Ringparabel

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Ringparabel

Saladin: ...Nun so rede! Es hört uns keine Seele.

Nathan: Möcht auch doch die ganze Welt uns hören.

Saladin: So gewiss ist Nathan seiner Sache? Ha! Das nenn' ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu verhehlen! Für die alles auf das Spiel zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!

Nathan: Ja! Ja! Wenn's nötig ist und nützt.

Saladin: Von nun an darf ich hoffen, einen meiner Titel, Verbesserer der Welt und des Gesetzes, mit Recht zu führen.

Nathan: Traun, ein schöner Titel! Doch Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue, erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu erzählen?

Saladin: Warum das nicht? Ich bin stets ein Freund gewesen von Geschichten, gut erzählt.

Nathan: Ja, gut erzählen, das ist nun wohl eben meine Sache nicht.

Saladin: Schon wieder so stolz bescheiden? - Mach! Erzähl', erzähle!

Nathan: Vor grauen Jahren lebt' ein Mann im Osten, der einen Ring von unschätzbarem Wert aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, und hatte die geheime Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer in dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, dass ihn der Mann im Osten darum nie vom Finger ließ und die Verfügung traf, auf ewig ihn bei seinem Hause zu erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring von seinen Söhnen dem geliebtesten; und setzte fest, dass dieser wiederum den Ring von seinen Söhnen dem vermache, der ihm der liebste sei; und stets der liebste, ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde - versteh' mich, Sultan.

Saladin: Ich versteh' dich. Weiter!

Nathan: So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, auf einen Vater endlich von drei Söhnen, die alle drei ihm gleich gehorsam waren, die alle drei er folglich gleich zu lieben sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit zu Zeit schien ihm bald der bald dieser, bald der dritte - so wie jeder sich mit ihm allein befand, und sein ergießend Herz die anderen zwei nicht teilten – würdiger des Ringes, den er denn auch einem jeden die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, so lang es ging. – Allein es kam zum Sterben und der gute Vater kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort verlassen, so zu kränken. - Was zu tun? - Er sendet in geheim zu einem Künstler, bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, zwei andere bestellt, und weder Kosten noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, vollkommen gleich zu machen. Das gelingt dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, kann selbst der Vater seinen Musterring nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft er seine Söhne, jeden insbesondere; gibt jedem insbesondere seinen Segen - und seinen Ring - und stirbt - Du hörst doch, Sultan?

Saladin: Ich hör', ich höre! - Komm mit deinem Märchen nur bald zu Ende. - Wird's?

Nathan: Ich bin zu Ende. Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. - Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder mit seinem Ring, und jeder will der Fürst des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht erweislich - fast so unerweislich, als uns jetzt - der rechte Glaube

Saladin: Wie, das soll die Antwort sein auf meine Frage?

Nathan: Soll mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe mir nicht getrau' zu unterscheiden, die der Vater in der Absicht machen ließ, damit sie nicht zu unterscheiden wären.

Saladin: Die Ringe - spiele nicht mit mir! - Ich dächte, dass die Religionen, die ich dir genannt, doch wohl zu unterscheiden wären bis auf die Kleidung, bis auf Speis und Trank!

Nathan: Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. - Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! – Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu' und Glauben angenommen werden? - Nicht? Nun wessen Treu' und Glauben zieht man denn am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? Doch deren Blut wir sind? Doch deren, die von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe gegeben? Die uns nie getäuscht, als wo getäuscht zu werden uns heilsamer war? - Wie kann ich meinen Vätern weniger, als du den deinigen glauben? Oder umgekehrt. Kann ich von dir verlangen, dass du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? – Saladin: (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muss verstummen.)

Nathan: Lass auf unsere Ring' uns wieder kommen. Wie gesagt: Die Söhne verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, unmittelbar aus seines Vaters Hand den Ring zu haben. - Wie auch wahr! – Nachdem er von ihm lange das Versprechen schon gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu genießen. - Wie nicht minder wahr! - Der Vater, beteu'rte jeder, könne gegen ihn nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses von ihm, von einem solchen lieben Vater, argwohnen lass': Eh' müss' er seine Brüder, so gern er sonst von ihnen nur das Beste bereit zu glauben sei, des falschen Spiels bezeihen; und er wolle die Verräter schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

Saladin: Und nun der Richter? - Mich verlangt zu hören, was du den Richter sagen lässest. Sprich!

Nathan: Der Richter sprach, wenn ihr mir nun den Vater nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel zu lösen da bin? Oder harret ihr, bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? - Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen, vor Gott und Menschen angenehm. Das muss entscheiden! Denn die falschen Ringe werden doch das nicht können! - Nun, wen lieben zwei von euch am meisten? - Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? Und nicht nach außen? Jeder liebt sich selber nur am meisten? - Oh, so seid ihr alle drei betrogene Betrüger! Eure Ringe sind alle drei nicht echt! Der echte Ring vermutlich ging verloren. Den Verlust zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater die drei für einen machen.

Saladin: Herrlich! Herrlich!

Nathan: Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr nicht meinen Rat, statt meines Spruches wollt: Geht nur! - Mein Rat ist aber der: Ihr nehmt die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring den echten. - Möglich, dass der Vater nun die Tyrannei des einen Rings nicht länger in seinem Hause dulden wollen! - und gewiss, dass er euch alle drei geliebt, und gleich geliebt, indem er zwei nicht drücken mögen, um einen zu begünstigen. - Wohlan!

Es eifre jeder seiner unbestochenen, von Vorurteilen freien Liebe nach!

Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit und Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott, zu Hilf'! und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend, tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen, als ich: und sprechen: Geht! - So sagte der bescheidne Richter.

Saladin: Gott! Gott!

Nathan: Saladin, wenn du dich fühltest, dieser weisere versprochne Mann zu sein...

Saladin: Ich Staub? Ich Nichts?

Nathan: Was ist Dir, Sultan?

Saladin: Nathan, lieber Nathan! - Die tausend, tausend Jahre deines Richters sind noch nicht um. - Sein Richterstuhl ist nicht der meine. - Geh! - Geh! - Aber sei mein Freund...


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