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<big>'''Fleisch in der Kunstgeschichte'''<br />
Von der Höhlenmalerei bis zur Meat-Art</big><br />
 
 
 
Fleisch zieht seine blutige Spur durch die Kunstgeschichte. Offen oder geschlossen. Nackt oder bedeckt. Symbolhaft oder auf die Struktur reduziert. Fleisch tritt in der Kunst nicht nur als Motiv hervor, sondern ist teilweise auch der organische Werkstoff, aus dem Kunst gemacht wurde. Sogar als Farbersatz findet Fleisch seinen Platz in der Kunstgeschichte. Dabei ist nicht nur der Künstler selbst aus Fleisch und Blut, sondern auch derjenige, der an die Kunst herantritt.
 
Diese Analyse des Fleisches in der Kunstgeschichte ermöglicht eine neue Sicht auf die Kunstgeschichte, das Fleisch an sich und den Menschen.
 
* Frühe Fleischkunst
* Klassiker des Fleisches
* Moderne Fleischkunst
* Meat-ART Joblin
 
 
== Fleischeslust in der Kunst ==
 
[[Datei:Venus von Willendorf 01.jpg|200px|rahmenlos|zentriert]]
 
 
Fleisch ist der Ursprung aller Kunstthemen. Schon bei der „Venus von Willendorf“ (Altsteinzeit / ca. 25.000 v. Chr.) ist das menschliches Fleisch das Motiv welches den Figuren ihre Form gibt. Der fleischliche Charakter der Venus von Willendorf galt bspw. als Fruchtbarkeitssymbol, welches als Nomaden-Kultobjekte transportabel war. Abb.: Venus von Willendorf (Altsteinzeit / ca. 25.000 v. Chr.)
 
 
== Höhlen-Blutmalerei ==
 
[[File:AltamiraBison.jpg|200px|rahmenlos|zentriert]]
 
 
Das tierische Fleisch der Höhlenmalereien z.B. aus Altamira, Alt-Magdalénien (Jüngere Altsteinzeit ca. 12.000 – 15..000 v. Chr.) war aufgrund der Realität der damaligen Menschen ein sehr beliebtes Motiv: Pferde, Bisons, Hirsche usw. ließen Jagdszenen, Tierwanderungen, Technik des Tötens usw. als bildnerische Themen des Menschen als Jäger und Sammler erscheinen. Die Farbe setzte sich dabei aus Eisenoxiden, Holzkohle, diverse Gesteine, Erze und auch Blut zusammen. Fleisch galt schon hier als Symbol der Macht. Abb.: Höhlenmalerei aus Altamira, Alt-Magdalénien (Jüngere Altsteinzeit ca. 12.000 – 15..000 v. Chr.)
 
== Beständigkeit des Fleisches ==
 
[[File:Fayum-34.jpg|200px|rahmenlos|zentriert]]
 
Auch in der Tafelmalerei des Mumienportraits ist Fleisch das Leitmotiv. Die Mumifizierung sucht nach Beständigkeit und will Schönheit festhalten. Die körperliche, fleischliche Ähnlichkeit war nicht als Charakterdarstellung zu verstehen. Die Portraits war eine fleischliche Erinnerungen an Leben und Wirken und ein Begleiter im Tod. Abb.: Ägyptisches Mumienporträt (2. Jhh. n. Chr.)
 
 
== Bibel-Fleisch  ==
„Und das Wort ward Fleisch“ (Joh. Kap. 1). In der Bibel tritt das Wort Fleisch 305 mal in Erscheinung. (Das Wort „Leib“ 123 mal). Fleisch gilt hier vor allem als Symbol für Sünde, (Erb-) Schuld, Leid, Vergänglichkeit; aber auch als Leben, Liebe, Kraft und Macht. Der fleischgewordene Sohn Jesus Christus spielt hierbei eine zentrale Rolle.
'''3 wichtige Zitate:'''
* „Und das Wort ward Fleisch geworden“ (Johannes 1,14) = Irdisch, Leiblich, Menschlich, Vergänglich
* „der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Matthäus 26,41) = Geist als Gegenbegriff des Fleisches
* „Ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft“ (Römer 7,14) = Negative Deutung: Fleischeslust & Abhängigkeit von der Sünde
 
Link: [[Fisch und Fleisch Redewendungen, Bibel-Fleisch, Bibel-Fisch]]
 
 
 
