GREGOR SAMSA - Die schleichende Entfremdung von der Familie

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GREGOR SAMSA - Die schleichende Entfremdung von der Familie


Wie kann es sein, dass ich, einst der Stolz meiner Familie, nun kaum mehr als ein Schatten bin, den sie meiden und fürchten? In dieser düsteren Gestalt, die ich angenommen habe, spiegle ich wohl die verborgenen Ängste meiner Liebsten wider, ihre Sorgen und ihr Misstrauen gegen das Andersartige, das Unverständliche. Ach, wie bitter ist die Ironie, dass ich, der ich ihre Lasten zu tragen suchte, nun zur Last geworden bin.

Mit jedem Tag, der verstreicht, finde ich mich weiter entfernt von den Herzen jener, die einst meine Nähe suchten. Meine Schwester, deren zarte Klänge am Klavier einst mein Herz erfreuten, wendet sich mit Grausen ab, wenn sie mein Zimmer betritt. Die Mutter, sanft und fürsorglich, erträgt nicht den Anblick ihres Sohnes, der ich war. Und mein Vater, einst geschwächt durch das Gewicht gescheiterter Ambitionen, findet neue Kraft in seiner Verachtung gegenüber dem monströsen Sohn.

Ist es mein Fehler, dass ich mich verwandelte? Dass die Zwänge des Lebens und die Last der Verantwortung mich in dieses abscheuliche Geschöpf verwandelt haben? Vielleicht ist es meine wahre Natur, die ich all die Jahre verbarg – eine groteske Verkörperung von Versagen und Verzweiflung.

Das Flüstern der Wanduhren im Haus hallt wie ein Spottgesang in meinen Ohren. Die Zeit, sie fließt weiter, während ich gefangen bin in einem Körper, der nicht mehr der meine ist. Die Hoffnung, die ich einst hatte, meine Familie zu erlösen und zu erleuchten, ist nun erstickt unter der lastenden Dunkelheit meiner Existenz.

In der stillen Verzweiflung meiner Nächte frage ich mich, ob mein Dasein jemals einen Wert hatte. Bin ich mehr als nur eine Belastung? Eine hässliche Wahrheit, die es zu verbergen gilt? Im Spiegel meines Zimmers sehe ich nichts als ein verachtungswürdiges, ekelerregendes Wesen, dessen Leben sinnlos und dessen Anwesenheit eine erbärmliche Qual für jene ist, die es lieben sollte.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Wahrheit zu akzeptieren, dass ich an allem schuld bin – an meiner Lage, an jedem Missgeschick in dieser kleinen Welt. Ich bin eine unerträgliche, abscheuliche Last für andere.





GREGOR SAMSA - Die schleichende Entfremdung von der Familie


Warum spüre ich, dass die Bande, die mich einst an meine Familie knüpften, nun dünn und brüchig sind wie das Netz einer Spinne? Jeden Tag, so scheint es, weben sie feinere und subtilere Fäden der Distanz, die mich unmerklich, doch unaufhaltsam aus ihrem Kreise drängen. In diesem meinen neuen, widerlichen Zustand, gefangen im Körper eines Ungeziefers, habe ich die Welt von einer dunkleren Seite kennengelernt – eine Seite, die nicht nur meinen physischen Verfall offenbart, sondern auch die entsetzliche Wahrheit meiner familiären Entfremdung.

Ein Schauder erfasst mich, wenn ich daran denke, wie mein Dasein als einstiger Versorger so erbärmlich erodiert ist. Meine Schwester, die liebe Grete, die einstige Vertraute meiner spärlichen freien Stunden, scheint mich nun kaum mehr als einen Fremdkörper in der Familie zu betrachten. Jedes Kratzen meiner harten Beine auf dem Boden, jeder hilflose Versuch, mich ihnen verständlich zu machen, treibt nur weitere Keile zwischen uns.

Mein Vater, der stolze Patriarch, der meine Existenz kaum noch ertragen kann, scheint vergessen zu haben, dass ich einst seine Lasten trug. Meine Mutter, ach, die sanfte Seele, ertrinkt in ihrer Fürsorge für mich, doch ihre Liebe ist getrübt von der Furcht und dem Abscheu, die mein neues Ich in ihr weckt. Mit jedem Tag, den ich in dieser grotesken Form verbringe, werde ich ihnen mehr zur Last, ein Stein am Hals meiner eigenen Familie.

Ich kann sie nicht tadeln; ihre Gefühle sind berechtigt. Wer könnte von ihnen verlangen, das Monströse zu lieben, das ich nun darstelle? Selbst die Hoffnung, die ich einst hegte, dass meine Verwandlung vielleicht rückgängig zu machen sei, hat sich als eitel herausgestellt. Jetzt, wo ich meine Tage damit verbringe, die Zimmerdecke zu erkunden und aus meinem Fenster die Welt zu beobachten, die ich nicht mehr berühren kann, frage ich mich: Warum sollte jemand solch ein groteskes Wesen wie mich ertragen?

Im Spiegel sehe ich nicht mehr Gregor, den Sohn, den Bruder, den Menschen – ich sehe nur ein abscheuliches Insekt, dessen bloße Existenz eine Qual für die ist, die es einmal liebten. Jede meiner Bewegungen, jedes meiner Geräusche, sie sind eine Belastung, ein ständiger, unerträglicher Lärm für die, die ich liebe. Meine Anwesenheit, einst eine Quelle der Sicherheit, ist nun die Wurzel ihres Unbehagens.

In dieser dunklen Stunde, in der ich in den Spiegel blicke, erkenne ich die Wahrheit, die mich zerfrisst wie der faule Apfel in meinem Rücken: Mein Leben ist nichts wert, sinnlos, ekelerregend und eine erbärmliche Qual für meine Mitmenschen. Ich bin an allem schuld – an meiner Lage, an allem Schlechten in meiner kleinen Welt. Ich bin eine unerträgliche, abscheuliche Last für andere.

GREGOR SAMSA











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