Fleisch in der Kunstgeschichte: Von der Höhlenmalerei über geschlachtete Ochsen und der Meat Art zum Menschen als Kunst

Vielleicht denken sie beim Thema „Fleisch in der Kunst“ an Rembrandt (Abb. 01), Chaim Soutine, Lovis Corinth und möglicherweise auch an Jana Sterbak. Fleisch zieht seine teils blutige Spur jedoch durch die komplette Kunstgeschichte. Von der Steinzeit bis zur Gegenwart ist das Fleisch in der Kunst präsent. Dabei ist nicht nur der Künstler und der Betrachter selbst aus Fleisch und Blut; nicht nur das Wort, sondern auch die Kunst ist Fleisch geworden. In der Kunst findet sich nacktes und bedecktes, tierisches und menschliches Fleisch. Thematisiert werden fleischliche Sünde und Fleischeslust. Wir entdecken anatomische Studien und Meister des Inkarnats. Wir blicken in offene Wunden und auf Fleischkleider. Wir betrachten Frisch- und Gammelfleisch. Neben der Farbe und der Symbolkraft des Fleisches spielt auch die Struktur des Fleisches eine tragende Rolle. Diese Fleischbeschau hält für unser Kunstverständnis neue Einblicke parat. Damit dieser Artikel auch im Unterricht seine Anwendung finden kann, sind Anregungen für den Unterricht ergänzt. Autor: Dr. Udo Glanz


Fish-Meat


Jack Joblins Fisch-Fleisch-Objekte sind als Spiegel des eigenen Fleisches zu betrachten. "Jedes Fleisch reflektiert uns das eigene Subjekt." Es kann als Verkörperung des Todes gesehen werden, die zur Selbstreflexion durch das Material an sich führt. Daraus kreierte Joblin ein Manifest, durch welches das Individuum wieder zurück zur Kunst geführt werden sollte; unabhängig von der Kunstwissenschaft und dem damals schon "engagierten" Kunstmarkt. Abb.: Jack Joblin, Fleisch-O-Phon (1972)

  1. That’s ART: Es gibt niemanden, der nicht entscheidet, was Kunst ist.
  2. My ART: Es gibt niemanden, der nicht Kunst schafft.
  3. Meat- bzw. Subject-ART: Es gibt niemanden, der nicht Kunst ist.

Flesh Dress

Jana Sterbak zeigt in „Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorectic“ (1987) eindrücklich, wie Frauen mit dem Thema Fleisch umgehen können. Ihr Material: Steak, Mannequin, Salz, Garn, Farbfotografie auf Papier, Kleidergröße: 38.

  • Vanitas: Verfall, Vergänglichkeit, Tod
  • Flesh: Umkehrung vom Inneren nach Außen, keine Haut, kein Schutz, keine Hülle der Schönheit
  • Dress: Mageres weibliches Model wird von Künstlerin mit Anti-Mode verkleidet
  • Albino: Pigmentstörung, Sehschwäche, westlicher „Look“
  • Anorexie: Appetitlosigkeit, Verlust des eigenen Fleisches, Essstörungen, Schönheitsideale

Ihr "Chair Apollinaire" (1996) spielt mit dem Wort (franz. – engl.) Selbstreflexion durch pure Materialität. Die Verfremdung des Sessels bewirkt eine Enthebung der ursprünglichen Bedeutung. Der Sessel ist kein Ort der Ruhe, sondern ein Ort des Ekels und der Kälte geworden.

  • Körperliches Fleisch – Nahrungsmittel
  • Deutsch: Leib – Fleisch
  • Engl.: Flesh – Meat
  • Franz.: Chair – Viande


Maler des Fleisches

Lucian Freud – Sozialversicherungsangestellte, schlafend (1993): „Die Farbe ist das Fleisch der Malerei, der sich bewegende Pinsel ist wie ihr fließendes Blut.“ Lucian Freud gilt als „Maler des Fleisches“. Durch die bewusste Eingrenzung der Malsituation in monatelange Ateliersitzungen leistet er einen hohen Aufwand für einen fleischlichen Augenblick. Er ist ein professioneller Voyeur. Die persönliche Auseinandersetzung mit dem Mensch durch Nachdenken, Einfühlen, Vergänglichkeit führen ihn zu einer Erkenntnis, die er bildnerisch umzusetzen versucht. Dabei werden seine Figuren scheinbar wie Gegenstände behandelt. Der Eigenwert der Farbe in der Reliefstruktur führt zu „Bildern aus Fleisch und Blut“ die eine Befreiung von gängigen Schönheitsidealen sind. Die unverfälschte Fleischlichkeit führt bei den Betrachtern nicht selten zu Ekel und Empörung.


Schönheit und Poesie des Todes

Damien Hirst – This little piggy went to market, this little piggy stayed at home (1996)

  • Material: Stahl, GRP Zusammensetzungen, Glas, Schwein, Formaldehydlösung, Elektromotor, Behälter 120 x 210 x 60 cm
  • Auszählreim
  • Glaskörper mit Hauteigenschaften
  • Herrschaft des Menschen über das Tier
  • Religiöse Konnotation
  • Parodie auf den vergeblichen Lebenswettlauf
  • Damien Hirst – The Promise of Money (2003)
  • Material: Harz, Kuhhaar, Riemen, Kette, Haken, Blut, irakisches Geld und Spiegel
  • Politische Dimension
  • Vanitas-Konfrontation
  • Fleischliche Grenzsituation, Selbstkasteiung


Konservierte Beständigkeit

Micha Brendel – Von den Heimlichkeiten der Natur (1998)

  • Organisches Material als Werkstoff: Tierleichen, Schlachthofmaterial, Haut
  • Ausstellung: Eine Schicht tiefer
  • Konservierung: Gießharz
  • Haltbarkeit, Beständigkeit