== Meister des Inkarnats ==
 
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[[File:Hubert van Eyck 015.jpg|200px|rahmenlos]]
[[File:Hubert van Eyck 034.jpg|200px|rahmenlos]]
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Hubert van Eyck galt vor allem in der Ausführung des „Genter Altars“ (1432 voll.) als Meister des Inkarnats (von ital. Carne, Fleisch) und verwandelte das Wort der Bibel in den Außenfiguren des Adams und der Eva in Perfektion zu Fleisch. Ohne Fleisch kein Mensch, kein Gott, kein Überleben, keine Kunst. Abb.: Hubert van Eyck – Genter Altar / Krieger Christi (1432 voll. / Ausschnitt: Adam und Eva)
 
„Alles Fleisch ist wie Gras ...“ (Petrus 1,24)
 
 
== Sterblichkeit ==
 
[[File:Sandro Botticelli - St Sebastian - WGA2706.jpgg|200px|rahmenlos|zentriert]]
 
 
In Sandro Botticellis Gemälde ist die Sterblichkeit der Menschen das Leitmotiv, welche durch die Unsterblichkeit Gottes konfrontiert wird. Durch den Glauben an Gott werden die Wunden des Fleisches überwunden. Hier handelt es sich noch um seine sehr distanzierte, pietätvolle Darstellung der Wunden. Abb.: Sandro Botticelli: Der heilige Sebastian (1474 / Ausschnitt)
 
 
== Anatomiestudien ==
 
Durch die naturwissenschaftliche Betrachtung des Menschen in der Renaissance wurde das Wissen um das Fleisch durch die „Einsicht in das Fleisch“ vermehrt. Die Wissenschaft galt hier als Gegenspieler zur christlichen Lehre. Heimliche anatomische Studien von Leonardo da Vinci (er grub heimlich des Nachts ca. 30 frischbegrabene Leichen aus und sezierte sie) hatten vor allem einen künstlerischen Fortschritt zur Folge, da seine wissenschaftliche Entdeckung der Arteriosklerose nicht öffentlich gemacht werden durfte. Abb.: Leonardo Da Vinci – Embryologie (um 1500)
 
 
Auch in der bewussten Abwesenheit des Fleisches wie bspw. bei Jan Bruegheld d.Ä. („Blumen-Brueghel“) – „Kleiner Blumenstrauß“ in einem Tongefäß (um 1607) arrangiert ein Mensch für Menschen Blumen. Hinweise auf das Fleisch sind hier z.B. die Irisblüte. Sie verweist auf den fleischgewordener Erlöser und ist auch ein Mariensymbol. Die Mohnblüten symbolisiert Vergänglichkeit bzw. die Offenbarung Gottes. Münzen und Juwelen beziehen sich auf den Reichtum des damals lebendigen Fleisches.
 
 
Als Glanzstück der Fleischdarstellung gelten Rembrandt  Hermenszoon van Rijns Ausführungen „Der geschlachtete Ochse“ (1643 & 1655). Das für die damaligen Verhältnisse untypische Motiv eines geschlachteten Ochsen, war im reichen Amsterdam kein Verkaufsschlager. Auch hier findet sich die Sterblichkeit alles Irdischen wieder, aber auf eine ganz neue, unverhohlene Art und Weise. Rembrandt malt die Dinge so, wie er sie sieht. Nicht zuletzt aus diesem Grund musste der Maler auch 1656 Konkurs anmelden. In Einbeziehung der biographischen Ereignisse kann die im Hell-Dunkel vollendete theatralische Wiederholung des Bildthemas 1655 als Selbstportrait gesehen werden.
 
 
Lovis Corinth ist ein Meister der Schlachthausszene. Die Darstellung der Grenzsituation für den Menschen wird in seinen Gemälden zur Grenzverwischung. Mensch und Tier sind hier gemeinsam auf ein Bild gebracht und eine Oszillation zwischen Subjekt und Objekt, aber auch zwischen Ästhetik und Ekel, Grobheit und Schlichtheit finden hier ihre Balance, die in der Waage hinter dem Jungen im „Schlachterladen in Schäftlarn an der Isar” (1897) verkörpert wird. Auch in dieser Fleischreihe vollzieht sich der Übergang vom Impressionismus zum Expressionismus in Corinths Oeuvre. Wird anfänglich noch in Hochachtung vor Rembrandt ein Ochse ausgenommen, so wird 1922 Jesus auf die Leinwand „gespannt“.
 
