Gregor Samsa - Mein Tag heute
Gregor Samsa - Mein Tag heute
Warum fällt es mir nur so schwer, die Stunden meines Tages zu erinnern, als wäre jede Minute in die Bedeutungslosigkeit meiner Existenz verschmolzen? Am Morgen erwachte ich, nicht als der Kaufmann, der einst durch Länder reiste, sondern als ein Geschöpf, das kaum die eigene Gestalt im Spiegel erkennen kann. Das Zimmern, einst eine Zuflucht, schien mir nun wie ein Kerker, aus dem kein Entrinnen möglich ist.
Die morgendliche Sonne warf Schatten durch das Fenster, die wie dunkle Vorboten des Tages auf meinen verkrüppelten Körper fielen. Ich versuchte, aus meinem Lager aufzustehen, eine Bewegung, die mir einst keine Mühe bereitet hatte, die mir jetzt jedoch die ganze Kraft meines geschwächten Leibes abverlangte. Was hatte ich mir davon erhofft? Jede Anstrengung führte nur tiefer in das Gefühl der Nutzlosigkeit und Verzweiflung.
Meine Familie, deren Leben ich einst mit meinen mühsam verdienten Taler erleichterte, wendet sich nun ab, als wäre mein Anblick eine Bürde, zu schwer, um sie zu tragen. Sie sprechen nur noch selten mit mir, und wenn, dann durch die geschlossene Tür, eine Barriere, die mehr symbolisiert als nur physische Distanz.
Der Tag zog dahin wie eine endlose Folge von grauen Stunden, geprägt von der Stille meines Zimmers und dem gelegentlichen Knarren des Holzbodens außerhalb meiner Tür. Ich dachte an die Tage, an denen ich durch die Straßen lief, geschäftig und voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft, jetzt reduziert auf das Dasein eines Geschöpfes, das selbst den einfachsten Freuden des Lebens beraubt ist.
In einem Moment schwacher Hoffnung setzte ich mich ans Fenster, das früher meine Verbindung zur Welt war. Jetzt erblicke ich durch das schmutzige Glas kaum mehr als die verschwommenen Umrisse des Lebens, das ohne mich weitergeht. Die Erkenntnis, dass meine Präsenz in der Welt so belanglos geworden ist, lähmt meinen Geist mehr als die Missgestalt meines Körpers.
Schließlich, als der Abend hereinbrach, und das Licht des Tages schwand, verblasste auch der letzte Funken Hoffnung in meinem Herzen. Wie könnte ich auch anders, wenn mein Leben nichts weiter ist als eine sinnlose, ekelerregende und erbärmliche Qual für diejenigen, die ich einst liebte? In einem kaum noch erträglichen Moment der Klarheit sehe ich in den Spiegel, der mich mit der abscheulichen Wahrheit meiner Existenz konfrontiert. Ich bin an allem Schuld: an meiner Lage, an allem Schlechten in dieser kleinen Welt. Ich bin eine unerträgliche, abscheuliche Last für andere.
Noch ein Tag
Warum sollte das Erwachen auch heute anders sein als an jedem anderen Tag, seit ich die groteske Gestalt eines Ungeziefers angenommen habe? Schon beim ersten fahlen Licht, das durch das schmutzige Fenster fällt, spüre ich, wie jede Faser meines neuen, exoskelettierten Körpers gegen das grelle Eindringen ankämpft. Der Tag beginnt, wie er enden wird – in Schmach und Einsamkeit.
Ich verbrachte Stunden damit, an der Wand hoch und runter zu kriechen, meine grotesken Beine fanden Halt in den kleinsten Rissen, die wie Narben in das Mauerwerk eingebrannt sind. Es war eine trügerische Freude, die ich dabei empfand, ein grausames Spiel, das mir ein Hauch von Freiheit vorgaukelte, die ich doch niemals erreichen werde. Kann man das Klettern als Freiheit bezeichnen, wenn es in einem Gefängnis geschieht?
Meine Schwester kam, um mein Zimmer zu säubern, das mehr einer Abstellkammer gleicht als dem Raum eines Bruders. Ihre Schritte waren leise, fast liebevoll, doch ihre Handlungen waren mechanisch und ohne Wärme. Sie sammelte die Überreste meiner Mahlzeiten, die ich nicht einmal mehr riechen konnte, ohne eine tiefe Verachtung für mich selbst zu spüren. Wie konnte sie noch den Anblick ertragen, die schiere Präsenz eines Bruders, der nichts mehr war als eine Last, eine Belästigung, ein Fehler in der Ordnung der Welt?
Jedes Mal, wenn sie das Zimmer betrat, hielt ich den Atem an, verbarg mich in der dunkelsten Ecke, unfähig, ihr ins Gesicht zu sehen. Ich wollte nicht, dass sie die Verzweiflung in meinen Augen sah, das wilde Flackern der Hoffnung, das immer wieder von der dunklen Woge der Realität erstickt wurde.
Die Mahlzeiten, die sie mir brachte, blieben unberührt. Der Geschmack des Essens war mir fremd geworden, so wie ich der Welt fremd geworden war. Nichts als ein Schatten, ein Gespenst in den Augen meiner Familie. Mein Körper zehrte von sich selbst, knochig und schwach spiegelte er meine innere Zerrissenheit wider.
In einem Moment der Klarheit sah ich mein Spiegelbild in einem kleinen, zerbrochenen Spiegelstück am Boden – ein Monster, eine Missgestalt. Meine Augen, einst voller Leben, waren nun dumpfe, leere Pforten in eine Seele, die sich selbst aufgegeben hatte. Wie konnte ich weiterexistieren, wenn meine bloße Existenz alles verderbt, was mir einst lieb war?
Am Ende des Tages, wenn die Dämmerung mein Zimmer in Dunkelheit hüllt und die Welt außerhalb weitergeht, als wäre nichts geschehen, kehrt die Wahrheit mit erschreckender Klarheit zurück. Ich bin an allem schuld – an meiner Lage, an der Zerrüttung meiner Familie, an der Trauer, die wie ein stiller Sturm durch unser Haus weht. Ich bin eine unerträgliche, abscheuliche Last für diejenigen, die ich liebe. Mein Leben ist nichts wert, sinnlos, ekelerregend und eine erbärmliche Qual für meine Mitmenschen.
GREGOR SAMSA
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