher, wozu
    Die traurige Zergliederung des Schicksals,
    Dem Sie und ich gehorchen müssen?

    Carlos. Müssen?
    Gehorchen müssen?

    Königin. Wie? Was wollen Sie
    Mit diesem feierlichen Ton?

    Carlos. So viel,
    Daß Carlos nicht gesonnen ist, zu müssen,
    Wo er zu wollen hat; daß Carlos nicht
    Gesonnen ist, der Unglückseligste
    In diesem Reich zu bleiben, wenn es ihm
    Nichts als den Umsturz der Gesetze kostet,
    Der Glücklichste zu sein.

    Königin. Versteh' ich Sie?
    Sie hoffen noch? Sie wagen es, zu hoffen,
    Wo Alles, Alles schon verloren ist?

    Carlos. Ich gebe nichts verloren, als die Todten.

    Königin. Auf mich, auf Ihre Mutter, hoffen Sie?
    (Sie sieht ihn lange und durchdringend an – dann mit Würde und Ernst:)
    Warum nicht? O, der neu erwählte König
    Kann mehr als das – kann die Verordnungen
    Des abgeschiednen durch das Feu'r vertilgen,
    Kann seine Bilder stürzen, kann sogar –
    Wer hindert ihn? – die Mumie des todten
    Aus ihrer Ruhe zu Escurial
    Hervor ans Licht der Sonne reißen, seinen
    Entweihten Staub in die vier Winde streun
    Und dann zuletzt, um würdig zu vollenden –

    Carlos. Um Gottes willen, reden Sie nicht aus.

    Königin. Zuletzt noch mit der Mutter sich vermählen.

    Carlos. Verfluchter Sohn! (Er steht einen Augenblick starr und sprachlos.)
    Ja, es ist aus. Jetzt ist
    Es aus – Ich fühle klar und helle, was
    Mir ewig, ewig dunkel bleiben sollte.
    Sie sind für mich dahin – dahin – dahin –
    Auf immerdar! – Jetzt ist der Wurf gefallen.
    Sie sind für mich verloren – O, in diesem
    Gefühl liegt Hölle – Hölle liegt im andern,
    Sie zu besitzen. – Weh'! ich fass' es nicht,
    Und meine Nerven fangen an zu reißen.

    Königin. Beklagenswerther, theurer Carl! Ich fühle –
    Ganz fühl' ich sie, die namenlose Pein,
    Die jetzt in Ihrem Busen tobt. Unendlich,
    Wie Ihre Liebe, ist Ihr Schmerz. Unendlich,
    Wie er, ist auch der Ruhm, ihn zu besiegen.
    Erringen Sie ihn, junger Held. Der Preis
    Ist dieses hohen, starken Kämpfers werth,
    Des Jünglings werth, durch dessen Herz die Tugend
    So vieler königlicher Ahnen rollt.
    Ermannen Sie sich, edler Prinz. – Der Enkel
    Des großen Carls fängt frisch zu ringen an,
    Wo andrer Menschen Kinder muthlos enden.

    Carlos. Zu spät! O Gott, es ist zu spät!

    Königin. Ein Mann
    Zu sein? O Carl! wie groß wird unsre Tugend,
    Wenn unser Herz bei ihrer Uebung bricht!
    Hoch stellte Sie die Vorsicht – höher, Prinz,
    Als Millionen Ihrer andern Brüder.
    Parteilich gab sie ihrem Liebling, was
    Sie andern nahm, und Millionen fragen:
    Verdiente Der im Mutterleibe schon,
    Mehr als wir andern Sterblichen zu gelten?
    Auf, retten Sie des Himmels Billigkeit!
    Verdienen Sie, der Welt voran zu gehn,
    Und opfern Sie, was Keiner opferte!

    Carlos. Das kann ich auch. – Sie zu erkämpfen, hab'
    Ich Riesenkraft; Sie zu verlieren, keine.

    Königin. Gestehen Sie es, Carlos – Trotz ist es
    Und Bitterkeit und Stolz, was Ihre Wünsche
    So wüthend nach der Mutter zieht. Die Liebe,
    Das Herz, das Sie verschwenderisch mir opfern,
    Gehört den Reichen an, die Sie dereinst
    Regieren sollen. Sehen Sie, Sie prassen
    Von Ihres Mündels anvertrautem Gut.
    Die Liebe ist Ihr großes Amt. Bis jetzt
    Verirrte sie zur Mutter. – Bringen Sie
    O, bringen Sie sie Ihren künft'gen Reichen
    Und fühlen Sie, statt Dolchen des Gewissens,
    Die Wollust, Gott zu sein. Elisabeth
    War Ihre erste Liebe; Ihre zweite
    Sei Spanien. Wie gerne, guter Carl,
    Will ich der besseren Geliebten weichen!

    Carlos(wirft sich, von Empfindung überwältigt, zu ihren Füßen).
    Wie groß sind Sie, o Himmlische! – Ja, Alles,
    Was Sie verlangen, will ich thun. – Es sei!
    (Er steht auf.)
    Hier steh' ich in der Allmacht Hand und schwöre
    Und schwöre Ihnen, schwöre ewiges –
    O Himmel, nein! nur ewiges Verstummen,
    Doch ewiges Vergessen nicht.

    Königin. Wie könnt' ich
    Von Carlos fordern, was ich selbst zu leisten
    Nicht Willens bin?

    Marquis(eilt aus der Allee). Der König!

    Königin. Gott!

    Marquis. Hinweg,
    Hinweg aus dieser Gegend, Prinz!

    Königin. Sein Argwohn
    Ist fürchterlich, erblickt er Sie –

    Carlos. Ich bleibe.

    Königin. Und wer wird dann das Opfer sein?

    Carlos(zieht den Marquis am Arme). Fort, fort!
    Komm, Roderich! (Er geht und kommt noch einmal zurück.)
    Was darf ich mit mir nehmen?

    Königin. Die Freundschaft Ihrer Mutter.

    Carlos. Freundschaft! Mutter!

    Königin. Und diese Thränen aus den Niederlanden.

    (Sie gibt ihm einige Briefe. Carl und der Marquis gehen ab. Die Königin sieht sich unruhig nach ihren Damen um, welche sich nirgends erblicken lassen. Wie sie nach dem Hintergrunde zurückgehen will, erscheint der König.)

    Sechster Auftritt.

    König. Königin. Herzog Alba. Graf Lerma. Domingo. Einige Damen und Granden, welche in der Entfernung zurückbleiben.

    König(sieht mit Befremdung umher und schweigt eine Zeitlang).
    Was seh' ich? Sie hier? So allein, Madame?
    Und auch nicht eine Dame zur Begleitung?
    Das wundert mich – wo blieben Ihre Frauen?

    Königin. Mein gnädigster Gemahl –

    König. Warum allein? (Zum Gefolge)
    Von diesem unverzeihlichen Versehn
    Soll man die strengste Rechenschaft mir geben.
    Wer hat das Hofamt bei der Königin?
    Wen traf der Rang, sie heute zu bedienen?

    Königin. O, zürnen Sie nicht, mein Gemahl – ich selbst,
    Ich bin die Schuldige – – auf mein Geheiß
    Entfernte sich die Fürstin Eboli.

    König. Auf Ihr Geheiß?

    Königin. Die Kammerfrau zu rufen,
    Weil ich nach der Infantin mich gesehnt.

    König. Und darum die Begleitung weggeschickt?
    Doch dies entschuldigt nur die erste Dame.
    Wo war die zweite?

    Mondecar(welche indes zurückgekommen ist und sich unter die übrigen Damen gemischt hat, tritt hervor).
    Ihre Majestät,
    Ich fühle, daß ich strafbar bin –

    König. Deßwegen
    Vergönn' ich Ihnen zehen Jahre Zeit,
    Fern von Madrid darüber nachzudenken.

    (Die Marquisin tritt mit weinenden Augen zurück. Allgemeines Stillschweigen. Alle Umstehenden sehen bestürzt auf die Königin.)

    Königin. Marquisin, wen beweinen Sie? (Zum König.) Hab' ich
    Gefehlt, mein gnädigster Gemahl, so sollte
    Die Königskrone dieses Reichs, wornach
    Ich selber nie gegriffen habe, mich
    Zum mindesten vor dem Erröthen schützen.
    Gibt's ein Gesetz in diesem Königreich,
    Das vor Gericht Monarchentöchter fordert?
    Bloß Zwang bewacht die Frauen Spaniens?
    Schützt sie ein Zeuge mehr als ihre Tugend?
    Und jetzt Vergebung, mein Gemahl. – Ich bin
    Es nicht gewohnt, die mir mit Freude dienten,
    In Thränen zu entlassen. – Mondecar!
    (Sie nimmt ihren Gürtel ab und überreicht ihn der Marquisin.)
    Den König haben Sie erzürnt – nicht mich –
    Drum nehmen Sie dies Denkmal meiner Gnade
    In dieser Stunde. – Meiden Sie das Reich –
    Sie haben nur in Spanien gesündigt;
    In meinem Frankreich wischt man solche Thränen
    Mit Freuden ab. – O, muß mich's ewig mahnen?
    (Sie lehnt sich an die Oberhofmeisterin und bedeckt das Gesicht.)
    In meinem Frankreich war's doch anders.

    König(in einiger Bewegung). Konnte
    Ein Vorwurf meiner Liebe Sie betrüben?
    Ein Wort betrüben, das die zärtlichste
    Bekümmerniß auf meine Lippen legte?
    (Er wendet sich gegen die Grandezza.)
    Hier stehen die Vasallen meines Throns:
    Sank je ein Schlaf auf meine Augenlieder,
    Ich hätte denn am Abend jedes Tags
    Berechnet, wie die Herzen meiner Völker
    In meinen fernsten Himmelsstrichen schlagen? –
    Und sollt' ich ängstlicher für meinen Thron
    Als für die Gattin meines Herzens beben? –
    Für meine Völker kann mein Schwert mir haften
    Und – Herzog Alba; dieses Auge nur
    Für meines Weibes Liebe.

    Königin. Wenn ich Sie
    Beleidigt habe, mein Gemahl –

    König. Ich heiße
    Der reichste Mann in der getauften Welt;
    Die Sonne geht in meinem Staat nicht unter –
    Doch alles Das besaß ein Andrer schon,
    Wird nach mir mancher Andre noch besitzen.
    Das ist mein eigen. Was der König hat,
    Gehört dem Glück. – Elisabeth dem Philipp.
    Hier ist die Stelle, wo ich sterblich bin.

    Königin. Sie fürchten, Sire?

    König. Dies graue Haar doch nicht?
    Wenn ich einmal zu fürchten angefangen,
    Hab' ich zu fürchten aufgehört – (Zu den Granden.) Ich zähle
    Die Großen meines Hofs – der erste fehlt.
    Wo ist Don Carlos, mein Infant? (Niemand antwortet.) Der Knabe
    Don Carl fängt an mir fürchterlich zu werden.
    Er meidet meine Gegenwart, seitdem
    Er von Alcalas hoher Schule kam.
    Sein Blut ist heiß, warum sein Blick so kalt?
    So abgemessen festlich sein Betragen?
    Seid wachsam. Ich empfehl' es euch.

    Alba. Ich bin's.
    So lang' ein Herz an diesen Panzer schlägt,
    Mag sich Don Philipp ruhig schlafen legen.
    Wie Gottes Cherub vor dem Paradies,
    Steht Herzog Alba vor dem Thron.

    Lerma. Darf ich
    Dem weisesten der Könige in Demuth
    Zu widersprechen wagen? – Allzu tief
    Verehr' ich meines Königs Majestät,
    Als seinen Sohn so rasch und streng zu richten.
    Ich fürchte viel von Carlos' heißem Blut,
    Doch nichts von seinem Herzen.

    König. Graf von Lerma,
    Ihr redet gut, den Vater zu bestechen;
    Des Königs Stütze wird der Herzog sein –
    Nichts mehr davon – (Er wendet sich gegen sein Gefolge.)
    Jetzt eil' ich nach Madrid.
    Mich ruft mein königliches Amt. Die Pest
    Der Ketzerei steckt meine Völker an,
    Der Aufruhr wächst in meinen Niederlanden.
    Es ist die höchste Zeit. Ein schauerndes
    Exempel soll die Irrenden bekehren.
    Den großen Eid, den alle Könige
    Der Christenheit geloben, lös' ich morgen.
    Dies Blutgericht soll ohne Beispiel sein;
    Mein ganzer Hof ist feierlich geladen.

    (Er führt die Königin hinweg, die Uebrigen folgen.)

    Siebenter Auftritt.

    Don Carlos, mit Briefen in der Hand, Marquis von Posa kommen von der entgegengesetzten Seite.

    Carlos. Ich bin entschlossen. Flandern sei gerettet.
    Sie will es – Das ist mir genug.

    Marquis. Auch ist
    Kein Augenblick mehr zu verlieren. Herzog
    Von Alba, sagt, man, ist im Kabinet
    Bereits zum Gouverneur ernannt.

    Carlos. Gleich morgen
    Verlang' ich Audienz bei meinem Vater.
    Ich fordre dieses Amt für mich. Es ist
    Die erste Bitte, die ich an ihn wage.
    Er kann sie mir nicht weigern. Lange schon
    Sieht er mich ungern in Madrid. Welch ein
    Willkommner Vorwand, mich entfernt zu halten!
    Und – soll ich dir's gestehen, Roderich? –
    Ich hoffe mehr – Vielleicht gelingt es mir,
    Von Angesicht zu Angesicht mit ihm
    In seiner Gunst mich wieder herzustellen.
    Er hat noch nie die Stimme der Natur
    Gehört – laß mich versuchen, Roderich,
    Was sie auf meinen Lippen wird vermögen.

    Marquis. Jetzt endlich hör' ich meinen Carlos wieder,
    Jetzt sind Sie wieder ganz Sie selbst.

    Achter Auftritt.

    Vorige. Graf Lerma.

    Lerma. So eben
    Hat der Monarch Aranjuez verlassen.
    Ich habe den Befehl –

    Carlos. Schon gut, Graf Lerma,
    Ich treffe mit dem König ein.

    Marquis(macht Miene, sich zu entfernen. Mit einigem Ceremoniell).
    Sonst haben
    Mir Eure Hoheit nichts mehr aufzutragen?

    Carlos. Nichts, Chevalier. Ich wünsche Ihnen Glück
    Zu Ihrer Ankunft in Madrid. Sie werden
    Noch Mehreres von Flandern mir erzählen.
    (Zu Lerma, welcher noch wartet.)
    Ich folge gleich.

    (Graf Lerma geht ab.)

    Neunter Auftritt.

    Don Carlos. Der Marquis.

    Carlos. Ich habe dich verstanden.
    Ich danke dir. Doch diesen Zwang entschuldigt
    Nur eines Dritten Gegenwart. Sind wir
    Nicht Brüder? – Dieses Possenspiel des Ranges
    Sei künftighin aus unserm Bund verwiesen!
    Berede dich, wir Beide hätten uns
    Auf einem Ball mit Masken eingefunden,
    In Sklavenkleidern du, und ich aus Laune
    In einen Purpur eingemummt. So lange
    Der Fasching währt, verehren wir die Lüge,
    Der Rolle treu, mit lächerlichem Ernst,
    Den süßen Rausch des Haufens nicht zu stören.
    Doch durch die Larve winkt dein Carl dir zu,
    Du drückst mir im Vorübergehn die Hände,
    Und wir verstehen uns.

    Marquis. Der Traum ist göttlich.
    Doch wird er nie verfliegen? Ist mein Carl
    Auch seiner so gewiß, den Reizungen
    Der unumschränkten Majestät zu trotzen?
    Noch ist ein großer Tag zurück – ein Tag –
    Wo dieser Heldensinn – ich will Sie mahnen –
    In einer schweren Probe sinken wird.
    Don Philipp stirbt. Carl erbt das größte Reich
    Der Christenheit. – Ein ungeheurer Spalt
    Reißt vom Geschlecht der Sterblichen ihn los,
    Und Gott ist heut, wer gestern Mensch noch war.
    Jetzt hat er keine Schwächen mehr. Die Pflichten
    Der Ewigkeit verstummen ihm. Die Menschheit
    – Noch heut ein großes Wort in seinem Ohr –
    Verkauft sich selbst und kriecht um ihren Götzen.
    Sein Mitgefühl löscht mit dem Leiden aus,
    In Wollüsten ermattet seine Tugend,
    Für seine Thorheit schickt ihm Peru Gold,
    Für seine Laster zieht sein Hof ihm Teufel.
    Er schläft berauscht in diesem Himmel ein,
    Den seine Sklaven listig um ihn schufen.
    Lang, wie sein Traum, währt seine Gottheit. – Wehe
    Dem Rasenden, der ihn mitleidig weckte.
    Was aber würde Roderich? – Die Freundschaft
    Ist wahr und kühn – die kranke Majestät
    Hält ihren fürchterlichen Strahl nicht aus.
    Den Trotz des Bürgers würden Sie nicht dulden,
    Ich nicht den Stolz des Fürsten.

    Carlos. Wahr und schrecklich
    Ist dein Gemälde von Monarchen. Ja,
    Ich glaube dir. – Doch nur die Wollust schloß
    Dem Laster ihre Herzen auf. Ich bin
    Noch rein, ein dreiundzwanzigjähr'ger Jüngling.
    Was vor mir Tausende gewissenlos
    In schwelgenden Umarmungen verpraßten,
    Des Geistes beste Hälfte, Männerkraft,
    Hab' ich dem künft'gen Herrscher aufgehoben.
    Was könnte dich aus meinem Herzen drängen,
    Wenn es nicht Weiber thun?

    Marquis. Ich selbst. Könnt' ich
    So innig Sie noch lieben, Carl, wenn ich
    Sie fürchten müßte?

    Carlos. Das wird nie geschehen.
    Bedarfst du meiner? Hast du Leidenschaften,
    Die von dem Throne betteln? Reizt dich Gold?
    Du bist ein reichrer Unterthan, als ich
    Ein König je sein werde. – Geizest du
    Nach Ehre? Schon als Jüngling hattest du
    Ihr Maß erschöpft – du hast sie ausgeschlagen.
    Wer von uns wird der Gläubiger des Andern,
    Und wer der Schuldner sein? – Du schweigst? Du zitterst
    Vor der Versuchung? Nicht gewisser bist
    Du deiner selbst?

    Marquis. Wohlan. Ich weiche.
    Hier meine Hand.

    Carlos. Der Meinige?

    Marquis. Auf ewig
    Und in des Worts verwegenster Bedeutung.

    Carlos. So treu und warm, wie heute dem Infanten,
    Auch dermaleinst dem König zugethan?

    Marquis. Das schwör' ich Ihnen.

    Carlos. Dann auch, wenn der Wurm
    Der Schmeichelei mein unbewachtes Herz
    Umklammerte – wenn dieses Auge Thränen
    Verlernte, die es sonst geweint – dies Ohr
    Dem Flehen sich verriegelte, willst du,
    Ein schreckenloser Hüter meiner Tugend,
    Mich kräftig fassen, meinen Genius
    Bei seinem großen Namen rufen?

    Marquis. Ja.

    Carlos. Und jetzt noch eine Bitte! Nenn' mich Du.
    Ich habe deines Gleichen stets beneidet
    Um dieses Vorrecht der Vertraulichkeit.
    Dies brüderliche Du betrügt mein Ohr,
    Mein Herz mit süßen Ahnungen von Gleichheit.
    – Keinen Einwurf – Was du sagen willst, errath' ich.
    Dir ist es Kleinigkeit, ich weiß – doch mir,
    Dem Königssohne, ist es viel. Willst du
    Mein Bruder sein?

    Marquis. Dein Bruder!

    Carlos. Jetzt zum König.
    Ich fürchte nichts mehr – Arm in Arm mit dir,
    So fordr' ich mein Jahrhundert in die Schranken.

    (Sie gehen ab.)

    Zweiter Akt.

    Im königlichen Palast zu Madrid.

    Erster Auftritt.

    König Philipp unter einem Thronhimmel. Herzog Alba in einiger Entfernung von dem König, mit bedecktem Haupt. Carlos.

    Carlos. Den Vortritt hat das Königreich. Sehr gerne
    Steht Carlos dem Minister nach. Er spricht
    Für Spanien – ich bin der Sohn des Hauses.

    (Er tritt mit einer Verbeugung zurück.)

    Philipp. Der Herzog bleibt, und der Infant mag reden.

    Carlos(sich gegen Alba wendend).
    So muß ich denn von Ihrer Großmuth, Herzog,
    Den König mir als ein Geschenk erbitten.
    Ein Kind – Sie wissen ja – kann Mancherlei
    An seinen Vater auf dem Herzen tragen,
    Das nicht für einen Dritten taugt. Der König
    Soll Ihnen unbenommen sein – ich will
    Den Vater nur für diese kurze Stunde.

    Philipp. Hier steht sein Freund.

    Carlos. Hab' ich es auch verdient,
    Den meinigen im Herzog zu vermuthen?

    Philipp. Auch je verdienen mögen? – Mir gefallen
    Die Söhne nicht, die beßre Wahlen treffen,
    Als ihre Väter.

    Carlos. Kann der Ritterstolz
    Des Herzogs Alba diesen Auftritt hören?
    So wahr ich lebe, den Zudringlichen,
    Der zwischen Sohn und Vater unberufen
    Sich einzudringen nicht erröthet, der
    In seines Nichts durchbohrendem Gefühle
    So dazustehen sich verdammt, möcht' ich
    Bei Gott – und gält's ein Diadem – nicht spielen.

    Philipp(verläßt seinen Sitz mit einem zornigen Blick auf den Prinzen).
    Entfernt Euch, Herzog!

    (Dieser geht nach der Hauptthüre, durch welche Carlos gekommen war; der König winkt ihm nach einer andern.)

    Nein, ins Kabinet,
    Bis ich Euch rufe.

    Zweiter Auftritt.

    König Philipp. Don Carlos.

    Carlos(geht, sobald der Herzog das Zimmer verlassen hat, auf den König zu und fällt vor ihm nieder, im Ausdruck der höchsten Empfindung).
    Jetzt mein Vater wieder,
    Jetzt wieder mein, und meinen besten Dank
    Für diese Gnade. – Ihre Hand, mein Vater. –
    O süßer Tag! – Die Wonne dieses Kusses
    War Ihrem Kinde lange nicht gegönnt.
    Warum von Ihrem Herzen mich so lange
    Verstoßen, Vater? Was hab' ich gethan?

    Philipp. Infant, dein Herz weiß nichts von diesen Künsten.
    Erspare sie, ich mag sie nicht.

    Carlos(aufstehend). Das war es!
    Da hör' ich Ihre Höflinge – Mein Vater!
    Es ist nicht gut, bei Gott! nicht Alles gut,
    Nicht Alles, was ein Priester sagt, nicht Alles,
    Was eines Priesters Creaturen sagen.
    Ich bin nicht schlimm, mein Vater – heißes Blut
    Ist meine Bosheit, mein Verbrechen Jugend.
    Schlimm bin ich nicht, schlimm wahrlich nicht – wenn auch
    Oft wilde Wallungen mein Herz verklagen,
    Mein Herz ist gut –

    Philipp. Dein Herz ist rein, ich weiß es,
    Wie dein Gebet.

    Carlos. Jetzt oder nie! – Wir sind allein.
    Der Etikette bange Scheidewand
    Ist zwischen Sohn und Vater eingesunken.
    Jetzt oder nie! Ein Sonnenstrahl der Hoffnung
    Glänzt in mir auf, und eine süße Ahnung
    Fliegt durch mein Herz – Der ganze Himmel beugt
    Mit Schaaren froher Engel sich herunter,
    Voll Rührung sieht der Dreimalheilige
    Dem großen schönen Auftritt zu! – Mein Vater!
    Versöhnung! (Er fällt ihm zu Füßen.)

    Philipp. Laß mich und steh auf!

    Carlos. Versöhnung!

    Philipp(will sich von ihm losreißen.)
    Zu kühn wird mir dies Gaukelspiel –

    Carlos. Zu kühn
    Die Liebe deines Kindes?

    Philipp. Vollends Thränen?
    Unwürd'ger Anblick! – Geh aus meinen Augen.

    Carlos. Jetzt oder nie! – Versöhnung, Vater!

    Philipp. Weg
    Aus meinen Augen! Komm mit Schmach bedeckt
    Aus meinen Schlachten, meine Arme sollen
    Geöffnet sein, dich zu empfangen – So
    Verwerf' ich dich. – Die feige Schuld allein
    Wird sich in solchen Quellen schimpflich waschen.
    Wer zu bereuen nicht erröthet, wird
    Sich Reue nie ersparen.

    Carlos. Wer ist das?
    Durch welchen Mißverstand hat dieser Fremdling
    Zu Menschen sich verirrt? – Die ewige
    Beglaubigung der Menschheit sind ja Thränen,
    Sein Aug' ist trocken, ihn gebar kein Weib –
    O, zwingen Sie die nie benetzten Augen,
    Noch zeitig Thränen einzulernen, sonst,
    Sonst möchten Sie's in einer harten Stunde
    Noch nachzuholen haben.

    Philipp. Denkst du den schweren Zweifel deines Vaters
    Mit schönen Worten zu erschüttern?

    Carlos. Zweifel?
    Ich will ihn tilgen, diesen Zweifel – will
    Mich hängen an das Vaterherz, will reißen,
    Will mächtig reißen an dem Vaterherzen,
    Bis dieses Zweifels felsenfeste Rinde
    Von diesem Herzen niederfällt. – Wer sind sie,
    Die mich aus meines Königs Gunst vertrieben?
    Was bot der Mönch dem Vater für den Sohn?
    Was wird ihm Alba für ein kinderlos
    Verscherztes Leben zur Vergütung geben?
    Sie wollen Liebe? – Hier in diesem Busen
    Springt eine Quelle, frischer, feuriger,
    Als in den trüben, sumpfigsten Behältern,
    Die Philipps Gold erst öffnen muß.

    Philipp. Vermeßner,
    Halt ein! – Die Männer, die du wagst zu schmähn,
    Sind die geprüften Diener meiner Wahl,
    Und du wirst sie verehren.

    Carlos. Nimmermehr.
    Ich fühle mich. Was Ihre Alba leisten,
    Das kann auch Carl, und Carl kann mehr. Was fragt
    Ein Miethling nach dem Königreich, das nie
    Sein eigen sein wird? – Was bekümmert's den,
    Wenn Philipps graue Haare weiß sich färben?
    Ihr Carlos hätte Sie geliebt. – Mir graut
    Vor dem Gedanken, einsam und allein,
    Auf einem Thron allein zu sein. –

    Philipp(von diesen Worten ergriffen, steht nachdenkend und in sich gekehrt. Nach einer Pause).
    Ich bin allein.

    Carlos(mit Lebhaftigkeit und Wärme auf ihn zugehend).
    Sie sind's gewesen. Hassen Sie mich nicht mehr,
    Ich will Sie kindlich, will Sie feurig lieben,
    Nur hassen Sie mich nicht mehr. – Wie entzückend
    Und süß ist es, in einer schönen Seele
    Verherrlicht uns zu fühlen, es zu wissen,
    Daß unsre Freude fremde Wangen röthet,
    Daß unsre Angst in fremdem Busen zittert,
    Daß unsre Leiden fremde Augen wässern!
    Wie schön ist es und herrlich, Hand in Hand
    Mit einem theuern, vielgeliebten Sohn
    Der Jugend Rosenbahn zurück zu eilen,
    Des Lebens Traum noch einmal durchzuträumen!
    Wie groß und süß, in seines Kindes Tugend
    Unsterblich, unvergänglich fortzudauern,
    Wohlthätig für Jahrhunderte! – Wie schön,
    Zu pflanzen, was ein lieber Sohn einst erntet,
    Zu sammeln, was ihm wuchern wird, zu ahnen,
    Wo hoch sein Dank einst flammen wird! – Mein Vater,
    Von diesem Erdenparadiese schwiegen
    Sehr weislich ihre Mönche.

    Philipp(nicht ohne Rührung). O, mein Sohn,
    Mein Sohn! du brichst dir selbst den Stab. Sehr reizend
    Malst du ein Glück, das – du mir nie gewährtest.

    Carlos. Das richte der Allwissende! – Sie selbst,
    Sie schlossen mich, wie aus dem Vaterherzen,
    Von Ihres Scepters Anteil aus. Bis jetzt,
    Bis diesen Tag – o, war das gut, war's billig? –
    Bis jetzt mußt' ich, der Erbprinz Spaniens,
    In Spanien ein Fremdling sein, Gefangner
    Auf diesem Grund, wo ich einst Herr sein werde.
    War das gerecht, war's gütig? – O, wie oft,
    Wie oft, mein Vater, sah ich schamroth nieder,
    Wenn die Gesandten fremder Potentaten,
    Wenn Zeitungsblätter mir das Neueste
    Vom Hofe zu Aranjuez erzählten!

    Philipp. Zu heftig braust das Blut in deinen Adern.
    Du würdest nur zerstören.

    Carlos. Geben Sie
    Mir zu zerstören, Vater. – Heftig braust's
    In meine Adern – Dreiundzwanzig Jahre,
    Und nichts für die Unsterblichkeit gethan!
    Ich bin erwacht, ich fühle mich. – Mein Ruf
    Zum Königsthron pocht, wie ein Gläubiger,
    Aus meinem Schlummer mich empor, und alle
    Verlornen Stunden meiner Jugend mahnen
    Mich laut wie Ehrenschulden. Er ist da,
    Der große, schöne Augenblick, der endlich
    Des hohen Pfundes Zinsen von mir fordert:
    Mich ruft die Weltgeschichte, Ahnenruhm
    Und des Gerüchtes donnernde Posaune.
    Nun ist die Zeit gekommen, mir des Ruhmes
    Glorreiche Schranken aufzuthun. – Mein König,
    Darf ich die Bitte auszusprechen wagen,
    Die mich hieher geführt?

    Philipp. Noch eine Bitte?
    Entdecke sie.

    Carlos. Der Aufruhr in Brabant
    Wächst drohend an. Der Starrsinn der Rebellen
    Heischt starke, kluge Gegenwehr. Die Wuth
    Der Schwärmer zu bezähmen, soll der Herzog
    Ein Heer nach Flandern führen, von dem König
    Mit souveräner Vollmacht ausgestattet.
    Wie ehrenvoll ist dieses Amt, wie ganz
    Dazu geeignet, Ihren Sohn im Tempel
    Des Ruhmes einzuführen! – Mir, mein König,
    Mir übergeben Sie das Heer. Mich lieben
    Die Niederländer; ich erkühne mich,
    Mein Blut für ihre Treue zu verbürgen.

    Philipp. Du redest, wie ein Träumender. Dies Amt
    Will einen Mann und keinen Jüngling –

    Carlos. Will
    Nur einen Menschen, Vater, und das ist
    Das Einzige, was Alba nie gewesen.

    Philipp. Und Schrecken bändigt die Empörung nur.
    Erbarmung hieße Wahnsinn. – Deine Seele
    Ist weich, mein Sohn, der Herzog wird gefürchtet –
    Steh ab von deiner Bitte.

    Carlos. Schicken Sie
    Mich mit dem Heer nach Flandern, wagen Sie's
    Auf meine weiche Seele. Schon der Name
    Des königlichen Sohnes, der voraus
    Vor meinen Fahnen fliegen wird, erobert,
    Wo Herzog Albas Henker nur verheeren.
    Aus meinen Knieen bitt' ich drum. Es ist
    Die erste Bitte meines Lebens – Vater,
    Vertrauen Sie mir Flandern –

    Philipp(den Infanten mit einem durchdringenden Blick betrachtend).
    Und zugleich
    Mein bestes Kriegsheer deiner Herrschbegierde?
    Das Messer meinem Mörder?

    Carlos. O mein Gott!
    Bin ich nicht weiter, und ist das die Frucht
    Von dieser längst erbetnen großen Stunde?
    (Nach einigem Nachdenken, mit gemildertem Ernst.)
    Antworten Sie mir sanfter! Schicken Sie
    Mich so nicht weg! Mit dieser übeln Antwort
    Möcht' ich nicht gern entlassen sein, nicht gern
    Entlassen sein mit diesem schweren Herzen.
    Behandeln Sie mich gnädiger. Es ist
    Mein dringendes Bedürfniß, ist mein letzter,
    Verzweifelter Versuch – ich kann's nicht fassen,
    Nicht standhaft tragen wie ein Mann, daß Sie
    Mir Alles, Alles, Alles so verweigern.
    Jetzt lassen Sie mich von sich. Unerhört,
    Von tausend süßen Ahnungen betrogen,
    Geh' ich aus Ihrem Angesicht. – Ihr Alba
    Und Ihr Domingo werden siegreich thronen,
    Wo jetzt Ihr Kind im Staub geweint. Die Schaar
    Der Höflinge, die bebende Grandezza,
    Der Mönche sünderbleiche Zunft war Zeuge,
    Als Sie mir feierlich Gehör geschenkt.
    Beschämen Sie mich nicht! So tödtlich, Vater,
    Verwunden Sie mich nicht, dem frechen Hohn
    Des Hofgesindes schimpflich mich zu opfern,
    Daß Fremdlinge von Ihrer Gnade schwelgen,
    Ihr Carlos nichts erbitten kann. Zum Pfande,
    Daß Sie mich ehren wollen, schicken Sie
    Mich mit dem Heer nach Flandern.

    Philipp. Wiederhole
    Dies Wort nicht mehr, bei deines Königs Zorn.

    Carlos. Ich wage meines Königs Zorn und bitte
    Zum letzten Mal – Vertrauen Sie mir Flandern.
    Ich soll und muß aus Spanien. Mein Hiersein
    Ist Athemholen unter Henkershand –
    Schwer liegt der Himmel zu Madrid auf mir,
    Wie das Bewußtsein eines Mords. Nur schnelle
    Veränderung des Himmels kann mich heilen.
    Wenn Sie mich retten wollen – schicken Sie
    Mich ungesäumt nach Flandern.

    Philipp(mit erzwungener Gelassenheit). Solche Kranke
    Wie du, mein Sohn, verlangen gute Pflege
    Und wohnen unterm Aug' des Arzts. Du bleibst
    In Spanien; der Herzog geht nach Flandern.

    Carlos(außer sich). O, jetzt umringt mich, gute Geister –

    Philipp(der einen Schritt zurücktritt). Halt!
    Was wollen diese Mienen sagen?

    Carlos(mit schwankender Stimme). Vater,
    Unwiderruflich bleibt's bei der Entscheidung?

    Philipp. Sie kam vom König.

    Carlos. Mein Geschäft ist aus.

    (Geht ab in heftiger Bewegung.)

    Dritter Auftritt.

    Philipp bleibt eine Zeitlang in düstres Nachdenken versunken stehen – endlich geht er einige Schritte im Saal auf und nieder. Alba nähert sich verlegen.

    Philipp. Seid jede Stunde des Befehls gewärtig,
    Nach Brüssel abzugehen.

    Alba. Alles steht
    Bereit, mein König.

    Philipp. Eure Vollmacht liegt
    Versiegelt schon im Kabinet. Indessen
    Nehmt Euren Urlaub von der Königin
    Und zeiget Euch zum Abschied dem Infanten.

    Alba. Mit den Geberden eines Wüthenden
    Sah ich ihn eben diesen Saal verlassen.
    Auch Eure königliche Majestät
    Sind außer sich und scheinen tief bewegt –
    Vielleicht der Inhalt des Gesprächs?

    Philipp(nach einigem Auf- und Niedergehen). Der Inhalt
    War Herzog Alba.
    (Der König bleibt mit dem Aug' auf ihm haften, finster.)
    – Gerne mag ich hören,
    Daß Carlos meine Räthe haßt, doch mit
    Verdruß entdeck' ich, daß er sie verachtet.

    Alba(entfärbt sich und will auffahren).

    Philipp. Jetzt keine Antwort. Ich erlaube Euch,
    Den Prinzen zu versöhnen.

    Alba. Sire!

    Philipp. Sagt an:
    Wer war es doch, der mich zum ersten Mal
    Vor meines Sohnes schwarzem Anschlag warnte?
    Da hört' ich Euch und nicht auch ihn. Ich will
    Die Probe wagen, Herzog. Künftighin
    Steht Carlos meinem Throne näher. Geht.

    (Der König begibt sich in das Kabinet. Der Herzog entfernt sich durch eine andere Thüre.)

    Vierter Auftritt.

    Ein Vorsaal vor dem Zimmer der Königin.

    Don Carlos kommt im Gespräch mit einem Pagen durch die Mittelthüre. Die Hofleute, welche sich im Vorsaal befinden, zerstreuen sich bei seiner Ankunft in den angrenzenden Zimmern.

    Carlos. Ein Brief an mich? – Wozu denn dieser Schlüssel?
    Und Beides mir so heimlich überliefert?
    Komm näher. – Wo empfingst du das?

    Page(geheimnißvoll). Wie mich
    Die Dame merken lassen, will sie lieber
    Errathen, als beschrieben sein –

    Carlos(zurückfahrend). Die Dame?
    (Indem er den Pagen genauer betrachtet.)
    Was? – Wie? – Wer bist du denn?

    Page. Ein Edelknabe
    Von Ihrer Majestät der Königin –

    Carlos(erschrocken auf ihn zugehend und ihm die Hand auf den Mund drückend).
    Du bist des Todes. Halt! Ich weiß genug.
    (Er reißt hastig das Siegel auf und tritt an das äußerste Ende des Saals, den Brief zu lesen. Unterdessen kommt der Herzog von Alba und geht, ohne von dem Prinzen bemerkt zu werden, an ihm vorbei in der Königin Zimmer. Carlos fängt an heftig zu zittern und wechselweise zu erblassen und zu erröthen. Nachdem er gelesen hat, steht er lange sprachlos, die Augen starr auf den Brief geheftet. – Endlich wendet er sich zu dem Pagen.)
    Sie gab dir selbst den Brief?

    Page. Mit eignen Händen.

    Carlos. Sie gab dir selbst den Brief? – O, spotte nicht.
    Noch hab' ich nichts von ihrer Hand gelesen,
    Ich muß dir glauben, wenn du schwören kannst.
    Wenn's Lüge war, gesteh' mir's offenherzig
    Und treibe keinen Spott mit mir.

    Page. Mit wem?

    Carlos(sieht wieder in den Brief und betrachtet den Pagen mit zweifelhafter, forschender Miene. Nachdem er einen Gang durch den Saal gemacht hat).
    Du hast noch Eltern? Ja? Dein Vater dient
    Dem Könige und ist ein Kind des Landes?

    Page. Er fiel bei St. Quentin, ein Oberster
    Der Reiterei des Herzogs von Savoyen,
    Und hieß Alonzo Graf von Henarez.

    Carlos(indem er ihn bei der Hand nimmt und die Augen bedeutend auf ihn heftet.)
    Den Brief gab dir die Königin?

    Page(empfindlich). Gnäd'ger Prinz,
    Verdien' ich diesen Argwohn?

    Carlos(liest den Brief). »Dieser Schlüssel öffnet
    »Die hintern Zimmer im Pavillon
    »Der Königin. Das äußerste von allen
    »Stößt seitwärts an ein Kabinet, wohin
    »Noch keines Horchers Fußtritt sich verloren.
    »Hier darf die Liebe frei und laut gestehn,
    »Was sie so lange Winken nur vertraute.
    »Erhörung wartet auf den Furchtsamen,
    »Und schöner Lohn auf den bescheidnen Dulder.«
    (Wie aus einer Betäubung erwachend.)
    Ich träume nicht – ich rase nicht – Das ist
    Mein rechter Arm – Das ist mein Schwert – Das sind
    Geschriebne Silben. Es ist wahr und wirklich,
    Ich bin geliebt – ich bin es – ja, ich bin,
    Ich bin geliebt!

    (Außer Fassung durchs Zimmer stürzend und die Arme zum Himmel emporgeworfen.)

    Page. So kommen Sie, mein Prinz, ich führe Sie.

    Carlos. Erst laß mich zu mir selber kommen. – Zittern
    Nicht alle Schrecken dieses Glücks noch in mir?
    Hab' ich so stolz gehofft? Hab' ich das je
    Zu träumen mir getraut? Wo ist der Mensch,
    Der sich so schnell gewöhnte, Gott zu sein? –
    Wer war ich, und wer bin ich nun? Das ist
    Ein andrer Himmel, eine andre Sonne,
    Als vorhin da gewesen war – Sie liebt mich!

    Page(will ihn fortführen).
    Prinz, Prinz, hier ist der Ort nicht – Sie vergessen –

    Carlos(von einer plötzlichen Erstarrung ergriffen).
    Den König, meinen Vater!
    (Er läßt den Arm sinken, blickt scheu umher und fängt an sich zu sammeln.)
    Das ist schrecklich –
    Ja, ganz recht, Freund. Ich danke dir, ich war
    So eben nicht ganz bei mir. – Daß ich das
    Verschweigen soll, der Seligkeit so viel
    In diese Brust vermauern soll, ist schrecklich.
    (Den Pagen bei der Hand fassend und bei Seite führend.)
    Was du gesehn – hörst du? und nicht gesehen,
    Sei wie ein Sarg in deiner Brust versunken.
    Jetzt geh. Ich will mich finden. Geh! Man darf
    Uns hier nicht treffen. Geh –

    Page(will fort).