 
Der Erfinder der Eat Art Daniel Spoerri kommt aus der Richtung „Objektkunst“, die mit Verfremdung arbeitet und dem „Nouveau Réalisme“ (Neuer Realismus), der mit neuen Techniken und Materialien das Alltagsleben in die Kunst  integrieren möchte. Seine Arbeiten weisen Ähnlichkeiten zum altniederländische Stillleben auf. In seinen Fallenbilder stellt er abgegessene Esstische dar. Dabei fixiert er das Essgeschirr und die Reste (Left overs) mit Kunstharz auf dem Tisch. Das Ergebnis ist ein Assemblage-Relief.
Jack Joblins Fisch-Fleisch-Objekte sind als Spiegel des eigenen Fleisches zu betrachten. "Jedes Fleisch reflektiert uns das eigene Subjekt."  Es kann als Verkörperung des Todes gesehen werden, die zur Selbstreflexion durch das Material an sich führt. Daraus kreierte Joblin ein Manifest, durch welches das Individuum wieder zurück zur Kunst geführt werden sollte; unabhängig von der Kunstwissenschaft und dem damals schon "engagierten" Kunstmarkt.<br />
 
# That’s ART: Es gibt niemanden, der nicht entscheidet, was Kunst ist.
# My ART: Es gibt niemanden, der nicht Kunst schafft.
# Meat- bzw. Subject-ART: Es gibt niemanden, der nicht Kunst ist.<br />
 
Jana Sterbak zeigt in „Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorectic“ (1987) eindrücklich, wie Frauen mit dem Thema Fleisch umgehen können. Ihr Material: Steak, Mannequin, Salz, Garn, Farbfotografie auf Papier, Kleidergröße: 38.
 
* Vanitas: Verfall, Vergänglichkeit, Tod 
* Flesh: Umkehrung vom Inneren nach Außen, keine Haut, kein Schutz, keine Hülle der Schönheit 
* Dress: Mageres weibliches Model wird von Künstlerin mit Anti-Mode verkleidet 
* Albino: Pigmentstörung, Sehschwäche, westlicher „Look“ 
* Anorexie: Appetitlosigkeit, Verlust des eigenen Fleisches, Essstörungen, Schönheitsideale 
 
Ihr "Chair Apollinaire" (1996) spielt mit dem Wort (franz. – engl.) Selbstreflexion durch pure Materialität. Die Verfremdung des Sessels bewirkt eine Enthebung der ursprünglichen Bedeutung. Der Sessel ist kein Ort der Ruhe, sondern ein Ort des Ekels und der Kälte geworden.
 
* Körperliches Fleisch – Nahrungsmittel 
* Deutsch: Leib – Fleisch 
* Engl.: Flesh – Meat 
* Franz.: Chair – Viande 
 
Gunther von Hagen konfrontiert nach Joblin mit seinen „Körperwelten“ die Kunstwelt direkt mit der Frage, ob es Kunst aus Fleisch und Blut gibt. Oftmals werden die Körperweltenexponate als Kunst betrachtet. Von Hagen aber nicht als Künstler. Er wird eher als ein medizinisch interessierter Werkstattleiter der Konservierung für ein modernes Panoptikum betrachtet.
 
In Anlehnung an Joblin bezieht die „Joblin-Factory“ hierzu entschieden Stellung: „Das Fleisch hinter dem Exponat ist Kunst. Jeder tote Körper ist Kunst des Menschen, der er war.“ – „Die Reduktion auf den Körper und das Ausklammern der geistigen Welt lässt gerade durch die Entziehung der Persönlichkeit dieses anonyme Fleisch zur Subjektkunst werden.“ – „In jedem Fleisch erkennen wir uns selbst.“
 
 
 
{{:Kategorie:Joblin}}

Aktuelle Version vom 22. Juli 2022, 08:45 Uhr








Fleisch in der Kunstgeschichte: Von der Höhlenmalerei über geschlachtete Ochsen und der Meat Art zum Menschen als Kunst

Vielleicht denken sie beim Thema „Fleisch in der Kunst“ an Rembrandt (Abb. 01), Chaim Soutine, Lovis Corinth und möglicherweise auch an Jana Sterbak. Fleisch zieht seine teils blutige Spur jedoch durch die komplette Kunstgeschichte. Von der Steinzeit bis zur Gegenwart ist das Fleisch in der Kunst präsent. Dabei ist nicht nur der Künstler und der Betrachter selbst aus Fleisch und Blut; nicht nur das Wort, sondern auch die Kunst ist Fleisch geworden. In der Kunst findet sich nacktes und bedecktes, tierisches und menschliches Fleisch. Thematisiert werden fleischliche Sünde und Fleischeslust. Wir entdecken anatomische Studien und Meister des Inkarnats. Wir blicken in offene Wunden und auf Fleischkleider. Wir betrachten Frisch- und Gammelfleisch. Neben der Farbe und der Symbolkraft des Fleisches spielt auch die Struktur des Fleisches eine tragende Rolle. Diese Fleischbeschau hält für unser Kunstverständnis neue Einblicke parat. Damit dieser Artikel auch im Unterricht seine Anwendung finden kann, sind Anregungen für den Unterricht ergänzt. Autor: Dr. Udo Glanz


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