Micha Brendel – Placenten und Planeten (Serie, 2005)

  • Menschliches als Kunst oder Wissenschaft
  • Tod oder Leben: Placenta zwischen Kind und Mutter
  • Fleisch ist Leben


Männer, Macht, Fleisch

Männer und Fleisch Zhang Huan – My New York (Performance / 2002)

  • Muskelmann als männlicher Gegenspieler zu Jana Sterbaks „Vanitas?
  • Bodybuilder: Kraft, Macht, Anabolikakonsum für künstlichen Fleischaufbau, Herzschwäche
  • Übereilung des Bewusstseins – Übereilung des Körpers
  • „Einen Fleischergang tun“ (vergeblicher Gang)
  • „Ein Gemüt wie ein Fleischerhund haben“ (unsensibel sein)


Fleisch als Body-Land-Art

Spencer Tunick – Sydney Oper (2010): In den "Körper- und Landschaftsskulpturen" von Spencer Tunick "verkörpern" nackte Körper Kulturen. Das Multiplizieren des Mediums schafft körperliche Farbfelder. So ergeben 500 individuelle Körper eine organische Skulptur. „Es ist nicht so, dass hier ein New Yorker Künstler nach Düsseldorf kommt, um Kunst zu machen.

Fleisch ist härter als Stahl

Jonathan Meese – „Fleisch ist härter als Stahl (2009): Jonathan Meese zeigt bei seinen Ausstellungen vollen Körpereinsatz, um die Diktatur der Kunst heraufzubeschwören. Dabei geht er polarisierend und provokativ (Hitler-Gruß usw.) vor. Nicht selten haben seine Neologismen einen direkten Fleischbezug: "Alle japanischen Schulmädchenschlüpfer sind totale Kunst, da es sich hier um Stoffwechseltums der Menschentiers handelt."

Datei:JMeese dragon flag.JPG

Tote als Kunst

Gunther von Hagen konfrontiert mit seinen „Körperwelten“ die Kunstwelt direkt mit der Frage, ob es Kunst aus Fleisch und Blut gibt. Körperweltenexponate sind Kunst. Hagens gilt allerdings nicht Künstler. Er wird eher als ein medizinisch interessierter Werkstattleiter der Konservierung für ein modernes Panoptikum gesehen. Der Mensch „hinter“ dem Exponat ist Kunst. Jeder tote Körper ist Kunst des Menschen, der er war. Gerüchten über Leichenhandel zufolge muss vermutet werden, dass die ersten Körperweltensubjekte eher unwissend in der „Körperwelt“ landeten. Heute gestalten die Personen ihren Körper nach dem Tod mit.

„Joblin-Factory“: „Das Fleisch hinter dem Exponat ist Kunst. Jeder tote Körper ist Kunst des Menschen, der er war.“ – „Die Reduktion auf den Körper und das Ausklammern der geistigen Welt lässt gerade durch die Entziehung der Persönlichkeit dieses anonyme Fleisch zur Subjektkunst werden.“ – „In jedem Fleisch erkennen wir uns selbst.“

Mode im Pop-Fleischlook

Lady Gaga im Mini-Flesh-Dress (2010): „I’m not a pice of meat.“ Betont sexy stiefelt Lady Gaga im „Neandertaler-Look“ und der geklauten Idee eines Flesh-Dresses zur 27. Verleihung der MTV Video Music Awards. Steak auf dem Kopf und Mini-Meat-Dress führen zur weltweiten Aufmerksamkeit. „Wenn wir nicht um unsere Rechte kämpfen, werden wir bald nicht mehr Rechte haben, als das (nackte) Fleisch auf unseren Knochen.“



Verschiedenes

Weitere Fleischarbeiten

  • Stellarc am Fleischerhaken
  • Jenny Holzers Lustmordzyklus
  • Gina Pane schneidet sich ins Fleisch
  • David Hockneys Abwesenheit des Fleisches im Wartezimmer
  • Tayler-Woods Verfall in „Still Life“
  • Mc Carthy Ersatz der Farbe durch Ketchup = Blut
  • Chris Burden „Trans-fixed“ (1974)
  • Chris Burdens auf den VW genagelt
  • Thomas Feuersteins „Arbeit am Fleisch“
  • Victoria Reynolds „Down the Primrose Path“
  • Mark Rydens Fleischpuppen „Inside Sue“
  • Simone Rachels Fleischdesign „Chair made of meat“



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Vielleicht denken sie beim Thema „Fleisch in der Kunst“ an Rembrandt (Abb. 01), Chaim Soutine, Lovis Corinth und möglicherweise auch an Jana Sterbak. Fleisch zieht seine teils blutige Spur jedoch durch die komplette Kunstgeschichte. Von der Steinzeit bis zur Gegenwart ist das Fleisch in der Kunst präsent. Dabei ist nicht nur der Künstler und der Betrachter selbst aus Fleisch und Blut; nicht nur das Wort, sondern auch die Kunst ist Fleisch geworden. In der Kunst findet sich nacktes und bedecktes, tierisches und menschliches Fleisch. Thematisiert werden fleischliche Sünde und Fleischeslust. Wir entdecken anatomische Studien und Meister des Inkarnats. Wir blicken in offene Wunden und auf Fleischkleider. Wir betrachten Frisch- und Gammelfleisch. Neben der Farbe und der Symbolkraft des Fleisches spielt auch die Struktur des Fleisches eine tragende Rolle. Diese Fleischbeschau hält für unser Kunstverständnis neue Einblicke parat. Damit dieser Artikel auch im Unterricht seine Anwendung finden kann, sind Anregungen für den Unterricht ergänzt. Autor: Dr. Udo Glanz


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