    Carlos Doch halt! doch höre! –
    (Der Page kommt zurück. Carlos legt ihm die Hand auf die Schulter und sieht ihm ernst und feierlich ins Gesicht.)
    Du nimmst ein schreckliches Geheimniß mit,
    Das, jenen starken Giften gleich, die Schale,
    Worin es aufgefangen wird, zersprengt. –
    Beherrsche deine Mienen gut. Dein Kopf
    Erfahre niemals, was dein Busen hütet.
    Sei wie das todte Sprachrohr, das den Schall
    Empfängt und wiedergibt und selbst nicht höret.
    Du bist ein Knabe – sei es immerhin
    Und fahre fort, den Fröhlichen zu spielen –
    Wie gut verstand's die kluge Schreiberin,
    Der Liebe einen Boten auszulesen!
    Hier sucht der König seine Nattern nicht.

    Prinz. Und ich, mein Prinz, ich werde stolz drauf sein,
    Um ein Geheimniß reicher mich zu wissen,
    Als selbst der König –

    Carlos. Eitler junger Thor,
    Das ist's, wovor du zittern mußt. – Geschieht's,
    Daß wir uns öffentlich begegnen, schüchtern,
    Mit Unterwerfung nahst du mir. Laß nie
    Die Eitelkeit zu Winken dich verführen,
    Wie gnädig der Infant dir sei. Du kannst
    Nicht schwerer sündigen, mein Sohn, als wenn
    Du mir gefällst. – Was du mir künftig magst
    Zu hinterbringen haben, sprich es nie
    Mit Silben aus, vertrau' es nie den Lippen;
    Den allgemeinen Fahrweg der Gedanken
    Betrete deine Zeitung nicht. Du sprichst
    Mit deinen Wimpern, deinem Zeigefinger;
    Ich höre dir mit Blicken zu. Die Luft,
    Das Licht um uns ist Philipps Creatur,
    Die tauben Wände stehn in seinem Solde –
    Man kommt –
    (Das Zimmer der Königin öffnet sich, und der Herzog von Alba tritt heraus.)
    Hinweg! Auf Wiedersehen!

    Page. Prinz,
    Daß Sie das rechte Zimmer nur nicht fehlen! (Ab.)

    Carlos. Es ist der Herzog. – Nein doch, nein! Schon gut!
    Ich finde mich.

    Fünfter Auftritt.

    Don Carlos. Herzog von Alba.

    Alba(ihm in den Weg tretend). Zwei Worte, gnäd'ger Prinz.

    Carlos. Ganz recht – schon gut – ein andermal. (Er will gehen.)

    Alba. Der Ort
    Scheint freilich nicht der schicklichste. Vielleicht
    Gefällt es Eurer königlichen Hoheit,
    Auf Ihrem Zimmer mir Gehör zu geben?

    Carlos. Wozu? Das kann hier auch geschehn. – Nur schnell,
    Nur kurz –

    Alba. Was eigentlich hierbei mich führt,
    Ist, Eurer Hoheit unterthän'gen Dank
    Für das Bewußte abzutragen –

    Carlos. Dank?
    Mir Dank? Wofür? – Und Dank von Herzog Alba?

    Alba. Denn kaum, daß Sie das Zimmer des Monarchen
    Verlassen hatten, ward mir angekündigt,
    Nach Brüssel abzugehen.

    Carlos. Brüssel! So!

    Alba. Wem sonst, mein Prinz, als Ihrer gnädigen
    Verwendung bei des Königs Majestät,
    Kann ich es zuzuschreiben haben? –

    Carlos. Mir?
    Mir ganz und gar nicht – mir wahrhaftig nicht.
    Sie reisen – reisen Sie mit Gott!

    Alba. Sonst nichts?
    Das nimmt mich Wunder – Eure Hoheit hätten
    Mir weiter nichts nach Flandern aufzutragen?

    Carlos. Was sonst? was dort?

    Alba. Dort schien es noch vor Kurzem,
    Als forderte das Schicksal dieser Länder
    Don Carlos' eigne Gegenwart.

    Carlos. Wie so?
    Doch ja – ja recht – Das war vorhin – das ist
    Auch so ganz gut, recht gut, um so viel besser –

    Alba. Ich höre mit Verwunderung –

    Carlos(nicht mit Ironie). Sie sind
    Ein großer General – wer weiß das nicht?
    Der Neid muß es beschwören. Ich – ich bin
    Ein junger Mensch. So hat es auch der König
    Gemeint. Der König hat ganz Recht, ganz Recht.
    Ich seh's jetzt ein, ich bin vergnügt, und also
    Genug davon. Glück auf den Weg. Ich kann
    Jetzt, wie Sie sehen, schlechterdings – ich bin
    So eben etwas überhäuft – das Weitere
    Auf morgen, oder wenn Sie wollen, oder
    Wenn Sie von Brüssel wiederkommen –

    Alba. Wie?

    Carlos(nach einigem Stillschweigen, wie er sieht, daß der Herzog noch immer bleibt).
    Sie nehmen gute Jahrszeit mit. – Die Reise
    Geht über Mailand, Lothringen, Burgund
    Und Deutschland – Deutschland? – Recht, in Deutschland war es!
    Da kenn man Sie! – Wir haben jetzt April;
    Mai – Junius – im Julius, ganz recht,
    Und spätestens zu Anfang des Augusts
    Sind Sie in Brüssel. O, ich zweifle nicht,
    Man wird sehr bald von Ihren Siegen hören.
    Sie werden unsers gnädigen Vertrauens
    Sich werth zu machen wissen.

    Alba(mit Bedeutung). Werd' ich das
    In meines Nichts durchbohrendem Gefühle?

    Carlos(nach einigem Stillschweigen, mit Würde und Stolz).
    Sie sind empfindlich, Herzog – und mit Recht.
    Es war, ich muß bekennen, wenig Schonung
    Von meiner Seite, Waffen gegen Sie
    Zu führen, die Sie nicht im Stande sind
    Mir zu erwiedern.

    Alba. Nicht im Stande? –

    Carlos(ihm lächelnd die Hand reichend). Schade,
    Daß mir's gerade jetzt an Zeit gebricht,
    Den würd'gen Kampf mit Alba auszufechten.
    Ein andermal –

    Alba. Prinz, wir verrechnen uns
    Auf ganz verschiedne Weise. Sie zum Beispiel,
    Sie sehen sich um zwanzig Jahre später,
    Ich Sie um eben so viel früher.

    Carlos. Nun?

    Alba. Und dabei fällt mir ein, wie viele Nächte
    Bei seiner schönen portugiesischen
    Gemahlin, Ihrer Mutter, der Monarch
    Wohl drum gegeben hätte, einen Arm,
    Wie diesen, seiner Krone zu erkaufen!
    Ihm mocht' es wohl bekannt sein, wie viel leichter
    Die Sache sei, Monarchen fortzupflanzen,
    Als Monarchieen – wie viel schneller man
    Die Welt mit einem Könige versorge,
    Als Könige mit einer Welt.

    Carlos. Sehr wahr!
    Doch, Herzog Alba? doch –

    Alba. Und wie viel Blut,
    Blut ihres Volkes fließen mußte, bis
    Zwei Tropfen Sie zum König machen konnten.

    Carlos. Sehr wahr, bei Gott – und in zwei Worte Alles
    Gepreßt, was des Verdienstes Stolz dem Stolze
    Des Glücks entgegensetzen kann. – Doch nun
    Die Anwendung? doch, Herzog Alba?

    Alba. Wehe
    Dem zarten Wiegenkinde Majestät,
    Das seiner Amme spotten kann! Wie sanft
    Mag's auf dem weichen Kissen unsrer Siege
    Sich schlafen lassen! An der Krone funkeln
    Die Perlen nur, und freilich nicht die Wunden,
    Mit denen sie errungen ward. – Dies Schwert
    Schrieb fremden Völkern spanische Gesetze,
    Es blitzte dem Gekreuzigten voran
    Und zeichnete dem Samenkorn des Glaubens
    Auf diesem Welttheil blut'ge Furchen vor:
    Gott richtete im Himmel, ich auf Erden –

    Carlos. Gott oder Teufel, gilt gleich viel! Sie waren
    Sein rechter Arm. Ich weiß das wohl – und jetzt
    Nichts mehr davon. Ich bitte. Vor gewissen
    Erinnerungen möcht' ich gern mich hüten.
    Ich ehre meines Vaters Wahl. Mein Vater
    Braucht einen Alba; daß er diesen braucht,
    Das ist es nicht, warum ich ihn beneide.
    Sie sind ein großer Mann. – Auch das mag sein –
    Ich glaub' es fast. Nur, fürcht' ich, kamen Sie
    Um wenige Jahrtausende zu zeitig.
    Ein Alba, sollt' ich meinen, war der Mann,
    Am Ende aller Tage zu erscheinen!
    Dann, wann des Lasters Riesentrotz die Langmuth
    Des Himmels aufgezehrt, die reichte Ernte
    Der Missethat in vollen Halmen steht
    Und einen Schnitter sonder Beispiel fordert,
    Dann stehen Sie an Ihrem Platz. – O Gott,
    Mein Paradies! mein Flandern! – Doch ich soll
    Es jetzt nicht denken. Still davon. Man spricht,
    Sie führten einen Vorrath Blutsentenzen,
    Im Voraus unterzeichnet, mit? Die Vorsicht
    Ist lobenswerth. So braucht man sich vor keiner
    Chicane mehr zu fürchten. – O mein Vater,
    Wie schlecht verstand ich deine Meinung! Härte
    Gab ich dir Schuld, weil du mir ein Geschäft
    Verweigertest, wo deine Alba glänzen? –
    Es war der Anfang deiner Achtung.

    Alba. Prinz,
    Dies Wort verdiente –

    Carlos(auffahrend). Was?

    Alba. Doch davor schützt Sie
    Der Königssohn.

    Carlos(nach dem Schwert greifend).
    Das fordert Blut! – Das Schwert
    Gezogen, Herzog!

    Alba(kalt). Gegen wen?

    Carlos(heftig auf ihn eindringend). Das Schwert
    Gezogen, ich durchstoße Sie.

    Alba(zieht). Wenn es
    Denn sein muß – (Sie fechten.)

    Sechster Auftritt.

    Die Königin. Don Carlos. Herzog von Alba.

    Königin(welche erschrocken aus ihrem Zimmer tritt).
    Bloße Schwerter!
    (Zum Prinzen, unwillig und mit gebietender Stimme.)
    Carlos!

    Carlos(vom Anblick der Königin außer sich gesetzt, läßt den Arm sinken, steht ohne Bewegung und sinnlos, dann eilt er auf den Herzog zu und küßt ihn.)
    Versöhnung, Herzog! Alles sei vergeben!

    (Er wirft sich stumm zu der Königin Füßen, steht dann rasch auf und eilt außer Fassung fort.)

    Alba(der voll Erstaunen dasteht und kein Auge von ihnen verwendet).
    Bei Gott, das ist doch seltsam! –

    Königin(steht einige Augenblicke beunruhigt und zweifelhaft, dann geht sie langsam nach ihrem Zimmer, an der Thüre dreht sie sich um). Herzog Alba!

    (Der Herzog folgt ihr in das Zimmer.)

    Ein Kabinet der Prinzessin von Eboli.

    Siebenter Auftritt.

    Die Prinzessin, in einem idealischen Geschmack, schön, aber einfach gekleidet, spielt die Laute und singt. Darauf der Page der Königin.

    Prinzessin(springt schnell auf).
    Er kommt!

    Page(eilfertig). Sind Sie allein? Mich wundert sehr,
    Ihn noch nicht hier zu finden; doch er muß
    Im Augenblick erscheinen.

    Prinzessin. Muß er? Nun,
    So will er auch – so ist es ja entschieden –

    Page. Er folgt mir auf den Fersen. – Gnäd'ge Fürstin,
    Sie sind geliebt – geliebt, geliebt wie Sie
    Kann's Niemand sein und Niemand sein gewesen.
    Welche eine Scene sah ich an!

    Prinzessin(zieht ihn voll Ungeduld an sich). Geschwind!
    Du sprachst mit ihm? Heraus damit! Was sprach er?
    Wie nahm er sich? Was waren seine Worte?
    Er schien verlegen, schien bestürzt? Errieth
    Er die Person, die ihm den Schlüssel schickte?
    Geschwinde – oder rieth er nicht? Er rieth
    Wohl gar nicht? rieth auf eine falsche? – Nun?
    Antwortest du mir denn kein Wort? O pfui,
    Pfui, schäme dich: so hölzern bist du nie,
    So unerträglich langsam nie gewesen.

    Page. Kann ich zu Worte kommen, Gnädigste?
    Ich übergab ihm Schlüssel und Billet
    Im Vorsaal bei der Königin. Er stutzte
    Und sah mich an, da mir das Wort entwischte,
    Ein Frauenzimmer sende mich.

    Prinzessin. Er stutzte?
    Sehr gut! sehr brav! Nur fort, erzähle weiter.

    Page. Ich wollte mehr noch sagen, da erblaßt' er
    Und riß den Brief mir aus der Hand und sah
    Mich drohend an und sagt', er wisse Alles.
    Den Brief durchlas er mit Bestürzung, fing
    Auf einmal an zu zittern.

    Prinzessin. Wisse Alles?
    Er wisse Alles? Sagt' er das?

    Page. Und fragte
    Mich dreimal, viermal, ob Sie selber, wirklich
    Sie selber mir den Brief gegeben?

    Prinzessin. Ob
    Ich selbst? Und also nannt' er meinen Namen?

    Page. Den Namen – nein, den nannt' er nicht. – Es möchten
    Kundschafter, sagt' er, in der Gegend horchen
    Und es dem König plaudern.

    Prinzessin(befremdet). Sagt' er das?

    Page. Dem König, sagt' er, liege ganz erstaunlich,
    Gar mächtig viel daran, besonders viel,
    Von diesem Briefe Kundschaft zu erhalten.

    Prinzessin. Dem König? Hast du recht gehört? Dem König?
    War das der Ausdruck, den er brauchte?

    Page. Ja!
    Er nannt' es ein gefährliches Geheimniß
    Und warnte ich, mit Worten und mit Winken
    Gar sehr auf meiner Hut zu sein, daß ja
    Der König keinen Argwohn schöpfe.

    Prinzessin(nach einigem Nachsinnen, voll Verwunderung). Alles
    Trifft zu. – Es kann nicht anders sein – er muß
    Um die Geschichte wissen. – Unbegreiflich!
    Wer mag ihm wohl verrathen haben? – Wer?
    Ich frage noch – Wer sieht so scharf, so tief,
    Wer anders, als der Falkenblick der Liebe?
    Doch weiter, fahre weiter fort: er las
    Das Billet –

    Page. Das Billet enthalte
    Ein Glück, sagt' er, vor dem er zittern müsse;
    Das hab' er nie zu träumen sich getraut.
    Zum Unglück trat der Herzog in den Saal,
    Dies zwang uns –

    Prinzessin(ärgerlich). Aber was in aller Welt
    Hat jetzt der Herzog dort zu thun? Wo aber,
    Wo bleibt er denn? Was zögert er? Warum
    Erscheint er nicht? – Siehst du, wie falsch man dich
    Berichtet hat? Wie glücklich wär' er schon
    In so viel Zeit gewesen, als du brauchtest,
    Mir zu erzählen, daß er's werden wollte!

    Page. Der Herzog, fürcht' ich –

    Prinzessin. Wiederum der Herzog?
    Was will der hier? Was hat der tapfre Mann
    Mit meiner stillen Seligkeit zu schaffen?
    Den könnt' er stehen lassen, weiter schicken,
    Wen auf der Welt kann man das nicht? – O, wahrlich,
    Dein Prinz versteht sich auf die Liebe selbst
    So schlecht, als, wie es schien, auf Damenherzen.
    Er weiß nicht, was Minuten sind – Still, still!
    Ich höre kommen. Fort! Es ist der Prinz.
    (Page eilt hinaus.)
    Hinweg, hinweg! – Wo hab' ich meine Laute?
    Er soll mich überraschen. – Mein Gesang
    Soll ihm das Zeichen geben. –

    Achter Auftritt.

    Die Prinzessin und bald nachher Don Carlos.

    Prinzessin(hat sich in eine Ottomane geworfen und spielt).

    Carlos(stürzt herein. Er erkennt die Prinzessin und steht da, wie vom Donner gerührt).
    Gott!
    Wo bin ich?

    Prinzessin(läßt die Laute fallen. Ihm entgegen).
    Ach, Prinz Carlos? Ja, wahrhaftig!

    Carlos. Wo bin ich? Rasender Betrug – ich habe
    Das rechte Kabinet verfehlt.

    Prinzessin. Wie gut
    Versteht es Carl, die Zimmer sich zu merken,
    Wo Damen ohne Zeugen sind.

    Carlos. Prinzessin –
    Verzeihen Sie, Prinzessin – ich – ich fand
    Den Vorsaal offen.

    Prinzessin. Kann das möglich sein?
    Mich däucht ja doch, daß ich ihn selbst verschloß.

    Carlos. Das däucht Sie nur, das däucht Sie – doch, versichert!
    Sie irren sich. Verschließen wollen, ja,
    Das geb' ich zu, das glaub' ich – doch verschlossen?
    Verschlossen nicht, wahrhaftig nicht! Ich höre
    Auf einer – Laute Jemand spielen – war's
    Nicht eine Laute? (Indem er sich zweifelnd umsieht.)
    Recht! dort liegt sie noch –
    Und Laute – Das weiß Gott im Himmel! – Laute,
    Die lieb' ich bis zur Raserei. Ich bin
    Ganz Ohr, ich weiß nichts von mir selber, stürze
    Ins Kabinet, der süßen Künstlerin,
    Die mich so himmlisch rührte, mich so mächtig
    Bezauberte, ins schöne Aug' zu sehen.

    Prinzessin Ein liebenswürd'ger Vorwitz, den Sie doch
    Sehr bald gestillt, wie ich beweisen könnte.
    (Nach einigem Stillschweigen, mit Bedeutung.)
    O, schätzen muß ich den bescheidnen Mann,
    Der, einem Weib Beschämung zu ersparen,
    In solchen Lügen sich verstrickt.

    Carlos(treuherzig). Prinzessin,
    Ich fühle selber, daß ich nur verschlimmre,
    Wo ich verbessern will. Erlassen Sie
    Mir eine Rolle, die ich durchzuführen
    So ganz und gar verdorben bin. Sie suchten
    Auf diesem Zimmer Zuflucht vor der Welt.
    Hier wollten Sie, von Menschen unbehorcht,
    Den stillen Wünschen Ihres Herzens leben.
    Ich Sohn des Unglücks zeige mich; sogleich
    Ist dieser schöne Traum gestört. – Dafür
    Soll mich die schleunigste Entfernung – (Er will gehen.)

    Prinzessin(überrascht und betroffen, doch sogleich wieder gefaßt). Prinz –
    O, das war boshaft.

    Carlos. Fürstin – ich verstehe,
    Was dieser Blick in diesem Kabinet
    Bedeuten soll, und diese tugendhafte
    Verlegenheit verehr' ich. Weh dem Manne,
    Den weibliches Erröthen muthig macht!
    Ich bin verzagt, wenn Weiber vor mir zittern.

    Prinzessin. Ist's möglich? – Ein Gewissen ohne Beispiel
    Für einen jungen Mann und Königssohn!
    Ja, Prinz – jetzt vollends müssen Sie mir bleiben,
    Jetzt bitt' ich selbst darum: bei so viel Tugend
    Erholt sich jedes Mädchens Angst. Doch wissen Sie,
    Daß Ihre plötzliche Erscheinung mich
    Bei meiner liebsten Arie erschreckte?
    (Sie führt ihn zum Sopha und nimmt ihre Laute wieder.)
    Die Arie, Prinz Carlos, werd' ich wohl
    Noch einmal spielen müssen; Ihre Strafe
    Soll sein, mir zuzuhören.

    Carlos(er setzt sich, nicht ganz ohne Zwang, neben die Fürstin).
    Eine Strafe,
    So wünschenswerth, als mein Vergehen – und, wahrlich!
    Der Inhalt war mir so willkommen, war
    So göttlich schön, daß ich zum – dritten Mal
    Sie hören könnte.

    Prinzessin. Was? Sie haben Alles
    Gehört? Das ist abscheulich, Prinz. – Es war,
    Ich glaube gar, die Rede von der Liebe?

    Carlos. Und, irr' ich nicht, von einer glücklichen –
    Der schönste Text in diesem schönen Munde;
    Doch freilich nicht so wahr gesagt, als schön.

    Prinzessin. Nicht? nicht so wahr? – Und also zweifeln Sie?

    Carlos(ernsthaft).
    Ich zweifle fast, ob Carlos und die Fürstin
    Von Eboli sich je verstehen können,
    Wenn Liebe abgehandelt wird.
    (Die Prinzessin stutzt; er bemerkt es und fährt mit einer leichten Galanterie fort.)
    Denn wer,
    Wer wird es diesen Rosenwangen glauben,
    Daß Leidenschaft in dieser Brust gewühlt?
    Läuft eine Fürstin Eboli Gefahr,
    Umsonst und unerhört zu seufzen? Liebe
    Kennt Der allein, der ohne Hoffnung liebt.

    Prinzessin(mit ihrer ganzen vorigen Munterkeit).
    O, still! Das klingt ja fürchterlich. – Und freilich
    Scheint dieses Schicksal Sie vor allen Andern,
    Und vollends heute – heute zu verfolgen.
    (Ihn bei der Hand fassend, mit einschmeichelndem Interesse.)
    Sie sind nicht fröhlich, guter Prinz. – Sie leiden –
    Bei Gott, Sie leiden ja wohl gar. – Ist's möglich?
    Und warum leiden, Prinz? bei diesem lauten
    Berufe zum Genuß der Welt, bei allen
    Geschenken der verschwendrischen Natur
    Und allem Anspruch auf des Lebens Freuden?
    Sie – eines großen Königs Sohn und mehr,
    Weit mehr, als das, schon in der Fürstenwiege
    Mit Gaben ausgestattet, die sogar
    Auch Ihres Ranges Sonnenglanz verdunkeln?
    Sie – der im ganzen strengen Rath der Weiber
    Bestochne Richter sitzen hat, der Weiber,
    Die über Männerwerth und Männerruhm
    Ausschließend ohne Widerspruch entscheiden?
    Der, wo er nur bemerkte, schon erobert,
    Entzündet, wo er kalt geblieben, wo
    Er glühen will, mit Paradiesen spielen
    Und Götterglück verschenken muß – der Mann,
    Den die Natur zum Glück von Tausenden
    Und Wenigen mit gleichen Gaben schmückte,
    Er selber sollte elend sein? – O Himmel!
    Der du ihm Alles, Alles gabst, warum,
    Warum denn nur die Augen ihm versagen,
    Womit er seine Siege sieht?

    Carlos(der die ganze Zeit über in die tiefste Zerstreuung versunken war, wird durch das Stillschweigen der Prinzessin plötzlich zu sich selbst gebracht und fährt in die Höhe).
    Vortrefflich!
    Ganz unvergleichlich, Fürstin! Singen Sie
    Mir diese Stelle noch einmal.

    Prinzessin(sieht ihn erstaunt an). Carlos,
    Wo waren Sie indessen?

    Carlos(springt auf). Ja, bei Gott!
    Sie mahnen mich zur rechten Zeit. – Ich muß,
    Muß fort – muß eilends fort.

    Prinzessin(hält ihn zurück). Wohin?

    Carlos(in schrecklicher Beängstigung). Hinunter
    Ins Freie. – Lassen Sie mich los, Prinzessin,
    Mir wird, als rauchte hinter mir die Welt
    In Flammen auf –

    Prinzessin(hält ihn mit Gewalt zurück). Was haben Sie? Woher
    Dies fremde, unnatürliche Betragen?

    (Carlos bleibt stehen und wird nachdenkend. Sie ergreift diesen Augenblick, ihn zu sich auf den Sopha zu ziehen.)

    Sie brauchen Ruhe, lieber Carl – Ihr Blut
    Ist jetzt in Aufruhr – setzen Sie sich zu mir –
    Weg mit den schwarzen Fieberphantasien!
    Wenn Sie sich selber offenherzig fragen,
    Weiß dieser Kopf, was dieses Herz beschwert?
    Und wenn er's nun auch wüßte – sollte denn
    Von allen Rittern dieses Hofs nicht einer,
    Von allen Damen keine – Sie zu heilen,
    Sie zu verstehen, wollt' ich sagen – keine
    Von allen würdig sein?

    Carlos(flüchtig, gedankenlos). Vielleicht die Fürstin
    Von Eboli –

    Prinzessin(freudig, rasch). Wahrhaftig?

    Carlos. Geben Sie
    Mir eine Bittschrift – ein Empfehlungsschreiben
    An meinen Vater. Geben Sie! Man spricht,
    Sie gelten viel.

    Prinzessin. Wer spricht das? (Ha, so war es
    Der Argwohn, der dich stumm gemacht!)

    Carlos. Wahrscheinlich
    Ist die Geschichte schon herum. Ich habe
    Den schnellen Einfall, nach Brabant zu gehn,
    Um – bloß um meine Sporen zu verdienen.
    Das will mein Vater nicht. – Der gute Vater
    Besorgt, wenn ich Armeen commandierte –
    Mein Singen könne drunter leiden.

    Prinzessin. Carlos,
    Sie spielen falsch. Gestehen Sie, Sie wollen
    In dieser Schlangenwindung mir entgehn.
    Hieher gesehen, Heuchler! Aug' in Auge!
    Wer nur von Ritterthaten träumt – wird Der,
    Gestehen Sie – wird Der auch wohl so tief
    Herab sich lassen, Bänder, die den Damen
    Entfallen sind, begierig wegzustehlen
    Und – Sie verzeihn –

    (Indem sie mit einer leichten Fingerbewegung seine Hemdkrause wegschnellt und eine Bandschleife, die da verborgen war, wegnimmt.)

    so kostbar zu verwahren?

    Carlos(mit Befremdung zurücktretend).
    Prinzessin – Nein, das geht zu weit. – Ich bin
    Verrrathen. Sie betrügt man nicht. – Sie sind
    Mit Geistern, mit Dämonen einverstanden.

    Prinzessin. Darüber scheinen Sie erstaunt? Darüber?
    Was soll die Wette gelten, Prinz, ich rufe
    Geschichten in Ihr Herz zurück, Geschichten –
    Versuchen Sie es, fragen Sie mich aus.
    Wenn selbst der Laube Gaukelei'n, ein Laut,
    Verstümmelt in die Luft gehaucht, ein Lächeln,
    Von schnellem Ernste wieder ausgelöscht,
    Wenn selber schon Erscheinungen, Geberden,
    Wieder Ihre Seele ferne war, mir nicht
    Entgangen sind, urtheilen Sie, ob ich
    Verstand, wo Sie verstanden werden wollten?

    Carlos. Nun, das ist wahrlich viel gewagt. – Die Wette
    Soll gelten, Fürstin. Sie versprechen mir
    Entdeckungen in meinem eignen Herzen,
    Um die ich selber nie gewußt.

    Prinzessin(etwas empfindlich und ernsthaft). Nie, Prinz?
    Besinnen Sie sich besser. Sehn Sie um sich.
    Dies Cabinet ist keines von den Zimmern
    Der Königin, wo man das Bischen Maske
    Noch allenfalls zu loben fand. – Sie stutzen?
    Sie werden plötzlich lauter Gluth? – O freilich,
    Wer sollte wohl so scharfklug, so vermessen,
    So müßig sein, den Carlos zu belauschen,
    Wenn Carlos unbelauscht sich glaubt? – Wer sah's,
    Wie er beim letzten Hofball seine Dame,
    Die Königin, im Tanze stehen ließ
    Und mit Gewalt ins nächste Paar sich drängte,
    Statt seiner königlichen Tänzerin
    Der Fürstin Eboli die Hand zu reichen?
    Ein Irrthum, Prinz, den der Monarch sogar,
    Der eben jetzt erschienen war, bemerkte!

    Carlos(mit ironischem Lächeln).
    Auch sogar Der? Ja freilich, gute Fürstin,
    Für Den besonders war das nicht.

    Prinzessin So wenig,
    Als jener Auftritt in der Schloßkapelle,
    Worauf sich wohl Prinz Carlos selbst nicht mehr
    Besinnen wird. Sie lagen zu den Füßen
    Der heil'gen Jungfrau, in Gebet ergossen,
    Als plötzlich – konnten Sie dafür? – die Kleider
    Gewisser Damen hinter Ihnen rauschten.
    Da fing Don Philipps heldenmüth'ger Sohn,
    Gleich einem Ketzer vor dem heil'gen Amte,
    Zu zittern an; auf seinen bleichen Lippen
    Starb das vergiftete Gebet – im Taumel
    Der Leidenschaft – es war ein Possenspiel
    Zum Rühren, Prinz – ergreifen Sie die Hand,
    Der Mutter Gottes heil'ge kalte Hand,
    Und Feuerküsse regnen auf den Marmor.

    Carlos. Sie thun mir Unrecht, Fürstin. Das war Andacht.

    Prinzessin. Ja, dann ist's etwas andres, Prinz – dann freilich
    War's damals auch nur Furcht vor dem Verluste,
    Als Carlos mit der Königin und mir
    Beim Spielen saß und mit bewundernswerther
    Geschicklichkeit mir diesen Handschuh stahl –
    (Carlos springt bestürzt auf)
    Den er zwar gleich nachher so artig war –
    Statt einer Karte wieder auszuspielen.

    Carlos. O Gott – Gott – Gott! Was hab' ich da gemacht?

    Prinzessin. Nichts, was Sie widerrufen werden, hoff' ich.
    Wie froh erschrak ich, als mir unvermuthet
    Ein Briefchen in die Finger kam, das Sie
    In diesen Handschuh zu verstecken wußten.
    Es war die rührendste Romanze, Prinz,
    Die –

    Carlos(ihr rasch ins Wort fallend).
    Poesie! – Nichts weiter. – Mein Gehirn
    Treibt öfters wunderbare Blasen auf,
    Die schnell, wie sie entstanden sind, zerspringen.
    Das war es Alles. Schweigen wir davon.

    Prinzessin(vor Erstaunen von ihm weggehend und ihn eine Zeit lang aus der Entfernung beobachtend).
    Ich bin erschöpft – all meine Proben gleiten
    Von diesem schlangenglatten Sonderling.
    (Sie schweigt einige Augenblicke.)
    Doch wie? – Wär's ungeheurer Männerstolz,
    Der nur, sich desto süßer zu ergötzen,
    Die Blödigkeit als Larve brauchte? – Ja?
    (Sie nähert sich dem Prinzen wieder und betrachtet ihn zweifelhaft.)
    Belehren Sie mich endlich, Prinz – Ich stehe
    Vor einem rauberisch verschloßnen Schrank,
    Wo alle meine Schlüssel mich betrügen.

    Carlos. Wie ich vor Ihnen.

    Prinzessin(Sie verläßt ihn schnell, geht einigemal stillschweigend im Kabinet auf und nieder und scheint über etwas Wichtiges nachzudenken. Endlich nach einer großen Pause ernsthaft und feierlich).
    Endlich sei es denn –
    Ich muß einmal zu reden mich entschließen.
    Zu meinem Richter wähl' ich Sie. Sie sind
    Ein edler Mensch – ein Mann, sind Fürst und Ritter.
    An Ihren Busen werf' ich mich. Sie werden
    Mich retten, Prinz, und, wo ich ohne Rettung
    Verloren bin, theilnehmend um mich weinen.
    (Der Prinz rückt näher, mit erwartungsvollem, theilnehmendem Erstaunen.)
    Ein frecher Günstling des Monarchen buhlt
    Um meine Hand – Ruy Gomez, Graf von Silva –
    Der König will, schon ist man Handels einig,
    Ich bin der Creatur verkauft.

    Carlos(heftig ergriffen). Verkauft?
    Und wiederum verkauft? und wiederum
    Von dem berühmten Handelsmann in Süden?

    Prinzessin. Nein, hören Sie erst Alles. Nicht genug,
    Daß man der Politik mich hingeopfert,
    Auch meiner Unschuld stellt man nach – Da hier!
    Dies Blatt kann diesen Heiligen entlarven.

    (Carlos nimmt das Papier und hängt voll Ungeduld an ihrer Erzählung, ohne sich Zeit zu nehmen, es zu lesen.)

    Wo soll ich Rettung finden, Prinz? Bis jetzt
    War es mein Stolz, der meine Tugend schützte;
    Doch endlich –

    Carlos Endlich fielen Sie? Sie fielen?
    Nein, nein! um Gottes willen, nein!

    Prinzessin(stolz und edel). Durch wen?
    Armselige Vernünftelei! Wie schwach
    Von diesen starken Geistern! Weibergunst,
    Der Liebe Glück der Waare gleich zu achten,
    Worauf geboten werden kann! Sie ist
    Das Einzige auf diesem Rund der Erde,
    Was keinen Käufer leidet, als sich selbst.
    Die Liebe ist der Liebe Preis. Sie ist
    Der unschätzbare Diamant, den ich
    Verschenken oder, ewig ungenossen,
    Verscharren muß – dem großen Kaufmann gleich,
    Der, ungerührt von des Rialto Gold
    Und Königen zum Schimpfe, seine Perle
    Dem reichen Meere wiedergab, zu stolz,
    Sie unter ihrem Werthe loszuschlagen.

    Carlos. (Beim wunderbaren Gott – das Weib ist schön!)

    Prinzessin Man nenn' es Grille – Eitelkeit: gleichviel.
    Ich theile meine Freuden nicht. Dem Mann,
    Dem Einzigen, den ich mir auserlesen,
    Geb' ich für Alles Alles hin. Ich schenke
    Nur einmal, aber ewig. Einen nur
    Wird meine Liebe glücklich machen – Einen –
    Doch diesen Einzigen zum Gott. Der Seelen
    Entzückender Zusammenklang – ein Kuß –
    Der Schäferstunde schwelgerische Freuden –
    Der Schönheit hohe, himmlische Magie
    Sind eines Strahles schwesterliche Farben,
    Sind einer Blume Blätter nur. Ich sollte,
    Ich Rasende! ein abgerißnes Blatt
    Aus dieser Blume schönem Kelch verschenken?
    Ich selbst des Weibes hohe Majestät,
    Der Gottheit großes Meisterstück, verstümmeln,
    Den Abend eines Prassers zu versüßen?

    Carlos (Unglaublich! Wie? ein solches Mädchen hatte
    Madrid, und ich – und ich erfahr' es heute
    Zum ersten Mal?)

    Prinzessin. Längst hätt' ich diesen Hof
    Verlassen, diese Welt verlassen, hätte
    In heil'gen Mauern mich begraben; doch
    Ein einzig Band ist noch zurück, ein Band,
    Das mich an diese Welt allmächtig bindet.
    Ach, ein Phantom vielleicht! doch mir so werth!
    Ich liebe und bin – nicht geliebt.

    Carlos(voll Feuer auf sie zugehend). Sie sind's!
    So wahr ein Gott im Himmel wohnt, ich schwör' es.
    Sie sind's, und unaussprechlich.

    Prinzessin. Sie? Sie schwören's?
    Ich, das war meines Engels Stimme! Ja,
    Wenn freilich Sie es schwören, Carl, dann glaub' ich's,
    Dann bin ich's.

    Carlos(der sie voll Zärtlichkeit in die Arme schließt)
    Süßes, seelenvolles Mädchen!
    Anbetungswürdiges Geschöpf! – Ich stehe
    Ganz Ohr – ganz Auge – ganz Entzücken – ganz
    Bewunderung. – Wer hätte dich gesehn,
    Wer unter diesem Himmel dich gesehn
    Und rühmte sich – er habe nie geliebt? –
    Doch hier an König Philipps Hof? Was hier?
    Was, schöner Engel, willst du hier? bei Pfaffen
    Und Pfaffenzucht? Das ist kein Himmelsstrich
    Für solche Blumen. – Möchten sie sie brechen?
    Sie möchten – o, ich glaub' es gern. – Doch nein!
    So wahr ich Leben athme, nein! – Ich schlinge
    Den Arm um dich, auch meinen Armen trag' ich
    Durch eine teufelvolle Hölle dich!
    Ja – laß mich deinen Engel sein. –

    Prinzessin(mit dem vollen Blick der Liebe). O Carlos!
    Wie wenig hab' ich Sie gekannt! Wie reich
    Und grenzenlos belohnt Ihr schönes Herz
    Die schwere Müh', es zu begreifen!
    (Sie nimmt seine Hand und will sie küssen.)

    Carlos(der sie zurückzieht). Fürstin,
    Wie sind Sie jetzt?

    Prinzessin(mit Feinheit und Grazie, indem sie starr in seine Hand sieht).
    Wie schön ist diese Hand!
    Wie reich ist sie! – Prinz, diese Hand hat noch
    Zwei kostbare Geschenke zu vergeben –
    Ein Diadem und Carlos' Herz – und Beides
    Vielleicht an eine Sterbliche? – An eine?
    Ein großes, göttliches Geschenk! – Beinahe
    Für eine Sterbliche zu groß! – Wie? Prinz,
    Wenn Sie zu einer Theilung sich entschlössen?
    Die Königinnen lieben schlecht – ein Weib,
    Das lieben kann, versteht sich schlecht auf Kronen:
    Drum besser, Prinz, Sie theilen, und gleich jetzt,
    Gleich jetzt – Wie? Oder hätten Sie wohl schon?
    Sie hätten wirklich? O, dann um so besser!
    Und kenn' ich diese Glückliche?

    Carlos. Du sollst.
    Dir, Mädchen, dir entdeck' ich mich – der Unschuld,
    Der lautern, unentheiligten Natur
    Entdeck' ich mich. An diesem Hof bist du
    Die Würdigste, die Einzigste, die Erste,
    Die meine Seele ganz versteht. – Ja denn!
    Ich leugn' es nicht – ich liebe!

    Prinzessin. Böser Mensch!
    So schwer ist das Geständniß dir geworden?
    Beweinenswürdig mußt' ich sein, wenn du
    Mich liebenswürdig finden solltest?

    Carlos(stutzt). Was?
    Was ist das?

    Prinzessin. Solches Spiel mit mir zu treiben!
    O wahrlich, Prinz, es war nicht schön. Sogar
    Den Schlüssel zu verleugnen!

    Carlos. Schlüssel! Schlüssel!
    (Nach einem dumpfen Besinnen.)
    Ja so – so war's. – Nun merk' ich – – O mein Gott!
    (Seine Kniee wanken, er hält sich an einen Stuhl und verhüllt das Gesicht.)

    Prinzessin(Eine lange Stille von beiden Seiten. Die Fürstin schreit laut und fällt).
    Abscheulich! Was hab' ich gethan!

    Carlos(sich aufrichtend, im Ausbruch des heftigsten Schmerzes).
    So tief
    Herabgestürzt von allen meinen Himmeln! –
    O, das ist schrecklich!

    Prinzessin(das Gesicht in das Kissen verbergend).
    Was entdeck' ich? Gott!

    Carlos(vor ihr niedergeworfen).
    Ich bin nicht schuldig, Fürstin – Leidenschaft –
    Ein unglücksel'ger Mißverstand – Bei Gott!
    Ich bin nicht schuldig.

    Prinzessin(stößt ihn von sich). Weg aus meinen Augen,
    Um Gottes willen –

    Carlos. Nimmermehr! In dieser
    Entsetzlichen Erschüttrung Sie verlassen?

    Prinzessin(ihn mit Gewalt wegdrängend).
    Aus Großmuth, aus Barmherzigkeit, hinaus
    Von meinen Augen! – Wollen Sie mich morden?
    Ich hasse Ihren Anblick! (Carlos will gehen.) Meinen Brief
    Und meinen Schlüssel geben Sie mir wieder.
    Wo haben Sie den andern Brief?

    Carlos. Den andern?
    Was denn für einen andern?

    Prinzessin. Den vom König.

    Carlos(zusammenschreckend). Von wem?

    Prinzessin. Den Sie vorhin von mir bekamen.

    Carlos. Vom König? und an wen? an Sie?

    Prinzessin. O Himmel!
    Wie schrecklich hab' ich mich verstrickt! Den Brief!
    Heraus damit! ich muß ihn wieder haben.

    Carlos. Vom König Briefe, und an Sie?

    Prinzessin. Den Brief!
    Im Namen aller Heiligen!

    Carlos. Der einen
    Gewissen mir entlarven sollte – diesen?

    Prinzessin. Ich bin des Todes! – Geben Sie!

    Carlos. Der Brief –

    Prinzessin(in Verzweiflung die Hände ringend).
    Was hab' ich Unbesonnene gewagt!

    Carlos. Der Brief – der kam vom König? – Ja, Prinzessin,
    Das ändert freilich Alles schnell – Das ist
    (den Brief frohlockend emporhaltend)
    Ein unschätzbarer – schwerer – theurer Brief,
    Den alle Kronen Philipps einzulösen
    Zu leicht, zu nichtsbedeutend sind. – Den Brief
    Behalt' ich (Er geht.)

    Prinzessin(wirft sich ihm in den Weg).
    Großer Gott, ich bin verloren!

    Neunter Auftritt.

    Die Prinzessin allein.

    (Sie steht noch betäubt, außer Fassung; nachdem er hinaus ist, eilt sie ihm nach und will ihn zurückrufen.)

