Kulturanalytischer Forschungsbericht: Die Joblin Factory, die Private Plastik und die digitale Transformation des Beuys’schen Erbes


Kulturanalytischer Forschungsbericht: Die Joblin Factory, die Private Plastik und die digitale Transformation des Beuys’schen Erbes
Everyone will be art
Everyone will be art (deutsch: Jeder Mensch wird Kunst sein) ist ein kulturtheoretisches und künstlerisches Langzeitprojekt des Kollektivs Joblin Factory, das auf der Bildungsplattform MOOCit kuratiert wird. Das Projekt postuliert eine radikale Erweiterung des von] geprägten „Erweiterten Kunstbegriffs“. Während Beuys die „Soziale Plastik“ als gesellschaftlichen Gestaltungsprozess definierte, vollzieht die Joblin Factory eine ontologische Wende hin zur „Privaten Plastik“ (Private Sculpture).
Zentrales Axiom des Projekts ist der Satz: „Der Mensch kann nicht nicht Kunst sein.“ Das Projekt umfasst manifeste Videoarbeiten, KI-generierte Musikvideos der Formation The Monkey Dance, physische Kunstobjekte (Memento Multiples) sowie interaktive Bildungsformate (aiMOOCs).
Theoretische Fundierung
Von der Sozialen zur Privaten Plastik
Das Projekt versteht sich als direkter, kritischer Nachfolger der Beuys’schen Lehre. Joseph Beuys formulierte den berühmten Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“, womit er die universelle Schöpferkraft des Menschen meinte, die Gesellschaft als „Soziale Plastik“ mitzugestalten.
Die Joblin Factory diagnostiziert jedoch ein historisches Defizit in dieser Theorie: Die Idee des Menschen als Kunstwerk sei lediglich eine „Entwicklungsoption“ geblieben. Die Kunstwelt habe sich weiterhin auf materielle Werke und den Markt konzentriert. Das Projekt Everyone will be art radikalisiert den Ansatz:
- Status Quo Ante (Beuys): Der Mensch handelt als Künstler (Subjekt).
- Status Quo Nunc (Joblin): Der Mensch ist Kunst (Subjekt und Objekt zugleich).
Daraus leitet sich das Konzept der Privaten Plastik ab. Bevor der Mensch sozial wirksam werden kann, formt er durch die Erkenntnis seiner eigenen ästhetischen Existenz seinen Geist. Diese innere Formung ist der primäre bildhauerische Akt.
Das Axiom der Unausweichlichkeit
In Anlehnung an]s Kommunikationsaxiom („Man kann nicht nicht kommunizieren“) stellt Jack Joblin, Mitbegründer der Factory, fest: „Der Mensch kann nicht nicht Kunst sein.“ Ob bewusst oder unbewusst, die bloße physische Existenz („Flesh“) und die geistige Präsenz stellen einen ästhetischen Zustand dar.
Kunstrechte (Art Rights)
Das Projekt fordert eine Neufassung der Grundrechte als „Kunstrechte“. Da jeder Mensch ein Kunstwerk ist, wird die Menschenwürde zur Unantastbarkeit des Kunstwerks. Dies impliziert:
- Das Recht auf freie Selbstformung (künstlerische Freiheit des Seins).
- Die Gleichheit aller Menschen als ästhetische Entitäten.
- Den Schutz des „Fleisches“ (Flesh) als Trägermaterial des Geistes.
Analyse der audiovisuellen Inhalte
Die Webseite integriert diverse Videoformate, die nicht nur illustrativ, sondern performativ wirken. Sie dienen als Spiegel der digitalen Gesellschaft und als Initiationsrituale in die Theorie der Privaten Plastik.
Manifest-Video: Memento Multiples & Joblin Factory
Das zentrale Video „Memento Multiples | Beuys & Joblin Factory“ fungiert als theoretisches Manifest.
- Narrativ: Das Video zieht eine historische Linie von den unvollendeten Ideen von Beuys und] hin zur Joblin Factory. Es inszeniert das Kollektiv als Vollstrecker einer historischen Notwendigkeit.
- Ästhetik des Fleisches (Salmon Art): Ein Schlüsselelement ist die Verwendung von totem Fleisch (z.B. Lachs) in der Kunst („Salmon Art“). Das Video erklärt dies als dialektischen Prozess: Das tote Fleisch macht dem Betrachter sein eigenes, lebendiges Fleisch bewusst. Es ist ein Memento Mori, das in ein Memento Vivere (Gedenke, dass du lebst/Kunst bist) umgewandelt wird.
