Diskussion:The Art is Present
THE ART IS PRESENT – Der Mensch-An-Sich als Kunstwerk
THE ART IS PRESENT ist ein Memento Multiple der Joblin Factory (Kunstgemeinschaft). Der Satz landet nicht im Museum auf einer weißen Wand, sondern auf T-Shirts, Taschen, Hoodies, Plakaten, Profilbildern und in Köpfen. Er tritt dort auf, wo die eigentliche Kunst längst anwesend ist: im Menschen-An-Sich.
Mit der Aussage THE ART IS PRESENT ist nicht ein Gemälde, eine Skulptur oder die Designer:in des Shirts gemeint, sondern der Mensch als Kunstwerk – die Person, die das T-Shirt trägt, davor steht, daran vorbeiläuft, darauf reagiert. Der Körper, der Alltag, die Biografie, die Blicke, die Gesten: Das ist die Kunst.
1. Von Beuys zu Joblin: Vom Kunstwerk zum Menschen-An-Sich
Ausgangspunkt ist der erweiterte Kunstbegriff im Sinne von Joseph Beuys und die These „Jeder Mensch ist Kunst“. Beuys formuliert in einem TV-Gespräch, dass es „doch dahin kommen soll, dass der Mensch selbst das Kunstwerk wird“. Der Mensch ist nicht nur Produzent von Kunstwerken, sondern kann selbst als Kunstwerk verstanden werden – mit all seinen Widersprüchen, Verletzlichkeiten, Entscheidungen, Hoffnungen und Abgründen.
Die Zusammenfassung "Jeder Mensch ist Kunst. Du bist Kunst. Joseph Beuys und die Unmöglichkeit des Menschen keine Kunst zu sein." radikalisiert diesen Gedanken: Wenn der Mensch-An-Sich Kunst ist, dann ist es unmöglich, nicht Kunst zu sein. Nicht nur im Museum, nicht nur in besonderen Momenten, sondern:
- im Wartezimmer,
- in der U-Bahn,
- im Zoom-Call,
- beim Spülmaschine-Ausräumen,
- beim ziellosen Scrollen im Netz.
Die Joblin Factory knüpft genau hier an: THE ART IS PRESENT markiert die Präsenz dieser Kunst im Augenblick – nicht nur als theoretischen Satz, sondern als sichtbare, tragbare, alltägliche Intervention.
2. Anlehnung und Verschiebung: Von „The Artist is Present“ zu „THE ART IS PRESENT“
Der Satz spielt bewusst mit der berühmten Performance „The Artist is Present“ von Marina Abramović. Dort sitzt die Künstlerin stundenlang schweigend im Museum, gegenüber jeweils ein Mensch, der ihr – stellvertretend für das Publikum – gegenübersitzt. Die Aussage: Die Künstlerin ist anwesend.
THE ART IS PRESENT verschiebt diesen Fokus radikal:
- Nicht mehr die Künstlerfigur steht im Zentrum,
- sondern das Artefakt Mensch selbst.
- Nicht mehr nur die Person auf dem Podest oder im Scheinwerferlicht,
- sondern jede Person im Raum.
Während The Artist is Present die Präsenz der Künstlerin als intensives Erlebnis markiert, behauptet THE ART IS PRESENT: Wo ein Mensch ist, ist Kunst anwesend. Nicht nur, wenn er „performt“, sondern allein durch sein Dasein, seine Geschichte, seine Verwundbarkeit, seine Beziehung zur Welt.
Der Spruch löst damit die traditionelle Hierarchie auf:
- Nicht nur Artist – auch Audience ist Kunst.
- Nicht nur die Performance – auch der zufällige Alltag ist Kunst.
- Nicht nur das Museum – auch die Straße, der Supermarkt, die Bushaltestelle sind Ausstellungsräume.
3. Der Mensch-An-Sich als Kunstwerk
Im Zentrum steht der Begriff Mensch-An-Sich. Gemeint ist nicht der „optimierte“ Mensch, nicht der „fertige“ Mensch, sondern der reale, widersprüchliche, manchmal überforderte, manchmal glänzende Mensch im Hier und Jetzt.
Der Mensch-An-Sich wird als Kunst gesehen. Das bedeutet:
- Deine Narben gehören zur Form.