    Prinz, noch ein Wort. Prinz, hören Sie – Er geht!
    Auch das noch! Er verachtet mich – Da steh' ich
    In fürchterlicher Einsamkeit – verstoßen,
    Verworfen – (Sie sinkt auf einen Sessel. Nach einer Pause.)
    Nein! Verdrungen nur, verdrungen
    Von einer Nebenbuhlerin. Er liebt.
    Kein Zweifel mehr. Er hat es selbst bekannt.
    Doch wer ist diese Glückliche? – So viel
    Ist offenbar – er liebt, was er nicht sollte.
    Er fürchtet die Entdeckung. Vor dem König
    Verkriecht sich seine Leidenschaft – Warum
    Vor diesem, der sie wünschte? – Oder ist's
    Der Vater nicht, was er im Vater fürchtet?
    Als ihm des Königs buhlerische Absicht
    Verrathen war – da jauchzten seine Mienen,
    Frohlockt' er, wie ein Glücklicher... Wie kam es,
    Daß seine strenge Tugend hier verstummte?
    Hier? eben hier? Was kann denn er dabei,
    Er zu gewinnen haben, wenn der König
    Der Königin die –

    (Sie hält plötzlich ein, von einem Gedanken überrascht – Zu gleicher Zeit reißt sie die Schleife, die ihr Carlos gegeben hat, von dem Busen, betrachtet sie schnell und erkennt sie.)

    Jetzt endlich, jetzt – Wo waren meine Sinne?
    Jetzt gehen mir die Augen auf – Sie hatten
    Sich lang geliebt, eh der Monarch sie wählte.
    Nie ohne sie sah mich der Prinz. – Sie also,
    Sie war gemeint, wo ich so grenzenlos,
    So warm, so wahr mich angebetet glaubte?
    O, ein Betrug, der ohne Beispiel ist!
    Und meine Schwäche hab' ich ihr verrathen –
    (Stillschweigen.)
    Daß er ganz ohne Hoffnung lieben sollte!
    Ich kann's nicht glauben – Hoffnungslose Liebe
    Besteht in diesem Kampfe nicht. Zu schwelgen,
    Wo unerhört der glänzendste Monarch
    Der Erde schmachtet – Wahrlich! solche Opfer
    Bringt hoffnungslose Liebe nicht. Wie feurig
    War nicht sein Kuß! Wie zärtlich drückt' er mich,
    Wie zärtlich an sein schlagend Herz! – Die Probe
    War fast zu kühn für die romant'sche Treue,
    Die nicht erwiedert werden soll – Er nimmt
    Den Schlüssel an, den, wie er sich beredet,
    Die Königin ihm zugeschickt – er glaubt
    An diesen Riesenschritt der Liebe – kommt,
    Kommt wahrlich, kommt! – So traut er Philipps Frau
    Die rasende Entschließung zu. – Wie kann er,
    Wenn hier nicht große Proben ihn ermuntern?
    Es ist am Tag. Er wird erhört. Sie liebt!
    Beim Himmel, diese Heilige empfindet!
    Wie fein ist sie!... Ich zitterte ich selbst,
    Vor dem erhabnen Schreckbild dieser Tugend.
    Ein höhres Wesen ragt sie neben mir.
    In ihrem Glanz erlösch' ich. Ihrer Schönheit
    Mißgönnt' ich diese hohe Ruhe, frei
    Von jeder Wallung sterblicher Naturen.
    Und diese Ruhe war nur Schein? Sie hätte
    An beiden Tafeln schwelgen wollen? – Hätte
    Den Götterschein der Tugend schaugetragen,
    Und doch zugleich des Lasters heimliche
    Entzückungen zu naschen sich erdreistet?
    Das durfte sie? Das sollte ungerochen
    Der Gauklerin gelungen sein? Gelungen,
    Weil sich kein Rächer meldet? – Nein, bei Gott!
    Ich betete sie an – Das fordert Rache!
    Der König wisse den Betrug – der König?
    (Nach einigem Besinnen.)
    Ja, recht – das ist ein Weg zu seinem Ohre. (Sie geht ab.)


    Ein Zimmer im königlichen Palaste.

    Zehnter Auftritt.

    Herzog von Alba. Pater Domingo.

    Domingo. Was wollten Sie mir sagen?

    Alba. Eine wicht'ge
    Entdeckung, die ich heut gemacht, worüber
    Ich einen Aufschluß haben möchte.

    Domingo. Welche
    Entdeckung? Wovon reden Sie?

    Alba. Prinz Carlos
    Und ich begegnen diesen Mittag uns
    Im Vorgemach der Königin. Ich werde
    Beleidigt. Wir erhitzen uns. Der Streit
    Wird etwas laut. Wir greifen zu den Schwertern.
    Die Königin auf das Getöse öffnet
    Das Zimmer, wirft sich zwischen uns und sieht
    Mit einem Blick despotischer Vertrautheit
    Den Prinzen an. – Es war ein einz'ger Blick. –
    Sein Arm erstarrt – er fliegt an meinen Hals –
    Ich fühle einen heißen Kuß – er ist
    Verschwunden.

    Domingo(nach einigem Stillschweigen). Das ist sehr verdächtig. – Herzog,
    Sie mahnen mich an etwas. – – Aehnliche
    Gedanken, ich gesteh' es, keimten längst
    In meiner Brust. – Ich flohe diese Träume –
    Noch hab' ich Niemand sie vertraut. Es gibt
    Zweischneid'ge Klingen, ungewisse Freunde –
    Ich fürchte diese. Schwer zu unterscheiden,
    Noch schwerer zu ergründen sind die Menschen.
    Entwischte Worte sind beleidigte
    Vertraute – drum begrub ich mein Geheimniß,
    Bis es die Zeit ans Licht hervorgewälzt.
    Gewisse Dienste Königen zu leisten,
    Ist mißlich, Herzog –- ein gewagter Wurf,
    Der, fehlt er seine Beute, auf den Schützen
    Zurücke prallt. – Ich wollte, was ich sage,
    Auf eine Hostie beschwören – doch
    Ein Augenzeugniß, ein erhaschtes Wort,
    Ein Blatt Papier fällt schwerer in die Wage,
    Als mein lebendigstes Gefühl. – Verwünscht,
    Daß wir auf span'schem Boden stehn!

    Alba. Warum
    Auf diesem nicht?

    Domingo. An jedem andern Hofe
    Kann sich die Leidenschaft vergessen. Hier
    Wird sie gewarnt von ängstlichen Gesetzen.
    Die span'schen Königinnen haben Müh,
    Zu sündigen – ich glaub' es – doch zum Unglück
    Nur da – gerade da nur, wo es uns
    Am besten glückte, sie zu überraschen.

    Alba. Hören Sie weiter – Carlos hatte heut'
    Gehör beim König. Eine Stunde währte
    Die Audienz. Er bat um die Verwaltung
    Der Niederlande. Laut und heftig bat er;
    Ich hört' es in dem Kabinet. Sein Auge
    War roth geweint, als ich ihm an der Thüre
    Begegnete. Den Mittag drauf erscheint er
    Mit einer Miene des Triumphs. Er ist
    Entzückt, daß mich der König vorgezogen.
    Er dankt es ihm. Die Sachen stehen anders,
    Sagt er, und besser. Heucheln konnt' er nie.
    Wie soll ich diese Widersprüche reimen?
    Der Prinz frohlockt, hintangesetzt zu sein,
    Und mir ertheilt der König eine Gnade
    Mit allen Zeichen seines Zorns! – Was muß
    Ich glauben? Wahrlich, diese neue Würde
    Sieht einer Landsverweisung ähnlicher
    Als einer Gnade.

    Domingo. Dahin also wär' es
    Gekommen? Dahin? Und ein Augenblick
    Zertrümmerte, was wieder in Jahren bauten?
    Und Sie so ruhig? so gelassen? – Kennen
    Sie diesen Jüngling? Ahnen Sie, was uns
    Erwartet, wenn er mächtig wird? – Der Prinz –
    – Ich bin sein Feind nicht. Andre Sorgen nagen
    An meiner Ruhe, Sorgen für den Thron,
    Für Gott und seine Kirche. Der Infant
    (Ich kenn' ihn – ich durchdringe seine Seele)
    Hegt einen schrecklichen Entwurf – Toledo –
    Den rasenden Entwurf, Regent zu sein
    Und unsern heil'gen Glauben zu entbehren. –
    Sein Herz entglüht für einen neue Tugend,
    Die, stolz und sicher und sich selbst genug,
    Von keinem Glauben betteln will. – Er denkt!
    Sein Kopf entbrennt von einer seltsamen
    Chimäre – er verehrt den Menschen – Herzog,
    Ob er zu unserm König taugt?

    Alba. Phantome!
    Was sonst? Vielleicht auch jugendlicher Stolz,
    Der eine Rolle spielen möchte. – Bleibt
    Ihm eine andre Wahl? Das geht vorbei,
    Trifft ihn einmal die Reihe, zu befehlen.

    Domingo. Ich zweifle. Er ist stolz auf seine Freiheit,
    Des Zwanges ungewohnt, womit man Zwang
    Zu kaufen sich bequemen muß. – Taugt er
    Auf unsern Thron? Der kühne Riesengeist
    Wird unsrer Staatskunst Linien durchreißen.
    Umsonst versucht' ich's, diesen trotz'gen Muth
    In dieser Zeiten Wollust abzumatten;
    Er überstand die Probe – Schrecklich ist
    In diesem Körper dieser Geist – und Philipp
    Wird sechzig Jahr' alt.

    Alba. Ihre Blicke reichen
    Sehr weit.

    Domingo. Er und die Königin sind Eins.
    Schon schleicht, verborgen zwar, in Beider Brust
    Das Gift der Neuerer; doch bald genug,
    Gewinnt es Raum, wird es den Thron ergreifen.
    Ich kenne diese Valois. – Fürchten wir
    Die ganze Rache dieser stillen Feindin,
    Wenn Philipp Schwächen sich erlaubt. Noch ist
    Das Glück uns günstig. Kommen wir zuvor.
    In eine Schlinge stürzen Beide. – Jetzt
    Ein solcher Wink dem Könige gegeben,
    Bewiesen oder nicht bewiesen – viel
    Ist schon gewonnen, wenn er wankt. Wir selbst,
    Wir zweifeln Beide nicht. Zu überzeugen
    Fällt keine Ueberzeugten schwer. Es kann
    Nicht fehlen, wir entdecken mehr, sind wir
    Vorher gewiß, daß wir entdecken müssen.

    Alba. Doch nun die wichtigste von allen Fragen:
    Wer nimmt's auf sich, den König zu belehren?

    Domingo. Noch Sie, noch ich. Erfahren Sie also,
    Was lange schon, des großen Planes voll,
    Mein stiller Fleiß dem Ziele zugetrieben.
    Noch mangelt, unser Bündniß zu vollenden,
    Die dritte, wichtigste Person. – Der König
    Liebt die Prinzessin Eboli. Ich nähre
    Die Leidenschaft, die meinen Wünschen wuchert.
    Ich bin sein Abgesandter – unserm Plane
    Erzieh' ich sie. – In dieser jungen Dame,
    Gelingt mein Werk, soll eine Blutsverwandtin,
    Soll eine Königin uns blühn. Sie selbst
    Hat jetzt in dieses Zimmer mich berufen.
    Ich hoffe Alles. – Jene Lilien
    Von Valois zerknickt ein span'sches Mädchen
    Vielleicht in einer Mitternacht.

    Alba. Was hör' ich?
    Ist's Wahrheit, was ich jetzt gehört? – Beim Himmel!
    Das überrascht mich! Ja, der Streich vollendet!
    Dominicaner, ich bewundre dich,
    Jetzt haben wir gewonnen –

    Domingo. Still! Wer kommt?
    Sie ist's – sie selbst.

    Alba. Ich bin im nächsten Zimmer,
    Wenn man –

    Domingo. Schon recht. Ich rufe Sie.

    (Der Herzog von Alba geht ab.)

    Eilfter Auftritt.

    Die Prinzessin. Domingo.

    Domingo. Zu Ihren
    Befehlen, gnäd'ge Fürstin.

    Prinzessin(dem Herzog neugierig nachsehend). Sind wir etwa
    Nicht ganz allein? Sie haben, wie ich sehe,
    Noch einen Zeugen bei sich?

    Domingo. Wie?

    Prinzessin. Wer war es,
    Der eben jetzt von Ihnen ging?

    Domingo. Der Herzog
    Von Alba, gnäd'ge Fürstin, der nach mir
    Um die Erlaubniß bittet, vorgelassen
    zu werden.

    Prinzessin. Herzog Alba? Was will der?
    Was kann er wollen? Wissen Sie vielleicht
    Es mir zu sagen?

    Domingo. Ich? und eh' ich weiß,
    Was für ein Vorfall von Bedeutung mir
    Das lang' entbehrte Glück verschafft, der Fürstin
    Von Eboli mich wiederum zu nähern?
    (Pause, worin er ihre Antwort erwartet.)
    Ob sich ein Umstand endlich vorgefunden,
    Der für des Königs Wünsche spricht? ob ich
    Mit Grund gehofft, daß beßre Ueberlegung
    Mit einem Anerbieten Sie versöhnt,
    Das Eigensinn, das Laune bloß verworfen?
    Ich komme voll Erwartung –

    Prinzessin. Brachten Sie
    Dem König meine letzte Antwort?

    Domingo. Noch
    Verschob ich's, ihn so tödtlich zu verwunden.
    Noch, gnäd'ge Fürstin, ist es Zeit. Es steht
    Bei Ihnen, sie zu mildern.

    Prinzessin. Melden Sie
    Dem König, daß ich ihn erwarte.

    Domingo. Darf
    Ich das für Wahrheit nehmen, schöne Fürstin?

    Prinzessin. Für Scherz doch nicht? Bei Gott, Sie machen mir
    Ganz bange. – Wie? Was hab' ich denn gethan,
    Wenn sogar Sie – Sie selber sich entfärben?

    Domingo. Prinzessin, diese Ueberraschung – kaum
    Kann ich es fassen –

    Prinzessin. Ja, hochwürd'ger Herr,
    Das sollen Sie auch nicht. Um alle Güter
    Der Welt möcht' ich nicht haben, daß Sie's faßten.
    Genug für Sie, daß es so ist. Ersparen
    Sie sich die Mühe, zu ergrübeln, wessen
    Beredsamkeit Sie diese Wendung danken.
    Zu Ihrem Trost setz' ich hinzu: Sie haben
    Nicht Theil an dieser Sünde. Auch wahrhaftig
    Die Kirche nicht; obschon Sie mir bewiesen,
    Daß Fälle möglich wären, wo die Kirche
    Sogar die Körper ihrer jungen Töchter
    Für höhre Zwecke zu gebrauchen wüßte.
    Auch diese nicht. – Dergleichen fromme Gründe,
    Ehrwürd'ger Herr, sind mir zu hoch –

    Domingo. Sehr gerne,
    Prinzessin, nehm' ich sie zurück, sobald
    Sie überflüssig waren.

    Prinzessin. Bitten Sie
    Von meinetwegen den Monarchen, ja
    In dieser Haltung mich nicht zu verkennen.
    Was ich gewesen, bin ich noch. Die Lage
    Der Dinge nur hat seitdem sich verwandelt.
    Als ich sein Anerbieten mit Entrüstung
    Zurücke stieß, da glaubt' ich im Besitze
    Der schönsten Königin ihn glücklich – glaubte
    Die treue Gattin meines Opfers werth.
    Das glaubt' ich damals – damals. Freilich jetzt,
    Jetzt weiß ich's besser.

    Domingo. Fürstin, weiter, weiter.
    Ich hör' es, wir verstehen uns.

    Prinzessin. Genug,
    Sie ist erhascht. Ich schone sie nicht länger.
    Die schlaue Diebin ist erhascht. Den König,
    Ganz Spanien und mich hat sie betrogen.
    Sie liebt. Ich weiß es, daß sie liebt. Ich bringe
    Beweise, die sie zittern machen sollen.
    Der König ist betrogen – doch, bei Gott,
    Er sei es ungerochen nicht! Die Larve
    Erhabner, übermenschlicher Entsagung
    Reiß' ich ihr ab, daß alle Welt die Stirne
    Der Sünderin erkennen soll. Es kostet
    Mir einen ungeheuren Preis, doch – das
    Entzückt mich, das ist mein Triumph – doch ihr
    Noch einen größern.

    Domingo. Nun ist Alles reif.
    Erlauben Sie, daß ich den Herzog rufe. (Er geht hinaus.)

    Prinzessin(erstaunt). Was wird das?

    Zwölfter Auftritt.

    Die Prinzessin. Herzog Alba. Domingo.

    Domingo(der den Herzog hereinführt). Unsre Nachricht, Herzog Alba,
    Kommt hier zu spät. Die Fürstin Eboli
    Entdeckt uns ein Geheimniß, das sie eben
    Von uns erfahren sollte.

    Alba. Mein Besuch
    Wird dann um so viel minder sie befremden.
    Ich traue meinen Augen nicht. Dergleichen
    Entdeckungen verlangen Weiberblicke.

    Prinzessin. Sie sprechen von Entdeckungen?

    Domingo. Wir wünschten
    Zu wissen, gnäd'ge Fürstin, welchen Ort
    Und welche beßre Stunde Sie –

    Prinzessin. Auch das!
    So will ich morgen Mittag Sie erwarten.
    Ich habe Gründe, dieses strafbare
    Geheimniß länger nicht zu bergen – es
    Nicht länger mehr dem König zu entziehn.

    Alba. Das war es, was mich hergeführt. Sogleich
    Muß der Monarch es wissen. Und durch Sie,
    Durch Sie, Prinzessin, muß er das. Wem sonst,
    Wem sollt' er lieber glauben, als der strengen,
    Der wachsamen Gespielin seines Weibes?

    Domingo. Wem mehr, als Ihnen, die, sobald sie will,
    Ihn unumschränkt beherrschen kann?

    Alba. Ich bin
    Erklärter Feind des Prinzen.

    Domingo. Eben das
    Ist man gewohnt von mir vorauszusetzen.
    Die Fürstin Eboli ist frei. Wo wir
    Verstummen müssen, zwingen Pflichten Sie,
    Zu reden, Pflichten Ihres Amts. Der König
    Entflieht uns nicht, wenn Ihre Winke wirken,
    Und dann vollenden wir das Werk.

    Alba. Doch bald,
    Gleich jetzt muß das geschehn. Die Augenblicke
    Sind kostbar. Jede nächste Stunde kann
    Mir den Befehl zum Abmarsch bringen. –

    Domingo(sich nach einigem Ueberlegen zur Fürstin wendend). Ob
    Sich Briefe finden ließen? Briefe freilich,
    Von dem Infanten aufgefangen, müßten
    Hier Wirkung thun. – Laß sehen. – Nicht wahr? – Ja.
    Sie schlafen doch – so däucht mir – in demselben
    Gemache mir der Königin.

    Prinzessin. Zunächst
    An diesem. – Doch was soll mir das?

    Domingo. Wer sich
    Auf Schlösser gut verstände! Haben Sie
    Bemerkt, wo sie den Schlüssel zur Schatulle
    Gewöhnlich zu bewahren pflegt?

    Prinzessin.(nachdenkend). Das könnte
    Zu etwas führen. – Ja – der Schlüssel wäre
    Zu finden, denk' ich. –

    Domingo. Briefe wollen Boten – –
    Der Königin Gefolg' ist groß. – – Wer hier
    Auf eine Spur gerathen könnte! – – Gold
    Vermag zwar viel –

    Alba. Hat Niemand wahrgenommen,
    Ob er Infant Vertraute hat?

    Domingo. Nicht einen,
    In ganz Madrid nicht einen.

    Alba. Das ist seltsam.

    Domingo. Das dürfen Sie mir glauben. Er verachtet
    Den ganzen Hof; ich habe meine Proben.

    Alba. Doch wie? Hier eben fällt mir ein, als ich
    Von dem Gemach der Königin heraus kam,
    Stand der Infant bei einem ihrer Pagen;
    Sie sprachen heimlich –

    Prinzessin(rasch einfallend). Nicht doch, nein! Das war –
    Das war von etwas Anderm.

    Domingo. Können wir
    Das wissen? – Nein, der Umstand ist verdächtig. –
    (Zum Herzog.)
    Und kannten Sie den Pagen?

    Prinzessin. Kinderpossen!
    Was wird's auch sonst gewesen sein? Genug,
    Ich kenne das. – Wir sehn uns also wieder,
    Eh' ich den König spreche. – Unterdessen
    Entdeckt sich viel.

    Domingo(sie auf die Seite führend). Und der Monarch darf hoffen?
    Ich darf es ihm verkündigen? Gewiß?
    Und welche schöne Stunde seinen Wünschen
    Erfüllung endlich bringen wird? Auch dies?

    Prinzessin. In ein'gen Tagen werd' ich krank; man trennt mich
    Von der Person der Königin – das ist
    An unserm Hofe Sitte, wie Sie wissen.
    Ich bleibe dann auf meinem Zimmer.

    Domingo. Glücklich!
    Gewonnen ist das große Spiel. Trotz sei
    Geboten allen Königinnen –

    Prinzessin. Horch!
    Man fragt nach mir – die Königin verlangt mich.
    Auf Wiedersehen. (Sie eilt ab.)

    Dreizehnter Auftritt.

    Alba. Domingo.

    Domingo(nach einer Pause, worin er die Prinzessin mit den Augen begleitet hat).
    Herzog, diese Rosen
    Und Ihre Schlachten –

    Alba. Und dein Gott – so will ich
    Den Blitz erwarten, der uns stürzen soll! (Sie gehen ab.)

    In einem Karthäuserkloster.

    Vierzehnter Auftritt.

    Don Carlos. Der Prior.

    Carlos(zum Prior, indem er hereintritt).
    Schon da gewesen also? – Das beklag' ich.

    Prior. Seit heute Morgen schon das dritte Mal.
    Vor einer Stunde ging er weg –

    Carlos. Er will
    Doch wiederkommen? Hinterließ er nicht?

    Prior. Vor Mittag noch, versprach er.

    Carlos(an ein Fenster und sich in der Gegend umsehend). Euer Kloster
    Liegt weit ab von der Straße. – Dorthin zu
    Sieht man noch Thürme von Madrid. – Ganz recht,
    Und hier fließt der Manzanares – Die Landschaft
    Ist, wie ich sie mir wünsche. Alles ist
    Hier still, wie ein Geheimniß.

    Prior. Wie der Eintritt
    Ins andre Leben.

    Carlos. Eurer Redlichkeit,
    Hochwürd'ger Herr, hab' ich mein Kostbarstes,
    Mein Heiligstes vertraut. Kein Sterblicher
    Darf wissen oder nur vermuthen, wen
    Ich hier gesprochen und geheim. Ich habe
    Sehr wicht'ge Gründe, vor der ganzen Welt
    Den Mann, den ich erwarte, zu verleugnen:
    Drum wählt' ich dieses Kloster. Vor Verräthern,
    Vor Ueberfall sind wir doch sicher? Ihr
    Besinnt Euch doch, was Ihr mir zugeschworen?

    Prior. Vertrauen Sie uns, gnäd'ger Herr. Der Argwohn
    Der Könige wird Gräber nicht durchsuchen.
    Das Ohr der Neugier liegt nur an den Thüren
    Des Glückes und der Leidenschaft. Die Welt
    Hört auf in diesen Mauern.

    Carlos. Denkt Ihr etwa,
    Daß hinter diese Vorsicht, diese Furcht
    Ein schuldiges Gewissen sich verkrieche?

    Prior. Ich denke nichts.

    Carlos. Ihr irrt Euch, frommer Vater,
    Ihr irrt Euch wahrlich. Mein Geheimniß zittert
    Vor Menschen, aber nicht vor Gott.

    Prior. Mein Sohn,
    Das kümmert uns sehr wenig. Diese Freistatt
    Steht dem Verbrechen offen, wie der Unschuld.
    Ob, was du vorhast, gut ist oder übel,
    Rechtschaffen oder lasterhaft – das mache
    Mit deinem Herzen aus.

    Carlos(mit Wärme). Was wir
    Verheimlichen, kann Euren Gott nicht schänden.
    Es ist sein eignes, schönstes Werk. – Zwar Euch,
    Euch kann ich's wohl entdecken.

    Prior. Zu was Ende?
    Erlassen Sie mir's lieber, Prinz. Die Welt
    Und ihr Geräthe liegt schon lange Zeit
    Versiegelt da auf jene große Reise.
    Wozu die kurze Frist vor meinem Abschied
    Noch einmal es erbrechen? – Es ist wenig,
    Was man zur Seligkeit bedarf. – Die Glocke
    Zur Hora läutet. Ich muß beten gehn. (Der Prior geht ab.)

    Fünfzehnter Auftritt.

    Don Carlos. Der Marquis von Posa tritt ein.

    Carlos. Ach, endlich einmal, endlich –

    Marquis Welche Prüfung
    Für eines Freundes Ungeduld! Die Sonne
    Ging zweimal auf und zweimal unter, seit
    Das Schicksal meines Carlos sich entschieden,
    Und jetzt, erst jetzt werd' ich es hören. – Sprich,
    Ihr seid versöhnt?

    Carlos. Wer?

    Marquis. Du und König Philipp;
    Und auch mit Flandern ist's entschieden?

    Carlos. Daß
    Der Herzog morgen dahin reist? – Das ist
    Entschieden, ja.

    Marquis. Das kann nicht sein. Das ist nicht.
    Soll ganz Madrid belogen sein? Du hattest
    Geheime Audienz, sagt man. Der König –

    Carlos. Blieb unbewegt. Wir sind getrennt auf immer,
    Und mehr, als wir's schon waren –

    Marquis. Du gehst nicht
    Nach Flandern?

    Carlos. Nein! Nein! Nein!

    Marquis. O meine Hoffnung!

    Carlos. Das nebenbei. O Roderich, seitdem
    Wir uns verließen, was hab' ich erlebt!
    Doch jetzt vor Allem deinen Rath! Ich muß
    Sie sprechen –

    Marquis. Deine Mutter? – Nein! – Wozu?

    Carlos. Ich habe Hoffnung. – Du wirst blaß? Sei ruhig.
    Ich soll und werde glücklich sein. – Doch davon
    Ein ander Mal. Jetzt schaffe Rath, wie ich
    Sie sprechen kann. –

    Marquis. Was soll das? Worauf gründet
    Sich dieser neue Fiebertraum?

    Carlos. Nicht Traum!
    Beim wundervollen Gotte nicht! – Wahrheit, Wahrheit!
    (den Brief des Königs an die Fürstin von Eboli hervorziehend)
    In diesem wichtigen Papier enthalten!
    Die Königin ist frei, vor Menschenaugen,
    Wie vor des Himmels Augen, frei. Da lies
    Und höre auf, dich zu verwundern.

    Marquis(den Brief öffnend). Was?
    Was seh' ich? Eigenhändig vom Monarchen?
    (Nachdem er es gelesen.)
    An wen ist dieser Brief?

    Carlos. An die Prinzessin
    Von Eboli. – Vorgestern bringt ein Page
    Der Königin von unbekannten Händen
    Mir einen Brief und einen Schlüssel. Man
    Bezeichnet mir im linken Flügel des
    Palastes, den die Königin bewohnet,
    Ein Kabinet, wo eine Dame mich
    Erwarte, die ich längst geliebt. Ich folge
    Sogleich dem Winke –

    Marquis. Rasender, du folgst?

    Carlos. Ich kenne ja die Handschrift nicht – ich kenne
    Nur eine solche Dame. Wer, als sie,
    Wird sich von Carlos angebetet wähnen?
    Voll süßen Schwindels flieg' ich nach dem Platze;
    Ein göttlicher Gesang, der aus dem Innern
    Des Zimmers mir entgegen schallt, dient mir
    Zum Führer – ich eröffne das Gemach –
    Und wen entdeck' ich? – Fühle mein Entsetzen!

    Marquis. O, ich errathe Alles.

    Carlos. Ohne Rettung
    War ich verloren, Roderich, wär' ich
    In eines Engels Hände nicht gefallen.
    Welch unglücksel'ger Zufall! Hintergangen
    Von meiner Blicke unvorsicht'ger Sprache,
    Gab sie der süßen Täuschung sich dahin,
    Sie selber sei der Abgott dieser Blicke.
    Gerührt von meiner Seele stillen Leiden,
    Beredet sich großmüthig-unbesonnen
    Ihr weiches Herz, mir Liebe zu erwiedern.
    Die Ehrfurcht schien mir Schweigen zu gebieten;
    Sie hat die Kühnheit, es zu brechen – offen
    Liegt ihre schöne Seele mir –

    Marquis. So ruhig
    Erzählst du das? – Die Fürstin Eboli
    Durchschaute dich. Kein Zweifel mehr, sie drang
    In deiner Liebe innerstes Geheimniß.
    Du hast sie schwer beleidigt. Sie beherrscht
    Den König.

    Carlos(zuversichtlich). Sie ist tugendhaft.

    Marquis. Sie ist's
    Aus Eigennutz der Liebe. – Diese Tugend,
    Ich fürchte sehr, ich kenne sie – wie wenig
    Reicht sie empor zu jenem Ideale,
    Das aus der Seele mütterlichem Boden,
    In stolzer, schöner Grazie empfangen,
    Freiwillig sproßt und ohne Gärtners Hilfe
    Verschwenderische Blüthen treibt! Es ist
    Ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
    In einem rauhern Himmelsstrich getrieben,
    Erziehung, Grundsatz, nenn' es, wie du willst,
    Erworbne Unschuld, dem erhitzten Blut
    Durch List und schwere Kämpfe abgerungen,
    Dem Himmel, der sie fordert und bezahlt,
    Gewissenhaft, sorgfältig angeschrieben.
    Erwäge selbst! Wird sie der Königin
    Es je vergeben können, daß ein Mann
    An ihrer eignen, schwer erkämpften Tugend
    Vorüberging, sich für Don Philipps Frau
    In hoffnungslosen Flammen zu verzehren?

    Carlos. Kennst du die Fürstin so genau?

    Marquis. Gewiß nicht.
    Kaum daß ich zweimal sie gesehn. Doch nur
    Ein Wort laß mich noch sagen: mir kam vor,
    Daß sie geschickt des Lasters Blößen mied,
    Daß sie sehr gut um ihre Tugend wußte.
    Dann sah ich auch die Königin. O Carl,
    Wie anders Alles, was ich hier bemerkte!
    In angeborner stiller Glorie,
    Mit sorgenlosem Leichtsinn, mit des Anstands
    Schulmäßiger Berechnung unbekannt,
    Gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
    Mit festem Heldenschritte wandelt sie
    Die schmale Mittelbahn des Schicklichen,
    Unwissend, daß sie Anbetung erzwungen,
    Wo sie von eignem Beifall nie geträumt.
    Erkennt mein Carl auch hier in diesem Spiegel,
    Auch jetzt noch seine Eboli? – Die Fürstin
    Blieb standhaft, weil sie liebte; Liebe war
    In ihre Tugend wörtlich einbedungen.
    Du hast sie nicht belohnt – sie fällt.

    Carlos(mit einiger Heftigkeit). Nein! Nein!
    (Nachdem er heftig auf und nieder gegangen.)
    Nein, sag' ich dir. – Ich, wüßte Roderich,
    Wie trefflich es ihn kleidet, seinem Carl
    Der Seligkeiten göttlichste, den Glauben
    An menschliche Vortrefflichkeit, zu stehlen!

    Marquis. Verdien' ich das? – Nein, Liebling meiner Seele,
    Das wollt' ich nicht, bei Gott im Himmel nicht! –
    O, diese Eboli – sie wär' ein Engel,
    Und ehrerbietig, wie du selbst, stürzt' ich
    Vor ihrer Glorie mich nieder, hätte
    Sie – dein Geheimniß nicht erfahren.

    Carlos. Sieh,
    Wie eitel deine Furcht ist! Hat sie andre
    Beweise wohl, als die sie selbst beschämen?
    Wird sie der Rache trauriges Vergnügen
    Mit ihrer Ehre kaufen?

    Marquis. Ein Erröthen
    Zurückzunehmen, haben Manche schon
    Der Schande sich geopfert.

    Carlos(mit Heftigkeit aufstehend). Nein, das ist
    Zu hart, zu grausam! Sie ist stolz und edel;
    Ich kenne sie und fürchte nichts. Umsonst
    Versuchst du, meine Hoffnungen zu schrecken.
    Ich spreche meine Mutter.

    Marquis. Jetzt? Wozu?

    Carlos. Ich habe nun nichts mehr zu schonen – muß
    Mein Schicksal wissen. Sorge nur, wie ich
    Sie sprechen kann.

    Marquis. Und diesen Brief willst du
    Ihr zeigen? Wirklich, willst du das?

    Carlos. Befrage
    Mich darum nicht. Das Mittel jetzt, das Mittel,
    Daß ich sie spreche!

    Marquis(mit Bedeutung). Sagtest du mir nicht,
    Du liebtest deine Mutter? – Du bist Willens,
    Ihr diesen Brief zu zeigen?
    (Carlos sieht zur Erde und schweigt.)
    Carl, ich lese
    In deinen Mienen etwas – mir ganz neu –
    Ganz fremd bis diesen Augenblick. – Du wendest
    Die Augen von mir? Warum wendest du
    Die Augen von mir? So ist's wahr? – Ob ich
    Denn wirklich recht gelesen? Laß doch sehn –

    (Carlos gibt ihm den Brief. Der Marquis zerreißt ihn.)

    Carlos. Was? Bist du rasend?
    (Mit gemäßigter Empfindlichkeit.)
    Wirklich – ich gesteh' es –
    An diesem Briefe lag mir viel.

    Marquis. So schien es.
    Darum zerriß ich ihn.

    (Der Marquis ruht mit einem durchdringenden Blick auf dem Prinzen der ihn zweifelhaft ansieht. Langes Stillschweigen.)

    Sprich doch – was haben
    Entweihungen des königlichen Bettes
    Mit deiner – deiner Liebe denn zu schaffen?
    War Philipp dir gefährlich? Welches Band
    Kann die verletzten Pflichten des Gemahls
    Mit deinen kühnern Hoffnungen verknüpfen?
    Hat er gesündigt, wo du liebst? Nun freilich
    Lern' ich dich fassen. O, wie schlecht hab' ich
    Bis jetzt auf deine Liebe mich verstanden!

    Carlos. Wie, Roderich? Was glaubst du?

    Marquis. O, ich fühle,
    Wovon ich mich entwöhnen muß. Ja, einst,
    Einst war's ganz anders. Da warst du so reich,
    So warm, so reich! ein ganzes Weltkreis hatte
    In deinem weiten Busen Raum. Das alles
    Ist nun dahin, von einer Leidenschaft,
    Von einem kleinen Eigennutz verschlungen.
    Dein Herz ist ausgestorben. Keine Thräne
    Dem ungeheuren Schicksal der Provinzen,
    Nicht einmal eine Thräne mehr! – O Carl,
    Wie arm bist du, wie bettelarm geworden,
    Seitdem du Niemand liebst, als dich.

    Carlos(wirft sich in einen Sessel. – Nach einer Pause mit kaum unterdrücktem Weinen.)
    Ich weiß,
    Daß du mich nicht mehr achtest.

    Marquis. Nicht so, Carl!
    Ich kenne diese Aufwallung. Sie war
    Verirrung lobenswürdiger Gefühle.
    Die Königin gehörte dir, war dir
    Geraubt von dem Monarchen – doch bis jetzt
    Mißtrautest du bescheiden deinen Rechten.
    Vielleicht war Philipp ihrer werth. Du wagtest
    Nur leise noch, das Urtheil ganz zu sprechen.
    Der Brief entschied. Der Würdigste warst du.
    Mit stolzer Freude sahst du nun das Schicksal
    Der Tyrannei, des Raubes überwiesen.
    Du jauchztest, der Beleidigte zu sein;
    Denn Unrecht leiden schmeichelt großen Seelen.
    Doch hier verirrte deine Phantasie,
    Dein Stolz empfand Genugthuung – dein Herz
    Versprach sich Hoffnung. Sieh, ich wußt' es wohl,
    Du hattest diesmal selbst dich mißverstanden.

    Carlos(gerührt). Nein, Roderich, du irrest sehr. Ich dachte
    So edel nicht, bei Weitem nicht, als du
    Mich gerne glauben machen möchtest.

    Marquis. Bin
    Ich denn so wenig hier bekannt? Sieh, Carl,
    Wenn du verirrest, such' ich allemal
    Die Tugend unter Hunderten zu rathen,
    Die ich des Fehlers zeihen kann. Doch, nun
    Wir besser uns verstehen, sei's! Du sollst
    Die Königin jetzt sprechen, mußt sie sprechen. –

    Carlos(ihm um den Hals fallend). O, wie erröth' ich neben dir!

    Marquis. Du hast
    Mein Wort. Nun überlaß mir alles Andre.
    Ein wilder, kühner glücklicher Gedanke
    Steigt auf in meiner Phantasie. – Du sollst
    Ihn hören, Carl, aus einem schönen Munde.
    Ich dränge mich zur Königin. Vielleicht,
    Daß morgen schon der Ausgang sich erwiesen.
    Bis dahin, Carl, vergiß nicht, daß »ein Anschlag,
    Den höhere Vernunft gebar, das Leiden
    Der Menschen drängt, zehntausendmal vereitelt,
    Nie aufgegeben werden darf.« – Hörst du?
    Erinnre dich an Flandern!

    Carlos. Alles, Alles,
    Was du und hohe Tugend mir gebieten.

    Marquis(geht an ein Fenster). Die Zeit ist um. Ich höre dein Gefolge.
    (Sie umarmen sich.)
    Jetzt wieder Kronprinz und Vasall.

    Carlos. Du fährst
    Sogleich zur Stadt?

    Marquis. Sogleich.

    Carlos. Halt! noch ein Wort!
    Wie leicht war das vergessen! – Eine Nachricht,
    Dir äußerst wichtig: – »Briefe nach Brabant
    Erbricht der König.« Sei auf deiner Hut!
    Die Post des Reichs, ich weiß es, hat geheime
    Befehle –

    Marquis. Wie erfuhrst du das?

    Carlos. Don Raimond
    Von Taxis ist mein guter Freund.

    Marquis(nach einigem Stillschweigen). Auch das!
    So nehmen sie den Umweg über Deutschland.

    (Sie gehen ab zu verschiedenen Thüren.)

    Dritter Akt.

    Das Schlafzimmer des Königs.

    Erster Auftritt.

    (Auf dem Nachttische zwei brennende Lichter. Im Hintergrunde des Zimmers einige Pagen auf den Knieen eingeschlafen. Der König, von oben herab halb ausgekleidet, steht vor dem Tische, einen Arm über den Sessel gebeugt, in einer nachdenkenden Stellung. Vor ihm liegt ein Medaillon und Papiere.)

    König. Daß sie sonst Schwärmerin gewesen – wer
    Kann's leugnen? Nie konnt' ich ihr Liebe geben,
    Und dennoch – schien sie Mangel je zu fühlen?
    So ist's erwiesen, sie ist falsch.

    (Hier macht er eine Bewegung, die ihn zu sich selbst bringt. Er steht mit Befremdung auf.)

    Wo war ich?
    Wacht hier denn Niemand, als der König? – Was?
    Die Lichter schon herabgebrannt? doch nicht
    Schon Tag? – Ich bin um meinen Schlummer. Nimm
    Ihn für empfangen an, Natur. Ein König hat
    Nicht Zeit, verlorne Nächte nachzuholen;
    Jetzt bin ich wach, und Tag soll sein.

    (Er löscht die Lichter aus und öffnet eine Fenstergardine. – Indem er auf und nieder geht, bemerkt er die schlafenden Knaben und bleibt eine Zeit lang schweigend vor ihnen stehen; darauf zieht er die Glocke.)

    Schläft's irgend
    Vielleicht in meinem Vorsaal auch?

    Zweiter Auftritt.

    Der König. Graf Lerma.

    Lerma(mit Bestürzung, da er den König gewahr wird). Befinden
    Sich Ihre Majestät nicht wohl?

    König. Im linken
    Pavillon war Feuer. Hörtet Ihr
    Den Lärmen nicht?

    Lerma. Nein, Ihre Majestät.

    König. Nein? Wie? Und also hätt' ich nur geträumt?
    Das kann von ungefähr nicht kommen. Schläft
    Auf jenem Flügel nicht die Königin?

    Lerma. Ja, Ihre Majestät.

    König. Der Traum erschreckt mich.
    Man soll die Wachen künftig dort verdoppeln,
    Hört Ihr? sobald es Abend wird – doch ganz,
    Ganz insgeheim. – Ich will nicht haben, daß –
    Ihr prüft mich mit den Augen?

    Lerma. Ich entdecke
    Ein brennend Auge, das um Schlummer bittet.
    Darf ich es wagen, Ihre Majestät,
    An ein kostbares Leben zu erinnern,
    An Völker zu erinnern, die die Spur
    Durchwachter Nacht mit fürchtender Befremdung
    In solchen Mienen lesen würden – Nur
    Zwei kurze Morgenstunden Schlafes –

    König(mit zerstörten Blicken). Schlaf,
    Schlaf find' ich in Escurial. – So lange
    Der König schläft, ist er um seine Krone,
    Der Mann um seines Weibes Herz – Nein, nein!
    Es ist Verleumdung – War es nicht ein Weib,
    Ein Weib, das mir es flüsterte? Der Name
    Des Weibes heißt Verleumdung. Das Verbrechen
    Ist nicht gewiß, bis mir's ein Mann bekräftigt.
    (Zu den Pagen, die sich unterdessen ermuntert haben.)
    Ruft Herzog Alba! (Pagen gehen.)
    Tretet näher, Graf!
    Ist's wahr? (Er bleibt forschend vor dem Grafen stehen.)
    O, eines Pulses Dauer nur
    Allwissenheit! – Schwört mir, ist's wahr? Ich bin
    Betrogen? Bin ich's? Ist es wahr?

    Lerma. Mein großer,
    Mein bester König –

    König(zurückfahrend). König! König nur,
    Und wieder König! – Keine beßre Antwort,
    Als leeren hohlen Wiederhall? Ich schlage
    An diesen Felsen und will Wasser, Wasser
    Für meinen heißen Fieberdurst – er gibt
    Mir glühend Gold.