- Performativität: Berichte über „Guerilla-Vernissagen“ (z.B. auf der]) unterstreichen den interventionistischen Charakter.
Musikprojekt: The Monkey Dance
Unter dem Titel The Monkey Dance veröffentlicht das Projekt eine Reihe von Musikvideos, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) generiert wurden. Dieses Teilprojekt gewann den Titel „Winner Project 2025“ im Rahmen der AI Fair-Image Challenge.
Der „Affe“ (Monkey) dient als Metapher für den unreflektierten, triebgesteuerten Menschen im digitalen Kapitalismus, der erst durch die „Art Choice“ (die Entscheidung zur Kunst) befreit werden kann.
Werkanalyse ausgewählter Songs
Die Songs decken ein breites Spektrum gesellschaftskritischer Themen ab und fungieren oft als emotionale Einstiege in die zugehörigen aiMOOCs:
| Titel | Hashtags / Themen | Analyse |
|---|---|---|
| Eine ironische Auseinandersetzung mit der Desinformation im Netz. Der Songtitel spielt mit der Leichtgläubigkeit der Nutzer. Das Video nutzt eine „StreetArt Banksy Style“-Ästhetik, um die Flüchtigkeit von Wahrheit zu visualisieren. | ||
| Bezugnahme auf Franz Kafka. Die Verwandlung in ein „Ungeziefer“ wird als Metapher für die Entfremdung und Dehumanisierung des modernen Menschen gedeutet. | ||
| Eine Kritik an den Machtasymmetrien des Tech-Kapitalismus. Der Song fragt nach der Souveränität des Subjekts gegenüber Plattformen wie X (ehemals Twitter). | ||
| Dekonstruktion populistischer Rhetorik. Die phonetische Nähe von „Lump“ zu politischen Akteuren entlarvt diese als groteske Kunstfiguren. | ||
| Aggressive Kritik an der ökologischen Doppelmoral der Konsumgesellschaft. | ||
| Satirische Einnahme der Perspektive der Superreichen, um den Zynismus sozialer Ungleichheit bloßzustellen. |
Memento Multiples: Die Materialisierung der Theorie
Um die Theorie der „Privaten Plastik“ im Alltag zu verankern, bietet die Joblin Factory sogenannte Memento Multiples an. Der Begriff fusioniert das barocke Memento Mori mit dem modernen Multiple (Serienkunstwerk).
- Kategorisierung der Objekte
- Direct (Spiegel): Taschenspiegel und Spiegelpostkarten. Der Blick in den Spiegel ist der Moment der direkten Konfrontation mit dem Kunstwerk (Selbst).
- Radical (Salmon Art): Objekte wie das „Fleisch-O-Phone“ oder „Lachsstrukturen“. Sie brechen Tabus durch die Ästhetisierung von Verderblichem und erzwingen eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit.
- Thoughtful (Addbooks): Bücher, die als intellektuelle Werkzeuge zur Formung der „Privaten Plastik“ dienen.
- Stylish (FleshArt): Kleidung und Accessoires, die den Träger im öffentlichen Raum als Bekenntnis-Kunstwerk markieren.
Pädagogische Dimension: aiMOOCs
Das Projekt ist fest in die Bildungsplattform MOOCit eingebettet. Die Videos und Texte sind keine reinen Kunstprodukte, sondern didaktische Bausteine.
- AI Fair-Image Challenge: Ein Wettbewerb, der Schüler dazu anregt, KI ethisch und kreativ zu nutzen („Fairness“).
- Interdisziplinarität: Die Inhalte verbinden Kunst, Ethik, Politik und Medienkompetenz. Ein Musikvideo über „Fake News“ führt beispielsweise in einen Kurs zur Quellenkritik ein.
Kritische Rezeption
Das Projekt bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Systemkritik und Systemnutzung. Während es den Plattform-Kapitalismus (Google, Amazon, Spotify) inhaltlich scharf kritisiert (z.B. in Who Owns Who), nutzt es exzessiv genau diese Distributionskanäle für seine Reichweite. Diese Ambivalenz wird jedoch reflexiv als Strategie der „subversiven Infiltration“ markiert: Die „Private Plastik“ muss dort entstehen, wo sich das moderne Subjekt aufhält – im digitalen Raum.
Siehe auch
Weblinks
- [[1](https://moocit.de/index.php/Everyone_will_be_art) Offizielle Projektseite auf MOOCit]
] ]
aiMOOCs


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