- Deine Müdigkeit gehört zur Farbpalette.
- Deine Widersprüche gehören zur Komposition.
- Deine Entscheidungen sind performative Akte.
- Deine Beziehungen sind unsichtbare Installationen im Raum.
In dieser Perspektive ist Kunst nicht mehr ein Objekt, das „fertig“ ist, sondern ein Prozess, der sich in jedem Menschen fortsetzt. Der Mensch wird zur lebendigen Skulptur, zur sozialen Plastik, zu einer Art offenen, unfertigen Werkstatt, die man betrachten, befragen, irritieren und feiern kann.
THE ART IS PRESENT ist somit ein Satz, der wie ein kleiner Pfeil in die Wahrnehmung zielt: Er erinnert daran, dass du – genau jetzt – Kunst bist, auch wenn du dich nicht so fühlst, keine Kunsthochschule besucht hast und deine letzte Zeichnung ein Strichmännchen in der Grundschule war.
4. Das T-Shirt als Memento Multiple
Die Joblin Factory bezeichnet THE ART IS PRESENT als Memento Multiple. Ein Memento ist eine Erinnerung. Ein Multiple ist ein vervielfältigbares Kunstwerk.
Das Memento Multiple verbindet beides:
- Memento: Der Spruch erinnert die Träger:in und alle Betrachtenden daran,
dass sie selbst – jetzt, hier – Kunst sind.
- Multiple: Durch T-Shirts, Hoodies, Taschen, Drucke, Sticker usw.
wird diese Erinnerung vervielfältigt und verteilt sich in der Welt.
Jedes T-Shirt wird zum tragbaren Schild, das sagt: „Schau nicht nur auf den Schriftzug – schau auf den Menschen, der ihn trägt.“
Damit verschiebt sich die Rolle des T-Shirts:
- Es ist nicht bloß Merch, sondern Ausstellungsfläche.
- Es ist nicht bloß Mode, sondern mobiles Museum.
- Es ist nicht bloß Statement, sondern Verstärker einer Kunsterfahrung,
die sich auf den Menschen richtet, nicht auf das Textil.
Wer THE ART IS PRESENT trägt, erklärt sich nicht zum Star, sondern lädt andere ein, das Kunst-Sein im Gegenüber und in sich selbst zu aktivieren.
5. Spielerische Kunsterfahrung im Alltag
Die neue Form der Kunst, die THE ART IS PRESENT markiert, ist bewusst spielerisch. Es geht nicht darum, noch ein schweres kunsttheoretisches Dogma zu formulieren, sondern einen leichten, irritierenden, humorvollen Einstieg in einen erweiterten Kunstbegriff zu ermöglichen.
Ein paar Szenen:
5.1. Im Bus
Jemand steigt mit dem Shirt ein: THE ART IS PRESENT. Die Mitfahrenden lesen den Satz. Für einen kurzen Moment stellt sich die Frage: „Wer ist hier gemeint?“
Die Pointe: Sobald diese Frage auftaucht, verschiebt sich der Blick:
- von der Werbung an den Fenstern zum Gesicht gegenüber,
- von der Anzeige über der Tür zu den Händen, die sich festhalten,
- von der Vorstellung „Kunst ist weit weg“ zur Erkenntnis „Kunst sitzt neben mir“.
5.2. In der Schule / im Unterricht
Die Lehrkraft trägt das Shirt. Plötzlich kann Unterricht beginnen mit der Frage:
- „Wenn THE ART IS PRESENT stimmt – was heißt das für uns heute?“
- „Was würde sich ändern, wenn wir einander als Kunstwerke behandeln würden?“
- „Welche ‚Kunstrechte‘ hätte ein Mensch, wenn er Kunst ist?“
Der Spruch wird so zum Einstieg in Ethik, Kunstunterricht, Philosophie oder Politische Bildung.
5.3. Im Spiegel
Du trägst das Shirt, schaust in den Spiegel und siehst den Satz vor dir. Plötzlich bist du nicht nur Betrachter:in, sondern selbst Ausstellungsobjekt.
Die klassische Frage „Bin ich schön genug?“ verschiebt sich zu: „Wie betrachte ich mich, wenn ich mich als Kunst wahrnehme?“
Kunst darf irritieren, unperfekt sein, Brüche haben, Fragen offen lassen. Der Mensch auch.