    Lerma. Was wäre wahr, mein König?

    König. Nichts. Nichts. Verlaß mich. Geht.
    (Der Graf will sich entfernen, er ruft ihn noch einmal zurück.)
    Ihr seid vermählt?
    Seid Vater? Ja?

    Lerma. Ja, Ihre Majestät.

    König. Vermählt und könnt es wagen, eine Nacht
    Bei Eurem Herrn zu wachen? Euer Haar
    Ist silbergrau, und Ihr erröthet nicht,
    An Eures Weibes Redlichkeit zu glauben?
    O, geht nach Hause. Eben trefft Ihr sie
    In Eures Sohns blutschändrischer Umarmung.
    Glaubt Eurem König, geht – Ihr steht bestürzt?
    Ihr seht mich mit Bedeutung an? – weil ich,
    Ich selber etwa graue Haare trage?
    Unglücklicher, besinnt Euch. Königinnen
    Beflecken ihre Tugen nicht. Ihr seid
    Des Todes, wenn Ihr zweifelt –

    Lerma(mit Hitze). Wer kann das?
    In allen Staaten meines Königs wer
    Ist frech genug, mit giftigem Verdacht
    Die engelreine Tugend anzuhauchen?
    Die beste Königin so tief –

    König. Die beste?
    Und Eure beste also auch? Sie hat
    Sehr warme Freunde um mich her, find' ich.
    Das muß ihr viel gekostet haben – mehr,
    Als mir bekannt ist, daß sie geben kann.
    Ihr seid entlassen. Laßt den Herzog kommen.

    Lerma. Schon hör' ich ihn im Vorsaal –
    (Im Begriff zu gehen.)

    König(mit gemildertem Tone). Graf! Was Ihr
    Vorhin bemerkt, ist doch wohl wahr gewesen.
    Mein Kopf glüht von durchwachter Nacht. – Vergeßt,
    Was ich im wachen Traum gesprochen. Hört Ihr?
    Vergeßt es. Ich bin Euer gnäd'ger König.

    (Er reicht ihm die Hand zum Kusse. Lerma geht und öffnet dem Herzog von Alba die Thüre.)

    Dritter Auftritt.

    Der König und Herzog von Alba.

    Alba(nähert sich dem König mit ungewisser Miene).
    Ein mir so überraschender Befehl –
    Zu dieser außerordentlichen Stunde?
    (Er stutzt, wie er den König genauer betrachtet.)
    Und dieser Anblick –

    König(hat sich niedergesetzt und das Medaillon auf dem Tisch ergriffen. Er sieht den Herzog eine lange Zeit stillschweigend an).
    Also wirklich wahr?
    Ich habe keinen treuen Diener?

    Alba(steht betreten still). Wie?

    König. Ich bin aufs tödtlichste gekränkt – man weiß es,
    Und Niemand, der mich warnte!

    Alba(mit einem Blick des Erstaunens). Eine Kränkung,
    Die meinem König gilt und meinem Aug'
    Entging?

    König(zeigt ihm die Briefe). Erkennt Ihr diese Hand?

    Alba. Es ist
    Don Carlos' Hand. –

    König(Pause, worin er den Herzog scharf beobachtet).
    Vermuthet Ihr noch nichts?
    Ihr habt vor seinem Ehrgeiz mich gewarnt?
    War's nur sein Ehrgeiz, dieser nur, wovor
    Ich zittern sollte?

    Alba. Ehrgeiz ist ein großes –
    Ein weites Wort, worin unendlich viel
    Noch liegen kann.

    König. Und wißt Ihr nichts Besonders
    Mir zu entdecken?

    Alba(nach einigem Stillschweigen, mit verschlossener Miene).
    Ihre Majestät
    Vertrauten meiner Wachsamkeit das Reich.
    Dem Reiche bin ich mein geheimstes Wissen
    Und meine Einsicht schuldig. Was ich sonst
    Vermuthe, denke oder weiß, gehört
    Mir eigen zu. Es sind geheiligte
    Besitzungen, die der verkaufte Sklave,
    Wie der Vasall, den Königen der Erde
    Zurückzuhalten Vorrecht hat – Nicht Alles,
    Was klar vor meiner Seele steht, ist reif
    Genug für meinen König. Will er doch
    Befriedigt sein, so muß ich bitten, nicht
    Als Herr zu fragen.

    König(gibt ihm die Briefe). Lest.

    Alba(liest und wendet sich erschrocken gegen den König). Wer war
    Der Rasende, dies unglücksel'ge Blatt
    In meines Königs Hand zu geben?

    König. Was?
    So wißt Ihr, wen der Inhalt meint? – Der Name
    Ist, wie ich weiß, auf dem Papier vermieden.

    Alba(betroffen zurücktretend). Ich war zu schnell.

    König. Ihr wißt?

    Alba(nach einigem Bedenken). Es ist heraus.
    Mein Herr befiehlt – ich darf nicht mehr zurücke –
    Ich leugn' es nicht – ich kenne die Person.

    König(aufstehend in einer schrecklichen Bewegung).
    O, einen neuen Tod hilf mir erdenken,
    Der Rache fürchterlicher Gott! – So klar,
    So weltbekannt, so laut ist das Verständniß,
    Daß man, des Forschens Mühe überhoben,
    Schon auf den ersten Blick es räth – Das ist
    Zu viel! Das hab' ich nicht gewußt! Das nicht!
    Ich also bin der Letzte, der es findet!
    Der Letzte durch mein ganze Reich –

    Alba(wirft sich dem Könige zu Füßen). Ja, ich bekenne
    Mich schuldig, gnädigster Monarch. Ich schäme
    Mich einer feigen Klugheit, die mir da
    Zu schweigen rieth, wo meines Königs Ehre,
    Gerechtigkeit und Wahrheit laut genug
    Zu reden mich bestürmten – Weil doch Alles
    Verstummen will – weil die Bezauberung
    Der Schönheit alles Männer Zungen bindet,
    So sei's gewagt, ich rede, weiß ich gleich,
    Daß eines Sohns einschmeichelnde Betheurung,
    Daß die verführerischen Reizungen,
    Die Thränen der Gemahlin –

    König(rasch und heftig). Stehet auf.
    Ihr habt mein königliches Wort – Steht auf.
    Sprecht unerschrocken.

    Alba(aufstehend). Ihre Majestät
    Besinnen sich vielleicht noch jenes Vorfalls
    Im Garten zu Aranjuez. Sie fanden
    Die Königin von allen ihren Damen
    Verlassen – mit zerstörtem Blick – allein
    In einer abgelegnen Laube.

    König. Ha!
    Was werd' ich hören? Weiter!

    Alba. Die Marquisin
    Von Mondecar ward aus dem Reich verbannt,
    Weil sie Großmuth genug besaß, sich schnell
    Für ihre Königin zu opfern – Jetzt
    Sind wir berichtet – Die Marquisin hatte
    Nicht mehr gethan, als ihr befohlen worden.
    Der Prinz war dort gewesen.

    König(schrecklich auffahrend). Dort gewesen?
    Doch also –

    Alba. Eines Mannes Spur im Sande,
    Die von dem linken Eingang dieser Laube
    Nach einer Grotte sich verlor, wo noch
    Ein Schnupftuch lag, das der Infant vermißte,
    Erweckte gleich Verdacht. Ein Gärtner hatte
    Dem Prinzen dort begegnet, und das war,
    Beinah' auf die Minute ausgerechnet,
    Dieselbe Zeit, wo Eure Majestät
    Sich in der Laube zeigten.

    König(Aus einem finstern Nachsinnen zurückkommend).
    Und sie weinte,
    Als ich Befremdung blicken ließ! Sie machte
    Vor meinem ganzen Hofe mich erröthen!
    Erröthen vor mir selbst – Bei Gott! ich stand
    Wie ein Gerichteter vor ihrer Tugend –
    (Eine lange und tiefe Stille. Er setzt sich nieder und verhüllt das Gesicht.)
    Ja, Herzog Alba – Ihr habt Recht – Das könnte
    Zu etwas Schrecklichem mich führen – Laßt
    Mich einen Augenblick allein.

    Alba. Mein König,
    Selbst das entscheidet noch nicht ganz –

    König(nach den Papieren greifend). Auch das nicht?
    Und das? und wieder das? und dieser laute
    Zusammenklang verdammendere Beweise?
    O, es ist klarer, als das Licht – Was ich
    Schon lange Zeit voraus gewußt – Der Frevel
    Begann da schon, als ich von Euren Händen
    Sie in Madrid zuerst empfing – Noch seh' ich
    Mit diesem Blick des Schreckens, geisterbleich,
    Auf meinen grauen Haaren sie verweilen.
    Da fing es an, das falsche Spiel!

    Alba. Dem Prinzen
    Starb eine Braut in seiner jungen Mutter.
    Schon hatten sie mit Wünschen sich gewiegt,
    In feurigen Empfindungen verstanden,
    Die ihr der neue Stand verbot. Die Furcht
    War schon besiegt, die Furcht, die sonst das erste
    Geständniß zu begleiten pflegt, und kühner
    Sprach die Verführung in vertrauten Bildern
    Erlaubter Rückerinnerung. Verschwistert
    Durch Harmonie der Meinung und der Jahre,
    Durch gleichen Zwang erzürnt, gehorchten sie
    Den Wallungen der Leidenschaft so dreister.
    Die Politik griff ihrer Neigung vor;
    Ist es zu glauben, mein Monarch, daß sie
    Dem Staatsrath diese Vollmacht zuerkannte?
    Daß sie die Lüsternheit bezwang, die Wahl
    Des Kabinets aufmerksamer zu prüfen?
    Sie war gefaßt auf Liebe und empfing –
    Ein Diadem –

    König(beleidigt und mit Bitterkeit). Ihr unterscheidet sehr –
    Sehr weise, Herzog – Ich bewundre Eure
    Beredsamkeit. Ich dank' Euch. (Aufstehend, kalt und stolz.)
    Ihr habt Recht;
    Die Königin hat sehr gefehlt, mir Briefe
    Von diesem Inhalt zu verbergen – mir
    Die strafbare Erscheinung des Infanten
    Im Garten zu verheimlichen. Sie hat
    Aus falscher Großmuth sehr gefehlt. Ich werde
    Sie zu bestrafen wissen. (Er zieht die Glocke.) Wert ist sonst
    Im Vorsaal? – Euer, Herzog Alba,
    Bedarf ich nicht mehr. Tretet ab.

    Alba. Sollt' ich
    Durch meinen Eifer Eurer Majestät
    Zum zweiten Mal mißfallen haben?

    König(zu einem Pagen, der hereintritt). Laßt
    Domingo kommen. (Der Page geht ab.) Ich vergeb' es Euch,
    Daß Ihr beinahe zwei Minuten lang
    Mich ein Verbrechen hättet fürchten lassen,
    Das gegen Euch begangen werden kann. (Alba entfernt sich.)

    Vierter Auftritt.

    Der König. Domingo.

    Der König(geht einigemal auf und ab, sich zu sammeln).

    Domingo(tritt einige Minuten nach dem Herzog herein, nähert sich dem Könige, den er eine Zeit lang mit feierlicher Stille betrachtet).
    Wie froh erstaun' ich, Eure Majestät
    So ruhig, so gefaßt zu sehn.

    König. Erstaunt Ihr?

    Domingo. Der Vorsicht sei's gedankt, daß meine Furcht
    Doch also nicht gegründet war! Nun darf
    Ich um so eher hoffen.

    König. Eure Furcht?
    Was war zu fürchten?

    Domingo. Ihre Majestät,
    Ich darf nicht bergen, daß ich allbereits
    Um ein Geheimniß weiß –

    König(finster). Hab' ich denn schon
    Den Wunsch geäußert, es mit Euch zu theilen?
    Wer kam so unberufen mir zuvor?
    Sehr kühn, bei meiner Ehre!

    Domingo. Mein Monarch,
    Der Ort, der Anlaß, wo ich es erfahren,
    Das Siegel, unter dem ich es erfahren,
    Spricht wenigstens von dieser Schuld mich frei.
    Am Beichtstuhl ward es mir vertraut – vertraut
    Als Missethat, die das empfindliche
    Gewissen der Entdeckerin belastet
    Und Gnade bei dem Himmel sucht. Zu spät
    Beweint die Fürstin eine That, von der
    Sie Ursach hat, die fürchterlichsten Folgen
    Für ihre Königin zu ahnen.

    König. Wirklich?
    Das gute Herz – Ihr habt ganz recht vermuthet,
    Weßwegen ich Euch rufen ließ. Ihr sollt
    Aus diesem dunkeln Labyrinth mich führen,
    Worein ein blinder Eifer mich geworfen.
    Von Euch erwart' ich Wahrheit. Redet offen
    Mit mir. Was soll ich glauben, was beschließen?
    Von Eurem Amte fordr' ich Wahrheit.

    Domingo. Sire,
    Wenn meines Standes Mildigkeit mir auch
    Der Schonung süße Pflicht nicht auferlegte,
    Doch würd' ich Eure Majestät beschwören,
    Um Ihrer Ruhe willen Sie beschwören,
    Bei dem Entdeckten still zu stehn – das Forschen
    In ein Geheimniß ewig aufzugeben,
    Das niemals freudig sich entwickeln kann.
    Was jetzt bekannt ist, kann vergeben werden.
    Ein Wort des Königs – und die Königin
    Hat nie gefehlt. Der Wille des Monarchen
    Verleiht die Tugend wie das Glück – und nur
    Die immer gleiche Ruhe meines Königs
    Kann die Gerüchte mächtig niederschlagen,
    Die sich die Lästerung erlaubt.

    König. Gerüchte?
    Von mir? und unter meinem Volke?

    Domingo. Lügen!
    Verdammenswerthe Lügen! Ich beschwör' es.
    Doch freilich gibt es Fälle, wo der Glaube
    Des Volks, und wär' er noch so unerwiesen,
    Bedeutend wie die Wahrheit wird.

    König. Bei Gott!
    Und hier gerade wär' es –

    Domingo. Guter Name
    Ist das kostbare, einz'ge Gut, um welches
    Die Königin mit einem Bürgerweibe
    Wetteifern muß –

    König. Für den doch, will ich hoffen,
    Hier nicht gezittert werden soll?
    (Er ruht mit ungewissem Blick auf Domingo. Nach einigem Stillschweigen.)
    Kaplan,
    Ich soll noch etwas Schlimmes von Euch hören.
    Verschiebt es nicht. Schon lange les' ich es
    In diesem unglückbringenden Gesichte.
    Heraus damit! Sei's, was es wolle! Laßt
    Nicht länger mich auf dieser Folter beben.
    Was glaubt das Volk?

    Domingo. Noch einmal, Sire, das Volk
    Kann irren – und es irrt gewiß. Was es
    Behauptet, darf den König nicht erschüttern –
    Nur – daß es so weit schon sich wagen durfte,
    Dergleichen zu behaupten –

    König. Was? Muß ich
    So lang' um einen Tropfen Gift Euch bitten?

    Domingo. Das Volk denkt an den Monat noch zurücke,
    Der Eure königliche Majestät
    Dem Tode nahe brachte – dreißig Wochen
    Nach diesem liest es von der glücklichen
    Entbindung –
    (Der König steht auf und zieht die Glocke. Herzog von Alba tritt herein. Domingo betroffen.)
    Ich erstaune, Sire!

    König(dem Herzog Alba entgegen gehend). Toledo!
    Ihr seid ein Mann. Schützt mich vor diesem Priester.

    Domingo.(Er und Herzog Alba geben sich verlegne Blicke. Nach einer Pause).
    Wenn wir voraus es hätten wissen können,
    Daß diese Nachricht an dem Ueberbringer
    Geahndet werden sollte –

    König. Bastard, sagt Ihr?
    Ich war, sagt Ihr, vom Tode kaum erstanden,
    Als sie sich Mutter fühlte? – Wie? Das war
    Ja damals, wenn ich anders mich nicht irre,
    Als Ihr den heiligen Dominicus
    In allen Kirchen für das hohe Wunder lobtet,
    Das er an mir gewirkt? – Was damals Wunder
    Gewesen, ist es jetzt nicht mehr? So habt
    Ihr damals oder heute mir gelogen.
    An was verlangt Ihr daß ich glauben soll?
    O, ich durchschau Euch. Wäre das Komplott
    Schon damals reif gewesen – ja, dann war
    Der Heilige um seinen Ruhm.

    Alba. Komplott!

    König. Ihr solltet
    Mit dieser beispiellosen Harmonie
    Jetzt in derselben Meinung euch begegnen,
    Und doch nicht einverstanden sein? Mich wollt
    Ihr das bereden? Mich? Ich soll vielleicht
    Nicht wahrgenommen haben, wie erpicht
    Und gierig ihr auf euren Raub euch stürztet?
    Mit welcher Wollust ihr an meinem Schmerz,
    An meines Zornes Wallung euch geweidet?
    Nicht merken soll ich, wie voll Eifer dort
    Der Herzog brennt, der Gunst zuvorzueilen,
    Die meinem Sohn beschieden war? Wie gerne
    Der fromme Mann hier seinen kleinen Groll
    Mit meines Zornes Riesenarm bewehrte?
    Ich bin der Bogen, bildet ihr euch ein,
    Den man nur spannen dürfe nach Gefallen? –
    Noch hab' ich einen Willen auch – und wenn
    Ich zweifeln soll, so laßt mich wenigstens
    Bei euch den Anfang machen.

    Alba. Diese Deutung
    Hat unsre Treue nicht erwartet.

    König. Treue!
    Die Treue warnt vor drohenden Verbrechen,
    Die Rachgier spricht von den begangenen.
    Laßt hören! Was gewann ich denn durch eure
    Dienstfertigkeit? – Ist, was ihr vorgebt, wahr,
    Was bleibt mir übrig als der Trennung Wunde?
    Der Rauche trauriger Triumph? – Doch nein,
    Ihr fürchtet nur, ihr gebt mir schwankende
    Vermuthungen – am Absturz einer Hölle
    Laßt ihr mich stehen und entfliehet.

    Domingo. Sind andre
    Beweise möglich, wo das Auge selbst
    Nicht überwiesen werden kann?

    König(nach einer großen Pause, ernst und feierlich zu Domingo sich wendend).
    Ich will
    Die Großen meines Königreichs versammeln
    Und selber zu Gerichte sitzen. Tretet
    Heraus vor allen – habt Ihr Muth – und klaget
    Als eine Buhlerin sie an! – Sie soll
    Des Todes sterben – ohne Rettung – sie
    Und der Infant soll sterben – aber – merkt Euch!
    Kann sie sich reinigen – Ihr selbst! Wollt Ihr
    Die Wahrheit durch ein solches Opfer ehren?
    Entschließt Euch, Ihr wollt nicht? Ihr verstummt?
    Ihr wollt nicht? – Das ist eines Lügners Eifer.

    Alba(der stillschweigend in der Ferne gestanden, kalt und ruhig).
    Ich will es.

    König(dreht sich erstaunt um und sieht den Herzog eine Zeit lang starr an).
    Das ist kühn! Doch mir fällt ein,
    Daß Ihr in scharfen Schlachten Euer Leben
    An etwas weit Geringeres gewagt –
    Mit eines Würfelspielers Leichtsinn für
    Des Ruhmes Unding es gewagt – Und was
    Ist Euch das Leben? – Königliches Blut
    Geb' ich dem Rasenden nicht preis, der nichts
    Zu hoffen hat, als ein geringes Dasein
    Erhaben aufzugeben – Euer Opfer
    Verwerf' ich. Geht – geht, und im Audienzsaal
    Erwartet meine weiteren Befehle. (Beide gehen ab.)

    Fünfter Auftritt.

    Der König allein.

    Jetzt gib mir einen Menschen, gute Vorsicht –
    Du hat mir viel gegeben. Schenke mir
    Jetzt einen Menschen. Du – du bist allein,
    Denn deine Augen prüfen das Verborgne,
    Ich bitte dich um einen Freund; denn ich
    Bin nicht, wie du, allwissend. Die Gehilfen,
    Die du mir zugeordnet hast, was sie
    Mir sind, weißt du. Was sie verdienen, haben
    Sie mir gegolten. Ihre zahmen Laster,
    Beherrscht vom Zaume, dienen meinen Zwecken,
    Wie deine Wetter reinigen die Welt.
    Ich brauch Wahrheit – Ihre stille Quelle
    Im dunkeln Schutt des Irrthums aufzugraben,
    Ist nicht das Loos der Könige. Gib mir
    Den seltnen Mann mit reinem, offnem Herzen,
    Mit hellem Geist und unbefangnen Augen,
    Der mir sie finden helfen kann – ich schütte
    Die Loose auf; laß unter Tausenden,
    Die um der Hoheit Sonnenscheibe flattern,
    Den Einzigen mich finden.

    (Er öffnet eine Schatulle und nimmt eine Schreibtafel heraus. Nachdem er eine Zeit lang darin geblättert.)

    Bloße Namen –
    Nur Namen stehen hier, und nicht einmal
    Erwähnung des Verdiensts, dem sie den Platz
    Auf dieser Tafel danken – und was ist
    Vergeßlicher, als Dankbarkeit? Doch hier
    Auf dieser andern Tafel les' ich jede
    Vergehung pünktlich beigeschrieben. Wie?
    Das ist nicht gut. Braucht etwa das Gedächtniß
    Der Rache dieser Hilfe noch? (Liest weiter.) Graf Egmont?
    Was will der hier? – Der Sieg bei Saint Quentin
    War längst verwirkt. Ich werf' ihn zu den Todten.

    (Er läscht diesen Namen aus und schreibt ihn auf die andere Tafel. Nachdem er weiter gelesen.)

    Marquis von Posa? – Posa? – Posa? Kann
    Ich dieses Menschen mich doch kaum besinnen!
    Und zweifach angestrichen – ein Beweis,
    Daß ich zu großen Zwecken ihn bestimmte!
    Und, war es möglich? dieser Mensch entzog
    Sich meiner Gegenwart bis jetzt? vermied
    Die Augen seines königlichen Schuldners?
    Bei Gott, im ganzen Umkreis meiner Staaten
    Der einz'ge Mensch, der meiner nicht bedarf!
    Besäß' er Habsucht oder Ehrbegierde,
    Er wäre längst vor meinem Thron erschienen.
    Wag' ich's mit diesem Sonderling? Wer mich
    Entbehren kann, wird Wahrheit für mich haben. (Er geht ab.)


    Der Audienzsaal.

    Sechster Auftritt.

    Don Carlos im Gespräch mit dem Prinzen von Parma. Die Herzoge von Alba, Feria und Medina Sidonia. Graf von Lerma und noch andere Granden mit Schriften in der Hand. Alle den König erwartend.

    Medina Sidonia(von allen Umstehenden sichtbar vermieden, wendet sich zum Herzog von Alba, der allein und in sich gekehrt auf und ab geht).
    Sie haben ja den Herrn gesprochen, Herzog. –
    Wie fanden Sie ihn aufgelegt?

    Alba. Sehr übel
    Für Sie und Ihre Zeitungen.

    Medina Sidonia. Im Feuer
    Des englischen Geschützes war mir's leichter,
    Als hier auf diesem Pflaster.

    (Carlos, der mit stiller Theilnahme auf ihn geblickt hat, nähert sich ihm jetzt und drückt ihm die Hand.)

    Warmen Dank
    Für diese großmuthsvolle Thräne, Prinz.
    Sie sehen, wie mich Alles flieht. Nun ist
    Mein Untergang beschlossen.

    Carlos. Hoffen Sie
    Das Beste, Freund, von meines Vaters Gnade
    Und Ihrer Unschuld.

    Medina Sidonia. Ich verlor ihm eine Flotte,
    Wie keine noch im Meer erschien – Was ist
    Ein Kopf wie dieser gegen siebzig
    Versunkne Gallionen? – Aber, Prinz –
    Fünf Söhne, hoffnungsvoll, wie Sie – das bricht
    Mein Herz –

    Siebenter Auftritt.

    Der König kommt angekleidet heraus. Die Vorigen.

    (Alle nehmen die Hüte ab und weichen zu beiden Seiten aus, indem sie einen halben Kreis um ihn bilden. Stillschweigen.)

    König(den ganzen Kreis flüchtig durchschauend).
    Bedeckt euch!

    (Don Carlos und der Prinz von Parma nähern sich zuerst und küssen dem König die Hand. Er wendet sich mit einiger Freundlichkeit zu dem Letztern, ohne seinen Sohn bemerken zu wollen.)

    Eure Mutter, Neffe,
    Will wissen, wie man in Madrid mit Euch
    Zufrieden sei.

    Parma. Das frage sie nicht eher,
    Als nach dem Ausgang meiner ersten Schlacht.

    König. Gebt Euch zufrieden. Auch an Euch wird einst
    Die Reihe sein, wenn diese Stämme brechen.
    (Zum Herzog von Feria.)
    Was bringt Ihr mir?

    Feria(ein Knie vor dem König beugend). Der Großcomthur des Ordens
    Von Calatrava starb an diesem Morgen.
    Hier folgt sein Ritterkreuz zurück.

    König(nimmt den Orden und sieht im ganzen Zirkel herum).
    Wer wird
    Nach ihm am würdigsten es tragen?
    (Er winkt Alba zu sich, welcher sich vor ihm auf ein Knie niederläßt, und hängt ihm den Orden um.)
    Herzog,
    Ihr seid mein erster Feldherr – seid nie mehr,
    So wird Euch meine Gnade niemals fehlen.
    (Er wird den Herzog von Medina Sidonia gewahr.)
    Sieh da, mein Admiral!

    Medina Sidonia(nähert sich wankend und kniet vor dem Könige nieder mit gesenktem Haupt).
    Das, großer König,
    Ist Alles, was ich von der span'schen Jugend
    Und der Armada wiederbringe.

    König(nach einem langen Stillschweigen). Gott
    Ist über mir – ich habe gegen Menschen,
    Nicht gegen Sturm und Klippen sie gesendet –
    Seid mir willkommen in Madrid.
    (Er reicht ihm die Hand zum Kusse.)
    Und Dank,
    Daß Ihr in Euch mir einen würd'gen Diener
    Erhalten habt! Für diesen, meine Granden,
    Erkenn' ich ihn, will ich erkannt ihn wissen.
    (Er gibt ihm einen Wink, aufzustehen und sich zu bedecken – dann wendet er sich gegen die Andern.)
    Was gibt es noch?
    (Zu Don Carlos und dem Prinzen von Parma.)
    Ich dank' euch, meine Prinzen.

    (Diese treten ab. Die noch übrigen Granden nähern sich und überreichen dem König knieend ihre Papiere. Er durchsieht sie flüchtig und reicht sie dem Herzog von Alba.)

    Legt das im Kabinet mir vor – – Bin ich zu Ende?
    (Niemand antwortet.)
    Wie kommt es denn, daß unter meinen Granden
    Sich nie ein Marquis Posa zeigt? Ich weiß
    Recht gut, daß dieser Marquis Posa mir
    Mit Ruhm gedient. Er lebt vielleicht nicht mehr?
    Warum erscheint er nicht?

    Lerma. Der Chevalier
    Ist kürzlich erst von Reisen angelangt,
    Die er durch ganz Europa unternommen.
    So eben ist er in Madrid und wartet
    Nur auf den öffentlichen Tag, sich zu
    Den Füßen seines Oberherrn zu werfen.

    Alba. Marquis von Posa? – Recht! Das ist der kühne
    Malteser, Ihre Majestät, von dem
    Der Ruf die schwärmerische That erzählte.
    Als auf des Ordensmeisters Aufgebot
    Die Ritter sich auf ihrer Insel stellten,
    Die Soliman belagern ließ, verschwand
    Auf Einmal von Alcalas hoher Schule
    Der achtzehnjähr'ge Jüngling. Ungerufen
    Stand er vor la Valette. »Man kaufte mir
    Das Kreuz,« sagt' er; »ich will es jetzt verdienen.«
    Von jenen vierzig Rittern war er einer,
    Die gegen Piali, Ulucciali
    Und Mustapha und Hassem das Kastell
    Sanct Elmo in drei wiederholten Stürmen
    Am hohen Mittag hielten. Als es endlich
    Erstiegen wird und um ihn alle Ritter
    Gefallen, wirft er sich ins Meer und kommt
    Allein erhalten an bei la Valette.
    Zwei Monate darauf verläßt der Feind
    Die Insel, und der Ritter kommt zurück,
    Die angefangnen Studien zu enden.

    Feria. Und dieser Marquis Posa war es auch,
    Der nachher die berüchtigte Verschwörung
    In Catalonien entdeckt und bloß
    Durch seine Fertigkeit allein der Krone
    Die wichtigste Provinz erhielt.

    König. Ich bin
    Erstaunt – Was ist das für ein Mensch, der das
    Gethan und unter Dreien, die ich frage,
    Nicht einen einz'gen Neider hat? – Gewiß!
    Der Mensch besitzt den ungewöhnlichsten
    Charakter oder keinen – Wunders wegen
    Muß ich ihn sprechen. (Zum Herzog von Alba.) Nach gehörter Messe
    Bringt ihn ins Kabinet zu mir.
    (Der Herzog geht ab. Der König ruft Feria.)
    Und Ihr
    Nehmt meine Stelle im geheimen Rathe. (Er geht ab.)

    Feria. Der Herr ist heut sehr gnädig.

    Medina Sidonia. Sagen Sie:
    Er ist ein Gott! – Er ist es mir gewesen.

    Feria. Wie sehr verdienen Sie Ihr Glück! Ich nehme
    Den wärmsten Antheil, Admiral.

    Einer von den Granden. Auch ich.

    Ein Zweiter. Ich wahrlich auch.

    Ein Dritter. Das Herz hat mir geschlagen.
    Ein so verdienter General!

    Der Erste. Der König
    War gegen Sie nicht gnädig – nur gerecht.

    Lerma(im Abgehen zu Medina Sidonia).
    Wie reich sind Sie auf einmal durch zwei Worte! (Alle gehen ab.)


    Das Kabinet des Königs.

    Achter Auftritt.

    Marquis von Posa und Herzog von Alba.

    Marquis(im Hereintreten).
    Mich will er haben? Mich – Das kann nicht sein.
    Sie irren sich im Namen – Und was will
    Er denn von mir?

    Alba. Er will Sie kennen lernen.

    Marquis. Der bloßen Neugier wegen – O, dann Schade
    Um den verlornen Augenblick – das Leben
    Ist so erstaunlich schnell dahin.

    Alba. Ich übergebe
    Sie Ihrem guten Stern. Der König ist
    In Ihren Händen. Nützen Sie, so gut
    Sie können, diesen Augenblick, und sich,
    Sich selber schreiben Sie es zu, geht er
    Verloren. (Er entfernt sich.)

    Neunter Auftritt.

    Der Marquis allein.

    Wohl gesprochen, Herzog. Nützen
    Muß man den Augenblick, der einmal nur
    Sich bietet. Wahrlich, dieser Höfling gibt
    Mir eine gute Lehre – wenn auch nicht
    In seinem Sinne gut, doch in dem meinen.
    (Nach einigem Auf- und Niedergehen.)
    Wie komm' ich aber hieher? – Eigensinn
    Des launenhaften Zufalls wär' es nur,
    Was mir mein Bild in diesen Spiegeln zeigt?
    Aus einer Million gerade mich,
    Den Unwahrscheinlichsten, ergriff und im
    Gedächtnisse des Königs auferweckte?
    Ein Zufall nur? Vielleicht auch mehr – und was
    Ist Zufall anders, als der rohe Stein,
    Der Leben annimmt unter Bildners Hand?
    Den Zufall gibt die Vorsehung – zum Zwecke
    Muß ihn der Mensch gestalten – Was der König
    Mit mir auch wollen mag, gleichviel! – Ich weiß,
    Was ich – ich mit dem König soll – und wär's
    Auch eine Feuerglocke Wahrheit nur,
    In des Despoten Seele kühn geworfen –
    Wie fruchtbar in der Vorsicht Hand! So könnte,
    Was erst so grillenhaft mir schien, sehr zweckvoll
    Und sehr besonnen sein. Sein oder nicht
    Gleichviel! In diesem Glauben will ich handeln.

    (Er macht einige Gänge durch das Zimmer und bleibt endlich in ruhiger Betrachtung vor einem Gemälde stehen. Der König erscheint in dem angrenzenden Zimmer, wo er einige Befehle gibt. Alsdann tritt er herein, steht an der Thüre still und sieht dem Marquis eine Zeit lang zu, ohne von ihm bemerkt zu werden.)

    Zehnter Auftritt.

    Der König und Marquis von Posa.

    (Dieser geht dem König, sobald er ihn gewahr wird, entgegen und läßt sich vor ihm auf ein Knie nieder, steht auf und bleibt ohne Zeichen der Verwirrung vor ihm stehen.)

    König(betrachtet ihn mit einem Blick der Verwunderung).
    Mich schon gesprochen also?

    Marquis. Nein.

    König. Ihr machtet
    Um meine Krone Euch verdient. Warum
    Entziehet Ihr Euch meinem Dank? In meinem
    Gedächtniß drängen sich der Menschen viel.
    Allwissend ist nur Einer. Euch kam's zu,
    Das Auge Eures Königes zu suchen.
    Weßwegen thatet Ihr das nicht?

    Marquis. Es sind
    Zwei Tage, Sire, daß ich ins Königreich
    Zurück gekommen.

    König. Ich bin nicht gesonnen,
    In meiner Diener Schuld zu stehn – Erbittet
    Euch eine Gnade.

    Marquis. Ich genieße die Gesetze.

    König. Dies Recht hat auch der Mörder.

    Marquis. Wie viel mehr
    Der gute Bürger! – Sire, ich bin zufrieden.

    König(für sich). Viel Selbstgefühl und kühner Muth, bei Gott!
    Doch das war zu erwarten – Stolz will ich
    Den Spanier. Ich mag es gerne leiden,
    Wenn auch der Becher überschäumt – Ihr tratet
    Aus meinen Diensten, hör' ich?

    Marquis. Einem Bessern
    Den Platz zu räumen, zog ich mich zurücke.

    König. Das thut mir leid. Wenn solche Köpfe feiern,
    Wie viel Verlust für einen Staat – Vielleicht
    Befürchtet Ihr, die Sphäre zu verfehlen,
    Die Eures Geistes würdig ist.

    Marquis. O nein!
    Ich bin gewiß, daß der erfahrne Kenner,
    In Menschenseelen, seinem Stoff, geübt,
    Beim ersten Blicke wird gelesen haben,
    Was ich ihm taugen kann. Was nicht. Ich fühle
    Mit demuthsvoller Dankbarkeit die Gnade,
    Die Eure königliche Majestät
    Durch diese stolze Meinung auf mich häufen;
    Doch – (Er hält inne.)

    König. Ihr bedenket Euch?

    Marquis. Ich bin – ich muß
    Gestehen, Sire, sogleich nicht vorbereitet,
    Was ich als Bürger dieser Welt gedacht,
    In Worte Ihres Unterthans zu kleiden. –
    Denn damals, Sire, als ich auf immer mit
    Der Krone aufgehoben, glaubt' ich mich
    Auch der Nothwendigkeit entbunden, ihr
    Von diesem Schritte Gründe anzugeben.

    König. So schwach sind diese Gründe? Fürchtet Ihr
    Dabei zu wagen?

    Marquis. Wenn ich Zeit gewinne,
    Sie zu erschöpfen, Sire – mein Leben höchstens.
    Die Wahrheit aber setz' ich aus, wenn Sie
    Mir diese Gunst verweigern. Zwischen Ihrer
    Ungnade und Geringschätzung ist mir
    Die Wahl gelassen – Muß ich mich entscheiden,
    Sie will ich ein Verbrecher lieber als
    Ein Thor vor Ihren Augen gehen.

    König(mit erwartender Miene). Nun?

    Marquis. – Ich kann nicht Fürstendiener sein.
    (Der König sieht ihn mit Erstaunen an.)
    Ich will
    Den Käufer nicht betrügen, Sire. – Wenn Sie
    Mich anzustellen würdigen, so wollen
    Sie nur die vorgewogne That. Sie wollen
    Nur meinen Arm und meinen Muth im Felde,
    Nur meinen Kopf im Rath. Nicht meine Thaten,
    Der Beifall, den sie finden an dem Thron,
    Soll meiner Thaten Endzweck sein. Mir aber,
    Mir hat die Tugend eignen Werth. Das Glück,
    Das der Monarch mit meinen Händen pflanzte,
    Erschüf' ich selbst, und Freude wäre mir
    Und eigne Wahl, was mir nur Pflicht sein sollte.
    Und ist das Ihre Meinung? Können Sie
    In Ihrer Schöpfung fremde Schöpfer dulden?
    Ich aber soll zum Meißel mich erniedern,
    Wo ich der Künstler könnte sein? – Ich liebe
    Die Menschheit, und in Monarchieen darf
    Ich Niemand lieben als mich selbst.

    König. Dies Feuer
    Ist lobenswerth. Ihr möchtet Gutes stiften.
    Wie Ihr es stiftet, kann dem Patrioten,
    Dem Weisen gleich viel heißen. Suchet Euch
    Den Posten aus in meinen Königreichen,
    Der Euch berechtigt, diesem edeln Triebe
    Genug zu thun.

    Marquis. Ich finde keinen.

    König. Wie?

    Marquis. Was Eure Majestät durch meine Hand
    Verbreiten – ist das Menschenglück? Ist das
    Dasselbe Glück, das meine reine Liebe
    Den Menschen gönnt? – Vor diesem Glücke würde
    Die Majestät erzittern – Nein! Ein neues
    Erschuf der Krone Politik – ein Glück,
    Das sie noch reich genug ist auszutheilen,
    Und in dem Menschenherzen neue Triebe,
    Die sich von diesem Glücke stillen lassen.
    In ihren Münzen läßt sie Wahrheit schlagen,
    Die Wahrheit, die sie dulden kann. Verworfen
    Sind alle Stempel, die nicht diesem gleichen.
    Doch, was der Krone frommen kann – ist das
    Auch mir genug? Darf meine Bruderliebe
    Sich zur Verkürzung meines Bruders borgen?
    Weiß ich ihn glücklich – eh' er denken darf?
    Mich wählen Sie nicht, Sire, Glückseligkeit,
    Die Sie uns prägen, auszustreun. Ich muß
    Mich weigern, diese Stempel auszugeben. –
    Ich kann nicht Fürstendiener sein.

    König(etwas rasch). Ihr seid
    Ein Protestant.

    Marquis(nach einigem Bedenken). Ihr Glaube Sire, ist auch
    Der meinige. (Nach einer Pause.) Ich werde mißverstanden.
    Das war es, was ich fürchtete. Sie sehen
    Von den Geheimnissen der Majestät
    Durch meine Hand den Schleier weggezogen.
    Wer sichert Sie, daß mir noch heilig heiße,
    Was mich zu schrecken aufgehört? Ich bin
    Gefährlich, weil ich über mich gedacht. –
    Ich bin es nicht, mein König. Meine Wünsche
    Verwesen hier. (Die Hand auf die Brust gelegt.)
    Die lächerliche Wuth
    Der Neuerung, die nur der Ketten Last,
    Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert,
    Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert
    Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe
    Ein Bürger derer, welche kommen werden.
    Kann ein Gemälde Ihre Ruhe trüben? –
    Ihr Athem löscht es aus.

    König. Bin ich der Erste,
    Der Euch von dieser Seite kennt?

    Marquis. Von dieser –
    Ja!

    König(steht auf, macht einige Schritte und bleibt dem Marquis gegenüber stehen. Für sich).
    Neu zum wenigsten ist dieser Ton!
    Die Schmeichelei erschöpft sich. Nachzuahmen
    Erniedrigt einen Mann von Kopf. – Auch einmal
    Die Probe von dem Gegentheil. – Warum nicht?
    Das Ueberraschende macht Glück. – Wenn Ihr
    Es so versteht, gut, so will ich mich
    Auf eine neue Kronbedienung richten –
    Den starken Geist –

    Marquis. Ich höre, Sire, wie klein,
    Wie niedrig Sie von Menschenwürde denken,
    Selbst in des freien Mannes Sprache nur
    Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen, und
    Mir däucht, ich weiß, wer Sie dazu berechtigt.
    Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben
    Freiwillig ihres Adels sich begeben,
    Freiwillig sich auf diese niedre Stufe
    Herab gestellt.. Erschrocken fliehen sie
    Vor dem Gespenste ihrer innern Größe,
    Gefallen sich in ihrer Armuth, schmücken
    Mit feiger Weisheit ihre Ketten aus,
    Und Tugend nennt man, sie mit Anstand tragen.
    So überkamen Sie die Welt. So ward
    Sie Ihrem großen Vater überliefert.
    Wie könnten Sie in dieser traurigen
    Verstümmlung – Menschen ehren?

    König. Etwas Wahres
    Find' ich in diesen Worten.

    Marquis. Aber Schade!
    Da Sie den Menschen aus des Schöpfers Hand
    In Ihrer Hände Werk verwandelten
    Und dieser neugegoßnen Kreatur
    Zum Gott sich gaben – da versahen Sie's
    In etwas nur: Sie blieben selbst noch Mensch –
    Mensch aus des Schöpfers Hand. Sie fuhren fort
    Als Sterblicher zu leiden, zu begehren;
    Sie brauchen Mitgefühl – und einem Gott
    Kann man nur opfern – zittern – zu ihm beten!
    Bereuenswerther Tausch! Unselige
    Verdrehung der Natur! – Da Sie den Menschen
    Zu Ihrem Saitenspiel herunterstürzten,
    Wer theilt mit Ihnen Harmonie?

    König. (Bei Gott,
    Er greift in meine Seele!)

    Marquis. Aber Ihnen
    Bedeutet dieses Opfer nichts. Dafür
    Sind Sie auch einzig – Ihre eigne Gattung –
    Um diesen Preis sind Sie ein Gott. – Und schrecklich,
    Wenn das nicht wäre – wenn für diesen Preis,
    Für das zertretne Glück von Millionen,
    Sie nichts gewonnen hätten! wenn die Freiheit,
    Die Sie vernichteten, das Einz'ge wäre,
    Das Ihre Wünsche reifen kann? Ich bitte,
    Mich zu entlassen, Sire. Mein Gegenstand
    Reißt mich dahin. Mein Herz ist voll – der Reiz
    Zu mächtig, vor dem Einzigen zu stehen,
    Dem ich es öffnen möchte.

    (Der Graf von Lerma tritt herein und spricht einige Worte leise mit dem König. Dieser gibt ihm einen Wink, sich zu entfernen, und bleibt in seiner vorigen Stellung sitzen.)

    König(zum Marquis, nachdem Lerma weggegangen). Redet aus!

    Marquis(nach einigem Stillschweigen).
    Ich fühle, Sire, – den ganzen Werth –

    König. Vollendet!
    Ihr hattet mir noch mehr zu sagen.

    Marquis. Sire!
    Jüngst kam ich an von Flandern und Brabant. –
    So viele reiche, blühende Provinzen!
    Ein kräftiges, ein großes Volk – und auch
    Ein gutes Volk – und Vater dieses Volkes,
    Das, dacht' ich, das muß göttlich sein! – Da stieß
    Ich auf verbrannte menschliche Gebeine –

    (Hier schweigt er still; seine Augen ruhen auf dem König, der es versucht, diesen Blick zu erwiedern, aber betroffen und verwirrt zur Erde sieht.)

    Sie haben Recht. Sie müssen. Daß Sie können,
    Was Sie zu müssen eingesehen, hat mich
    Mit schaudernder Bewunderung durchdrungen.
    O Schade, daß, in seinem Blut gewälzt,
    Das Opfer wenig dazu taugt, dem Geist
    Des Opferers ein Loblied anzustimmen!
    Daß Menschen nur – nicht Wesen höhrer Art –
    Die Weltgeschichte schreiben! – Sanftere
    Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten;
    Die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück
    Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln,
    Der karge Staat mit seinen Kindern geizen,
    Und die Nothwendigkeit wird menschlich sein.

    König. Wann, denkt Ihr, würden diese menschlichen
    Jahrhunderte erscheinen, hätt' ich vor
    Dem Fluch des jetzigen gezittert? Sehet
    In meinem Spanien Euch um. Hier blüht
    Des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden;
    Und diese Ruhe gönn' ich den Flamändern.

    Marquis(schnell). Die Ruhe eines Kirchhofs! Und Sie hoffen,
    Zu endigen, was Sie begannen? hoffen,
    Der Christenheit gezeitigte Verwandlung,
    Den allgemeinen Frühling aufzuhalten,
    Der die Gestalt der Welt verjüngt? Sie wollen –
    Allein in ganz Europa – sich dem Rade
    Des Weltverhängnisses, das unaufhaltsam
    In vollem Laufe rollt, entgegenwerfen?
    Mit Menscharm in seine Speichen fallen?
    Sie werden nicht! Schon flohen Tausende
    Aus Ihren Ländern froh und arm. Der Bürger,
    Den Sie verloren für den Glauben, war
    Ihr edelster. Mit offnen Mutterarmen
    Empfängt die Fliehenden Elisabeth,
    Und fruchtbar blüht durch Künste unsers Landes
    Britannien. Verlassen von dem Fleiß
    Der neuen Christen, liegt Granada öde,
    Und jauchzend sieht Europa seinen Feind
    An selbstgeschlagnen Wunden sich verbluten.

    (Der König ist bewegt; der Marquis bemerkt es und tritt einige Schritte zurück.)

    Sie wollen pflanzen für die Ewigkeit,
    Und säen Tod? Ein so erzwungnes Werk
    Wird seines Schöpfers Geist nicht überdauern.
    Dem Undank haben Sie gebaut – umsonst
    Den harten Kampf mit der Natur gerungen,
    Umsonst ein großes königliches Leben
    Zerstörenden Entwürfen hingeopfert.
    Der Mensch ist mehr, als Sie von ihm gehalten.
    Des langen Schlummers Bande wird er brechen
    Und wiederfordern sein geheiligt Recht.
    Zu einem Nero und Busiris wirft
    Er Ihren Namen, und – das schmerzt mich; denn
    Sie waren gut.

    König. Wer hat Euch dessen so
    Gewiß gemacht?

    Marquis(mit Feuer). Ja, beim Allmächtigen!
    Ja – ja – ich wiederhol' es. Geben Sie,
    Was Sie uns nahmen, wieder! Lassen Sie
    Großmüthig, wie der Starke, Menschenglück
    Aus Ihrem Füllhorn strömen – Geister reifen
    In Ihrem Weltgebäude! Geben Sie,
    Was Sie uns nahmen, wieder. Werden Sie
    Von Millionen Königen ein König.

    (Er nähert sich ihm kühn, und indem er feste und feurige Blicke auf ihn richtet.)

    O, könnte die Beredsamkeit von allen
    Den Tausenden, die dieser großen Stunde
    Theilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben,
    Den Strahl, den ich in diesen Augen merke,
    Zur Flamme zu erheben! Geben Sie
    Die unnatürliche Vergöttrung auf,
    Die uns vernichtet! Werden Sie uns Muster
    Des Ewigen und Wahren! Niemals – niemals
    Besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich
    Es zu gebrauchen. Alle Könige
    Europens huldigen dem spanischen Namen.
    Gehn Sie Europens Königen voran.
    Ein Federzug von dieser Hand, und neu
    Erschaffen wird die Erde. Geben Sie
    Gedankenfreiheit. – (Sich ihm zu Füßen werfend.)

    König(überrascht, das Gesicht weggewandt und dann wieder au den Marquis geheftet).
    Sonderbarer Schwärmer!
    Doch – steht auf – ich –

    Marquis. Sehen Sie sich um
    In seiner herrlichen Natur! Auf Freiheit
    Ist sie gegründet – und wie reich ist sie
    Durch Freiheit! Er, der große Schöpfer, wirft
    In einen Tropfen Thau den Wurm und läßt
    Noch in den todten Räumen der Verwesung
    Die Willkür sich ergötzen – Ihre Schöpfung,
    Wie eng und arm! Das Rauschen eines Blattes
    Erschreckt den Herrn der Christenheit – Sie müssen
    Vor jeder Tugend zittern. Er – der Freiheit
    Entzückende Erscheinung nicht zu stören –
    Er läßt des Uebels grauenvolles Heer
    In seinem Weltall lieber toben – ihn,
    Den Künstler, wird man nicht gewahr, bescheiden
    Verhüllt er sich in ewige Gesetze;
    Die sieht der Freigeist, doch nicht ihn. Wozu
    Ein Gott? sagt er: die Welt ist sich genug.
    Und keines Christen Andacht hat ihn mehr,
    Als dieses Freigeists Lästerung, gepriesen.

    König. Und wollet Ihr es unternehmen, dies
    Erhabne Muster in der Sterblichkeit
    In meinen Staaten nachzubilden?

    Marquis. Sie,
    Sie können es. Wer anders? Weihen Sie
    Dem Glück der Völker die Regentenkraft,
    Die – ach, so lang – des Thrones Größe nur
    Gewuchert hatte – stellen Sie der Menschheit
    Verlornen Adel wieder her. Der Bürger
    Sei wiederum, was er zuvor gewesen,
    Der Krone Zweck – ihn binde keine Pflicht,
    Als seiner Brüder gleich ehrwürd'ge Rechte.<a href="#IDUOJD4XBWOMAIH0AZNOXGQ10Z3LC44JZZBMLT3VFYV0JZTSRXH0OM">[*] Die erste Ausgabe enthält hier noch folgende Stelle:

    Der Landmann rühme sich des Pflugs und gönne
    Dem König, der nicht Landmann ist, die Krone.
    In seiner Werkstatt träume sich der Künstler
    Zum Bildner einer schönern Welt. Den Flug
    Des Denkers hemme ferner keine Schranke
    Als die Bedingung endlicher Naturen.
    Nicht in der Vatersorge stillem Kreis
    Erscheine der gekrönte Fremdling. Nie
    Erlaub' er sich, der Liebe heilige
    Mysterien unedel zu beschleichen.
    Die Menschheit zweifle, ob er ist. Belohnt
    Durch eignen Beifall, berge sich der Künstler
    Der angenehm betrogenen Maschine.

    </a>
         Wenn nun der Mensch, sich selbst zurückgegeben,
    Zu seines Werths Gefühl erwacht – der Freiheit
    Erhabne, stolze Tugenden gedeihen –
    Dann, Sire, wenn Sie zum glücklichsten der Welt
    Ihr eignes Königreich gemacht – dann ist
    Es Ihre Pflicht, die Welt zu unterwerfen.

    König(nach einem großen Stillschweigen).
    Ich ließ Euch bis zum Ende reden – Anders,
    Begreif' ich wohl, als sonst in Menschenköpfen,
    Malt sich in diesem Kopf die Welt – auch will
    Ich fremdem Maßstab Euch nicht unterwerfen.
    Ich bin der Erste, dem Ihr Euer Innerstes
    Enthüllt. Ich glaub' es, weil ich's weiß. Um dieser
    Enthaltung willen, solche Meinungen,
    Mit solchem Feuer doch umfaßt, verschwiegen
    Zu haben bis auf diesen Tag – um dieser
    Bescheidnen Klugheit willen, junger Mann,
    Will ich vergessen, daß ich sie erfahren
    Und wie ich sie erfahren. Stehet auf.
    Ich will den Jüngling, der sich übereilte,
    Als Greis und nicht als König widerlegen.
    Ich will es, weil ich's will – Gift also selbst,
    Find' ich, kann in gutartigen Naturen
    Zu etwas Besserm sich veredeln – Aber
    Flieht meine Inquisition. – Es sollte
    Mir leid thun –

    Marquis. Wirklich? Sollt' es das?

    König(in seinem Anblick verloren). Ich habe
    Solch einen Menschen nie gesehen. – Nein,
    Nein, Marquis! Ihr thut mir zu viel. Ich will
    Nicht Nero sein. Ich will es nicht sein – will
    Es gegen Euch nicht sein. Nicht alle
    Glückseligkeit soll unter mir verdorren.
    Ihr selbst, Ihr sollet unter meinen Augen
    Fortfahren dürfen, Mensch zu sein.

    Marquis(rasch). Und meine
    Mitbürger, Sire? – O! nicht um mich war mir's
    Zu thun, nicht meine Sache wollt' ich führen.
    Und Ihre Unterthanen, Sire? –

    König. Und wenn
    Ihr so gut wisset, wie die Folgezeit
    Mich richten wird, so lerne sie an Euch,
    Wie ich mit Menschen es gehalten, als
    Ich einen fand.

    Marquis. O! der gerechteste
    Der Könige sei nicht mit einem Male
    Der ungerechteste in Ihrem Flandern
    Sind tausend Bessere als ich. Nur Sie
    Darf ich es frei gestehen, großer König? –
    Sie sehn jetzt unter diesem sanftern Bilde
    Vielleicht zum ersten Mal die Freiheit.

    König(mit gemildertem Ernst). Nichts mehr
    Von diesem Inhalt, junger Mann. – Ich weiß,
    Ihr werdet anders denken, kennet Ihr
    Den Menschen erst, wie ich – Doch hätt' ich Euch
    Nicht gern zum letzten Mal gesehn. Wie fang ich
    Es an, Euch zu verbinden?

    Marquis. Lassen Sie
    Mich, wie ich bin. Was wär' ich Ihnen, Sire,
    Wenn Sie auch mich bestächen?

    König. Diesen Stolz
    Ertrag' ich nicht. Ihr seid von heute an
    In meinen Diensten. – Keine Einwendung!
    Ich will es haben. (Nach einer Pause.) Aber wie? was wollte
    Ich denn? War es nicht Wahrheit, was ich wollte?
    Und hier find' ich noch etwas mehr – Ihr habt
    Auf meinem Thron mich ausgefunden, Marquis.
    Nicht auch in meinem Hause?
    (Da sich der Marquis zu bedenken scheint). Ich versteh' Euch
    Doch – wär' ich auch von allen Vätern der
    Unglücklichste, kann ich nicht glücklich sein
    Als Gatte?

    Marquis. Wenn ein hoffnungsvoller Sohn,
    Wenn der Besitz der liebenswürdigsten
    Gemahlin einem Sterblichen ein Recht
    In diesem Namen geben, Sire, so sind Sie
    Der Glücklichste durch Beides.

    König(mit finstrer Miene). Nein, ich bin es nicht!
    Und daß ich's nicht bin, hab' ich tiefer nie
    Gefühlt, als eben jetzt –
    (Mit einem Blick der Wehmuth auf dem Marquis verweilend.)

    Marquis. Der Prinz denkt edel
    Und gut. Ich hab' ihn anders nie gefunden.

    König. Ich aber hab' es – Was er mir genommen,
    Kann keine Krone mir ersetzen – eine
    So tugendhafte Königin

    Marquis. Wer kann
    Es wagen, Sire?

    König. Die Welt! Die Lästerung!
    Ich selbst! – Hier liegen Zeugnisse, die ganz
    Unwidersprechlich sie verdammen; andre
    Sind noch vorhanden, die das Schrecklichste
    Mich fürchten lassen – Aber, Marquis – schwer,
    Schwer fällt es mir, an eines nur zu glauben.
    Wer klagt sie an? – Wenn sie sie fähig sollte
    Gewesen sein, so tief sich zu entehren,
    O, wie viel mehr ist mir zu glauben dann
    Erlaubt, daß eine Eboli verleumdet?
    Haßt nicht der Priester meinen Sohn und sie?
    Und weiß ich nicht, daß Alba Rache brütet?
    Mein Weib ist mehr werth, als sie alle.

    Marquis. Sire,
    Und etwas lebt noch in des Weibes Seele,
    Das über allen Schein erhaben ist
    Und über alle Lästerung – es heißt
    Weibliche Tugend.

    König. Ja! Das sag' ich auch.
    So tief, als man die Königin bezichtigt,
    Herab zu sinken, kostet viel. So leicht,
    Als man mich überreden möchte, reißen
    Der Ehre heil'ge Bande nicht. Ihr kennt
    Den Menschen, Marquis. Solch ein Mann hat mir
    Schon längst gemangelt, Ihr seid gut und fröhlich,
    Und kennet doch den Menschen auch – drum hab'
    Ich Euch gewählt –

    Marquis(überrascht und erschrocken). Mich, Sire?

    König. Ihr standet
    Vor Eurem Herrn und habt nichts für Euch selbst
    Erbeten – nichts. Das ist mir neu – Ihr werdet
    Gerecht sein. Leidenschaft wird Euren Blick
    Nicht irren – Dränget Euch zu meinem Sohn,
    Erforscht das Herz der Königin. Ich will
    Euch Vollmacht senden, sie geheim zu sprechen.
    Und jetzt verlaßt mich! (Er zieht eine Glocke.)

    Marquis. Kann ich es mit einer
    Erfüllten Hoffnung? dann ist dieser Tag
    Der schönste meines Lebens.

    König(reicht ihm die Hand zum Kusse). Er ist kein
    Verlorner in dem meinigen.

    (Der Marquis steht auf und geht. Graf Lerma tritt herein.)

    Der Ritter
    Wird künftig ungemeldet vorgelassen.

    Vierter Akt.

    Saal bei der Königin.

    Erster Auftritt.

    Die Königin. Die Herzogin Olivarez. Die Prinzessin von Eboli. Die Gräfin Fuentes und noch andere Damen.

    Königin(zur Oberhofmeisterin, indem sie aufsteht).
    Der Schlüssel fand sich als nicht? – So wird
    Man die Schatulle mir erbrechen müssen,
    Und zwar sogleich –
    (Da sie die Prinzessin von Eboli gewahr wird, welche sich ihr nähert und ihr die Hand küßt.)
    Willkommen, liebe Fürstin.
    Mich freut, Sie wieder hergestellt zu finden –
    Zwar noch sehr blaß –

    Fuentes(etwas tückisch). Die Schuld es bösen Fiebers,
    Das ganz erstaunlich an die Nerven greift.
    Nicht wahr, Prinzessin?

    Königin. Sehr hab' ich gewünscht,
    Sie zu besuchen, meine Liebe – Doch
    Ich darf ja nicht.

    Olivarez. Die Fürstin Eboli
    Litt wenigstens nicht Mangel an Gesellschaft.

    Königin. Das glaub' ich gern. Was haben Sie? Sie zittern.

    Eboli. Nichts – gar nichts, meine Königin. Ich bitte
    Um die Erlaubniß, wegzugehen.

    Königin. Sie
    Verhehlen uns, sind kränker gar, als Sie
    Uns glauben machen wollen? Auch das Stehn
    Wird Ihnen sauer. Helfen Sie ihr, Gräfin,
    Auf dieses Tabouret sich niedersetzen.

    Eboli. Im Freien wird mir besser. (Sie geht ab.)

    Königin. Folgen Sie
    Ihr, Gräfin – Welche Anwandlung!

    (Ein Page tritt herein und spricht mit der Herzogin, welche sich alsdann zur Königin wendet.)

    Olivarez. Der Marquis
    Von Posa, Ihre Majestät – Er kommt
    Von Seiner Majestät dem König.

    Königin. Ich
    Erwart' ihn.

    (Der Page geht ab und öffnet dem Marquis die Thüre.)

    Zweiter Auftritt.

    Marquis von Posa. Die Vorigen.

    (Der Marquis läßt sich auf ein Knie vor der Königin nieder, welche ihm einen Wink gibt, aufzustehen.)

    Königin. Was ist meines Herrn Befehl?
    Darf ich ihn öffentlich –

    Marquis. Mein Auftrag lautet
    An Ihre königliche Majestät allein.

    (Die Damen entfernen sich auf einen Wink der Königin.)

    Dritter Auftritt.

    Die Königin. Marquis von Posa.

    Königin(voll Bewunderung).
    Wie? Darf ich meinen Augen trauen, Marquis?
    Sie an mich abgeschickt vom König?

    Marquis. Dünkt
    Das Ihre Majestät so sonderbar?
    Mir ganz und gar nicht.

    Königin. Nun, so ist die Welt
    Aus ihrer Bahn gewichen. Sie und er
    Ich muß gestehen –

    Marquis. Daß es seltsam klingt?
    Das mag wohl sein. – Die gegenwärt'ge Zeit
    Ist noch an mehrern Wunderdingen fruchtbar.

    Königin. An größern kaum.

    Marquis. Gesetzt, ich hätte mich
    Bekehren lassen endlich – wär' es müde,
    An Philipps Hof den Sonderling zu spielen?
    Den Sonderling! Was heißt auch das? Wer sich
    Den Menschen nützlich machen will, muß doch
    Zuerst sich ihnen gleich zu stellen suchen.
    Wozu der Secte prahlerische Tracht?
    Gesetzt – wer ist von Eitelkeit so frei,
    Um nicht für seinen Glauben gern zu werben? –
    Gesetzt, ich ginge damit um, den meinen
    Auf einen Thron zu setzen?

    Königin. Nein! – Nein, Marquis,
    Auch nicht einmal im Scherze möcht' ich dieser
    Unreifen Einbildung Sie zeihn. Sie sind
    Der Träumer nicht, der etwas unternähme,
    Was nicht geendigt werden kann.

    Marquis. Das eben
    Wär' noch die Frage, denk' ich.

    Königin. Was ich höchstens
    Sie zeihen könnte, Marquis – was von Ihnen
    Mich fast befremden könnte, wäre – wäre –

    Marquis. Zweideutelei. Kann sein.

    Königin. Unredlichkeit
    Zum wenigsten. Der König wollte mir
    Wahrscheinlich nicht durch Sie anbieten lassen,
    Was Sie mir sagen werden.

    Marquis. Nein.

    Königin. Und kann
    Die gute Sache schlimme Mittel adeln?
    Kann sich – verzeihen Sie mir diesen Zweifel –
    Ihr edler Stolz in diesem Amte borgen?
    Kaum glaub' ich es.

    Marquis. Auch ich nicht, wenn es hier
    Nur gelten soll, den König zu betrügen.
    Doch das ist meine Meinung nicht. Ihm selbst
    Gedenk' ich diesmal redlicher zu dienen,
    Als er mir aufgetragen hat.

    Königin. Daran
    Erkenn' ich Sie, und nun genug! Was macht er?

    Marquis. Der König? – Wie es scheint, bin ich sehr bald
    An meiner strengen Richterin gerächt.
    Was ich so sehr nicht zu erzählen eile,
    Eilt Ihre Majestät, wie mir geschienen,
    Noch weit, weit weniger zu hören. – Doch
    Gehört muß es doch werden! Der Monarch
    Läßt Ihr Majestät ersuchen, dem
    Ambassadeur von Frankreich kein Gehör
    Für heute zu bewilligen. Das war
    Mein Auftrag. Er ist abgethan.

    Königin. Und das
    Ist Alles, Marquis, was Sie mir von ihm
    Zu sagen haben?

    Marquis. Alles ungefähr,
    Was mich berechtigt, hier zu sein.

    Königin. Ich will
    Mich gern bescheiden, Marquis, nicht zu wissen,
    Was mir vielleicht Geheimniß bleiben muß –

    Marquis. Das muß es, meine Königin – Zwar, wären
    Sie nicht Sie selbst, ich würde eilen, Sie
    Von ein'gen Dingen zu belehren, vor
    Gewissen Menschen Sie zu warnen – doch
    Das braucht es nicht bei Ihnen. Die Gefahr
    Mag auf- und untergehen um Sie her,
    Sie sollen's nie erfahren. Alles Dies
    Ist ja nicht so viel werth, den goldnen Schlaf
    Von eines Engels Stirne zu verjagen.
    Auch war es Das nicht, was mich hergeführt.
    Prinz Carlos –

    Königin. Wie verließen Sie ihn?

    Marquis. Wie
    Den einz'gen Weisen seiner Zeit, dem es
    Verbrechen ist, die Wahrheit anzubeten –
    Und eben so beherzt, für seine Liebe,
    Wie Jener für die seinige, zu sterben.
    Ich bringe wenig Worte – aber hier,
    Hier ist er selbst. (Er gibt der Königin einen Brief.)

    Königin(nachdem sie ihn gelesen).
    Er muß mich sprechen, sagt er.

    Marquis. Das sag' ich auch.

    Königin. Wird es ihn glücklich machen,
    Wenn er mit seinen Augen sieht, daß ich
    Es auch nicht bin?

    Marquis. Nein – aber thätiger
    Soll es ihn machen und entschloßner.

    Königin. Wie?

    Marquis. Der Herzog Alba ist ernannt nach Flandern.

    Königin. Ernannt – so hör' ich.

    Marquis. Widerrufen kann
    Der König nie. Wir kennen ja den König.
    Doch wahr ist's auch: Hier darf der Prinz nicht bleiben –
    Hier nicht, jetzt vollends nicht – und Flandern darf
    Nicht aufgeopfert werden.

    Königin. Wissen Sie
    Es zu verhindern?

    Marquis. Ja – vielleicht. Das Mittel
    Ist fast so schlimm, als die Gefahr. Es ist
    Verwegen, wie Verzweiflung. – Doch ich weiß
    Von keinem andern.

    Königin. Nennen Sie mir's.

    Marquis. Ihnen,
    Nur Ihnen, meine Königin, wag' ich
    Es zu entdecken. Nur von Ihnen kann
    Es Carlos hören, ohne Abscheu hören.
    Der Name freilich, den es führen wird,
    Klingt etwas rauh –

    Königin. Rebellion –

    Marquis. Er soll
    Dem König ungehorsam werden, soll
    Nach Brüssel heimlich sich begeben, wo
    Mit offnen Armen die Flamänder ihn
    Erwarten. Alle Niederlande stehen
    Auf seine Losung auf. Die gute Sache
    Wird stark durch einen Königssohn. Er mache
    Den span'schen Thron durch seine Waffen zittern.
    Was in Madrid der Vater ihm verweigert,
    Wird er in Brüssel ihm bewilligen.

    Königin. Sie sprachen
    Ihn heute und behaupten das?

    Marquis. Weil ich
    Ihn heute sprach.

    Königin(nach einer Pause). Der Plan, den Sie mir zeigen,
    Erschreckt und – reizt mich auch zugleich. Ich glaube,
    Daß Sie nicht Unrecht haben. – Die Idee
    Ist kühn, und eben darum, glaub' ich,
    Gefällt sie mir. Ich will sie reifen lassen.
    Weiß sie der Prinz?

    Marquis. Er sollte, war mein Plan,
    Aus Ihrem Mund zum ersten Mal sie hören.

    Königin. Unstreitig! Die Idee ist groß. – Wenn anders
    Des Prinzen Jugend –

    Marquis. Schadet nichts. Er findet
    Dort einen Egmont und Oranien,
    Die braven Krieger Kaiser Carls, so klug
    Im Kabinet als fürchterlich im Felde.

    Königin(mit Lebhaftigkeit).
    Nein! die Idee ist groß und schön – Der Prinz
    Muß handeln. Lebhaft fühl' ich das. Die Rolle,
    Die man hier in Madrid ihn spielen sieht,
    Drückt mich an seiner Statt zu Boden – Frankreich
    Versprech' ich ihm; Savoyen auch. Ich bin
    Ganz Ihrer Meinung, Marquis, er muß handeln.
    Doch dieser Anschlag fordert Geld.

    Marquis. Auch das liegt schon
    Bereit –

    Königin. Und dazu weiß ich Rath.

    Marquis. So darf ich
    Zu der Zusammenkunft ihm Hoffnung geben?

    Königin. Ich will mir's überlegen.

    Marquis. Carlos dringt
    Auf Antwort, Ihre Majestät. – Ich hab'
    Ihm zugesagt, nicht leer zurück zu kehren.
    (Seine Schreibtafel der Königin reichend.)
    Zwei Zeilen sind für jetzt genug –

    Königin.(nachdem sie geschrieben). Werd' ich
    Sie wiedersehn?

    Marquis. So oft Sie es befehlen.

    Königin. So oft – so oft ich es befehle? – Marquis!
    Wie muß ich diese Freiheit mir erklären?

    Marquis. So arglos, als Sie immer können. Wir
    Genießen sie – das ist genug – das ist
    Für meine Königin genug.

    Königin(abbrechend). Wie sollt' es
    Mich freuen, Marquis, wenn der Freiheit endlich
    Noch diese Zufluch in Europa bliebe!
    Wenn sie durch ihn es bliebe! – Rechnen Sie
    Auf meinen stillen Antheil –

    Marquis.(mit Feuer). O, ich wußt' es,
    Ich mußte hier verstanden werden –

    Herzogin Olivarez(erscheint an der Thüre).

    Königin(fremd zum Marquis). Was
    Von meinem Herrn, dem König, kommt, werd' ich
    Als ein Gesetz verehren. Gehen Sie,
    Ihm meine Unterwerfung zu versichern.

    (Sie gibt ihm einen Wink. Der Marquis geht ab.)


    Galerie.

    Vierter Auftritt.

    Don Carlos und Graf Lerma.

    Carlos. Hier sind wir ungestört. Was haben Sie
    Mir zu entdecken?

    Lerma. Eure Hoheit hatten
    An diesem Hofe einen Freund.

    Carlos(stutzt). Den ich
    Nicht wüßte! – Wie? Was wollen Sie damit?

    Lerma. So muß ich um Vergebung bitten, daß
    Ich mehr erfuhr, als ich erfahren durfte.
    Doch, Eurer Hoheit zur Beruhigung,
    Ich hab' es wenigstens von treuer Hand,
    Denn, kurz, ich hab' es von mir selbst.

    Carlos. Von wem
    Ist denn die Rede?

    Lerma. Marquis Posa –

    Carlos. Nun?

    Lerma. Wenn etwa mehr, als Jemand wissen darf,
    Von Eurer Hoheit ihm bewußt sein sollte,
    Wie ich beinahe fürchte –

    Carlos. Wie Sie fürchten?

    Lerma. – Er war beim König.

    Carlos. So?

    Lerma. Zwei volle Stunden
    Und in sehr heimlichem Gespräch.

    Carlos. Wahrhaftig?

    Lerma. Es war von keiner Kleinigkeit die Rede.

    Carlos. Das will ich glauben.

    Lerma. Ihren Namen, Prinz,
    Hört' ich zu öftern Malen.

    Carlos. Hoffentlich
    Kein schlimmes Zeichen.

    Lerma. Auch ward heute Morgen
    Im Schlafgemache seiner Majestät
    Der Königin sehr räthselhaft erwähnt.

    Carlos(tritt bestürzt zurück). Graf Lerma?

    Lerma. Als der Marquis weggegangen,
    Empfing ich den Befehl, ihn künftighin
    Unangemeldet vorzulassen.

    Carlos. Das
    Ist wirklich viel.

    Lerma. Ganz ohne Beispiel, Prinz,
    So lang mir denkt, daß ich dem König diene.

    Carlos. Viel! Wahrlich viel! – Und wie? wie, sagten Sie,
    Wie ward der Königin erwähnt?

    Lerma(tritt zurück). Nein, Prinz,
    Nein! Das ist wider meine Pflicht.

    Carlos. Wie seltsam!
    Sie sagen mit das Eine und verhehlen
    Das Andre mir.

    Lerma. Das Erste war ich Ihnen,
    Das Zweite bin ich dem Monarchen schuldig.

    Carlos. – Sie haben Recht.

    Lerma. Den Marquis hab' ich zwar
    Als Mann von Ehre stets gekannt.

    Carlos. Dann haben
    Sie ihn sehr gut gekannt.

    Lerma. Jedwede Tugend
    Ist fleckenfrei – bis auf den Augenblick
    Der Probe.

    Carlos. Auch wohl hier und da noch drüber.

    Lerma. Und eines großen Königs Gunst dünkt mir
    Der Frage werth. An diesem goldnen Angel
    Hat manche starke Tugend sich verblutet.

    Carlos. O ja.

    Lerma. Oft sogar ist es weise, zu entdecken,
    Was nicht verschwiegen bleiben kann.

    Carlos. Ja, weise!
    Doch, wie Sie sagen, haben Sie den Marquis
    Als Mann von Ehre nur gekannt?

    Lerma. Ist er
    Es noch, so macht mein Zweifel ihn nicht schlechter.
    Und Sie, mein Prinz, gewinnen doppelt. (Er will gehen.)

    Carlos.(folgt ihm gerührt und drückt ihm die Hand). Dreifach
    Gewinn' ich, edler, würd'ger Mann – ich sehe
    Um einen Freund mich reicher, und es kostet
    Mir den nicht, den ich schon besaß. (Lerma geht ab.)

    Fünfter Auftritt.

    Marquis von Posa kommt durch die Galerie. Carlos.

    Marquis. Carl! Carl!

    Carlos. Wer ruft? Ah, du bist's! Eben recht. Ich eile
    Voraus ins Kloster. Komm bald nach. (Er will fort.)

    Marquis. Nur zwei
    Minuten – bleib.

    Carlos. Wenn man uns überfiele –

    Marquis. Man wird doch nicht. Es ist sogleich geschehen.
    Die Königin –

    Carlos. Du warst bei meinem Vater?

    Marquis. Er ließ mich rufen; ja.

    Carlos(voll Erwartung). Nun?

    Marquis. Es ist richtig.
    Du wirst sie sprechen.

    Carlos. Und der König? Was
    Will der König?

    Marquis. Der? Nicht viel. – Neugierde,
    Zu wissen, wer ich bin. – Dienstfertigkeit
    Von unbestellten guten Freunden. Was
    Weiß ich? Er bot mir Dienste an.

    Carlos. Die du
    Doch abgelehnt?

    Marquis. Versteht sich.

    Carlos. Und wie kamt
    Ihr auseinander?

    Marquis. Ziemlich gut.

    Carlos. Von mir
    War also wohl die Rede nicht?

    Marquis. Von dir?
    Doch. Ja. Im Allgemeinen
    (Er zieht ein Souvenir heraus und gibt es dem Prinzen.)
    Hier vorläufig
    Zwei Worte von der Königin, und morgen
    Werd' ich erfahren, wo und wie –

    Carlos(liest sehr zerstreut, steckt die Schreibtafel ein und will gehen.) Beim Prior
    Triffst du mich also.

    Marquis. Warte doch. Was eilst du?
    Es kommt ja Niemand.

    Carlos.(mit erkünsteltem Lächeln). Haben wir denn wirklich
    Die Rollen umgetauscht? Du bist ja heute
    Erstaunlich sicher.

    Marquis. Heute? Warum heute?

    Carlos. Und was schreibt mir die Königin?

    Marquis. Hast du
    Denn nicht im Augenblick gelesen?

    Carlos. Ich?
    Ja so.

    Marquis. Was hast du denn? Was ist dir?

    Carlos(liest das Geschriebene noch einmal. Entzückt und feurig). Engel
    Des Himmels! Ja, ich will es sein – ich will –
    Will deiner werth sein – Große Seelen macht
    Die Liebe größer. Sei's auch, was es sei.
    Wenn du es mir gebietest, ich gehorche –
    Sie schreibt, daß ich auf eine wichtige
    Entschließung mich bereiten soll. Was kann
    Sie damit meinen? Weißt du nicht?

    Marquis. Wenn ich's
    Auch wüßte, Carl, bist du auch jetzt gestimmt,
    Es anzuhören?

    Carlos. Hab' ich dich beleidigt?
    Ich war zerstreut. Vergib mir, Roderich.

    Marquis. Zerstreut? Wodurch?

    Carlos. Durch – ich weiß selber nicht.
    Dies Souvenir ist also meins?

    Marquis. Nicht ganz!
    Vielmehr bin ich gekommen, mir sogar
    Deins auszubitten.

    Carlos. Meins? Wozu?

    Marquis. Und was
    Du etwa sonst an Kleinigkeiten, die
    In keines Dritten Hände fallen dürfen,
    An Briefen oder abgerissenen
    Concepten bei dir führst – kurz, deine ganze
    Brieftasche –

    Carlos. Wozu aber?

    Marquis. Nur auf alle Fälle.
    Wer kann für Ueberraschung stehn? Bei mir
    Sucht sie doch Niemand. Gib.

    Carlos(sehr unruhig). Das ist doch seltsam!
    Woher auf einmal diese –

    Marquis. Sei ganz ruhig.
    Ich will nichts damit angedeutet haben.
    Gewißlich nicht! Es ist Behutsamkeit
    Vor der Gefahr. So hab' ich's nicht gemeint,
    So wahrlich nicht, daß du erschrecken solltest.

    Carlos(gibt ihm die Brieftasche).
    Verwahr' sie gut.

    Marquis. Das werd' ich.

    Carlos(sieht ihn bedeutend an). Roderich!
    Ich gab dir viel.

    Marquis. Noch immer nicht so viel,
    Als ich von dir schon habe – Dort also
    Das Uebrige, und jetzt leb' wohl! – leb' wohl! (Er will gehen.)

    Carlos(kämpft zweifelhaft mit sich selbst – endlich ruft er ihn zurück).
    Gibt mir die Briefe doch noch einmal. Einer
    Von ihr ist auch darunter, den sie damals,
    Als ich so tödtlich krank gelegen, nach
    Alcala mir geschrieben. Stets hab' ich
    Auf meinem Herzen ihn getragen. Mich
    Von diesem Brief zu trennen, fällt mir schwer.
    Laß mir den Brief – nur den – das Uebrige
    Nimm alles.

    (Er nimmt ihn heraus und gibt die Brieftasche zurück.)

    Marquis. Carl, ich thu' es ungern. Just
    Um diesen Brief war mir's zu thun.

    Carlos. Leb' wohl!

    (Er geht langsam und still weg, an der Thüre bleibt er einen Augenblick stehen, kehrt wieder um und bringt ihm den Brief.)

    Da hast du ihn.

    (Seine Hand zittert. Thränen stürzen aus seinen Augen, er fällt dem Marquis um den Hals und drückt sein Gesicht wider dessen Brust.)

    Das kann mein Vater nicht?
    Nicht wahr, mein Roderich? Das kann er doch nicht? (Er geht schnell fort.)

    Sechster Auftritt.

    Marquis (sieht ihm erstaunt nach).

    Wär's möglich? Wär' es? Also hätt' ich ihn
    Doch nicht gekannt? Nicht ganz? In seinem Herzen
    Wär' diese Falte wirklich mir entgangen?
    Mißtrauen gegen seinen Freund!
    Nein, es ist Lästerung! – Was that er mir,
    Daß ich der Schwächen schwächster ihn verklage?
    Was ich ihn zeihe, werd' ich selbst – Befremden –
    Das mag es ihn, das glaub' ich gern. Wann hätte
    Er dieser seltsamen Verschlossenheit
    In seinem Freunde sich versehn? – Auch schmerzen!
    Ich kann dir's nicht ersparen, Carl, und länger
    Muß ich noch deine gute Seele quälen.
    Der König glaubte dem Gefäß, dem er
    Sein heiliges Geheimniß übergeben,
    Und Glauben fordert Dankbarkeit. Was wäre
    Geschwätzigkeit, wenn mein Verstummen dir
    Nicht Leiden bringt? vielleicht erspart? Warum
    Dem Schlafenden die Wetterwolke zeigen,
    Die über seinem Scheitel hängt? – Genug,
    Daß ich sie still an dir vorüber führe
    Und, wenn du aufwachst, heller Himmel ist. (Er geht ab.)


    Kabinet des Königs.

    Siebenter Auftritt.

    Der König in einem Sessel – neben ihm die Infantin Clara Eugenia.

    König(nach einem tiefen Stillschweigen).
    Nein! Es ist dennoch meine Tochter – Wie
    Kann die Natur mit solcher Wahrheit lügen?
    Dies blaue Auge ist ja mein! Find' ich
    In jedem dieser Züge mich nicht wieder?
    Kind meiner Liebe, ja, du bist's. Ich drücke
    Dich an mein Herz – du bist mein Blut.
    (Er stutzt und hält inne.)
    Mein Blut!
    Was kann ich Schlimmres fürchten? Meine Züge,
    Sind sie die seinigen nicht auch?

    (Er hat das Medaillon in die Hand genommen und sieht wechselsweise auf das Bild und in einen gegenüber stehen den Spiegel – endlich wirft er es zur Erde, steht schnell auf und drückt die Infantin von sich.)

    In diesem Abgrund geh' ich unter.

    Achter Auftritt.

    Graf Lerma. Der König.

    Lerma. Eben
    Sind Ihre Majestät, die Königin,
    Im Vorgemach erschienen.

    König. Jetzt?

    Lerma. Und bitten
    Um gnädigstes Gehör –

    König. Jetzt aber? Jetzt?
    In dieser ungewohnten Stunde? – Nein!
    Jetzt kann ich sie nicht sprechen – jetzt nicht –

    Lerma. Hier
    Sind Ihre Majestät schon selbst – (Er geht ab.)

    Neunter Auftritt.

    Der König. Die Königin tritt herein. Die Infantin.

    (Die Letztere fliegt ihr entgegen und schmiegt sich an sie an. Die Königin fällt vor dem König nieder, welcher stumm und verwirrt steht.)

    Königin. Mein Herr
    Und mein Gemahl – ich muß – ich bin gezwungen,
    Vor Ihrem Thron Gerechtigkeit zu suchen.

    König. Gerechtigkeit?

    Königin. Unwürdig seh' ich mir
    An diesem Hof begegnet. Meine
    Schatulle ist erbrochen –

    König. Was?

    Königin. Und Sachen
    Von großem Werth für mich daraus verschwunden –

    König. Von großem Werth für Sie –

    Königin. Durch die Bedeutung,
    Die eines Unbelehrten Dreistigkeit
    Vermögend wäre –

    König. Dreistigkeit – Bedeutung –
    Doch – stehn Sie auf.

    Königin. Nicht eher, mein Gemahl,
    Bis Sie durch ein Versprechen sich gebunden,
    Kraft Ihres königlichen Arms zu meiner
    Genugthuung den Thäter mir zu stellen,
    Wo nicht, von einem Hofstaat mich zu trennen,
    Der meinen Dieb verbirgt –

    König. Stehn Sie doch auf –
    In dieser Stellung – Stehn Sie auf –

    Königin(steht auf). Daß er
    Von Range sein muß, weiß ich – denn in der
    Schatulle lag an Perlen und Demanten
    Weit über eine Million, und er
    Begnügte sich mit Briefen –

    König. Die ich doch –

    Königin. Recht gerne, mein Gemahl. Es waren Briefe
    Und ein Medaillon von dem Infanten.

    König. Von –

    Königin. Dem Infanten, Ihrem Sohn.

    König. An Sie?

    Königin. An mich.

    König. Von dem Infanten? Und das sagen
    Sie mir?

    Königin. Warum nicht Ihnen, mein Gemahl?

    König. Mit dieser Stirne?

    Königin. Was fällt Ihnen auf?
    Ich denke, Sie erinnern sich der Briefe,
    Die mit Bewilligung von beiden Kronen
    Don Carlos mir nach Saint-Germain geschrieben.
    Ob auch das Bild, womit er sie begleitet,
    In diese Freiheit einbedungen worden,
    Ob seine rasche Hoffnung eigenmächtig
    Sich diesen kühnen Schritt erlaubt – das will
    Ich zu entscheiden mich nicht unterfangen.
    Wenn's Uebereilung war, so war es die
    Verzeihlichste – da bin ich für ihn Bürge.
    Denn damals fiel ihm wohl nicht bei, daß es
    Für seine Mutter wäre –
    (Sieht die Bewegung des Königs.)
    Was ist das?
    Was haben Sie?