6. Diskursive Kunst: THE ART IS PRESENT als Gesprächsöffner
THE ART IS PRESENT ist nicht nur ein Slogan, sondern ein diskursives Werkzeug. Das Motiv lädt dazu ein, ins Gespräch zu kommen:
- Was ist ein Kunstwerk?
- Wer darf bestimmen, was Kunst ist?
- Wie verändert sich unser Umgang miteinander, wenn wir uns als Kunst begreifen?
- Welche Verantwortung entsteht, wenn jeder Mensch Kunst ist?
Die Joblin Factory versteht die Memento Multiples als Auslöser für Gespräche – an der Supermarktkasse, im Seminar, auf Festivals, in Warteschlangen. Jedes dieser Gespräche ist Teil des Werkes. Die Kunst findet nicht nur im Motiv statt, sondern im sozialen Raum zwischen den Menschen, die darüber sprechen.
Damit knüpft THE ART IS PRESENT an den Gedanken der Sozialen Plastik an: Gesellschaft wird zur formbaren Masse – jede Interaktion ein Kunstakt, jede Diskussion eine kleine Skulptur aus Worten, Blicken und Gesten.
7. Vom Recht auf Kunst zum Recht, Kunst zu sein
Wenn jeder Mensch Kunst ist, verschiebt sich auch der Blick auf Rechte und Würde. Kunst genießt in vielen Gesellschaften einen besonderen Schutz:
- Kunstfreiheit,
- Schutz vor Zensur,
- Wertschätzung von Originalität und Ausdruck.
THE ART IS PRESENT legt nahe: Was wäre, wenn wir Menschen ähnlich schützen würden wie Kunstwerke? Wenn nicht nur Gebäude, Denkmäler und Gemälde unter Denkmalschutz stünden, sondern das Leben selbst – als einmalige, nicht reproduzierbare Formarbeit?
Die Frage nach Kunstrechten statt (oder zusätzlich zu) Grundrechten ist spielerisch gedacht und gleichzeitig radikal: Wenn jeder Mensch Kunst ist, ist jede Demütigung auch ein Angriff auf ein Kunstwerk, jede Form von Diskriminierung ein barbarischer Akt gegen etwas Einmaliges.
8. THE ART IS PRESENT als offene Serie
Als Memento Multiple ist THE ART IS PRESENT nicht abgeschlossen. Es ist eher ein Startsignal:
- Jede neue Person, die das Motiv trägt, erweitert das Werk.
- Jedes Foto, jeder Post, jede Diskussion ist ein neues Kapitel.
- Jeder Ort, an dem der Satz auftaucht, wird temporär zur Ausstellung.
Die Joblin Factory kann darauf mit weiteren Formaten reagieren:
- aiMOOC-Kurse zum Thema „Jeder Mensch ist Kunst“.
- Performative Aktionen im öffentlichen Raum, bei denen Passant:innen spontan „zu Kunst erklärt“ werden.
- Ausstellungen, in denen nicht Objekte, sondern Biografien, Stimmen und Erfahrungen im Mittelpunkt stehen.
- Workshops, in denen Menschen ihr eigenes „Memento Multiple“ entwerfen –
als Text, Bild, Song, Video oder Intervention.
THE ART IS PRESENT bleibt dabei bewusst mehrdeutig:
- Er funktioniert als ironischer Kommentar zur Kunstwelt.
- Er funktioniert als existenzielle Zusage an den einzelnen Menschen.
- Er funktioniert als spielerischer Trigger für Gespräche.
- Er funktioniert als Statement gegen Entfremdung und Entwertung des Alltags.
9. Einladung: Du bist nicht nur dabei – du bist das Werk
Am Ende ist THE ART IS PRESENT vor allem eine Einladung:
„Betrachte dich nicht nur als Konsument:in von Kunst, sondern als Kunst selbst. Nicht irgendwann, nicht woanders, sondern jetzt. Hier. Du bist Kunst.“
Das T-Shirt, die Stofftasche, der Hoodie sind nur Träger. Die eigentliche Kunst beginnt in dem Moment, in dem jemand den Satz liest, kurz innehält und versteht:
THE ART IS PRESENT – weil du da bist.