    Infantin(welche unterdessen das Medaillon auf dem Boden gefunden und damit gespielt hat, bringt es der Königin.)
    Ah! Sieh da, meine Mutter!
    Das schöne Bild –

    Königin. Was denn, mein –
    (Sie erkennt das Medaillon und bleibt in sprachloser Erstarrung stehen. Beide sehen einander mit unverwandten Augen an. Nach einem langen Stillschweigen.)
    Wahrlich, Sire!
    Dies Mittel, seiner Gattin Herz zu prüfen,
    Dünkt mir sehr königlich und edel – Doch
    Noch eine Frage möcht' ich mir erlauben.

    König. Das Fragen ist an mir.

    Königin. Durch meinen Argwohn
    Soll doch die Unschuld wenigstens nicht leiden. –
    Wenn also dieser Diebstahl Ihr Befehl
    Gewesen –

    König. Ja.

    Königin. Dann hab' ich Niemand anzuklagen
    Und Niemand weiter zu bedauern – Niemand,
    Als Sie, dem die Gemahlin nicht geworden,
    Bei welcher solche Mittel sich verlohnen.

    König.Die Sprache kenn' ich. – Doch, Madame,
    Zum zweiten Male soll sie mich nicht täuschen,
    Wie in Aranjuez sie mich getäuscht.
    Die engelreine Königin, die damals
    Mit so viel Würde sich vertheidigt – jetzt
    Kenn' ich sie besser.

    Königin. Was ist das?

    König. Kurz also
    Und ohne Hinterhalt, Madame! – Ist's wahr,
    Noch wahr, daß Sie mit Niemand dort gesprochen?
    Mit Niemand? Ist das wirklich wahr?

    Königin. Mit dem Infanten
    Hab' ich gesprochen. Ja.

    König. Ja? – Nun, so ist's
    Am Tage. Es ist offenbar. So frech!
    So wenig Schonung meiner Ehre!

    Königin. Ehre, Sire?
    Wenn Ehre zu verletzen war, so, fürcht' ich,
    Stand eine größre auf dem Spiel, als mir
    Castilien zur Morgengabe brachte.

    König. Warum verleugnen Sie mir?

    Königin. Weil ich
    Es nicht gewohnt bin, Sire, in Gegenwart
    Von Höflingen, auf Delinquentenweise
    Verhören mich zu lassen. Wahrheit werde
    Ich nie verleugnen, wenn mit Ehrerbietung
    Und Güte sie gefordert wird. – Und war
    Das wohl der Ton, den Eure Majestät
    Mit in Aranjuez zu hören gaben?
    Ist etwa sie versammelte Grandezza
    Der Richterstuhl, vor welchen Königinnen
    Zu ihrer stillen Thaten Rechenschaft
    Gezogen werden? Ich gestattete
    Dem Prinzen die Zusammenkunft, um die
    Er dringend bat. Ich that es, mein Gemahl,
    Weil ich es wollte – weil ich den Gebrauch
    Nicht über Dinge will zum Richter setzen,
    Die ich für tadellos erkannt – und Ihnen
    Verbarg ich es, weil ich nicht lüstern war,
    Mit Eurer Majestät um diese Freiheit
    Vor meinem Hofgesinde mich zu streiten.

    König. Sie sprechen kühn, Madame, sehr –

    Königin. Und auch darum,
    Setz' ich hinzu, weil der Infant doch schwerlich
    Der Billigkeit, die er verdient, sich zu
    Erfreuen hat in seines Vaters Herzen –

    König. Die er verdient?

    Königin. Denn warum soll ich es
    Verbergen, Sire? – Ich schätz' ihn sehr und lieb' ihn
    Als meinen theuersten Verwandten, der
    Einst werth befunden worden, einen Namen
    Zu führen, der mich mehr anging – Ich habe
    Noch nicht recht einsehn lernen, daß er mir
    Gerade darum fremder sollte sein,
    Als jeder Andre, weil er ehedem
    Vor jedem Andern theuer mir gewesen.
    Wenn Ihre Staatsmaxime Bande knüpft,
    Wie sie für gut es findet, soll es ihr
    Doch etwas schwerer werden, sie zu lösen.
    Ich will nicht hassen, wen ich soll – und, weil
    Man endlich doch zu reden mich gezwungen –
    Ich will es nicht – will meine Wahl nicht länger
    Gebunden sehn –

    König. Elisabeth! Sie haben
    In schwachen Stunden mich gesehen. Diese
    Erinnerung macht Sie so kühn. Sie trauen
    Auf eine Allmacht, die Sie oft genug
    An meiner Festigkeit geprüft. – Doch fürchten
    Sie desto mehr. Was bis zu Schwächen mich
    Gebracht, kann auch zu Raserei mich führen.

    Königin. Was hab' ich denn begangen?

    König(nimmt ihre Hand). Wenn es ist,
    Doch ist – und ist es denn nicht schon? – wenn Ihrer
    Verschuldung volles, aufgehäuftes Maß
    Auch nur um eines Athems Schwere steigt –
    Wenn ich der Hintergangne bin – (Er läßt ihre Hand los.) Ich kann
    Auch über diese letzte Schwäche siegen.
    Ich kann's und will's – Dann wehe mir und Ihnen,
    Elisabeth!

    Königin. Was hab' ich denn begangen?

    König. Dann meinetwegen fließe Blut –

    Königin. So weit
    Ist es gekommen – Gott!

    König. Ich kenne
    Mich selbst nicht mehr – ich ehre keine Sitte
    Und keine Stimme der Natur und keinen
    Vertrag der Nationen mehr –

    Königin. Wie sehr
    Beklag' ich Eure Majestät –

    König(außer Fassung). Beklagen!
    Das Mitleid einer Buhlerin –

    Infantin(hängt sich erschrocken an ihre Mutter). Der König zürnt,
    Und meine schöne Mutter weint.

    König(stößt das Kind unsanft von der Königin).

    Königin(mit Sanftmuth und Würde, aber mit zitternder Stimme). Die Kind
    Muß ich doch sicher stellen vor Mißhandlung.
    Komm mit mir, meine Tochter. (Sie nimmt es auf den Arm.)
    Wenn der König
    Dich nicht mehr kennen will, so muß ich jenseits
    Der Pyrenäen Bürger kommen lassen,
    Die unsre Sache führen. (Sie will gehen.)

    König(betreten). Königin?

    Königin. Ich kann nicht mehr – das ist zu viel –
    (Sie will die Thür erreichen und fällt mit dem Kinde an der Schwelle zu Boden.)

    König(hinzueilend, voll Bestürzung). Gott! was ist das? –

    Infantin(ruft voll Schrecken). Ach, meine Mutter blutet! (sie eilt hinaus.)

    König(ängstlich um sie beschäftigt).
    Welch fürchterlicher Zufall! Blut! Verdien' ich,
    Daß Sie so hart mich strafen? Stehn Sie auf,
    Erholen Sie sich! Stehn Sie auf! Man kommt!
    Man überrascht uns – Stehn Sie auf! Soll sich
    Mein ganzer Hof an diesem Schauspiel weiden?
    Muß ich Sie bitten, aufzustehen?

    (Sie richtet sich auf, von dem König unterstützt.)

    Zehnter Auftritt.

    Die Vorigen. Alba, Domingo treten erschrocken herein. Damen folgen.

    König. Man bringe
    Die Königin zu Hause. Ihr ist übel.

    (Die Königin geht ab, begleitet von den Damen. Alba und Domingo treten näher.)

    Alba. Die Königin in Thränen, und auf ihrem
    Gesichte Blut –

    König. Das nimmt die Teufel Wunder,
    Die mich verleitet haben?

    Alba, Domingo. Wir?

    König. Die mir
    Genug gesagt, zum Rasen mich zu bringen,
    Zu meiner Ueberzeugung nichts.

    Alba. Wir gaben,
    Was wir gehabt –

    König. Die Hölle dank' es euch.
    Ich habe, was mit reut, gethan. War das
    Die Sprache eines schuldigen Gewissens?

    Marquis von Posa(noch außerhalb der Scene).
    Ist der Monarch zu sprechen?

    Eilfter Auftritt.

    Marquis von Posa. Die Vorigen.

    König(bei dieser Stimme lebhaft auffahrend und dem Marquis einige Schritte entgegen gehend).
    Ah, das ist er!
    Seit mir willkommen, Marquis – Eurer, Herzog,
    Bedarf ich jetzt nicht mehr. Verlaßt uns.

    (Alba und Domingo sehen einander mit stummer Verwunderung an und gehen.)

    Zwölfter Auftritt.

    Der König und Marquis von Posa.

    Marquis. Sire!
    Dem alten Manne, der in zwanzig Schlachten
    Dem Tod für Sie entgegen ging, fällt es
    Doch hart, sich so entfernt zu sehn!

    König. Euch ziemt
    Es, so zu denken, so zu handeln, mir.
    Was Ihr in wenig Stunden mir gewesen,
    War er in einem Menschenalter nicht.
    Ich will nicht heimlich thun mit meinem Wohlgefallen;
    Das Siegel meiner königlichen Gunst
    Soll hell und weit auf Eurer Stirne leuchten.
    Ich will den Mann, den ich zum Freund gewählt,
    Beneidet sehn.

    Marquis. Und dann auch, wenn die Hülle
    Der Dunkelheit allein ihn fähig machte,
    Des Namens werth zu sein?

    König. Was bringt
    Ihr mir?

    Marquis. Als ich das Vorgemach durchgehe,
    Hör' ich von einem schrecklichen Gerüchte,
    Das mir unglaublich däucht – Ein heftiger
    Wortwechsel – Blut – die Königin –

    König. Ihr kommt von dort?

    Marquis. Entsetzen sollt' es mich,
    Wenn das Gerücht nicht Unrecht hätte, wenn
    Von Eurer Majestät indeß vielleicht
    Etwas geschehen wäre – Wichtige
    Entdeckungen, die ich gemacht, verändern
    Der Sache ganze Lage.

    König. Nun?

    Marquis. Ich fand
    Gelegenheit, des Prinzen Portefeuille
    Mit einigen Papieren wegzunehmen,
    Die, wie ich hoffe, ein'ges Licht –
    (Er gibt Carlos' Brieftasche dem König.)

    König(durchsieht sie begierig). Ein Schreiben
    Vom Kaiser, meinem Vater – – Wie? Von dem
    Ich nie gehört zu haben mich entsinne?
    (Er liest es durch, legt es bei Seite und eilt zu den andern Papieren.)
    Der Plan zu einer Festung – Abgerißne
    Gedanken aus dem Tacitus – Und was
    Denn hier? – Die Hand sollt' ich doch kennen!
    Es ist von einer Dame.
    (Er liest aufmerksam, bald laut, bald leise.)
    »Dieser Schlüssel – –
    »Die hintern Zimmer im Pavillon
    »Der Königin« – Ha! Was wird das? – »Hier darf
    »Die Liebe frei – Erhörung – schöner Lohn« –
    Satanische Verrätherei! Jetzt kenn' ich's,
    Sie ist es. Es ist ihre Hand!

    Marquis. Die Hand
    Der Königin? Unmöglich –

    König. Der Prinzessin
    Von Eboli –

    Marquis. So wär' es wahr, was mir
    Unlängst der Page Henarez gestanden,
    Der Brief und Schlüssel überbrachte.

    König(Des Marquis Hand fassend, in heftiger Bewegung).
    Marquis,
    Ich sehe mich in fürchterlichen Händen!
    Dies Weib – ich will es nur gestehen – Marquis,
    Dies Weib erbrach der Königin Schatulle,
    Die erste Warnung kam von ihr – Wer weiß,
    Wie viel der Mönch drum wissen mag – Ich bin
    Durch ein verruchtes Bubenstück betrogen.

    Marquis. Dann wär' es ja noch glücklich –

    König. Marquis! Marquis!
    Ich fange an, zu fürchten, daß ich meiner
    Gemahlin doch zu viel gethan –

    Marquis. Wenn zwischen
    Dem Prinzen und der Königin geheime
    Verständnisse gewesen sind, so waren
    Sie sicherlich von weit – weit anderm Inhalt,
    Als dessen man sie angeklagt. Ich habe
    Gewisse Nachricht, daß des Prinzen Wunsch,
    Nach Flandern abzureisen, in dem Kopfe
    Der Königin entsprang.

    König. Ich glaubt' es immer.

    Marquis. Die Königin hat Ehrgeiz – Darf ich mehr
    Noch sagen? – Mit Empfindlichkeit sieht sie
    In ihrer stolzen Hoffnung sich getäuscht
    Und von des Thrones Antheil ausgeschlossen.
    Des Prinzen rasche Jugend bot sich ihren
    Weit blickenden Entwürfen dar – ihr Herz –
    Ich zweifle, ob sie lieben kann.

    König. Vor ihren
    Staatsklugen Planen zittr' ich nicht.

    Marquis. Ob sie geliebt wird? – Ob von dem Infanten
    Nichts Schlimmeres zu fürchten? Diese Frage
    Scheint mir der Untersuchung werth. Hier, glaub' ich,
    Ist eine strenge Wachsamkeit vonnöthen –

    König. Ihr haftet mir für ihn. –

    Marquis(nach einigem Bedenken). Wenn Eure Majestät
    Mich fähig halten, dieses Amt zu führen,
    So muß ich bitten, es uneingeschränkt
    Und ganz in meine Hand zu übergeben.

    König. Das soll geschehen.

    Marquis. Wenigstens durch keinen
    Gehilfen, welchen Namen er auch habe,
    In Unternehmungen, die ich etwa
    Für nöthig finden könnte, mich zu stören –

    König. Durch keinen. Ich versprech' es Euch. Ihr wart
    Mein guter Engel. Wie viel Dank bin ich
    Für diesen Wink Euch schuldig!
    (Zu Lerma, der bei den letzten Worten hereintritt.)
    Wie verließt Ihr
    Die Königin?

    Lerma. Noch sehr erschöpft von ihrer Ohnmacht.
    (Er sieht den Marquis mit zweideutigen Blicken an und geht.)

    Marquis(nach einer Pause zum König).
    Noch eine Vorsicht scheint mir nöthig.
    Der Prinz, fürcht' ich, kann Warnungen erhalten.
    Er hat der guten Freunde viel – vielleicht
    Verbindungen in Gent mit den Rebellen.
    Die Furcht kann zu verzweifelten Entschlüssen
    Ihn führen – Darum rieth' ich an, gleich jetzt
    Vorkehrungen zu treffen, diesem Fall
    Durch ein geschwindes Mittel zu begegnen.

    König. Ihr habt ganz Recht. Wie aber –

    Marquis. Ein geheimer
    Verhaftsbefehl, den Eure Majestät
    In meine Hände niederlegen, mich
    Im Augenblicke der Gefahr sogleich
    Desselben zu bedienen – und –
    (Wie sich der König zu bedenken scheint.)
    Es bliebe
    Fürs Erste Staatsgeheimniß, bis –

    König(zum Schreibepult gehend und den Verhaftsbefehl niederschreibend).
    Das Reich
    Ist auf dem Spiele – Außerordentliche Mittel
    Erlaubt die dringende Gefahr – Hier, Marquis –
    Euch brauch' ich keine Schonung zu empfehlen –

    Marquis(empfängt den Verhaftsbefehl).
    Es ist aufs Aeußerste, mein König.

    König(legt die Hand auf seine Schulter). Geht,
    Geht, lieber Marquis – Ruhe meinem Herzen
    Und meinen Nächten Schlaf zurück zu bringen.

    (Beide gehen ab zu verschiedenen Seiten.)


    Galerie.

    Dreizehnter Auftritt.

    Carlos kommt in der größten Beängstigung. Graf Lerma ihm entgegen.

    Carlos. Sie such' ich eben.

    Lerma. Und ich Sie.

    Carlos. Ist's wahr?
    Um Gottes willen, ist es wahr?

    Lerma. Was denn?

    Carlos. Daß er den Dolch nach ihr gezückt? daß man
    Aus seinem Zimmer blutig sie getragen?
    Bei allen Heiligen, antworten Sie!
    Was muß ich glauben? was ist wahr?

    Lerma. Sie fiel
    Ohnmächtig hin und ritzte sich im Fallen.
    Sonst war es nichts.

    Carlos. Sonst hat es nicht Gefahr?
    Sonst nicht? Bei Ihrer Ehre, Graf?

    Lerma. Nicht für
    Die Königin – doch desto mehr für Sie.

    Carlos. Für meine Mutter nicht! Nun, Gott sei Dank!
    Mit kam ein schreckliches Gerücht zu Ohren,
    Der König rase gegen Kind und Mutter,
    Und ein Geheimniß sei entdeckt.

    Lerma. Das Letzte
    Kann auch wohl wahr sein –

    Carlos. Wahr sein! Wie?

    Lerma. Prinz, eine Warnung gab ich Ihnen heute,
    Die Sie verachtet haben. Nützen Sie
    Die zweite besser.

    Carlos. Wie?

    Lerma. Wenn ich mich anders
    Nicht irre, Prinz, sah ich vor wen'gen Tagen
    Ein Portefeuille von himmelblauem Sammt,
    Mit Gold durchwirkt, in Ihrer Hand –

    Carlos(etwas bestürzt). So eins
    Besitz' ich. Ja – Nun? –

    Lerma. Auf der Decke, glaub' ich,
    Ein Schattenriß, mit Perlen eingefaßt –

    Carlos. Ganz recht.

    Lerma. Als ich vorhin ganz unvermuthet
    Ins Kabinet des Königs trag, glaubt' ich
    Das nämliche in seiner Hand zu sehen,
    Und Marquis Posa stand bei ihm –

    Carlos(nach einem kurzen erstarrenden Stillschweigen, heftig). Das ist
    Nicht wahr.

    Lerma(empfindlich). Dann freilich bin ich ein Betrüger.

    Carlos(sieht ihn lange an). Der sind Sie. Ja.

    Lerma. Ach! ich verzeih' es Ihnen.

    Carlos(geht in schrecklicher Bewegung auf und nieder und bleibt endlich vor ihm stehen).
    Was hat er dir zu Leid gethan? Was haben
    Die unschuldsvollen Bande dir gethan,
    Die du mit höllischer Geschäftigkeit
    Zu reißen dich beeiferst?

    Lerma. Prinz, ich ehre
    Den Schmerz, der Sie unbillig macht.

    Carlos. O Gott!
    Gott! – Gott! Bewahre mich vor Argwohn!

    Lerma. Auch
    Erinnr' ich mich des Königs eigner Worte:
    Wie vielen Dank, sagt' er, als ich herein trat,
    Bin ich für diese Neuigkeit Euch schuldig!

    Carlos. O stille! stille!

    Lerma. Herzog Alba soll
    Gefallen sein – dem Prinzen Ruy Gomez
    Das große Siegel abgenommen und
    Dem Marquis übergeben sein –

    Carlos(in tiefes Grübeln verloren). Und mir verschwieg er!
    Warum verschwieg er mir?

    Lerma. Der ganze Hof
    Staunt ihn schon als allmächtigen Minister,
    Als unumschränkten Günstling an –

    Carlos. Er hat
    Mich lieb gehabt, sehr lieb. Ich war ihm theuer,
    Wie seine eigne Seele. O, das weiß ich –
    Das haben tausend Proben mir erwiesen.
    Doch sollen Millionen ihm, soll ihm
    Das Vaterland nicht theurer sein als Einer?
    Sein Busen war für einen Freund zu groß,
    Und Carlos' Glück zu klein für seine Liebe.
    Er opferte mich seiner Tugend. Kann
    Ich ihn drum schelten? – Ja, es ist gewiß!
    Jetzt ist's gewiß. Jetzt hab' ich ihn verloren.
    (Er geht seitwärts und verhüllt das Gesicht.)

    Lerma(nach einigem Stillschweigen).
    Mein bester Prinz, was kann ich für Sie thun?

    Carlos(ohne ihn anzusehen).
    Zum König gehen und mich auch verrathen.
    Ich habe nichts zu schenken.

    Lerma. Wollen Sie
    Erwarten, was erfolgen mag?

    Carlos(stützt sich auf das Geländer und sieht starr vor sich hinaus).
    Ich hab' ihn
    Verloren. O, jetzt bin ich ganz verlassen!

    Lerma(nähert sich ihm mit theilnehmender Rührung).
    Sie wollen nicht auf Ihre Rettung denken?

    Carlos. Auf meine Rettung? – Guter Mensch!

    Lerma. Und sonst,
    Sonst haben Sie für Niemand mehr zu zittern?

    Carlos(fährt auf).
    Gott! Woran mahnen Sie mich! – Meine Mutter!
    Der Brief, den ich ihm wieder gab! ihm erst
    Nicht lassen wollte und doch ließ!
    (Er geht heftig und die Hände ringend auf und nieder.)
    Womit
    Hat sie es denn verdient um ihn? Sie hätt' er
    Doch schonen sollen. Lerma, hätt' er nicht?
    (Rasch entschlossen.)
    Ich muß zu ihr – ich muß sie warnen, muß
    Sie vorbereiten – Lerma, lieber Lerma –
    Wen schick' ich denn? Hab' ich denn Niemand mehr?
    Gott sei gelobt! Noch einen Freund – und hier
    Ist nichts mehr zu verschlimmern. (Schnell ab.)

    Lerma(folgt ihm und ruft ihm nach). Prinz! Wohin? (Geht ab.)

    Vierzehnter Auftritt.

    Die Königin. Alba. Domingo.

    Alba. Wenn uns vergönnt ist, große Königin –

    Königin. Was steht zu Ihren Diensten?

    Domingo. Redliche Besorgniß
    Für Ihre königliche Majestät
    Erhabene Person erlaubt uns nicht,
    Bei einem Vorfall müßig still zu schweigen,
    Der Ihre Sicherheit bedroht.

    Alba. Wir eilen,
    Durch unsre zeit'ge Warnung ein Komplott,
    Das wider Sie gespielt wird, zu entkräften –

    Domingo. Und unsern Eifer – unsre Dienste zu
    Den Füßen Ihrer Majestät zu legen.

    Königin(sieht sie verwundernd an).
    Hochwürd'ger Herr, und Sie, mein edler Herzog,
    Sie überraschen mich wahrhaftig. Solcher
    Ergebenheit war ich mir von Domingo
    Und Herzog Alba wirklich nicht vermuthend.
    Ich weiß, wie ich sie schätzen muß – Sie nennen
    Mir ein Komplott, das mich bedrohen soll.
    Darf ich erfahren, wer – –

    Alba. Wir bitten Sie,
    Vor einem Marquis Posa sich zu hüten,
    Der für des Königs Majestät geheime
    Geschäfte führt.

    Königin. Ich höre mit Vergnügen,
    Daß der Monarch so gut gewählt. Den Marquis
    Hat man mir längst als einen guten Menschen,
    Als einen großen Mann gerühmt. Nie ward
    Die höchste Gunst gerechter ausgetheilt –

    Domingo. Gerechter ausgetheilt? Wir wissen's besser.

    Alba. Es ist längst kein Geheimniß mehr, wozu
    Sich dieser Mensch gebrauchen lassen.

    Königin. Wie?
    Was wär' denn das? Sie spannen meine ganze
    Erwartung.

    Domingo. Ist es schon von lange,
    Daß Ihre Majestät zum letzten Mal in Ihrer
    Schatulle nachgesehen?

    Königin. Wie?

    Domingo. Und haben
    Sie nichts darin vermißt von Kostbarkeiten?

    Königin. Wie so? Warum? Was ich vermisse, weiß
    Mein ganzer Hof – Doch Marquis Posa? Wie
    Kommt Marquis Posa damit in Verbindung?

    Alba. Sehr nahe, Ihre Majestät – dann auch
    Dem Prinzen fehlen wichtige Papiere,
    Die in des Königs Händen diesen Morgen
    Gesehen worden – als der Chevalier
    Geheime Audienz gehabt.

    Königin(nach einigem Nachdenken). Seltsam,
    Bei Gott! und äußerst sonderbar! – Ich finde
    Hier einen Feind, von dem mir nie geträumt,
    Und wiederum zwei Freunde, die ich nie besessen
    Zu haben mich entsinnen kann – Denn wirklich
    (indem sie einen durchdringenden Blick auf beide heftet.)
    Muß ich gestehn, ich war schon in Gefahr,
    Den schlimmen Dienst, den mir bei meinem Herrn
    Geleistet worden – Ihnen zu vergeben.

    Alba. Uns?

    Königin. Ihnen.

    Domingo. Herzog Alba! Uns!

    Königin(noch immer die Augen fest auf sie gerichtet). Wie lieb
    Ist es mir also, meiner Uebereilung
    So bald gewahr zu werden – ohnehin
    Hatt' ich beschlossen, Seine Majestät
    Noch heut zu bitten, meinen Kläger mir
    Zu stellen. Um so besser nun! So kann ich
    Auf Herzog Albas Zeugniß mich berufen.

    Alba. Auf mich? Das wollten Sie im Ernst?

    Königin. Warum nicht?

    Domingo. Um alle Dienste zu entkräften, die
    Wir Ihnen im Verborgnen –

    Königin. Im Verborgnen?
    (Mit Stolz und Ernst.)
    Ich wünschte doch zu wissen, Herzog Alba,
    Was Ihres Königs Frau mit Ihnen, oder
    Mit Ihnen, Priester, abzureden hätte,
    Das ihr Gemahl nicht wissen darf – – Bin ich
    Unschuldig oder schuldig?

    Domingo. Welche Frage!

    Alba. Doch, wenn der König so gerecht nicht wäre?
    Es jetzt zum Mindesten nicht wäre?

    Königin. Dann
    Muß ich erwarten, bis er's wird – Wohl Dem,
    Der zu gewinnen hat, wenn er's geworden!

    (Sie macht ihnen eine Verbeugung und geht ab; jene entfernen sich nach einer andern Seite.)

    Zimmer der Prinzessin von Eboli.

    Fünfzehnter Auftritt.

    Prinzessin von Eboli. Gleich darauf Carlos.

    Eboli. So ist sie wahr, die außerordentliche Zeitung,
    Die schon den ganzen Hof erfüllt?

    Carlos(tritt herein). Erschrecken Sie
    Nicht. Fürstin! Ich will sanft sein, wie ein Kind.

    Eboli. Prinz – diese Ueberraschung.

    Carlos. Sind Sie noch
    Beleidigt? noch?

    Eboli. Prinz!

    Carlos(dringend). Sind Sie noch beleidigt?
    Ich bitte, sagen Sie es mir.

    Eboli. Was soll das?
    Sie scheinen zu vergessen, Prinz – Was suchen
    Sie bei mir?

    Carlos(ihre Hand mit Heftigkeit fassend).
    Mädchen, kannst du ewig hassen?
    Verzeiht gekränkte Liebe nie?

    Eboli(will sich losmachen).
    Erinnern Sie mich, Prinz?

    Carlos. An deine Güte
    Und meine Undank – Ach! ich weiß es wohl!
    Schwer hab' ich dich beleidigt, Mädchen, habe
    Dein sanftes Herz zerrissen, habe Thränen
    Gepreßt aus diesen Engelblicken – ach!
    Und bin auch jetzt nicht hier, es zu bereuen.

    Eboli. Prinz, lassen Sie mich – ich –

    Carlos. Ich bin gekommen,
    Weil du ein sanftes Mädchen bist; weil ich
    Auf deine gute, schöne Seele baue.
    Sieh, Mädchen, sieh, ich habe keinen Freund mehr
    Auf dieser Welt, als dich allein. Einst warst
    Du mir so gut – Du wirst nicht ewig hassen
    Und wirst nicht unversöhnlich sein.

    Eboli.(wendet das Gesicht ab). O stille!
    Nichts mehr, um Gottes willen, Prinz! –

    Carlos. Laß mich
    An jene goldnen Zeiten dich erinnern, –
    An deine Liebe laß mich dich erinnern,
    An deine Liebe, Mädchen, gegen die
    Ich so unwürdig mich verging. Laß mich
    Jetzt gelten machen, was ich dir gewesen,
    Was deines Herzens Träume mir gegeben –
    Noch einmal – nur noch einmal stelle mich
    So, wie ich damals war, vor deine Seele,
    Und diesem Schatten opfre, was du mir,
    Mir ewig nie mehr opfern kannst.

    Eboli. O Carl!
    Wie grausam spielen Sie mit mir!

    Carlos. Sei größer,
    Als dein Geschlecht. Vergiß Beleidigungen!
    Thu', was vor dir kein Weib gethan – nach dir
    Kein Weib mehr thun wird. Etwas Unerhörtes
    Fordr' ich von dir – Laß mich – auf meinen Knien
    Beschwör' ich dich – laß mich, zwei Worte laß mich
    Mit meiner Mutter sprechen. (Er wirft sich vor ihr nieder.)

    Sechzehnter Auftritt.

    Die Vorigen. Marquis von Posa stürzt herein; hinter ihm zwei Officiere der königlichen Leibwache.

    Marquis(athemlos, außer sich dazwischentretend). Was hat er
    Gestanden? Glauben Sie ihm nicht.

    Carlos(noch auf den Knieen, mit erhobener Stimme). Bei Allem,
    Was heilig –

    Marquis(unterbricht ihn mit Heftigkeit).
    Er ist rasend. Hören Sie
    Den Rasenden nicht an.

    Carlos(lauter, dringender). Es gilt um Tod
    Und Leben. Führen Sie mich zu ihr.

    Marquis(zieht die Prinzessin mit Gewalt von ihm). Ich
    Ermorde Sie, wenn Sie ihn hören. (Zu einem von den Officieren.) Graf
    Von Cordua. Im Namen des Monarchen.
    (Er zeigt den Verhaftsbefehl.)
    Der Prinz ist Ihr Gefangener.

    (Carlos steht erstarrt, wie vom Donner gerührt. Die Prinzessin stößt einen Laut des Schreckens aus und will fliehen, die Officiere erstaunen. Eine lange und tiefe Pause. Man sieht den Marquis sehr heftig zittern und mit Mühe seine Fassung behalten.)
    (Zum Prinzen.)

    Ich bitte
    Um Ihren Degen – Fürstin Eboli,
    Sie bleiben; und (zum Officier) Sie haften mir dafür,
    Daß Seine Hoheit Niemand spreche – Niemand –
    Sie selbst nicht, bei Gefahr des Kopfs!

    (Er spricht noch Einiges leise mit dem Officier, darauf wendet er sich zum andern.)

    Ich werfe
    Sogleich mich selbst zu des Monarchen Füßen,
    Ihm Rechenschaft zu geben – (Zu Carlos.) Und auch Ihnen –
    Erwarten Sie mich, Prinz – in einer Stunde.

    (Carlos läßt sich ohne Zeichen des Bewußtseins hinwegführen. – Nur im Vorübergehen läßt er einen matten, sterbenden Blick auf den Marquis fallen, der sein Gesicht verhüllt. Die Prinzessin versucht es noch einmal zu entfliehen; der Marquis führt sie beim Arme zurück.)

    Siebzehnter Auftritt.

    Prinzessin von Eboli. Marquis von Posa.

    Eboli. Um alles Himmel willen, lassen Sie
    Mich diesen Ort –

    Marquis(führt sie ganz vor, mit fürchterlichem Ernst).
    Was hat er die gesagt,
    Unglückliche?

    Eboli. Nichts – Lassen Sie mich – Nichts –

    Marquis(hält sie mit Gewalt zurück. Ernster).
    Wie viel hast du erfahren? Hier ist kein
    Entrinnen mehr. Du wirst auf dieser Welt
    Es Niemand mehr erzählen.

    Eboli(sieht ihm erschrocken ins Gesicht). Großer Gott!
    Was meinen Sie damit? Sie wollen mich
    Doch nicht ermorden?

    Marquis(zieht einen Dolch). In der That, das bin
    Ich sehr gesonnen. Mach' es kurz.

    Eboli. Mich? mich?
    O ewige Barmherzigkeit! Was hab'
    Ich denn begangen?

    Marquis(zum Himmel sehend, den Dolch auf ihre Brust gesetzt).
    Noch ist's Zeit. Noch trat
    Das Gift nicht über diese Lippen. Ich
    Zerschmettre das Gefäß, und Alles bleibt,
    Wie es gewesen – Spaniens Verhängniß
    Und eines Weibes Leben! –
    (Er bleibt in dieser Stellung zweifelhaft ruhen.)

    Eboli(ist an ihm niedergesunken und sieht ihm fest ins Gesicht).
    Nun? was zaudern Sie?
    Ich bitte nicht um Schonung – Nein! Ich habe
    Verdient zu sterben, und ich will's.

    Marquis(läßt die Hand langsam sinken. Nach einem kurzen Besinnen).
    Das wäre
    So feig, als es barbarisch ist – Nein, nein!
    Gott sei gelobt! Noch gibt's ein andres Mittel!

    (Er läßt den Dolch fallen und eilt hinaus. Die Prinzessin stürzt fort durch eine andere Thüre.)


    Ein Zimmer der Königin.

    Achtzehnter Auftritt.

    Die Königin zur Gräfin Fuentes.

    Was für ein Auflauf im Palaste? Jedes
    Getöse, Gräfin, macht mir heute Schrecken.
    O, sehen Sie doch nach und sagen mir,
    Was es bedeutet.

    (Die Gräfin Fuentes geht ab, und herein stürzt die Prinzessin von Eboli.)

    Neunzehnter Auftritt.

    Königin. Prinzessin von Eboli.

    Eboli(athemlos, bleich und entstellt vor der Königin niedergesunken).
    Königin! Zu Hilfe!
    Er ist gefangen!

    Königin. Wer?

    Eboli. Der Marquis Posa
    Nahm auf Befehl des Königs ihn gefangen.

    Königin. Wen aber? wen?

    Eboli. Den Prinzen.

    Königin. Rasest du?

    Eboli. So eben führen sie ihn fort.

    Königin. Und wer
    Nahm ihn gefangen?

    Eboli. Marquis Posa.

    Königin. Nun,
    Gott sei gelobt, daß es der Marquis war,
    Der ihn gefangen nahm!

    Eboli. Das sagen Sie
    So ruhig, Königin? so kalt? O Gott!
    Sie ahnen nicht – Sie wissen nicht –

    Königin. Warum er
    Gefangen worden? – Eines Fehltritts wegen,
    Vermuth' ich, der dem heftigen Charakter
    Des Jünglings sehr natürlich war.

    Eboli. Nein, nein!
    Ich weiß es besser – Nein – O Königin!
    Verruchte, teufelische That! Für ihn
    Ist keine Rettung mehr! Er stirbt!

    Königin. Er stirbt!

    Eboli. Und seine Mörderin bin ich!

    Königin. Er stirbt!
    Wahnsinnige, bedenkst du?

    Eboli. Und warum –
    Warum er stirbt! – O, hätt' ich wissen können,
    Daß es bis dahin kommen würde!

    Königin(nimmt sie gütig bei der Hand). Fürstin!
    Noch sind Sie außer Fassung. Sammeln Sie
    Erst Ihre Geister, daß Sie ruhiger,
    Nicht in so grauenvollen Bildern, die
    Mein Innerstes durchschauern, mir erzählen.
    Was wissen Sie? Was ist geschehen?

    Eboli. O!
    Nicht diese himmlische Herablassung,
    Nicht diese Güte, Königin! Wie Flammen
    Der Hölle schlägt sie brennend mein Gewissen.
    Ich bin nicht würdig, den entweihten Blick
    In Ihrer Glorie empor zu richten.
    Zertreten Sie die Elende, die sich,
    Zerknirscht von Reue, Scham und Selbstverachtung
    Zu Ihren Füßen krümmt.

    Königin. Unglückliche!
    Was haben Sie mir zu gestehen?

    Eboli. Engel
    Des Lichtes! Große Heilige! Noch kennen,
    Noch ahnen Sie den Teufel nicht, dem Sie
    So liebevoll gelächelt – Lernen Sie
    Ihn heute kennen. Ich – ich war der Dieb,
    Der Sie bestohlen. –

    Königin. Sie?

    Eboli. Und jene Briefe
    Dem König ausgeliefert –

    Königin. Sie?

    Eboli. Der sich
    Erdreistet hat, Sie anzuklagen –

    Königin. Sie,
    Sie konnten –

    Eboli. Rache – Liebe – Raserei –
    Ich haßte Sie und liebte den Infanten –

    Königin. Weil Sie ihn liebten –?

    Eboli. Weil ich's ihm gestanden
    Und keine Gegenliebe fand.

    Königin(nach einigem Stillschweigen). O, jetzt
    Enträthselt sich mir Alles! – Stehn Sie auf,
    Sie liebten ihn – ich habe schon vergeben.
    Es ist nun schon vergessen – Stehn Sie auf.
    (Sie reicht ihr den Arm.)

    Eboli. Nein! nein!
    Ein schreckliches Geständniß ist noch übrig.
    Nicht eher, große Königin –

    Königin(aufmerksam). Was werd' ich
    Noch hören müssen? Reden Sie –

    Eboli. Der König –
    Verführung – O, Sie blicken weg – ich lese
    In Ihrem Angesicht Verwerfung – das
    Verbrechen, dessen ich Sie zeihte – ich
    Beging es selbst.

    (Sie drückt ihr glühendes Gesicht auf den Boden. Die Königin geht ab. Große Pause. Die Herzogin von Olivarez kommt nach einigen Minuten aus dem Kabinet, in welches die Königin gegangen war, und findet die Fürstin noch in der vorigen Stellung liegen. Sie nähert sich ihr stillschweigend; auf das Geräusch richtet sich die Letztere auf und fährt wie eine Rasende in die Höhe, da sie die Königin nicht mehr gewahr wird.)

    Zwanzigster Auftritt.

    Prinzessin von Eboli. Herzogin von Olivarez.

    Eboli. Gott, sie hat mich verlassen!
    Jetzt ist es aus.

    Olivarez(tritt ihr näher). Prinzessin Eboli –

    Eboli. Ich weiß, warum Sie kommen, Herzogin.
    Die Königin schickt Sie heraus, mein Urtheil
    Mir anzukündigen – Geschwind!

    Olivarez. Ich habe
    Befehl von Ihrer Majestät, Ihr Kreuz
    Und Ihre Schlüssel in Empfang zu nehmen –

    Eboli(nimmt ein goldenes Ordenskreuz vom Busen und gibt es in die Hände der Herzogin).
    Doch einmal noch ist mir gegönnt, die Hand
    Der besten Königin zu küssen?

    Olivarez. Im
    Marienkloster wird man Ihnen sagen,
    Was über Sie beschlossen ist.

    Eboli(unter hervorstürzenden Thränen). Ich sehe
    Die Königin nicht wieder?

    Olivarez(umarmt sie mit abgewandtem Gesicht). Leben Sie glücklich!

    (Sie geht schnell fort. Die Prinzessin folgt ihr bis an die Thüre des Kabinets, welches sogleich hinter der Herzogin verschlossen wird. Einige Minuten bleibt sie stumm und unbeweglich auf den Knieen davor liegen, dann rafft sie sich auf und eilt hinweg mit verhülltem Gesicht.)

    Einundzwanzigster Auftritt.

    Königin. Marquis von Posa.

    Königin. Ach, endlich, Marquis! Glücklich, daß Sie kommen!

    Marquis(bleich, mit zerstörtem Gesicht, bebender Stimme und durch diesen ganzen Auftritt in feierlicher, tiefer Bewegung).
    Sind Ihre Majestät allein? Kann Niemand
    In diesen nächsten Zimmern uns behorchen?

    Königin. Kein Mensch – Warum? Was bringen Sie?
    (Indem sie ihn genauer ansieht und erschrocken zurück tritt.)
    Und wie
    So ganz verändert! Was ist das? Sie machen
    Mich zittern, Marquis – alle Ihre Züge
    Wie eines Sterbenden entstellt –

    Marquis. Sie wissen
    Vermuthlich schon –

    Königin. Daß Carl gefangen worden,
    Und zwar durch Sie, setzt man hinzu – So ist
    Es dennoch wahr? Ich wollt' es keinem Menschen
    Als Ihnen glauben.

    Marquis. Es ist wahr.

    Königin. Durch Sie?

    Marquis. Durch mich.

    Königin(sieht ihn einige Augenblicke zweifelhaft an).
    Ich ehre Ihre Handlungen,
    Auch wenn ich sie nicht fasse – diesmal aber
    Verzeihen Sie dem bangen Weib – Ich fürchte,
    Sie spielen ein gewagtes Spiel.

    Marquis. Ich hab' es
    Verloren.

    Königin. Gott im Himmel!

    Marquis. Sei'n Sie
    Ganz ruhig, meine Königin. Für ihn
    Ich schon gesorgt. Ich hab' es mir verloren.

    Königin. Was werd' ich hören! Gott!

    Marquis. Denn wer,
    Wer hieß auf einen zweifelhaften Wurf
    Mich Alles setzen? Alles? so verwegen,
    So zuversichtlich mit dem Himmel spielen?
    Wer ist der Mensch, der sich vermessen will,
    Des Zufalls schweres Steuer zu regieren,
    Und doch nicht der Allwissenden zu sein?
    O, es ist billig! – Doch warum denn jetzt
    Von mir? Der Augenblick ist kostbar, wie
    Das Leben eines Menschen! Und wer weiß,
    Ob aus des Richters karger Hand nicht schon
    Die letzten Tropfen für mich fallen?

    Königin. Aus
    Des Richters Hand? – Welch feierlicher Ton!
    Ich fasse nicht, was diese Reden meinen,
    Doch sie entsetzen ich –

    Marquis. Er ist gerettet!
    Um welchen Preis er's ist, gleichviel! Doch nur
    Für heute. Wenig Augenblicke sind
    Noch sein. Er spare sie. Noch diese Nacht
    Muß er Madrid verlassen.

    Königin. Diese Nacht noch?

    Marquis. Anstalten sind getroffen. In demselben
    Karthäuserkloster, das schon lange Zeit
    Die Zuflucht unsrer Freundschaft war gewesen,
    Erwartet ihn die Post. Hier ist in Wechseln,
    Was mir das Glück auf dieser Welt gegeben.
    Was mangelt, legen Sie noch bei. Zwar hätt' ich
    An meinen Carl noch Manches auf dem Herzen,
    Noch Manches, das er wissen muß; doch leicht
    Könnt' es an Muße mir gebrechen, Alles
    Persönlich mit ihm abzuthun – Sie sprechen
    Ihn diesen Abend, darum wend' ich mich
    An Sie –

    Königin. Um meiner Ruhe willen, Marquis,
    Erklären Sie sich deutlicher – nicht in
    So fürchterlichen Räthseln reden Sie
    Mit mir – Was ist geschehn?

    Marquis. Ich habe noch
    Ein wichtiges Bekenntniß abzulegen;
    In Ihre Hände leg' ich's ab. Mir ward
    Ein Glück, wie es nur Wenigen geworden;
    Ich liebte einen Fürstensohn – Mein Herz,
    Nur einem Einzigen geweiht, umschloß
    Die ganze Welt! – In meines Carlos' Seele
    Schuf ich ein Paradies für Millionen.
    O, meine Träume waren schön – Doch es
    Gefiel der Vorsehung, mich vor der Zeit
    Von meiner schönen Pflanzung abzurufen.
    Bald hat er seinen Roderich nicht mehr,
    Der Freund hört auf in der Geliebten. Hier,
    Hier – hier – auf diesem heiligen Altare,
    Im Herzen seiner Königin leg' ich
    Mein letztes kostbares Vermächtniß nieder,
    Hier find' er's, wenn ich nicht mehr bin –
    (Er wendet sich ab, Thränen ersticken seine Stimme.)

    Königin. Das ist
    Die Sprache eines Sterbenden. Doch hoff' ich,
    Es ist nur Wirkung Ihres Blutes – oder
    Liegt Sinn in diesen Reden?

    Marquis(hat sich zu sammeln gesucht und fährt mit festerm Tone fort).
    Sagen Sie
    Dem Prinzen, daß er denken soll des Eides,
    Den wir in jenen schwärmerischen Tagen
    Auf die getheilte Hostie geschworen.
    Den meinigen hab' ich gehalten, bin
    Ihm treu geblieben bis zum Tod – jetzt ist's
    An ihm, den seinigen –

    Königin. Zum Tod?

    Marquis. Er mache –
    O, sagen Sie es ihm! das Traumbild wahr,
    Das kühne Traumbild eines neuen Staates,
    Der Freundschaft göttliche Geburt. Er lege
    Die erste Hand an diesen rohen Stein.
    Ob er vollende oder unterliege –
    Ihm einerlei! Er lege Hand an. Wenn
    Jahrhunderte dahin geflohen, wird
    Die Vorsicht einen Fürstensohn, wie er,
    Auf einen Thron, wie seiner, wiederholen
    Und ihren neuen Liebling mir derselben
    Begeisterung entzünden. Sagen Sie
    Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend
    Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
    Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte
    Gerühmter besserer Vernunft das Herz
    Der zarten Götterblume – daß er nicht
    Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
    Begeisterung, die Himmelstocher, lästert.
    Ich hab' es ihm zuvor gesagt –

    Königin. Wie, Marquis?
    Und wozu führt –

    Marquis. Und sagen Sie ihm, daß
    Ich Menschenglück auf seine Seele lege,
    Daß ich es sterbend von ihm fordre – fordre!
    Und sehr dazu berechtigt war. Es hätte
    Bei mir gestanden, einen neuen Morgen
    Heraufzuführen über diese Reiche.
    Der König schenkte mir sein Herz. Er nannte
    Mich seinen Sohn – Ich führe seine Siegel,
    Und seine Alba sind nicht mehr.

    (Er hält inne und sieht einige Augenblicke stillschweigend auf die Königin.)
    Sie weinen –
    Ich, diese Thränen kenn' ich, schöne Seele!
    Die Freude macht die fließen. Doch – vorbei,
    Es ist vorbei. Carl oder ich. Die Wahl
    War schnell und schrecklich. Einer war verloren,
    Und ich will dieser Eine sein – ich lieber –
    Verlangen Sie nicht mehr zu wissen.

    Königin. Jetzt,
    Jetzt endlich fang' ich an, Sie zu begreifen –
    Unglücklicher, was haben Sie gethan?

    Marquis. Zwei kurze Abendstunden hingegeben,
    Um einen hellen Sommertag zu retten.
    Den König geb' ich auf. Was kann ich auch
    Dem König sein? – In diesem starren Boden
    Blüht keine meiner Rosen mehr – Europas
    Verhängniß reift in meinem großen Freunde!
    Auf ihn verweis' ich Spanien – Es blute
    Bis dahin unter Philipps Hand! – Doch, weh!
    Weh mir und ihm, wenn ich bereuen sollte,
    Vielleicht das Schlimmere gewählt! – Nein, nein!
    Ich kenne meinen Carlos – Das wird nie
    Geschehn – und meine Bürgin, Königin,
    Sind Sie(Nach einigem Stillschweigen.)
    Ich sah sie keimen, diese Liebe, sah
    Der Leidenschaften unglückseligste
    In seinem Herzen Wurzel fassen – Damals
    Stand es in meiner Macht, sie zu bekämpfen.
    Ich that es nicht. Ich nährte diese Liebe,
    Die mir nicht unglückselig war. Die Welt
    Kann anders richten. Ich bereue nicht.
    Mein Herz klagt mich nicht an. Ich sahe Leben,
    Wo sie nur Tod – in dieser hoffnungslosen Flamme
    Erkannt' ich früh der Hoffnung goldnen Strahl.
    Ich wollt' ihn führen zum Vortrefflichen,
    Zur höchsten Schönheit wollt' ich ihn erheben;
    Die Sterblichkeit versagte mir ein Bild,
    Die Sprache Worte – da verwies ich ihn
    Auf dieses – meine ganze Leitung war,
    Ihm seine Liebe zu erklären.

    Königin. Marquis,
    Ihr Freund erfüllte Sie so ganz, daß Sie
    Mich über ihm vergaßen. Glaubten Sie
    Im Ernst mich aller Weiblichkeit entbunden,
    Da Sie zu seinem Engel mich gemacht,
    Zu seinen Waffen Tugend ihm gegeben?
    Das überlegten Sie wohl nicht, wie viel
    Für unser Herz zu wagen ist, wenn wir
    Mit solchen Namen Leidenschaft veredeln.

    Marquis. Für alle Weiber, nur für eines nicht.
    Auf eines schwör' ich – oder sollten Sie,
    Sie der Begierden edelster sich schämen,
    Der Heldentugend Schöpferin zu sein?
    Was geht es König Philipp an, wenn seine
    Verklärung in Escurial den Maler,
    Der vor ihr steht, mit Ewigkeit entzündet?
    Gehört die süße Harmonie, die in
    Dem Saitenspiele schlummert, seinem Käufer,
    Der es mit taubem Ohr bewacht? Er hat
    Das Recht erkauft, in Trümmern es zu schlagen,
    Doch nicht die Kunst, dem Silberton zu rufen
    Und in des Liedes Wonne zu zerschmelzen.
    Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen,
    Die Schönheit für ein fühlend Herz. Sie beide
    Gehören für einander. Diesen Glauben
    Soll mir kein feiges Vorurtheil zerstören.
    Versprechen Sie mir, ewig ihn zu lieben,
    Von Menschenfurcht, von falschem Heldenmuth
    Zu nichtiger Verleugnung nie versucht,
    Unwandelbar und ewig ihn zu lieben,
    Versprechen Sie mir dieses? – Königin –
    Versprechen Sie's in meine Hand?

    Königin. Mein Herz,
    Versprech' ich Ihnen, soll allein und ewig
    Der Richter meiner Liebe sein.

    Marquis(zieht seine Hand zurück). Jetzt sterb' ich
    Beruhigt – meine Arbeit ist gethan.
    (Er neigt sich gegen die Königin und will gehen.)

    Königin(begleitet ihn schweigend mit den Augen).
    Sie gehen, Marquis – ohne mir zu sagen,
    Wenn wir – wie bald – uns wiedersehn?

    Marquis(kommt noch einmal zurück, das Gesicht abgewendet). Gewiß!
    Wie sehn und wieder.

    Königin. Ich verstand Sie, Posa –
    Verstand Sie recht gut – Warum haben Sie
    Mir das gethan?

    Marquis. Er oder ich.

    Königin. Nein, nein!
    Sie stürzten sich in diese That, die Sie
    Erhaben nennen. Leugnen Sie nur nicht.
    Ich kenne Sie, Sie haben längst darnach
    Gedürstet – Mögen tausend Herzen brechen,
    Was kümmert Sie's, wenn sich Ihr Stolz nur weidet.
    O, jetzt – jetzt lern' ich Sie verstehn! Sie haben
    Nur um Bewunderung gebuhlt.

    Marquis(betroffen, für sich). Nein! Darauf
    War ich nicht vorbereitet –

    Königin(nach einem Stillschweigen). Marquis!
    Ist keine Rettung möglich?

    Marquis. Keine.

    Königin. Keine?
    Besinnen Sie sich wohl. Ist keine möglich?
    Auch nicht durch mich?

    Marquis. Auch nicht durch Sie.

    Königin. Sie kennen mich
    Zur Hälfte nur – ich habe Muth.

    Marquis. Ich weiß es.

    Königin. Und keine Rettung?

    Marquis. Keine.

    Königin(verläßt ihn und verhüllt das Gesicht). Gehen Sie!
    Ich schätze keinen Mann mehr.

    Marquis(in der heftigsten Bewegung vor ihr niedergeworfen). Königin!
    – O Gott, das Leben ist doch schön!

    (Er springt auf und geht schnell fort. Die Königin in ihr Kabinet.)


    Vorzimmer des Königs.

    Zweiundzwanzigster Auftritt.

    Herzog von Alba und Domingo gehen stillschweigend und abgesondert auf und nieder. Graf Lerma kommt aus dem Kabinet des Königs, alsdann Don Raimond von Taxis, der Oberpostmeister.

    Lerma. Ob sich der Marquis noch nicht blicken lassen?

    Alba. Noch nicht. (Lerma will wieder hineingehen.)

    Taxis(tritt auf.) Graf Lerma, melden Sie mich an.

    Lerma. Der König ist für Niemand.

    Taxis. Sagen Sie,
    Ich muß ihn sprechen – Seiner Majestät
    Ist äußerst dran gelegen. Eilen Sie.
    Es leidet keinen Aufschub. (Lerma geht ins Kabinet.)

    Alba(tritt zum Oberpostmeister). Lieber Taxis,
    Gewöhnen Sie sich zur Geduld. Sie sprechen
    Den König nicht –

    Taxis. Nicht? Und warum?

    Alba. Sie hätten
    Die Vorsicht denn gebraucht, sich die Erlaubniß
    Beim Chevalier von Posa auszuwirken,
    Der Sohn und Vater zu Gefangnen macht.

    Taxis. Von Posa? Wie? Ganz recht! Das ist Derselbe,
    Aus dessen Hand ich diesen Brief empfangen –

    Alba. Brief? welchen Brief?

    Taxis. Den ich nach Brüssel habe
    Befördern sollen –

    Alba(aufmerksam). Brüssel?

    Taxis. Den ich eben
    Dem König bringe –

    Alba. Brüssel! Haben Sie
    Gehört, Kaplan? Nach Brüssel!

    Domingo(tritt dazu). Das ist sehr
    Verdächtig.

    Taxis. Und wie ängstlich, wie verlegen
    Er mir empfohlen worden!

    Domingo. Aengstlich? So!

    Alba. An wen ist denn die Aufschrift?

    Taxis. An den Prinzen
    Von Nassau und Oranien.

    Alba. An Wilhelm? –
    Kaplan, das ist Verrätherei.

    Domingo. Was könnt'
    Es anders sein? – Ja freilich, diesen Brief
    Muß man sogleich dem König überliefern.
    Welch ein Verdienst von Ihnen, würd'ger Mann,
    So streng zu sein in Ihres Königs Dienst!

    Taxis. Hochwürd'ger Herr, ich that nur meine Pflicht.

    Alba. Sie thaten wohl.

    Lerma(kommt aus dem Kabinet. Zum Oberpostmeister). Der König will Sie sprechen.
    (Taxis geht hinein.)
    Der Marquis immer noch nicht da?

    Domingo. Man sucht
    Ihn aller Orten.

    Alba. Sonderbar und seltsam.
    Der Prinz ein Staatsgefangner, und der König
    Noch selber ungewiß, warum?

    Domingo. Er war
    Nicht einmal hier, ihm Rechenschaft zu geben?

    Alba. Wie nahm es denn der König auf?

    Lerma. Der König
    Sprach noch kein Wort. (Geräusch aus dem Kabinet.)

    Alba. Was war das? Still!

    Taxis(aus dem Kabinet). Graf Lerma!
    (Beide hinein.)

    Alba(zu Domingo).
    Was geht hier vor?

    Domingo. Mit diesem Ton des Schreckens?
    Wenn dieser aufgefangne Brief? – Mir ahnet
    Nichts Gutes, Herzog.

    Alba. Lerma läßt er rufen!
    Und wissen muß er doch, daß Sie und ich
    Im Vorsaal –

    Domingo. Unsre Zeiten sind vorbei.

    Alba. Bin ich Derselbe denn nicht mehr, dem hier
    Sonst alle Thüren sprangen? Wie ist Alles
    Verwandelt um mich her – wie fremd –

    Domingo(hat sich leise der Kabinetsthüre genähert und bleibt lauschend davor stehen). Horch!

    Alba(nach einer Pause). Alles
    Ist todtenstill. Man hört sie Athem holen.

    Domingo. Die doppelte Tapete dämpft den Schall.

    Alba. Hinweg! Man kommt!

    Domingo(verläßt die Thüre). Mir ist so feierlich,
    So bang, als sollte dieser Augenblick
    Ein großes Loos entscheiden.

    Dreiundzwanzigster Auftritt.

    Der Prinz von Parma, die Herzoge von Feria und Medina Sidonia mit noch einigen andern Granden treten auf. Die Vorigen.

    Parma. Ist der König
    Zu sprechen?

    Alba. Nein.

    Parma. Nein? Wer ist bei ihm?

    Feria. Marquis
    Von Posa ohne Zweifel?

    Alba. Den erwartet man
    So eben.

    Parma. Diesen Augenblick
    Sind wir von Saragossa eingetroffen.
    Der Schrecken geht durch ganz Madrid – Ist es
    Denn wahr?

    Domingo. Ja, leider!

    Feria. Es ist wahr? er ist
    Durch den Maltheser in Verhaft genommen?

    Alba. So ist's.

    Parma. Warum? Was ist geschehn?

    Alba. Warum?
    Das weiß kein Mensch, als Seine Majestät
    Und Marquis Posa.

    Parma. Ohne Zuziehung
    Der Cortes seines Königreichs?

    Feria. Weh Dem,
    Der Theil gehabt an dieser Staatsverletzung.

    Alba. Weh' ihm! so ruf' ich auch.

    Medina Sidonia. Ich auch.

    Die übrigen Granden. Wir alle.

    Alba. Wer folgt mir in das Kabinet? – Ich werfe
    Mich zu des Königs Füßen.

    Lerma(stürzt aus dem Kabinet). Herzog Alba!

    Domingo. Endlich,
    Gelobt sei Gott! (Alba eilt hinein.)

    Lerma(athemlos, in großer Bewegung). Wenn der Maltheser kommt,
    Der Herr ist jetzo nicht allein, er wird
    Ihn rufen lassen –

    Domingo(zu Lerma, indem sich alle Uebrigen voll neugieriger Erwartung um ihn versammeln).
    Graf, was ist geschehen?
    Sie sind ja blaß wie eine Leiche.

    Lerma(will forteilen). Das
    Ist teufelisch!

    Parma und Feria. Was denn? Was denn?

    Medina Sidonia. Was macht
    Der König?

    Domingo(zugleich). Teufelisch? Was denn?

    Lerma. Der König hat
    Geweint.

    Domingo. Geweint?

    Alle(zugleich, mit betretnem Erstaunen). Der König hat geweint?
    (Man hört eine Glocke im Kabinet. Graf Lerma eilt hinein.)

    Domingo(ihm nach, will ihn zurückhalten).
    Graf, noch ein Wort – Verziehen Sie – Weg ist er!
    Da stehn wir angefesselt von Entsetzen.

    Vierundzwanzigster Auftritt.

    Prinzessin von Eboli. Feria. Medina Sidonia. Parma. Domingo und alle übrige Granden.

    Eboli(eilig, außer sich).
    Wo ist der König? wo? Ich muß ihn sprechen. (Zu Feria.)
    Sie, Herzog, führen mich zu ihm.

    Feria. Der König
    Hat wichtige Verhinderung. Kein Mensch
    Wird vorgelassen.

    Eboli. Unterzeichnet er
    Das fürchterliche Urtheil schon? Er ist
    Belogen. Ich beweis' es ihm, daß er
    Belogen ist.

    Domingo(gibt ihr von ferne einen bedeutenden Wink).
    Prinzessin Eboli!

    Eboli(geht auf ihn zu).
    Sie auch da, Priester? Recht! Sie brauch' ich eben.
    Sie sollen mir's bekräftigen.
    (Sie ergreift seine Hand und will ihn ins Kabinet mit fortreißen.)

    Domingo. Ich? – Sind
    Sie bei sich, Fürstin?

    Feria. Bleiben Sie zurück.
    Der König hört Sie jetzt nicht an.

    Eboli. Er muß
    Mich hören. Wahrheit muß er hören – Wahrheit!
    Und wär' er zehenmal ein Gott!

    Domingo. Weg, weg!
    Sie wagen Alles. Bleiben Sie zurück.

    Eboli. Mensch, zittre du vor deines Götzen Zorn.
    Ich habe nichts zu wagen.
    (Wie sie ins Kabinet will, stürzt heraus)

    Herzog Alba.(Seine Augen funkeln, Triumph ist in seinem Gang. Er eilt auf Domingo zu und umarmt ihn.)
    Lassen Sie
    In allen Kirchen ein Te Deum tönen.
    Der Sieg ist unser.

    Domingo. Unser?

    Alba(zu Domingo und den übrigen Granden). Jetzt hinein
    Zum Herrn. Sie sollen weiter von mir hören.

    Fünfter Akt.

    Ein Zimmer im königlichen Palast, durch eine eiserne Gitterthüre von einem großen Vorhof abgesondert, in welchem Wachen auf und nieder gehen.

    Erster Auftritt.

    Carlos, an einem Tische sitzend, den Kopf vorwärts auf die Arme gelegt, als wenn er schlummerte. Im Hintergrunde des Zimmers einige Officiere, die mit ihm eingeschlossen sind. Marquis von Posa tritt herein, ohne von ihm bemerkt zu werden, und spricht leise mit den Officieren, welche sich sogleich entfernen. Er selbst tritt ganz nahe vor Carlos und betrachtet ihn einige Augenblicke schweigend und traurig. Endlich macht er eine Bewegung, welche diesen aus seiner Betäubung erweckt.

    Carlos(steht auf, wird den Marquis gewahr und fährt erschrocken zusammen. Dann sieht er ihn eine Weile mit großen starren Augen an und streicht mit der Hand über die Stirne, als ob er sich auf etwas besinnen wollte).

    Marquis. Ich bin es, Carl.

    Carlos(gibt ihm die Hand). Du kommst sogar noch zu mir?
    Das ist doch schön von dir.

    Marquis. Ich bildete
    Mir ein, du könntest deinen Freund hier brauchen.

    Carlos. Wahrhaftig? Meintest du das wirklich? Sieh!
    Das freut mich – freut mich unbeschreiblich. Ach!
    Ich wußt' es wohl, daß du mir gut geblieben.

    Marquis. Ich hab' es auch um dich verdient.

    Carlos. Nicht wahr?
    O, wir verstehen uns noch ganz. So hab'
    Ich's gerne. Diese Schonung, diese Milde
    Steht großen Seelen an, wie du und ich.
    Laß sein, daß meiner Forderungen eine
    Unbillig und vermessen war, mußt du
    Mir darum auch die billigen versagen?
    Hart kann die Tugend sein, doch grausam nie,
    Unmenschlich nie – Es hat dir viel gekostet!
    O ja, mir däucht, ich weiß recht gut, wie sehr
    Geblutet hat dein sanftes Herz, als du
    Dein Opfer schmücktest zum Altare.

    Marquis. Carlos!
    Wie meinst du das?

    Carlos. Du selbst wirst jetzt vollenden,
    Was ich gesollt und nicht gekonnt – Du wirst
    Den Spaniern die goldnen Tage schenken,
    Die sie von mir umsonst gehofft. Mit mir
    Ist es ja aus – auf immer aus. Das hast
    Du eingesehn – O, diese fürchterliche Liebe
    Hat alle frühen Blüthen meines Geistes
    Unwiederbringlich hingerafft. Ich bin
    Für deine großen Hoffnungen gestorben.
    Vorsehung oder Zufall führen dir
    Den König zu – es kostet mein Geheimniß,
    Und er ist dein – du kannst sein Engel werden.
    Für mich ist keine Rettung mehr – vielleicht
    Für Spanien – Ach, hier ist nichts verdammlich,
    Nichts, nichts, als meine rasende Verblendung,
    Bis diesen Tag nicht eingesehn zu haben,
    Daß du – so groß als zärtlich bist.

    Marquis. Nein! Das,
    Das hab' ich nicht vorhergesehen – nicht
    Vorhergesehn, daß eines Freundes Großmuth
    Erfinderischer könnte sein, als meine
    Weltkluge Sorgfalt. Mein Gebäude stürzt
    Zusammen – ich vergaß dein Herz.

    Carlos. Zwar, wenn dir's möglich wär' gewesen, ihr
    Dies Schicksal zu ersparen – sieh, das hätte
    Ich unaussprechlich dir gedankt. Konnt' ich
    Denn nicht allein es tragen? Mußte sie
    Das zweite Opfer sein? – Doch still davon!
    Ich will mit keinem Vorwurf dich beladen.
    Was geht die Königin Dich an? Liebst du
    Die Königin? Soll deine strenge Tugend
    Die kleinen Sorgen meiner Liebe fragen?
    Verzeih mir – ich war ungerecht.

    Marquis. Du bist's.
    Doch – dieses Vorwurfs nicht. Verdient
    Ich einen, dann verdient' ich alle – und
    Dann würd' ich so nicht vor dir stehen.
    (Er nimmt sein Portefeuille heraus.)
    Hier
    Sind von den Briefen ein'ge wieder, die
    Du in Verwahrung mir gegeben. Nimm
    Sie zu dir.

    Carlos(sieht mit Verwunderung bald die Briefe, bald den Marquis an).
    Wie?

    Marquis. Ich gebe sie dir wieder,
    Weil sie in deinen Händen sichrer jetzt
    Sein dürften, als in meinen.

    Carlos. Was ist das?
    Der König las sie also nicht? bekam
    Sie gar nicht zu Gesichte?

    Marquis. Diese Briefe?

    Carlos. Du zeigtest ihm nicht alle?

    Marquis. Wer sagt' dir,
    Daß ich ihm einen zeigte?

    Carlos(äußerst erstaunt). Ist es möglich?
    Graf Lerma.

    Marquis. Der hat dir gesagt? – Ja, nun
    Wird Alles, Alles offenbar! Wer konnte
    Das auch voraussehn? – Lerma also? – Nein,
    Der Mann hat lügen nie gelernt. Ganz recht,
    Die andern Briefe liegen bei dem König.

    Carlos(sieht ihn lange mit sprachlosem Erstaunen an).
    Weßwegen bin ich aber hier?

    Marquis. Zur Vorsicht,
    Wenn du vielleicht zum zweiten Mal versucht
    Sein möchtest, eine Eboli zu deiner
    Vertrauten zu erwählen.

    Carlos(wie aus einem Traum erwacht). Ha! Nun endlich!
    Jetzt seh' ich – jetzt wird Alles Licht –

    Marquis(geht nach der Thüre). Wer kommt?

    Zweiter Auftritt.

    Herzog Alba. Die Vorigen.

    Alba(nähert sich ehrerbietig dem Prinzen, dem Marquis durch diesen ganzen Auftritt den Rücken zuwendend).
    Prinz, Sie sind frei. Der König schickt mich ab,
    Es Ihnen anzukündigen.
    (Carlos sieht den Marquis verwundernd an. Alle schweigen still.)
    Zugleich
    Schätz' ich mich glücklich, Prinz, der Erste sein
    Zu dürfen, der die Gnade hat –

    Carlos(bemerkt beide mit äußerster Verwunderung. Nach einer Pause zum Herzog).
    Ich werde
    Gefangen eingesetzt und frei erklärt,
    Und ohne mir bewußt zu sein, warum
    Ich Beides werde?

    Alba. Aus Versehen, Prinz,
    So viel ich weiß, zu welchem irgend ein
    – Betrüger den Monarchen hingerissen.

    Carlos. Doch aber ist es auf Befehl des Königs,
    Daß ich mich hier befinde?

    Alba. Ja, durch ein
    Versehen Seiner Majestät.

    Carlos. Das thut
    Mir wirklich leid – Doch, wenn der König sich
    Versieht, kommt es dem König zu, in eigner
    Person den Fehler wieder zu verbessern.
    (Er sucht die Augen des Marquis und beobachtet eine stolze Herabsetzung gegen den Herzog.)
    Man nennt mich hier Don Philipps Sohn. Die Augen
    Der Lästerung und Neugier ruhn auf mir.
    Was Seine Majestät aus Pflicht gethan,
    Will ich nicht scheinen ihrer Huld zu danken.
    Sonst bin ich auch bereit, vor dem Gerichte
    Der Cortes mich zu stellen – meinen Degen
    Nehm' ich aus solcher Hand nicht an.

    Alba. Der König
    Wird keinen Anstand nehmen, Eurer Hoheit
    Dies billige Verlangen zu gewähren,
    Wenn Sie vergönnen wollen, daß ich Sie
    Zu ihm begleiten darf –

    Carlos. Ich bleibe hier,
    Bis mich der König oder sein Madrid
    Aus diesem Kerker führen. Bringen Sie
    Ihm diese Antwort.

    (Alba entfernt sich. Man sieht ihn noch eine Zeit lang im Vorhofe verweilen und Befehle austheilen.)>

    Dritter Auftritt.

    Carlos und Marquis von Posa.

    Carlos(nachdem der Herzog hinaus ist, voll Erwartung und Erstaunen zum Marquis).
    Was ist aber das?
    Erkläre mir's. Bist du denn nicht Minister?

    Marquis. Ich bin's gewesen, wie du siehst.
    (Auf ihn zugehend, mit großer Bewegung.)
    O Carl,
    Es hat gewirkt. Es hat. Es ist gelungen.
    Jetzt ist's gethan. Gepriesen sei die Allmacht,
    Die es gelingen ließ!

    Carlos. Gelingen? Was?
    Ich fasse deine Worte nicht.

    Marquis(ergreift seine Hand). Du bist
    Gerettet, Carl – bist frei – und ich – (Er hält inne.)

    Carlos. Und du?

    Marquis. Und ich – ich drücke dich an meine Brust
    Zum ersten Mal mit vollem, ganzem Rechte;
    Ich hab' es ja mit Allem, Allem, was
    Mir theuer ist, erkauft – O Carl, wie süß,
    Wie groß ist dieser Augenblick! Ich bin
    Mit mir zufrieden.

    Carlos. Welche plötzliche
    Veränderung in deinen Zügen? So
    Hab' ich dich nie gesehen. Stolzer hebt
    Sich deine Brust, und deine Blicke leuchten.

    Marquis. Wir müssen Abschied nehmen, Carl. Erschrick nicht.
    O, sei ein Mann. Was du auch hören wirst,
    Versprich mir, Carl, nicht durch unbänd'gen Schmerz,
    Unwürdig großer Seelen, diese Trennung
    Mir zu erschweren – du verlierst mich, Carl –
    Auf viele Jahre – Thoren nennen es
    Auf ewig.

    (Carlos zieht seine Hand zurück, sieht ihn starr an und antwortet nichts.)

    Sei ein Mann. Ich habe sehr
    Auf dich gerechnet, hab' es nicht vermieden,
    Die bange Stunde mit dir auszuhalten,
    Die man die letzte schrecklich nennt – Ja, soll
    Ich dir's gestehen, Carl? – ich habe mich
    Darauf gefreut – Komm, laß uns niedersitzen –
    Ich fühle mich erschöpft und matt.

    (Er rückt nahe an Carlos, der noch immer in einer todten Erstarrung ist und sich unwillkürlich von ihm niederziehen läßt.)

    Wo bist du?
    Du gibst mir keine Antwort? – Ich will kurz sein.
    Den Tag nachher, als wir zum letzten Mal
    Bei den Karthäusern uns gesehn, ließ mich
    Der König zu sich fordern. Den Erfolg
    Weißt du, weiß ganz Madrid. Das weiß du nicht,
    Daß dein Geheimniß ihm verrathen worden,
    Daß Briefe, in der Königin Schatulle
    Gefunden, wider dich gezeugt, daß ich
    Aus seinem eignen Munde dies erfahren,
    Und daß – ich sein Vertrauter war.

    (Er hält inne, Carlos' Antwort zu erfahren; dieser verharrt in seinem Stillschweigen.)

    Mit meinen Lippen brach ich meine Treue.
    Ich selbst regierte das Komplott, das dir
    Den Untergang bereitete. Zu laut
    Sprach schon die That. Dich frei zu sprechen, war
    Zu spät. Mich seiner Rache zu versichern,
    War Alles, was mir übrig blieb – und so
    Ward ich dein Feind, dir kräftiger zu dienen.
    – Du hörst mich nicht?

    Carlos. Ich höre. Weiter, weiter!

    Marquis. Bis hierher bin ich ohne Schuld. Doch bald
    Verrathen mich die ungewohnten Strahlen
    Der neuen königlichen Gunst. Der Ruf
    Dringt bis zu dir, wie ich vorhergesehn.
    Doch ich, von falscher Zärtlichkeit bestochen,
    Von stolzem Wahn geblendet, ohne dich
    Das Wagestück zu enden, unterschlage
    Der Freundschaft mein gefährliches Geheimniß.
    Das war die große Uebereilung! Schwer
    Hab' ich gefehlt. Ich weiß es. Raserei
    Was meine Zuversicht. Verzeih – sie war
    Auf deiner Freundschaft Ewigkeit gegründet.

    (Hier schweigt er. Carlos geht aus seiner Versteinerung in lebhafte Bewegung über.)

    Was ich befürchtete, geschieht. Man läßt
    Dich zittern vor erdichteten Gefahren.
    Die Königin in ihrem Blut – das Schrecken
    Des wiederhallenden Palastes – Lermas
    Unglückliche Dienstfertigkeit – zuletzt
    Mein unbegreifliches Verstummen, Alles
    Bestürmt dein überraschtes Herz – Du wankst –
    Gibst mich verloren – Doch, zu edel selbst,
    An deines Freundes Redlichkeit zu zweifeln,
    Schmückst du mit Größe seinen Abfall aus;
    Nun erst wagst du, ihn treulos zu behaupten,
    Weil du noch treulos ihn verehren darfst.
    Verlassen von dem Einzigen, wirfst du
    Der Fürstin Eboli durch in die Arme –
    Unglücklicher! in eines Teufels Arme;
    Denn diese war's, die dich verrieth. (Carlos steht auf.) Ich sehe
    Dich dahin eilen. Eine schlimme Ahnung
    Fliegt durch mein Herz. Ich folge dir. Zu spät.
    Du liegst zu ihren Füßen. Das Geständniß
    Floh über deine Lippen schon. Für dich
    Ist keine Rettung mehr –

    Carlos. Nein, nein! Sie war
    Gerührt. Du irrest dich. Gewiß war sie
    Gerührt.

    Marquis. Da wird es Nacht vor meinen Sinnen.
    Nichts – nichts – kein Ausweg – keine Hilfe – keine,
    Im ganzen Umkreis der Natur! Verzweiflung
    Macht mich zur Furie, zum Thier – ich setze
    Den Dolch auf eines Weibes Brust – Doch jetzt –
    Jetzt fällt ein Sonnenstrahl in meine Seele.
    »Wenn ich den König irrte? Wenn es mir
    Gelänge, selbst der Schuldige zu scheinen?
    Wahrscheinlich oder nicht! – Für ihn genug,
    Scheinbar genug für König Philipp, weil
    Es übel ist. Es sei! ich will es wagen.
    Vielleicht ein Donner, der so unverhofft
    Ihn trifft, macht den Tyrannen stutzen – und
    Was will ich mehr? Er überlegt, und Carl
    Hat Zeit gewonnen, nach Brabant zu flüchten.«

    Carlos. Und das – das hättest du gethan?

    Marquis. Ich schreibe
    An Wilhelm von Oranien, daß ich
    Die Königin geliebt, daß mir's gelungen,
    In dem Verdacht, der fälschlich dich gedrückt,
    Des Königs Argwohn zu entgehn, daß ich
    Durch den Monarchen selbst den Weg gefunden,
    Der Königin mich frei zu nahn. Ich setze
    Hinzu, daß ich entdeckt zu sein besorge,
    Daß du, von meiner Leidenschaft belehrt,
    Zur Fürstin Eboli geeilt, vielleicht
    Durch ihre Hand die Königin zu warnen –
    Daß ich dich hier gefangen nahm und nun,
    Weil Alles doch verloren, Willens sei,
    Nach Brüssel mich zu werfen – Diesen Brief –

    Carlos(fällt ihm erschrocken ins Wort).
    Hat du der Post doch nicht vertraut? Du weißt,
    Daß alle Briefe nach Brabant und Flandern –

    Marquis. Dem König ausgeliefert werden – Wie
    Die Sachen stehn, hat Taxis seine Pflicht
    Bereits gethan.

    Carlos. Gott, so bin ich verloren!

    Marquis. Du? warum du?

    Carlos. Unglücklicher, und du
    Bist mit verloren. Diesen ungeheuern
    Betrug kann dir mein Vater nicht vergeben.
    Nein! Den vergibt er nimmermehr.

    Marquis. Betrug?
    Du bist zerstreut. Besinne dich. Wer sagt ihm,
    Daß es Betrug gewesen?

    Carlos(sieht ihm starr ins Gesicht). Wer, fragst du?
    Ich selbst. (Er will fort.)

    Marquis. Du rasest. Bleib zurück.

    Carlos. Weg, weg!
    Um Gottes willen. Halte mich nicht auf.
    Indem ich hier verweile, dingt er schon
    Die Mörder.

    Marquis. Desto edler ist die Zeit.
    Wir haben uns noch viel zu sagen.

    Carlos. Was?
    Eh' er noch Alles –

    (Er will wieder fort. Der Marquis nimmt ihn beim Arme und sieht ihn bedeutend an.)

    Marquis. Höre, Carlos – War
    Ich auch so eilig, so gewissenhaft,
    Da du für mich geblutet hast – ein Knabe?

    Carlos(bleibt gerührt und voll Bewunderung vor ihm stehen).
    O gute Vorsicht!

    Marquis. Rette dich für Flandern!
    Das Königreich ist dein Beruf. Für dich
    Zu sterben, war der meinige.

    Carlos(geht auf ihn zu und nimmt ihn bei der Hand, voll der innigsten Empfindung).
    Nein, nein!
    Er wird – er kann nicht wiederstehn! So vieler
    Erhabenheit nicht widerstehn! Ich will
    Dich zu ihm führen. Arm in Arme wollen
    Wir zu ihm gehen. Vater, will ich sagen,
    Das hat ein Freund für seinen Freund gethan.
    Es wird ihn rühren. Glaube mir, er ist
    Nicht ohne Menschlichkeit, mein Vater. Ja!
    Gewiß, es wird ihn rühren. Seine Augen werden
    Von warmen Thränen übergehn, und dir
    Und mir wird er verzeihn –

    (Es geschieht ein Schuß durch die Gitterthüre. Carlos springt auf.)

    Ha! wem galt das?

    Marquis. Ich glaube – mir. (Er sinkt nieder.)

    Carlos(fällt mit einem Schrei des Schmerzes neben ihm zu Boden).
    O himmlische
    Barmherzigkeit!

    Marquis(mit brechender Stimme). Es ist geschwind – der König –
    Ich hoffte – länger – Denk' auf deine Rettung –
    Hörst du? – auf deine Rettung – deine Mutter
    Weiß Alles – ich kann nicht mehr –

    (Carlos bleibt wie todt bei dem Leichnam liegen. Nach einiger Zeit tritt der König herein, von vielen Granden begleitet, und fährt bei diesem Anblick betreten zurück. Eine allgemeine und tiefe Pause. Die Granden stellen sich in einen halben Kreis um diese Beiden und sehen wechselsweise auf den König und seinen Sohn. Dieser liegt noch ohne alle Zeichen des Lebens. – Der König betrachtet ihn mit nachdenklicher Stille.)

    Vierter Auftritt.

    Der König. Carlos. Die Herzoge von Alba, Feria und Medina Sidonia. Der Prinz von Parma. Graf Lerma. Domingo und viele Granden.

    König(mit gütigem Tone). Deine Bitte
    Hat Statt gefunden, mein Infant. Hier bin ich,
    Ich selbst mit allen Großen meines Reichs,
    Dir Freiheit anzukündigen.

    (Carlos blickt auf und sieht um sich her, wie einer, der aus dem Traum erwacht. Seine Augen heften sich bald auf den König, bald auf den Todten. Er antwortet nicht.)

    Empfange
    Dein Schwert zurück. Man hat zu rasch verfahren.
    (Er nähert sich ihm, reicht ihm die Hand und hilft ihm sich aufzurichten.)
    Mein Sohn ist nicht an seinem Platz. Steh auf.
    Komm in die Arme deines Vaters.

    Carlos(empfängt ohne Bewußtsein die Arme des Königs – besinnt sich aber plötzlich, hält inne und sieht ihn genauer an).
    Dein
    Geruch ist Mord. Ich kann dich nicht umarmen.
    (Er stößt ihn zurück, alle Granden kommen in Bewegung.)
    Nein! Steht nicht so betroffen da! Was hab'
    Ich Ungeheures denn gethan? Des Himmels
    Gesalbten angetastet? Fürchtet nichts.
    Ich lege keine Hand an ihn. Seht ihr
    Das Brandmal nicht an seiner Stirne? Gott
    Hat ihn gezeichnet.

    König(bricht schnell auf). Folgt mir, meine Granden.

    Carlos. Wohin? Nicht von der Stelle, Sire –

    (Er hält ihn gewaltsam mit beiden Händen und bekommt mit der einen das Schwert zu fassen, das der König mitgebracht hat. Es fährt aus der Scheide.)

    König. Das Schwert
    Gezückt auf deinen Vater?

    Alle anwesenden Granden(ziehen die ihrigen). Königsmord!

    Carlos(den König fest an der einen Hand, das bloße Schwert in der andern).
    Steckt eure Schwerter ein. Was wollt ihr? Glaubt
    Ihr, ich sei rasend? Nein, ich bin nicht rasend.
    Wär' ich's, so thatet ihr nicht gut, mich zu
    Erinnern, daß auf meines Schwertes Spitze
    Sein Leben schwebt. Ich bitte, haltet euch
    Entfernt. Verfassungen, wie meine, wollen
    Geschmeichelt sein – drum bleibt zurück. Was ich
    Mit diesem König abzumachen habe,
    Geht euern Leheneid nichts an. Seht nur,
    Wie seine Finger bluten! Seht ihn recht an!
    Seht ihr? O seht auch hieher – Das hat Er
    Gethan, der große Künstler!

    König(zu den Granden, welche sich besorgt um ihn herumdrängen wollen).
    Tretet Alle
    Zurück. Wovor erzittert ihr? – Sind wir
    Nicht Sohn und Vater? Ich will doch erwarten,
    Zu welcher Schandthat die Natur –

    Carlos. Natur?
    Ich weiß von keiner. Mord ist jetzt die Losung.
    Der Menschheit Bande sind entzwei. Du selbst
    Hast sie zerrissen, Sire, in deinen Reichen.
    Soll ich verehren, was du höhnst? – O, seht!
    Seht hieher! Es ist noch kein Mord geschehen,
    Als heute – Gibt es keinen Gott? Was? Dürfen
    In seiner Schöpfung Könige so hausen?
    Ich frage, gibt es keinen Gott? So lange Mütter
    Geboren haben, ist nur Einer – Einer
    So unverdient gestorben – Weißt du auch,
    Was du gethan hast? – Nein, er weiß es nicht,
    Weiß nicht, daß er ein Leben hat gestohlen
    Aus dieser Welt, das wichtiger und edler
    Und theurer war, als er mit seinem ganzen
    Jahrhundert.

    König(mit gelindem Tone). Wenn ich allzu rasch gewesen,
    Geziemt es dir, für den ich es gewesen,
    Mich zur Verantwortung zu ziehen?

    Carlos. Wie?
    Ist's möglich? Sie errathen nicht, wer mir
    Der Todte war – O, sagt es ihm – helft seiner
    Allwissenheit das schwere Räthsel lösen.
    Der Todte war mein Freund – Und wollt ihr wissen,
    Warum er starb? Für mich ist er gestorben.

    König. Ha, meine Ahnung!

    Carlos. Blutender, vergib,
    Daß ich vor solchen Ohren es entweihe!
    Doch dieser große Menschenkenner sinke
    Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit
    Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet.
    Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch
    Ein edler Band, als die Natur es schmiedet.
    Sein schöner Lebenslauf war Liebe. Liebe
    Für mich sein großer, schöner Tod. Mein war er,
    Als Sie mit seiner Achtung groß gethan,
    Als seine scherzende Beredsamkeit
    Mit Ihrem stolzen Riesengeiste spielte.
    Ihn zu beherrschen wähnten Sie – und waren
    Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Plane.
    Daß ich gefangen bin, war seiner Freundschaft
    Durchdachtes Werk. Mich zu erretten, schrieb
    Er an Oranien den Brief – O Gott,
    Er war die erste Lüge seiner Lebens!
    Mich zu erretten, warf er sich dem Tod,
    Den er erlitt, entgegen. Sie beschenkten ihn
    Mit Ihrer Gunst – er starb für mich. Ihr Herz
    Und Ihre Freundschaft drangen Sie ihm auf,
    Ihr Scepter war das Spielwerk seiner Hände,
    Er warf es hin und starb für mich!

    (Der König steht ohne Bewegung, den Blick starr auf den Boden geheftet. Alle Granden sehen betreten und furchtsam auf ihn.)

    Und war
    Es möglich? Dieser groben Lüge konnten
    Sie Glauben schenken? Wie gering mußt' er
    Sie schätzen, da er's unternahm, bei Ihnen
    Mit diesem plumpen Gaukelspiel zu reichen!
    Um seine Freundschaft wagten Sie zu buhlen
    Und unterlagen dieser leichten Probe!
    O, nein – nein, das war nichts für Sie. Das war
    Kein Mensch für Sie! Das wußt' er selbst recht gut,
    Als er mit allen Kronen Sie verstoßen.
    Dies feine Saitenspiel zerbrach in Ihrer
    Metallnen Hand. Sie konnten nichts, als ihn ermorden.

    Alba(hat den König bis jetzt nicht aus den Augen gelassen und mit sichtbarer Unruhe die Bewegungen beobachtet, welche in seinem Gesichte arbeiten. Jetzt nähert er sich ihm furchtsam).
    Sire – nicht diese Todtenstille. Sehen
    Sie um sich! Reden Sie mit uns!

    Carlos. Sie waren
    Ihm nicht gleichgültig. Seinen Antheil hatten
    Sie längst. Vielleicht! Er hätte Sie noch glücklich
    Gemacht. Sein Herz war reich genug, Sie selbst
    Von seinem Ueberflusse zu vergnügen.
    Die Splitter seines Geistes hätten Sie
    Zum Gott gemacht. Sich selber haben Sie
    Bestohlen – Was werden
    Sie bieten, eine Seele zu erstatten,
    Wie diese war?

    (Ein tiefes Schweigen. Viele von den Granden sehen weg oder verhüllen das Gesicht in ihren Mänteln.)

    O, die ihr hier versammelt steht und vor Entsetzen
    Und vor Bewunderung verstummt – verdammet
    Den Jüngling nicht, der diese Sprache gegen
    Den Vater und den König führt – Seht hieher!
    Für mich ist er gestorben! Habt ihr Thränen?
    Fließt Blut, nicht glühend Erz, in euren Adern?
    Seht hieher und verdammt mich nicht!
    (Er wendet sich zum König mit mehr Fassung und Gelassenheit.)
    Vielleicht
    Erwarten Sie, wie diese unnatürliche Geschichte
    Sich enden wird? – Hier ist mein Schwert. Sie sind
    Mein König wieder. Denken Sie, daß ich
    Vor Ihrer Rache zittre? Morden Sie
    Mich auch, wie Sie den Edelsten gemordet.
    Mein Leben ist verwirkt. Ich weiß. Was ist
    Mir jetzt das Leben? Hier entsag' ich Allem,
    Was mich auf dieser Welt erwartet. Suchen
    Sie unter Fremdlingen sich einen Sohn –
    Da liegen meine Reiche –

    (Er sinkt an dem Leichnam nieder und nimmt an dem Folgenden keinen Antheil mehr. Man hört unterdessen von ferne ein verworrenes Getöse von Stimmen und ein Gedränge vieler Menschen. Um den König herum ist eine tiefe Stille. Seine Augen durchlaufen den ganzen Kreis, aber Niemand begegnet seinen Blicken.)

    König. Nun? Will Niemand
    Antworten? – Jeder Blick am Boden – jedes
    Gesicht verhüllt! – Mein Urtheil ist gesprochen.
    In diesen stummen Mienen les' ich es
    Verkündigt. Meine Unterthanen haben mich
    Gerichtet.

    (Das vorige Stillschweigen. – Der Tumult kommt näher und wird lauter. Durch die umstehenden Granden läuft ein Gemurmel, sie geben sich untereinander verlegene Winke; Graf Lerma stößt endlich leise den Herzog von Alba an.)

    Lerma. Wahrlich, das ist Sturm!

    Alba(leise). So fürcht' ich.

    Lerma. Man dringt herauf. Man kommt.

    Fünfter Auftritt.

    Ein Officier von der Leibwache. Die Vorigen.

    Officier(dringend). Rebellion!
    Wo ist der König?
    (Er arbeitet sich durch die Menge und dringt bis zum König.)
    Ganz Madrid in Waffen!
    Zu Tausenden umringt der wüthende
    Soldat, der Pöbel den Palast. Prinz Carlos,
    Verbreitet man, sei in Verhaft genommen,
    Sein Leben in Gefahr. Das Volk will ihn
    Lebendig sehen, oder ganz Madrid
    In Flammen aufgehn lassen.

    Alle Granden(in Bewegung). Rettet! rettet
    Den König!

    Alba(zum König, der ruhig und unbeweglich steht).
    Flüchten Sie sich, Sire – Es hat
    Gefahr – Noch wissen wir nicht, wer
    Den Pöbel waffnet –

    König(erwacht aus seiner Betäubung, richtet sich auf und tritt mit Majestät unter sie).
    Steht mein Thron noch?
    Bin ich noch König dieses Landes? – Nein,
    Ich bin es nicht mehr. Diese Memmen weinen,
    Von einem Knaben weich gemacht. Man wartet
    Nur auf die Losung, von mir abzufallen.
    Ich bin verrathen von Rebellen.

    Alba. Sire,
    Welch fürchterliche Phantasie!

    König. Dorthin!
    Dort werft euch nieder! vor dem blühenden,
    Dem jungen König werft euch nieder! – Ich
    Bin nichts mehr – ein ohnmächt'ger Greis!

    Alba. Dahin
    Ist es gekommen! – Spanier!

    (Alle drängen sich um den König herum und knieen mit gezogenen Schwertern vor ihm nieder. Carlos bleibt allein und von allen verlassen bei dem Leichnam.)

    König(reißt seinen Mantel ab und wirft ihn von sich). Bekleidet
    Ihn mit dem königlichen Schmuck – Auf meiner
    Zertretnen Leiche tragt ihn –
    (Er bleibt ohnmächtig in Albas und Lermas Armen.)

    Lerma. Hilfe! Gott!

    Feria. Gott, welcher Zufall!

    Lerma. Er ist von sich –

    Alba(läßt den König in Lermas und Ferias Händen). Bringen
    Sie ihn zu Bette. Unterdessen geb' ich
    Madrid den Frieden.

    (Er geht ab. Der König wird weggetragen, und alle Granden begleiten ihn.)

    Sechster Auftritt.

    Carlos bleibt allein bei dem Leichnam zurück. Nach einigen Augenblicken erscheint Ludwig Mercado, sieht sich schüchtern um und steht eine Zeit lang stillschweigend hinter dem Prinzen, der ihn nicht bemerkt.

    Mercado. Ich komme
    Von Ihrer Majestät der Königin.
    (Carlos sieht wieder weg und gibt ihm keine Antwort.)
    Mein Name ist Mercado – Ich bin Leibarzt
    Bei Ihrer Majestät – und hier ist meine
    Beglaubigung.

    (Er zeigt dem Prinzen einen Siegelring. – Dieser verharrt in seinem Stillschweigen.)

    Die Königin wünscht sehr,
    Sie heute noch zu sprechen – wichtige
    Geschäfte –

    Carlos. Wichtig ist mir nichts mehr
    Auf dieser Welt.

    Mercado. Ein Auftrag, sagte sie,
    Den Marquis Posa hinterlassen –

    Carlos(steht schnell auf). Was?
    Sogleich. (Er will mit ihm gehen.)

    Mercado. Nein, jetzt nicht, gnäd'ger Prinz. Sie müssen
    Die Nacht erwarten. Jeder Zugang ist
    Besetzt und alle Wachen dort verdoppelt.
    Unmöglich ist es, diese Flügel des
    Palastes ungesehen zu betreten.
    Sie würden Alles wagen –

    Carlos. Aber –

    Mercado. Nur
    Ein Mittel, Prinz, ist höchstens noch vorhanden –
    Die Königin hat es erdacht. Sie legt
    Es Ihnen vor – Doch es ist kühn und seltsam
    Und abenteuerlich.

    Carlos. Das ist?

    Mercado. Schon längst
    Geht eine Sage, wie Sie wissen, daß
    Um Mitternacht in den gewölbten Gängen
    Der königlichen Burg, in Mönchsgestalt,
    Der abgeschiedne Geist des Kaisers wandle.
    Der Pöbel glaubt an dies Gerücht, die Wachen
    Beziehen nur mit Schauer diesen Posten.
    Wenn Sie entschlossen sind, sich dieser
    Verkleidung zu bedienen, können Sie
    Durch alle Wachen frei und unversehrt
    Bis zum Gemach der Königin gelangen,
    Das dieser Schlüssel öffnen wird. Vor jedem Angriff
    Schützt Sie die heilige Gestalt. Doch auf
    Der Stelle, Prinz, muß Ihr Entschluß gefaßt sein.
    Das nöth'ge Kleid, die Maske finden Sie
    In Ihrem Zimmer. Ich muß eilen, Ihrer Majestät
    Antwort zu bringen.

    Carlos. Und die Zeit?

    Mercado. Die Zeit
    Ist zwölf Uhr.

    Carlos. Sagen Sie ihr, daß sie mich
    Erwarten könne. (Mercado geht ab.)

    Siebenter Auftritt.

    Carlos. Graf Lerma.

    Lerma. Retten Sie sich, Prinz.
    Der König wüthet gegen Sie. Ein Anschlag
    Auf Ihre Freiheit – wo nicht auf Ihr Leben.
    Befragen Sie mich weiter nicht. Ich habe
    Mich weggestohlen, Sie zu warnen. Fliehen
    Sie ohne Aufschub.

    Carlos. Ich bin in den Händen
    Der Allmacht.

    Lerma. Wie die Königin mich eben
    Hat merken lassen, sollen Sie noch heute
    Madrid verlassen und nach Brüssel flüchten.
    Verschieben Sie es nicht, ja nicht! Der Aufruhr
    Begünstigt Ihre Flucht. In dieser Absicht
    Hat ihn die Königin veranlaßt. Jetzt
    Wird man sich nicht erkühnen, gegen Sie
    Gewalt zu brauchen. Im Karthäuserkloster
    Erwartet Sie die Post, und hier sind Waffen,
    Wenn Sie gezwungen sollten sein – (Er gibt ihm einen Dolch und Terzerolen.)

    Carlos. Dank, Dank,
    Graf Lerma!

    Lerma. Ihre heutige Geschichte
    Hat mich im Innersten gerührt. So liebt
    Kein Freund mehr! Alle Patrioten weinen
    Um Sie. Mehr darf ich jetzt nicht sagen.

    Carlos. Graf Lerma! Dieser Abgeschiedne nannte
    Sie einen edlen Mann.

    Lerma. Noch einmal, Prinz!
    Reisen Sie glücklich. Schönre Zeiten werden kommen;
    Dann aber werd' ich nicht mehr sein. Empfangen
    Sie meine Huldigung schon hier.
    (Er läßt sich auf ein Knie vor ihm nieder.)

    Carlos(will ihn zurückhalten. Sehr bewegt). Nicht also –
    Nicht also, Graf – Sie rühren mich – Ich möchte
    Nicht gerne weich sein –

    Lerma(küßt seine Hand mit Empfindung). König meiner Kinder!
    O, meine Kinder werden sterben dürfen
    Für Sie. Ich darf es nicht. Erinnern Sie sich meiner
    In meinen Kindern – Kehren Sie in Frieden
    Nach Spanien zurücke. Seien Sie
    Ein Mensch auf König Philipps Thron. Sie haben
    Auch Leiden kennen lernen. Unternehmen Sie
    Nichts Blut'ges gegen Ihren Vater! Ja
    Nichts Blutiges, mein Prinz! Philipp der Zweite
    Zwang Ihren Aeltervater, von dem Thron
    Zu steigen – Dieser Philipp zittert heute
    Vor seinem eignen Sohn! Daran gedenken
    Sie, Prinz – und so geleite Sie der Himmel!

    (Er geht schnell weg. Carlos ist im Begriff, auf einem andern Wege fortzueilen, kehrt aber plötzlich um und wirft sich vor dem Leichnam des Marquis nieder, den er noch einmal in seine Arme schließt. Dann verläßt er schnell das Zimmer.)


    Vorzimmer des Königs.

    Achter Auftritt.

    Herzog von Alba und Herzog von Feria kommen im Gespräch.

    Alba. Die Stadt ist ruhig. Wie verließen Sie
    Den König?

    Feria. In der fürchterlichsten Laune.
    Er hat sich eingeschlossen. Was sich auch
    Ereignen würde, keinen Menschen will
    Er vor sich lassen. Die Verrätherei
    Des Marquis hat auf ein Mal seine ganze
    Natur verändert. Wir erkennen ihn
    Nicht mehr.

    Alba. Ich muß zu ihm. Ich kann ihn diesmal
    Nicht schonen. Eine wichtige Entdeckung,
    Die eben jetzt gemacht wird –

    Feria. Eine neue
    Entdeckung?

    Alba. Ein Karthäusermönch, der in
    Des Prinzen Zimmer heimlich sich gestohlen
    Und mit verdächt'ger Wißbegier den Tod
    Des Marquis Posa sich erzählen lassen,
    Fällt meinen Wachen auf. Man hält ihn an.
    Man untersucht. Die Angst des Todes preßt
    Ihm ein Geständniß aus, daß er Papiere
    Von großem Werthe bei sich trage, die
    Ihm der Verstorbne anbefohlen in
    Des Prinzen Hand zu übergeben – wenn
    Er sich vor Sonnenuntergang nicht mehr
    Ihm zeigen würde.

    Feria. Nun?

    Alba. Die Briefe lauten,
    Daß Carlos binnen Mitternacht und Morgen
    Madrid verlassen soll.

    Feria. Was?

    Alba. Daß ein Schiff
    In Cadix segelfertig liege, ihn
    Nach Vlissingen zu bringen – daß die Staaten
    Der Niederlande seiner nur erwarten,
    Die span'schen Ketten abzuwerfen.

    Feria. Ha!
    Was ist das?

    Alba. Andre Briefe melden,
    Daß eine Flotte Solimans bereits
    Von Rhodus ausgelaufen – den Monarchen
    Von Spanien, laut des geschloßnen Bundes,
    Im mittelländ'schen Meere anzugreifen.

    Feria. Ist's möglich?

    Alba. Eben diese Briefe lehren
    Die Reisen mich verstehn, die der Maltheser
    Durch ganz Europa jüngst gethan. Es galt
    Nichts Kleineres, als alle nord'schen Mächte
    Für der Flamänder Freiheit zu bewaffnen.

    Feria. Das war er!

    Alba. Diesen Briefen endlich folgt
    Ein ausgeführter Plan des ganzen Krieges,
    Der von der span'schen Monarchie auf immer
    Die Niederlande trennen soll. Nichts, nichts
    Ist übersehen, Kraft und Widerstand
    Berechnet, alle Quellen, alle Kräfte
    Des Landes pünktlich angegeben, alle
    Maximen, welche zu befolgen, alle
    Bündnisse, die zu schließen. Der Entwurf
    Ist teuflisch, aber wahrlich – göttlich.

    Feria. Welch undurchdringlicher Verräther!

    Alba. Noch
    Beruft man sich in diesem Brief auf eine
    Geheime Unterredung, die der Prinz
    Am Abend seiner Flucht mit seiner Mutter
    Zu Stande bringen sollte.

    Feria. Wie? Das wäre
    Ja heute.

    Alba. Diese Mitternacht. Auch hab' ich
    Für diesen Fall Befehle schon gegeben.
    Sie sehen, daß es dringt. Kein Augenblick
    Ist zu verlieren – Oeffnen Sie das Zimmer
    Der Königs.

    Feria. Nein! Der Eintritt ist verboten.

    Alba. So öffn' ich selbst – die wachsende Gefahr
    Rechtfertigt diese Kühnheit –

    (Wie er gegen die Thür geht, wird sie geöffnet, und der König tritt heraus.)

    Feria. Ha, er selbst!

    Neunter Auftritt.

    König zu den Vorigen.

    (Alle erschrecken über seinen Anblick, weichen zurück und lassen ihn ehrerbietig mitten durch. Er kommt in einem wachen Traume, wie eines Nachtwandlers. – Sein Anzug und seine Gestalt zeigen noch die Unordnung, worein ihn die gehabte Ohnmacht versetzt hat. Mit langsamen Schritten geht er an den anwesenden Granden vorbei, sieht jeden starr an, ohne einen einzigen wahrzunehmen. Endlich bleibt er gedankenvoll stehen, die Augen zur Erde gesenkt, bis seine Gemüthsbewegung nach und nach laut wird.)

    König. Gib diesen Todten mir heraus. Ich muß
    Ihn wieder haben.

    Domingo(leise zum Herzog von Alba). Reden Sie ihn an.

    König(wie oben).
    Er dachte klein von mir und starb. Ich muß
    Ihn wieder haben. Er maß anders von
    Mir denken.

    Alba(nähert sich mit Furcht). Sire –

    König. Wer redet hier?
    (Er sieht lange im ganzen Kreise herum.)
    Hat man
    Vergessen, wer ich bin? Warum nicht auf
    Den Knieen vor mir, Kreatur? Noch bin
    Ich König. Unterwerfung will ich sehen.
    Setzt Alles mich hintan, weil Einer mich
    Verachtet hat?

    Alba. Nichts mehr von ihm, mein König!
    Ein neuer Feind, bedeutender als dieser,
    Steht auf im Herzen Ihres Reichs. –

    Feria. Prinz Carlos –

    König. Er hatte einen Freund, der in den Tod
    Gegangen ist für ihn – für ihn! Mit mir
    Hätt' er ein Königreich getheilt! – Wie er
    Auf mich herunter sah! So stolz sieht man
    Von Thronen nicht herunter. War's nicht sichtbar,
    Wie viel er sich mit der Erobrung wußte?
    Was er verlor, gestand sein Schmerz. So wird
    Um nichts Vergängliches geweint – Daß er noch lebte!
    Ich gäb' ein Indien dafür. Trostlose Allmacht,
    Die nicht einmal in Gräber ihren Arm
    Verlängern, eine kleine Uebereilung
    Mit Menschenleben nicht verbessern kann!
    Die Todten stehen nicht mehr auf. Wer darf
    Mir sagen, daß ich glücklich bin? Im Grabe
    Wohnt Einer, der mir Achtung vorenthalten.
    Was gehn die Lebenden mich an? Ein Geist,
    Ein freier Mann stand auf in diesem ganzen
    Jahrhundert – Einer – Er verachtet mich
    Und stirbt.

    Alba. So lebten wir umsonst! – Laßt uns
    Zu Grabe gehen, Spanier! Auch noch
    Im Tode raubt uns dieser Mensch das Herz
    Des Königs!

    König(Er setzt sich nieder, den Kopf auf den Arm gestützt).
    Wär' er mir also gestorben!
    Ich hab' ihn lieb gehabt, sehr lieb. Er war
    Mir theuer, wie ein Sohn. In diesem Jüngling
    Ging mir ein neuer, schönrer Morgen auf.
    Wer weiß, was ich ihm aufbehalten! Er
    War meine erste Liebe. Ganz Europa
    Verfluche mich! Europa mag mir fluchen.
    Von diesem hab' ich Dank verdient.

    Domingo. Durch welche
    Bezauberung –

    König. Und wem bracht' er dies Opfer?
    Dem Knaben, meinem Sohne? Nimmermehr.
    Ich glaub' es nicht. Für einen Knaben stirbt
    Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme
    Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug
    Der ganzen Menschheit. Seine Neigung war
    Die Welt mit allen kommenden Geschlechtern.
    Sie zu vergnügen fand er einen Thron –
    Und geht vorüber? Diesen Hochverrath
    An seiner Menschheit sollte Posa sich
    Vergeben? Nein. Ich kenn' ihn besser. Nicht
    Den Philipp opfert er dem Carlos, nur
    Den alten Mann dem Jüngling, seinem Schüler.
    Der Vaters untergehnde Sonne lohnt
    Das neue Tagwerk nicht mehr. Das verspart man
    Dem nahen Aufgang seines Sohns – O, es ist klar!
    Auf meinen Hintritt wird gewartet.

    Alba. Lesen Sie
    In diesen Briefen die Bekräftigung.

    König(steht auf). Er könnte sich verrechnet haben. Noch,
    Noch bin ich. Habe Dank, Natur! Ich fühle
    In meinen Sehnen Jünglingskraft. Ich will
    Ihn zum Gelächter machen. Seine Tugend
    Sei eines Träumers Hirngespinst gewesen.
    Er sei gestorben als ein Thor. Sein Sturz
    Erdrücke seinen Freund und sein Jahrhundert!
    Laß sehen, wie man mich entbehrt. Die Welt
    Ist noch auf einen Abend mein. Ich will
    Ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir
    Kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern
    Auf dieser Brandstatt ernten soll. Er brachte
    Der Menschheit, seinem Götzen, mich zum Opfer;
    Die Menschheit büße mir für ihn – Und jetzt –
    Mit seiner Puppe fang' ich an.
    (Zum Herzog von Alba.)
    Was war's
    Mit dem Infanten? Wiederholt es mir. Was lehren
    Mich diese Briefe?

    Alba. Diese Briefe, Sire,
    Enthalten die Verlassenschaft des Marquis
    Von Posa an Prinz Carl.

    König(durchläuft die Papiere, wobei er von allen Umstehenden scharf beobachtet wird. Nachdem er eine Zeit lang gelesen, legt er sie weg und geht stillschweigend durch das Zimmer).
    Man rufe mir
    Den Inquisitor Cardinal. Ich lass'
    Ihn bitten, eine Stunde mir zu schenken.

    (Einer von den Granden geht hinaus. Der König nimmt die Papiere wieder, liest fort und legt sie abermals weg.)

    In dieser Nacht also?

    Taxis. Schlag zwei Uhr soll
    Die Post vor dem Karthäuserkloster halten.

    Alba. Und Leute, die ich ausgesendet, sahen
    Verschiednes Reis'geräthe, an dem Wappen
    Der Krone kenntlich, nach dem Kloster tragen.

    Feria. Auch sollen große Summen auf den Namen
    Der Königin bei maurischen Agenten
    Betrieben worden sein, in Brüssel zu
    Erheben.

    König. Wo verließ man den Infanten?

    Alba. Beim Leichnam des Malthesers.

    König. Ist noch Licht im Zimmer?
    Der Königin?

    Alba. Dort ist Alles still. Auch hat
    Sie ihre Kammerfrauen zeitiger,
    Als sonsten zu geschehen pflegt, entlassen.
    Die Herzogin von Arcos, die zuletzt
    Aus ihrem Zimmer ging, verließ sie schon
    In tiefem Schlaf.

    (Ein Officier von der Leibwache tritt herein, zieht den Herzog von Feria auf die Seite und spricht leise mit ihm. Dieser wendet sich betreten zum Herzog von Alba, Andre drängen sich hinzu, und es entsteht ein Gemurmel.)

    Feria, Taxis, Domingo(gleichzeitig). Sonderbar!

    König. Was gibt es?

    Feria. Eine Nachricht, Sire, die kaum
    Zu glauben ist –

    Domingo. Zwei Schweizer, die so eben
    Von ihrem Posten kommen, melden – es
    Ist lächerlich, es nachzusagen.

    König. Nun?

    Alba. Daß in dem linken Flügel des Palasts
    Der Geist des Kaisers sich erblicken lassen
    Und mit beherztem, feierlichem Schritt an ihnen
    Vorbei gegangen. Eben diese Nachricht
    Bekräft'gen alle Wachen, die durch diesen
    Pavillon verbreitet stehn, und setzen
    Hinzu, daß die Erscheinung in den Zimmern
    Der Königin verschwunden.

    König. Und in welcher
    Gestalt erschien er?

    Officier. In dem nämlichen
    Gewand, das er zum letzten Mal in Justi
    Als Hieronymitermönch getragen.

    König. Als Mönch? Und also haben ihn die Wachen
    Im Leben noch gekannt? Denn woher wußten
    Sie sonst, daß es der Kaiser war?

    Officier. Daß es
    Der Kaiser müsse sein, bewies das Scepter,
    Das er in Händen trug.

    Domingo. Auch will man ihn
    Schon öfters, wie die Sage geht, in dieser
    Gestalt gesehen haben.

    König. Angeredet hat
    Ihn Niemand?

    Officier. Niemand unterstand sich.
    Die Wachen sprachen ihr Gebet und ließen
    Ihn ehrerbietig mitten durch.

    König. Und in den Zimmern
    Der Königin verlor sich die Erscheinung?

    Officier. Im Vorgemach der Königin.

    (Allgemeines Stillschweigen.)

    König(wendet sich schnell um). Was sagt ihr?

    Alba. Sire, wir sind stumm.

    König(nach einigem Besinnen zu dem Officier).
    Laßt meine Garden unter
    Die Waffen treten und jedweden Zugang
    Zu diesem Flügel sperren. Ich bin lüstern,
    Ein Wort mit diesem Geist zu reden.

    (Der Officier geht ab. Gleich darauf ein Page.)

    Page. Sire!
    Der Inquisitor Cardinal.

    König(zu den Anwesenden). Verlaßt uns.

    (Der Cardinal Großinquisitor, ein Greis von neunzig Jahren und blind, auf einen Stab gestützt und von zwei Dominicanern geführt. Wie er durch ihre Reihen geht, werfen sich alle Granden vor ihm nieder und berühren den Saum seines Kleides. Er ertheilt ihnen den Segen. Alle entfernen sich.)

    Zehnter Auftritt.

    Der König und der Großinquisitor.

    (Ein langes Stillschweigen.)

    Großinquisitor. Steh'
    Ich vor dem König?

    König. Ja.

    Großinquisitor. Ich war mir's nicht mehr
    Vermuthend.

    König. Ich erneure einen Auftritt
    Vergangner Jahre. Philipp, der Infant,
    Holt Rath bei seinem Lehrer.

    Großinquisitor. Rath bedurfte
    Mein Zögling Carl, Ihr großer Vater, niemals.

    König. Um so viel glücklicher war er. Ich habe
    Gemordet, Cardinal, und keine Ruhe –

    Großinquisitor. Weßwegen haben Sie gemordet?

    König. Ein
    Betrug, der ohne Beispiel ist –

    Großinquisitor. Ich weiß ihn.

    König. Was wisset Ihr? Durch wen? Seit wann?

    Großinquisitor. Seit Jahren,
    Was Sie seit Sonnenuntergang.

    König(mit Befremdung). Ihr habt
    Von diesem Menschen schon gewußt?

    Großinquisitor. Sein Leben
    Liegt angefangen und beschlossen in
    Der Santa Casa heiligen Registern.

    König. Und er ging frei herum?

    Großinquisitor. Das Seil, an dem
    Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.

    König. Er war schon außer meines Reiches Grenzen.

    Großinquisitor. Wo er sein mochte, war ich auch.

    König(geht unwillig auf und nieder). Man wußte,
    In wessen Hand ich war – Warum versäumte man,
    Mich zu erinnern?

    Großinquisitor. Diese Frage geb' ich
    Zurücke – Warum fragten Sie nicht an,
    Da Sie in dieses Menschen Arm sich warfen?
    Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte Ihnen
    Den Ketzer. – Was vermochte Sie, dies Opfer
    Dem heil'gen Amt zu unterschlagen? Spielt
    Man so mit uns? Wenn sich die Majestät
    Zur Hehlerin erniedrigt – hinter unserm Rücken
    Mit unsern schlimmsten Feinden sich versteht,
    Was wird mit uns? Darf Einer Gnade finden,
    Mit welchem Rechte wurden Hunderttausend
    Geopfert?

    König. Er ist auch geopfert.

    Großinquisitor. Nein,
    Er ist ermordet – ruhmlos! freventlich! – Das Blut,
    Das unsrer Ehre glorreich fließen sollte,
    Hat eines Meuchelmörders Hand verspritzt.
    Der Mensch war unser – Was befugte Sie,
    Des Ordens heil'ge Güter anzutasten?
    Durch uns zu sterben, war er da. Ihn schenkte
    Der Nothdurft dieses Zeitenlaufes Gott,
    In seines Geistes feierlicher Schändung
    Die prahlende Vernunft zur Schau zu führen.
    Das war mein überlegter Plan. Nun liegt
    Sie hingestreckt, die Arbeit vieler Jahre!
    Wir sind bestohlen, und Sie haben nichts
    Als blut'ge Hände.

    König. Leidenschaft riß mich
    Dahin. Vergib mir.

    Großinquisitor. Leidenschaft? – Antwortet
    Mir Philipp, der Infant? Bin ich allein
    Zum alten Mann geworden? – Leidenschaft!
    (Mit unwilligem Kopfschütteln.)
    Gibt die Gewissen frei in deinen Reichen,
    Wenn du in deinen Ketten gehst.

    König. Ich bin
    In diesen Dingen noch ein Neuling. Habe
    Geduld mit mir.

    Großinquisitor. Nein! Ich bin nicht mit Ihnen
    Zufrieden. – Ihren ganzen vorigen
    Regentenlauf zu lästern! Wo war damals
    Der Philipp, dessen feste Seele, wie
    Der Angelstern am Himmel, unverändert
    Und ewig um sich selber treibt? War eine ganze
    Vergangenheit versunken hinter Ihnen?
    War in dem Augenblick die Welt nicht mehr
    Die nämliche, da Sie die Hand ihm boten?
    Gift nicht mehr Gift? War zwischen Gut und Uebel
    Und Wahr und Falsch die Scheidewand gefallen?
    Was ist ein Vorsatz, was Beständigkeit,
    Was Männertreue, wenn in einer lauen
    Minute eine sechzigjähr'ge Regel
    Wie eines Weibes Laune schmilzt?

    König. Ich sah in seine Augen – Halte mir
    Den Rückfall in die Sterblichkeit zu gut.
    Die Welt hat einen Zugang weniger
    Zu deinem Herzen. Deine Augen sind erloschen.

    Großinquisitor. Was sollte Ihnen dieser Mensch? Was konnte
    Er Neues Ihnen vorzuzeigen haben,
    Worauf Sie nicht bereitet waren? Kennen
    Sie Schwärmersinn und Neuerung so wenig?
    Der Weltverbeßrer prahlerische Sprache
    Klang Ihrem Ohr so ungewohnt? Wenn das
    Gebäude Ihrer Ueberzeugung schon
    Von Worten fällt – mit welcher Stirne, muß
    Ich fragen, schrieben Sie das Bluturtheil
    Der hunderttausend schwachen Seelen, die
    Den Holzstoß für nichts Schlimmeres bestiegen?

    König. Mich lüsterte nach einem Menschen. Diese
    Domingo –

    Großinquisitor. Wozu Menschen? Menschen sind
    Für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich
    Die Elemente der Monarchenkunst
    Mit meinem grauen Schüler überhören?
    Der Erde Gott verlerne zu bedürfen,
    Was ihm verweigert werden kann. Wenn Sie
    Um Mitgefühle wimmern, haben Sie
    Der Welt nicht Ihresgleichen zugestanden?
    Und welche Rechte, möcht' ich wissen, haben
    Sie aufzuweisen über Ihresgleichen?

    König(wirft sich in den Sessel).
    Ich bin ein kleiner Mensch, ich fühl's – Du forderst
    Von dem Geschöpf, was nur der Schöpfer leistet.

    Großinquisitor. Nein, Sire, mich hintergeht man nicht. Sie sind
    Durchschaut – uns wollten Sie entfliehen.
    Des Ordens schwere Ketten drückten Sie;
    Sie wollten frei und einzig sein.
    (Er hält inne. Der König schweigt.)
    Wir sind gerochen – Danken Sie der Kirche,
    Die sich begnügt, als Mutter Sie zu strafen.
    Die Wahl, die man Sie blindlings treffen lassen,
    War Ihre Züchtigung. Sie sind belehrt.
    Jetzt kehren Sie zu uns zurück – Stünd' ich
    Nicht jetzt vor Ihnen – beim lebend'gen Gott! –
    Sie wären morgen so vor mir gestanden.

    König. Nicht diese Sprache! Mäßige dich, Priester!
    Ich duld' es nicht. Ich kann in diesem Ton
    Nicht mit mir sprechen hören.

    Großinquisitor. Warum rufen Sie
    Den Schatten Samuels herauf? Ich gab
    Zwei Könige dem span'schen Thron und hoffte,
    Ein fest gegründet Werk zu hinterlassen.
    Verloren seh' ich meines Lebens Frucht,
    Don Philipp selbst erschüttert mein Gebäude.
    Und jetzo, Sire – Wozu bin ich gerufen?
    Was soll ich hier? – Ich bin nicht Willens, diesen
    Besuch zu wiederholen.

    König. Eine Arbeit noch,
    Die letzte – dann magst du in Frieden scheiden.
    Vorbei sei das Vergangne, Friede sei
    Geschlossen zwischen uns – Wir sind versöhnt?

    Großinquisitor. Wenn Philipp sich in Demuth beugt.

    König(nach einer Pause). Mein Sohn
    Sinnt auf Empörung.

    Großinquisitor. Was beschließen Sie?

    König. Nichts – oder Alles.

    Großinquisitor. Und was heißt hier Alles?

    König. Ich lass' ihn fliehen, wenn ich ihn
    Nicht sterben lassen kann.

    Großinquisitor. Nun, Sire?

    König. Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,
    Der eines Kindes blut'gen Mord vertheidigt?

    Großinquisitor. Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,
    Starb an dem Holze Gottes Sohn.

    König. Du willst
    Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen?

    Großinquisitor. So weit, als man das Kreuz verehrt.

    König. Ich frevle
    An der Natur – auch diese mächt'ge Stimme
    Willst du zum Schweigen bringen?

    Großinquisitor. Vor dem Glauben
    Gilt keine Stimme der Natur.

    König. Ich lege
    Mein Richteramt in deine Hände. – Kann
    Ich ganz zurücke treten?

    Großinquisitor. Geben Sie
    Ihn mir.

    König. Es ist mein einz'ger Sohn – Wem hab' ich
    Gesammelt?

    Großinquisitor. Der Verwesung lieber, als
    Der Freiheit.

    König(steht auf). Wir sind einig. Kommt.

    Großinquisitor. Wohin?

    König. Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.

    (Er führt ihn hinweg.)


    Zimmer der Königin.

    Letzter Auftritt.

    Carlos. Die Königin. Zuletzt der König mit Gefolge.

    Carlos(in einem Mönchsgewand, eine Maske vor dem Gesichte, die er eben jetzt abnimmt, unter dem Arm ein bloßes Schwert. Es ist ganz finster. Er nähert sich einer Thüre, welche geöffnet wird. Die Königin tritt heraus im Nachtkleide, mit einem brennenden Licht. Carlos läßt sich vor ihr auf ein Knie nieder).
    Elisabeth!

    Königin(mit stiller Wehmuth auf seinem Anblick verweilend).
    So sehen wir uns wieder?

    Carlos. So sehen wir uns wieder!

    (Stillschweigen.)

    Königin(sucht sich zu fassen). Stehn Sie auf. Wir wollen
    Einander nicht erweichen, Carl. Nicht durch
    Ohnmächt'ge Thränen will der große Todte
    Gefeiert werden. Thränen mögen fließen
    Für kleinre Leiden! – Er hat sich geopfert
    Für Sie! Mit seinem theuern Leben
    Hat er das Ihrige erkauft – Und diese Blut
    Wär' einem Hirngespinst geflossen? – Carlos!
    Ich selber habe gut gesagt für Sie.
    Auf meine Bürgschaft schied er freudiger
    Von hinnen. Werden Sie zur Lügnerin
    Mich machen?

    Carlos(mit Begeisterung). Einen Leichenstein will ich
    Ihm setzen, wie noch keinem Könige
    Geworden – Ueber seiner Asche blühe
    Ein Paradies!

    Königin. So hab' ich Sie gewollt!
    Das war die große Meinung seines Todes!
    Mich wählte er zu seines letzten Willens
    Vollstreckerin. Ich mahne Sie. Ich werde
    Auf die Erfüllung dieses Eides halten.
    – Und noch ein anderes Vermächtnis legte
    Der Sterbende in meine Hand – Ich gab ihm
    Mein Wort – und – warum soll ich es verschweigen?
    Er übergab mir seinen Carl – Ich trotze
    Dem Schein – ich will vor Menschen nicht mehr zittern,
    Will einmal kühn sein, wie ein Freund. Mein Herz
    Soll reden. Tugend nannt' er unsre Liebe?
    Ich glaub' es ihm und will mein Herz nicht mehr –

    Carlos. Vollenden Sie nicht, Königin – Ich habe
    In einem langen, schweren Traum gelegen.
    Ich liebte – Jetzt bin ich erwacht. Vergessen
    Sei das Vergangne! Hier sind Ihre Briefe
    Zurück. Vernichten Sie die meinen. Fürchten
    Sie keine Wallung mehr von mir. Es ist
    Vorbei. Ein reiner Feuer hat mein Wesen
    Geläutert. Meine Leidenschaft wohnt in den Gräbern
    Der Todten. Keine sterbliche Begierde
    Theilt diesen Busen mehr.
    (Nach einem Stillschweigen ihre Hand fassend.)
    Ich kam, um Abschied
    Zu nehmen – Mutter, endlich seh' ich ein,
    Es gibt ein höher, wünschenswerther Gut,
    Als dich besitzen – Eine kurze Nacht
    Hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt,
    Frühzeitig mich zum Mann gereift. Ich habe
    Für dieses Leben keine Arbeit mehr,
    Als die Erinnerung an ihn! Vorbei
    Sind alle meine Ernten –
    (Er nähert sich der Königin, welche das Gesicht verhüllt.)
    Sagen Sie
    Mir gar nichts, Mutter?

    Königin. Kehren Sie sich nicht
    An meine Thränen, Carl – Ich kann nicht anders –
    Doch, glauben Sie mir, ich bewundre Sie.

    Carlos. Sie waren unsers Bundes einzige
    Vertraute – unter diesem Namen werden
    Wie auf der ganzen Welt das Theuerste
    Mit bleiben. Meine Freundschaft kann ich Ihnen
    So wenig, als noch gestern meine Liebe
    Verschenken an ein andres Weib – Doch heilig
    Sei mir die königliche Wittwe, führt
    Die Vorsicht mich auf diesen Thron.

    (Der König, begleitet vom Großinquisitor und seinen Granden, erscheint im Hintergrunde, ohne bemerkt zu werden.)

    Jetzt geh' ich
    Aus Spanien und sehe meinen Vater
    Nicht wieder – nie in diesem Leben wieder.
    Ich schätz' ihn nicht mehr. Ausgestorben ist
    In meinem Busen die Natur – Sei'n Sie
    Ihm wieder Gattin. Er hat einen Sohn
    Verloren. Treten Sie in Ihre Pflichten
    Zurück – Ich eile, mein bedrängtes Volk
    Zu retten von Tyrannenhand. Madrid
    Sieht nur als König oder nie mich wieder.
    Und jetzt zum letzten Lebewohl! (Er küßt sie.)

    Königin. O Carl!
    Was machen Sie aus mir? – Ich darf mich nicht
    Empor zu dieser Männergröße wagen;
    Doch fassen und bewundern kann ich Sie.

    Carlos. Bin ich nicht stark, Elisabeth? Ich halte
    In meinen Armen Sie und wanke nicht.
    Von dieser Stelle hätten mich noch gestern
    Des nahen Todes Schrecken nicht gerissen.
    (Er verläßt sie.)
    Das ist vorbei. Jetzt trotz' ich jedem Schicksal
    Der Sterblichkeit. Ich hielt Sie in den Armen
    Und wankte nicht. – Still! Hörten Sie nicht etwas?
    (Eine Uhr schlägt.)

    Königin. Nichts hör' ich, als die fürchterliche Glocke,
    Die uns zur Trennung läutet.

    Carlos. Gute Nacht, denn, Mutter.
    Aus Gent empfangen Sie den ersten Brief
    Von mir, der das Geheimniß unsers Umgangs
    Laut machen soll. Ich gehe, mit Don Philipp
    Jetzt einen öffentlichen Gang zu thun.
    Von nun an, will ich, sei nichts Heimliches
    Mehr unter uns. Sie brauchen nicht das Auge
    Der Welt zu scheuen – Dies hier sei mein letzter
    Betrug.

    (Er will nach der Maske greifen. Der König steht zwischen ihnen.)

    König. Es ist dein letzter!

    (Die Königin fällt ohnmächtig nieder.)

    Carlos(eilt auf sie zu und empfängt sie mit den Armen).
    Ist sie todt?
    O Himmel und Erde!

    König(kalt und still zum Großinquisitor). Cardinal, ich habe
    Das Meinige gethan. Thun Sie das Ihre. (Er geht ab.)